Urteil vom Verwaltungsgericht Sigmaringen - A 13 K 7260/18

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise die Zuerkennung subsidiären Schutzes, höchst hilfsweise die Feststellung von Abschiebungsverboten gem. § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG und wendet sich gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 25.01.2018, mit welchem ihm die begehrten Schutztatbestände versagt wurden.
Der eigenen Angaben zufolge am ...1972 in S., Pakistan, geborene Kläger ist pakistanischer Staatsangehöriger vom Volk der Punjabis und muslimisch-schiitischer Religionszugehörigkeit. Er reiste am 29.04.2013 auf dem Landweg über Italien kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 27.05.2013 einen Asylantrag.
Im Rahmen der Befragung zur Vorbereitung der Anhörung gem. § 25 Asyl(Vf)G am 13.06.2013 gab der Kläger an, zuletzt im Stadtteil R. in S. gelebt zu haben. Pakistan habe er Ende 2010 verlassen. Seine Großfamilie lebe weiterhin in Pakistan unter der angegebenen Adresse. Die Schule habe er nach der achten Klasse abgebrochen. Dann habe er als Beruf Kranführer gelernt.
Im Rahmen der persönlichen Anhörung am 17.04.2018 machte der Kläger noch folgende Angaben: In Pakistan habe er einen Pass, einen Personalausweis und einen Führerschein besessen. Seine Mutter habe diese Unterlagen gehabt. Seitdem sie gestorben sei, wisse er nicht, wo diese Unterlagen seien. Er sei (von zu Hause) weggerannt, weil es um sein Leben gegangen sei; deshalb habe er nicht daran gedacht, diese Unterlagen mitzunehmen. Bis zu seiner Ausreise habe er in Sialkot im Stadtteil Rangpura gelebt. Beschreiben könne er den Stadtteil nicht, da es zehn Jahre her sei. Aber es gebe dort eine große Burg und den Fluss Nala Eg. Vor ca. acht oder neun Jahren habe er sein Heimatland verlassen. Vor ca. fünfeinhalb Jahren sei er nach Deutschland eingereist. Sein Vater sei seit drei bis vier Monaten im Krankenhaus, zur restlichen Großfamilie habe er keinen Kontakt. Er habe einen LKW-Autokran gefahren, einen 13-20-Tonner. Die finanzielle Situation sei gut gewesen.
Danach befragt, was ihn zur Flucht bewogen habe, äußerte der Kläger: „Ich bin Schiit. Ich gehörte der Gruppierung tanzeem nafaz figh (TNF J) an. Dort wurde ich vor circa 15 Jahren angeschossen. Ich habe mein eigenes Haus in Sialkot verlassen und habe dann in Islamabad, Karachi und Lahore gelebt. Dann gab es weitere Angriffe auf mich. Man wollte mich umbringen, damit es ein Schiit weniger ist. Ich wurde öfter angeschossen. In meinem Arm befindet sich jetzt noch eine Kugel. Viele meiner Freunde sind auch verstorben. Ich habe mein Land geliebt und wollte es nicht verlassen. Man wollte aber, dass ich kein Schiit mehr bin.“
Danach befragt, was ihm konkret passiert sei, antwortete der Kläger: „Vor ca. 14 Jahren gab es eine religiöse Veranstaltung in Islamabad. Dort wurden wir mit Waffen bedroht. Drei weitere Jugendliche wurden erschossen. Da haben mir meine Familie und Freunde geraten wegzugehen. Ich habe es der Polizei gemeldet. Die Polizei tut auch nichts. Die Regierung hilft den Schiiten auch nicht. Ich selber wollte das Land nicht verlassen. Ich bin dann nach Griechenland. Dort gab es auch Konflikte. Und in Italien wurde ich auch in einem Camp geschlagen. Die italienischen Behörden haben auch keine Abhilfe geschaffen.“
Erneut danach befragt, ob es ein konkretes fluchtauslösendes Ereignis gegeben habe, äußerte der Kläger: „Die Gruppierungen Lashkar e Janqwi, Spae Sahaba und die Taliban sind gegen uns. Man will uns Schiiten aus dem Land vertreiben.“
Auf die Frage, was er im Falle seiner Rückkehr nach Pakistan befürchte, antwortete der Kläger, dass sie ihn umbringen würden. Ein Cousin von ihm sei vor einem Jahr getötet worden. Der Mensch sei dort nichts wert. Die Schiiten würden dort umgebracht. Es gebe keine Garantie, dass er dort weiterleben könne.
Mit Bescheid vom 08.11.2018 lehnte das Bundesamt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, den Antrag auf Asylanerkennung, die Zuerkennung des subsidiären Schutzes sowie die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 S. 1 AufenthG ab, forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung bzw. des unanfechtbaren Abschlusses des Asylverfahrens zu verlassen, drohte andernfalls die Abschiebung nach Pakistan oder einen anderen aufnahmebereiten Staat an und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tage der Abschiebung.
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Zur Begründung der abgelehnten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führte das Bundesamt aus, dass allein der pauschale Verweis auf Diskriminierungen im Herkunftsland nicht ausreichend sei, um einen Schutzbedarf zu belegen. Es müsse im Einzelfall dargelegt werden, mit welchen konkreten Maßnahmen der Antragsteller persönlich konfrontiert war. Der Kläger könne sich nicht auf Gruppenverfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Schiiten berufen. Obwohl Schiiten in der Minderheit seien, hätten sie gesellschaftlich und politisch wichtige Positionen inne. So habe der Staatsgründer Pakistans, Mohammad Ali Jinnah, der Religionsgemeinschaft der Schiiten angehört, ebenso wie der die Pakistan Peoples Party (PPP) dominierende Bhutto-Clan oder der vormalige Staatspräsident Asif Ali Zardari. Eine systematisch diskriminierende Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sei in Pakistan grundsätzlich nicht festzustellen. Es seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass dies im Falle der Schiiten anders zu beurteilen wäre. Es gebe weder die Schiiten diskriminierende Gesetze noch eine entsprechende Regierungspolitik. Ebenso wenig gebe es gesetzliche Einschränkungen der Religionsfreiheit der Schiiten. Für die Annahme einer Gruppenverfolgung der Schiiten in Pakistan fehle es trotz gewisser Übergriffe auf Schiiten im Rahmen interkonfessionaler Gewalt seitens der sunnitischen Mehrheitsbevölkerung (insbesondere von dieser angehörenden, extremistischen Gruppen) an der erforderlichen Verfolgungsdichte bei Vergleich der Anzahl der Verfolgungsmaßnahmen von nichtstaatlicher Seite und den rd. 47 Millionen Schiiten in Pakistan.
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Der Kläger habe seine begründete Furcht vor Verfolgung auch nicht glaubhaft gemacht:
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„Der Antragsteller schildert mit nur wenigen Sätzen, ganz allgemein gehalten, dass er vor 15 Jahren der Partei TNF J Tehrik-e-Nifaz-e-Fiqh-e-Jafariya angehört hat und bei einer Demonstration angeschossen wurde. Er erwähnt gleich zu Beginn seine drei Umzüge innerhalb Pakistans ungefähr aus den Jahren 2002 / 2003 und dass er weitere Male angeschossen wurde. Obwohl dem Antragsteller durch mehrmaliges Nachfragen Gelegenheit gegeben wurde die Vorkommnisse zu präzisieren, bleiben sie weiter allgemein. Auf die Nachfrage nach den Verfolgern gibt er pauschal die drei Gruppierungen Lashkar-e-Jhangvi, Sipah-e-Sahaba und die Taliban an. Der Antragsteller schildert zudem die pauschale Verfolgung der Schiiten durch diese Gruppierungen in Pakistan. Er selbst war bei einzelnen Veranstaltungen der TNF J. Bei mehrerer dieser Veranstaltungen sei er angeschossen worden. Die Fragen, ob er sich politisch betätigt hat, oder ob er Schwierigkeiten mit Sicherheitskräften oder der Polizei gehabt hätte, verneinte er. Ein so intensives Erlebnis, eine zugefügte Schussverletzung, wird in der Regel genauer geschildert, insbesondere die Versorgung danach. Hierzu brachte der Antragsteller nichts hervor und wirkt hier bereits unglaubwürdig. Eine individuelle Verfolgung war nicht festzustellen. Nach Recherche nennt sich die Vereinigung TNF J Tehrik-e-Nifaz-e-Fiqh-e-Jafaria (Bewegung für die Umsetzung des Jafarian Rite). Die vom Antragsteller als Verfolger genannten Gruppierungen zur Zeit seiner Ausreise im Zeitraum 2009/2010 waren Lashkar e-Jhangvi, Laschkar-e Taiba oder auch Lashkar e-Tayyiba, Sipah-e-Sahaba operierten überwiegend im Grenzgebiet Afghanistan und Pakistan, Afghanistan und mittlerweile auch weltweit auch unter Mitwirkung von Al-Qaida. Ziel waren in der Regel medienwirksame Anschläge. Im Jahr 2018 (bis heute) gab in Pakistan landesweit ca 25 Anschläge. Primäres Ziel der Anschläge sind Sicherheitskräfte, Polizei und Soldaten. Sekundäre Ziele sind Wahlveranstaltungen. Vereinzelte politisch motivierte Anschläge auf Einzelpersonen beziehen sich auf herausgestellte Persönlichkeiten um entsprechende Aufmerksamkeit in den Medien zu erreichen. Bei keinem der Anschläge war eine vom Antragsteller genannte Gruppierung beteiligt. Der Antragsteller kann insbesondere in den pakistanischen Großstädten zumutbar internen Schutz finden... Der Antragsteller ist Kraftfahrer. Er war und ist keine herausgestellte politische Führungskraft und gehört auch zu keiner der erwähnten Gruppen. Daher ist es äußerst unwahrscheinlich, dass er in allen Großstädten Pakistans verfolgt wird, wenn nicht sogar gänzlich auszuschließen. Der Antragsteller hat nicht glaubhaft dargelegt, dass er so exponiert ist, dass ihm eine landesweite Verfolgung drohen würde. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass potentielle Gegner die Mittel und den Willen hätten, ihn in der ganzen Provinz und/oder landesweit ausfindig zu machen.“
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Aus denselben Gründe scheide die Asylanerkennung gem. Art. 16a Abs. 1 GG aus. Auch die Zuerkennung des subsidiären Schutzes scheide aus. Dem Kläger drohe in Pakistan nicht die Vollstreckung oder Verhängung der Todesstrafe. Eine Schutzfeststellung nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG scheide ebenfalls aus. Der aus Sialkot stammende Antragsteller müsse auch keine ernsthafte individuelle Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit durch willkürliche Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts befürchten. Selbst wenn man das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in Teilen der Provinz Punjab bejahen würde, bestünde angesichts der genannten Erkenntnisse und unter Berücksichtigung der großen Bevölkerungszahl von rd. 91 Millionen (vgl. EASO a.a.O.) keine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben. Die Gefahrendichte sei nicht so hoch, dass dort praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Der Vortrag des Klägers sei auch nicht geeignet, zu einem für ihn abweichenden Ergebnis einer dennoch bestehenden individuellen Gefährdung zu gelangen.
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Schließlich komme auch die Feststellung von Abschiebungsverboten gem. § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG nicht in Betracht. Eine Verletzung des Art. 3 EMRK scheide angesichts des identischen Prüfungsrahmens wie bei § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG aus denselben Gründen wie dort aus. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Pakistan führten nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung des Klägers eine Verletzung von Art. 3 EMRK vorläge. Auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Klägers sei die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch die Abschiebung nicht beachtlich. In der Anhörung habe der Kläger erklärt, dass er noch telefonisch Verbindung nach Pakistan hat, u.a. zu seinem Cousin. Sein Vater, zwei Schwestern und ein Bruder lebten auch noch in Pakistan. Seine wirtschaftlichen Verhältnisse seien so gewesen, dass er mit eigenem Erspartem und geliehenem Geld von Freunden in der Höhe von 15000 – 20000 Euro seine Ausreise finanziert habe. Als LKW-Fahrer und Bediener eines Autokrans könne er bei jetziger Rückkehr seinen Lebensunterhalt bestreiten. Es drohe dem Kläger auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG führen würde.
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Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG werde nach § 11 Abs. 2 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Der Kläger verfüge im Bundesgebiet über keine wesentlichen Bindungen, die im Rahmen der Ermessensprüfung zu berücksichtigen wären.
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Der Bescheid wurde dem Kläger am 13.11.2018 zugestellt.
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Der Kläger hat am 20.11.2018 die vorliegende Klage erhoben. Zur Begründung führt er in Ergänzung seines bisherigen Vorbringens noch aus: Er habe der religiösen Vereinigung TNF J angehört. Die Gruppierung sei unter anderem dadurch geprägt, dass sie gegenüber anderen Religionen tolerant sei. So habe er auch zu keinem Zeitpunkt Probleme damit gehabt, mit Andersgläubigen Freundschaften zu pflegen. Er habe auch mit Christen zusammengearbeitet, ohne dass dies für ihn ein Problem dargestellt habe. Diese Verhaltensweise sei der sonstigen muslimisch geprägten Bevölkerung, insbesondere der terroristischen geprägten Gruppierung der Taliban bzw. der Muslime, welche dem Jihad anhängen, suspekt und sei von diesen abgelehnt worden. Seine Freunde und er seien oftmals als „falsche Muslime“ tituliert worden. Sie seien keine „richtigen Muslime“. Es sei auch öfters zu Übergriffen von militant geprägten muslimischen Personen gekommen. Er gehe davon aus, dass es sich um Gruppierungen der Taliban gehandelt habe. Diese hätten die Gruppe oftmals mit Waffen angegriffen. Es sei dabei auch geschossen worden. Er selbst sei bei einem dieser Übergriffe auch verletzt worden. Diese Verletzungen habe er in einem privaten Krankenhaus behandeln lassen. Er sei im Ellenbogenbereich angeschossen worden. Dieses Erlebnis sei für ihn prägend gewesen. Er habe sich sodann in Pakistan nicht mehr sicher gefühlt und sich zur Flucht entschlossen. Auf einer Veranstaltung in Islamabad sei es zu den vorgenannten Gegebenheiten gekommen. Weiter sei zu berücksichtigen, dass zwischenzeitlich seine Mutter verstorben sei. Nach seiner Kenntnis befinde sich sein Vater ebenfalls im Krankenhaus. Es bestehe kein Kontakt mehr zu seiner Familie. Der soziale Rückhalt, von welchem das Bundesamt im Rahmen seiner Entscheidung noch ausging, sei daher aufgrund Zeitablaufes zwischenzeitlich zerbrochen. Ferner könne er sich angesichts unmuslimischer Verhaltensweisen dem Vorwurf der Blasphemie ausgesetzt sehen. Mit diesem Punkt habe sich das Bundesamt im Rahmen ihrer Entscheidung nicht auseinandergesetzt. Dieser Mangel mache den Bescheid fehlerhaft. Es sei nicht auszuschließen, dass aufgrund seiner pro-christlichen Einstellung eine unmittelbare Gefährdung seiner Person gegeben sei. Weiter müsse auch bezweifelt werden, dass es ihm möglich wäre, das Lebensnotwendige zu erwirtschaften. Er könne bei einer Rückkehr nach Pakistan nicht auf soziale Strukturen zurückgreifen. Es sei ihm auch kaum möglich, in einer der Großstädte von Pakistan effektiv Schutz zu suchen. Die Vernetzung der Terroristen/Taliban sei so gut. Es gebe auch keinen effektiven Schutz vor Übergriffen der Taliban. Diese seien überaus gut vernetzt und damit in der Lage, eine Person in ganz Pakistan zu finden.
18 
Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),
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Ziff. 1 und 3 bis 6 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 08.11.2018 aufzuheben die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, weiter hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung bezieht sie sich auf die angegriffene Entscheidung.
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Mit Beschluss vom 13.10.2020 hat die Kammer den Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
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Das Gericht hat am 03.12.2020 über die Klage mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift, insbesondere deren Anlage, wird verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogene Bundesamtsakte sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
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Nach Übertragung des Rechtsstreits auf diesen entscheidet der Berichterstatter anstelle der Kammer als Einzelrichter, § 76 Abs. 1 AsylG.
27 
Über die Klage konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung von 03.12.2020 entschieden werden, da die Beklagte auf diese Möglichkeit zuvor mit der Ladung hingewiesen worden war, § 102 Abs. 2 VwGO.
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 HS 2 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, des subsidiären Schutzes oder auf Feststellung von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG. Der Bescheid vom 08.11.2018 ist, soweit er angegriffen wurde, rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1, 5 Satz 1 VwGO).
1.
29 
Der Kläger ist kein Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 4, 1 AsylG.
a)
30 
Die Flüchtlingseigenschaft ist einem Ausländer zuzuerkennen, der Flüchtling ist (§ 3 Abs. 1, 4 AsylG i. V. m. § 60 Abs. 1 AufenthG), sofern er nicht die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt (§ 3 Abs. 4 AsylG). Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) - ist der Ausländer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Dabei sind die in § 3 Abs. 2 und 3 AsylG aufgeführten Ausschlussgründe zu beachten.
31 
Als Verfolgungshandlung gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG (in Umsetzung von Art. 9 Abs. 1 Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU – im Folgenden: QRL) Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 04. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) - EMRK - keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2).
32 
Seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 05.09.2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11 - NVwZ 2012, 1612 - juris Rn. 57, 59; dazu Berlit/Dörig/Storey, ZAR 2016, 281 (284)) ist (europaweit) geklärt, dass (auch) Eingriffe in die Religionsfreiheit als Verfolgungshandlungen i. S. v. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a) QRL qualifiziert werden können, sofern sie als „schwerwiegende Verletzung“ anzusehen sind (dies rezipierend EuGH, Urteil vom 04.10.2018 - C-56/17 - juris Rn. 94). Denn das in Art. 10 Abs. 1 GRCh verankerte Recht auf Religionsfreiheit stellt ein grundlegendes Menschenrecht dar, ist eines der Fundamente einer demokratischen Gesellschaft und entspricht Art. 9 EMRK. Ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit kann so gravierend sein, dass er einem der in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Fälle gleichgesetzt werden kann, auf die Art. 9 Abs. 1 Buchst. a) QRL als Anhaltspunkt für die Feststellung verweist, welche Handlungen insbesondere als Verfolgung gelten.
33 
Eine Verletzung des durch Art. 10 Abs. 1 GRCh garantierten Rechts auf Religionsfreiheit stellt eine Verfolgungshandlung i. S. v. Art. 9 Abs. 1 QRL dar, wenn ein Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art. 6 QRL genannten Akteure strafrechtlich verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden oder wenn ihm die Gefahr einer Verletzung von Leib und Leben sowie der (physischen) Freiheit droht (EuGH, Urteil vom 05.09.2012 - C-71/11 - NVwZ 2012, 1612 Rn. 67; BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23/12 - BVerwGE 146, 67-89 = juris Rn. 25). Das bedeutet, dass die genannten Folgen und Sanktionen dem Ausländer im Herkunftsland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen müssen. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal "... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung..." des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (jetzt Art. 2 Buchst. d) Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt ("real risk"); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 Rn. 22). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. u. a. BVerwG, Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 (169 f.).
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Zu den Handlungen, die eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a) QRL darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit eines Asylantragstellers, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in seine Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben. Mit der weiten Definition des Religionsbegriffs in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b) QRL wäre es nicht vereinbar, die Beachtlichkeit einer Verletzungshandlung danach zu beurteilen, ob diese in einen Kernbereich der privaten Glaubensbetätigung (forum internum) oder in einen weiteren Bereich der öffentlichen Glaubensausübung (forum externum) eingreift (EuGH, Urteile vom 05.09.2012 - C-71/11 - NVwZ 2012, 1612 Rn. 62 f.; vom 29.05.2018 - C-426/16 - juris Rn. 44; vom 10.06.2018 - C-25/17 - juris Rn. 47; vom 04.10.2018 - C-56/17 - juris Rn. 81; BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23/12 - BVerwGE 146, 67-89 = juris Rn. 24, unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung).
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Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 1 QRL setzt nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen (EuGH, Urteil vom 05.09.2012 - C-71/11 - NVwZ 2012, 1612 Rn. 69; BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23/12 - BVerwGE 146, 67-89 = juris Rn. 26). Könnte nicht schon das Verbot bestimmter Formen der Religionsausübung eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a) QRL darstellen, blieben Betroffene gerade in solchen Ländern schutzlos, in denen die angedrohten Sanktionen besonders schwerwiegend und so umfassend sind, dass sich Gläubige genötigt sehen, auf die Glaubenspraktizierung zu verzichten. Kann Verfolgung somit schon in dem Verbot als solchem liegen, kommt es auf das tatsächliche künftige Verhalten des Asylbewerbers und daran anknüpfende Eingriffe in andere Rechtsgüter des Betroffenen (z.B. in Leben oder Freiheit) letztlich nicht an (BVerwG, a. a. O. juris Rn. 26 f.).
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Die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a) QRL zu erfüllen (sodass dem Asylbewerber der Verzicht auf ihre Ausübung nicht zugemutet werden kann), hängt sowohl von objektiven als auch von subjektiven Gesichtspunkten ab (EuGH, Urteil vom 05.09.2012 - C-71/11 - NVwZ 2012, 1612 Rn. 70; BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23/12 - BVerwGE 146, 67-89 = juris Rn. 28). Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzungen anderer Rechtsgüter wie z.B. Leib und Leben. Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es insoweit maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers an; denn ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, begründet keine erhebliche Verfolgungsgefahr (EuGH, Urteil vom 04.10.2018 – C-56/17 - NVwZ 2019, 634 = juris Ls. 4). In subjektiver Hinsicht ist die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit beachtlich, wenn für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig, d. h. für den jeweiligen Asylbewerber unverzichtbar ist (EuGH, Urteil vom 05.09.2012 - C-71/11 - NVwZ 2012, 1612 Rn. 70 f.; BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23/12 - BVerwGE 146, 67-89 = juris Rn. 29 f.; Beschluss vom 9.12.2010 - 10 C 19.09 - BVerwGE 138, 270 Rn. 43; ähnlich schon BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143-170 - juris Rn. 37). Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten.
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Die religiöse Identität als innere Tatsache lässt sich nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen. Dafür ist das religiöse Selbstverständnis eines Asylbewerbers grundsätzlich sowohl vor als auch nach der Ausreise aus dem Herkunftsland von Bedeutung. Bei Ahmadis aus Pakistan ist zunächst festzustellen, ob und seit wann sie der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft angehören. Hierbei dürfte sich die Einholung einer Auskunft der Zentrale der Glaubensgemeinschaft in Deutschland anbieten (BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23/12 - BVerwGE 146, 67-89 = juris Rn. 31; siehe auch EuGH, Urteil vom 04.10.2018 - C-56/17 - NVwZ 2019, 634 = juris Ls. 3, wonach es einem Asylantragsteller obliegt, sein Vorbringen glaubhaft zu substantiieren, indem er Anhaltspunkte darlegt, die es der zuständigen Behörde ermöglichen, den Wahrheitsgehalt des Vorbringens zu überprüfen; allgemein zu den beidseitigen Mitwirkungspflichten an der Sachverhaltsaufklärung EuGH, Urteil vom 22.11.2012 - C-277/11 (M.M.) - juris Rn. 65). Allerdings darf die Wirksamkeit einer nach kirchenrechtlichen Vorschriften bestehenden Mitgliedschaft des Schutzsuchenden in der Kirchengemeinschaft von den Verwaltungsgerichten nicht in Frage gestellt werden. Vielmehr haben diese die Kirchenmitgliedschaft der flüchtlingsrechtlichen Prüfung zugrunde zu legen, selbst wenn die vorgelegten Unterlagen Anhaltspunkte für eine gewisse Oberflächlichkeit, Missbräuchlichkeit oder für eine mitbestimmende taktische Prägung des Übertritts zur christlichen Religion erkennen lassen; derartigen Anhaltspunkten kann jedoch im Rahmen der Verfolgungsprognose Rechnung getragen werden (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 03.04.2020 - 2 BvR 1838/15 - juris Rn. 29; tendenziell deutlich weitergehend Berlit/Dörig/Storey, ZAR 281 (285); ebenso noch BVerwG, Beschluss vom 25.08.2015 - 1 B 40.15 - NVwZ 2015, 1678: keine Bindung an die Beurteilung des Amtsträgers einer christlichen Kirche, der Taufe des Betroffenen liege eine ernsthafte und nachhaltige Glaubensentscheidung zu Grunde). Gleichsam dürfen die Verwaltungsgerichte weder eine inhaltliche „Glaubensprüfung“ – etwa eine eigene Auslegung oder Priorisierung einzelner Glaubensinhalte gegenüber anderen Aspekten der jeweils betroffenen Religion – noch eine Bewertung des Glaubens des Einzelnen oder der Lehre der Kirche vornehmen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 03.04.2020 - 2 BvR 1838/15 - juris Rn. 31, 37 m. w. N. zur st. Rspr. des BVerfG).
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Demgegenüber gehört die Frage, ob und bejahendenfalls welche Aspekte einer Glaubensüberzeugung oder Glaubensbetätigung in einem hinreichenden Maße für die religiöse Identität des individuellen Schutzsuchenden prägend sind oder nicht, und die damit angesprochene Prüfung, ob die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen, zu den von dem Verwaltungsgericht überprüfbaren Sachvortrag des jeweiligen Asylbewerbers (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 03.04.2020 - 2 BvR 1838/15 - juris Rn. 30). Dabei müssen und dürfen die Verwaltungsgerichte lediglich der Stellung des Schutzsuchenden zu seinem Glauben nachgehen, nämlich der Intensität und Bedeutung der von ihm selbst empfundenen Verbindlichkeit von Glaubensgeboten für die eigene religiöse Identität. Im Rahmen dieser Prüfung haben die Verwaltungsgerichte allerdings die Bedeutung des Grundrechts auf Glaubens-, Gewissens- und Religionsfreiheit als ein in einer demokratischen Gesellschaft zentrales Grundrecht und grundlegendes Menschenrecht in besonderem Maße zu berücksichtigen. Dies betrifft sowohl die Sachverhaltsaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO) als auch die Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 VwGO): In Fällen, in denen es um die Bedeutung einer bestimmten Glaubenspraxis für die religiöse Identität des Schutzsuchenden und die Intensität der selbst empfundenen Verpflichtung eines bestimmten Glaubensgebotes geht, kommt der verfahrensrechtlichen Sachaufklärungspflicht verfassungsrechtliches Gewicht zu. Die fachgerichtliche Beurteilung muss daher auf einer hinreichend verlässlichen und auch ihrem Umfang nach zureichenden tatsächlichen Grundlage beruhen. Dabei ist nicht nur das Vorbringen des Schutzsuchenden im Rahmen der in aller Regel gebotenen informatorischen gerichtlichen Anhörung zu berücksichtigen, sondern es sind auch äußere Anknüpfungstatsachen heranzuziehen, die Rückschlüsse auf die innere Einstellung des Betroffenen erlauben (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 03.04.2020 - 2 BvR 1838/15 - juris Rn. 31-33). Auch im Rahmen der tatrichterlichen Beweiswürdigung ist die besondere Bedeutung des Grundrechts auf Glaubens-, Gewissens- und Religionsfreiheit zu beachten. Zwar unterliegt es im Ausgangspunkt der freien Beweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, auf welche Weise das Tatsachengericht sich die erforderliche Überzeugungsgewissheit vom Vorliegen der entscheidungserheblichen Tatsache verschafft, ob der Schutzsuchende eine verfolgungsträchtige religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - BVerwG 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 = juris Rn. 30, und angegriffener Beschluss vom 25.08.2015 - BVerwG 1 B 40.15 - juris Rn. 14). Es bedarf im Rahmen der Beweiswürdigung jedoch in aller Regel der Gesamtschau einer Vielzahl von Gesichtspunkten. Dabei werden die Beweisanforderungen auch im Hinblick auf Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, Art. 10 Abs. 1 GR-Charta und Art. 9 Abs. 1 EMRK nicht überspannt, wenn von einem volljährigen Antragsteller im Regelfall erwartet wird, dass er schlüssige und nachvollziehbare Angaben zu den Grundzügen seiner Religion, seinem eigenen religiösen Selbstverständnis sowie zu seiner religiösen Betätigung im Heimatland und den ggf. hierbei erlittenen Einschränkungen machen kann (vgl. EuGH, Urteil vom 04.10.2018 - C-56/17 - NVwZ 2019, 634 (639) Rn. 84 und 90). Allerdings wird der Umfang des Wissens über die eigene Religion maßgeblich von der individuellen Geschichte des Antragstellers, seiner Persönlichkeit, seinem Bildungsniveau und seiner intellektuellen Disposition abhängen, die bei der Beweiswürdigung daher angemessen Berücksichtigung finden müssen (vgl. BVerwG, angegriffener Beschluss vom 25.08.2015 - BVerwG 1 B 40.15 - juris Rn. 14; Berlit/Dörig/Storey, ZAR 2016, 281 (284); zum Ganzen BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 03.04.2020 - 2 BvR 1838/15 - juris 34-36).
39 
Schließlich darf als Indiz für die Unverzichtbarkeit der privaten oder öffentlichen Glaubensbetätigung im Herkunftsland, die die Grundlage für die Beurteilung der Verfolgungsgefahr ist, auch von den Verwaltungsgerichten geprüft werden, wie der Betroffene seinen Glauben in Deutschland auslebt: Ergibt die Prüfung, dass der Asylbewerber seinen Glauben in Deutschland nicht in einer Weise praktiziert, die ihn im Heimatland der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde, spricht dies regelmäßig dagegen, dass eine solche Glaubensbetätigung für seine religiöse Identität prägend ist, es sei denn, der Betroffene kann gewichtige Gründe hierfür vorbringen. Praktiziert er seinen Glauben hingegen in entsprechender Weise, ist weiter zu prüfen, ob diese Form der Glaubensausübung für den Kläger zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist und nicht etwa nur deshalb erfolgt, um die Anerkennung als Flüchtling zu erreichen (BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - BVerwG 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 = juris Rn. 30). Ist dies festgestellt, kommt es weiter darauf an, ob ein Asylbewerber berechtigterweise befürchten muss, dass ihm aufgrund einer öffentlichen religiösen Betätigung im Heimatland, die zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine schweren Rechtsgutverletzung droht, insbesondere die Gefahr, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23/12 - BVerwGE 146, 67-89 = juris Rn. 32).
b)
40 
Die Situation für Schiiten in Pakistan stellt sich (abstrakt) wie folgt dar:
41 
Berichten zufolge sind Schiiten in Pakistan die größte muslimische Minderheit und machen zwischen 10 und 25 % der auf 190 bis 208 Millionen Einwohner geschätzten pakistanischen Gesamtbevölkerung aus (Die CIA schätzt, dass 96,4% der Bevölkerung sich als Muslime begreift, von denen 85-90% Sunniten und 10-15% Schiiten sind, Central Intelligence Agency, The World Factbook – Pakistan: People and Society, 27.10.2016, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/pk.html; ähnliche Zahlen bei Australian Department of Foreign Affairs and Trade (DFAT), Country Information Report Pakistan, 20.02.2019, https://dfat.gov.au/about-us/publications/Documents/country-information-report-pakistan.pdf, S. 33, Ziff. 3.72; IRB – Immigration and Refugee Board of Canada, Pakistan: Situation and treatment of Shia [Shi'a, Shi'i, Shiite] Muslims, including Hazaras and Turi, particularly in Lahore, Karachi, Islamabad, and Hyderabad; state response to violence against Shias (2017-January 2020) [PAK106393.E], S. 1). Dies entspricht – absolut betrachtet – zwischen ca. 20 und 50 Millionen Schiiten in Pakistan (ebenso BFA, LIB Pakistan, 16.05.2019, letzte Kurzinformation vom 09.08.2019, S. 63). Laut dem Australian Department of Foreign Affairs and Trade (DFAT, Country Information Report Pakistan, 20.02.2019, S. 33) sind Schiiten im ganzen Land verteilt und stellen in der semi-autonomen Region Gilgit-Baltistan die Bevölkerungsmehrheit (IRB, Pakistan: Situation of Shia Muslims, 01.2020, S. 1).
42 
Art. 20 der pakistanischen Verfassung sieht vor, dass jeder Bürger das Recht hat, seine Religion zu bekennen, auszuüben und zu verbreiten – vorbehaltlich des Gesetzes, der öffentlichen Ordnung und der Moral – und dass jede Konfession und jeder Sekte das Recht hat, ihre religiösen Institutionen zu errichten, zu unterhalten und zu verwalten. Art. 36 der Verfassung garantiert die legitimen Rechte und Interessen von Minderheiten, einschließlich ihrer ordnungsgemäßen Vertretung in den Bundes- und Provinzdiensten. Die Verfassung legt den Islam als Staatsreligion fest (Art. 2). Art. 41 Abs. 2 und Art. 100 Abs. 3 der Verfassung verlangen, dass der Präsident und der Premierminister Muslime sind. Art. 260 der Verfassung definiert den Begriff „Muslim“ und schließt ausdrücklich mehrere Gruppen, nicht aber Schiiten, von dieser Definition aus (DFAT, Country Information Report Pakistan, 20.02.2019, S. 32 f.).
43 
Nach der Einschätzung des DFAT sind Pakistaner – mit Ausnahme der Ahmadis und Hazara – im Allgemeinen in der Lage, ihre Religion ohne offizielle Einmischung oder Diskriminierung auszuüben. Jedoch wird ein Trend zu verstärktem religiösem Konservatismus und Intoleranz gegenüber religiösen Minderheiten festgestellt, der voraussichtlich 2019 anhalten wird. Die meisten religiösen Minderheiten (mit den genannten Ausnahmen von Ahmadis und Hazara) sind einem moderaten Risiko von gesellschaftlicher Diskriminierung und Gewalt gegen religiöse Zeremonien und Kultstätten ausgesetzt (DFAT, Country Information Report Pakistan, 20.02.2019, S. 34 Ziff. 3.80). Überproportional viele Schiiten leben u.a. in Peshawar, Kohat, Hangu, Dera Ismail Khan in Khyber Pakhtunkhwa, in den Kurram und Orakzai-Distrikten im früheren FATA (Federally Administrated Tribal Areas). Aufgrund ihrer höheren Konzentration und zum Teil Isolation in der Bevölkerung sind Shiiten dort einer besonderen Gefährdung gegenüber krimineller und militanter Gewalt ausgesetzt. Obwohl einige Schiiten in Enklaven in diesen Städten leben, sind die schiitischen und sunnitischen Gemeinschaften im Allgemeinen gut integriert (DFAT, Country Information Report Pakistan, 20.02.2019, S. 35 Ziff. 3.91 und S. 36 f. Ziff. 3.101; UK Home Office (UKHO): Country Policy and Information Note Pakistan: Shia Muslims, 01.2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2002540/CPIN-Pakistan-Shias-v2.0_Jan_2019_.pdf). Die meisten pakistanischen Schiiten sind physisch oder sprachlich nicht von pakistanischen Sunniten zu unterscheiden. Die nationale Meldebehörde NADRA sammelt sektiererische Informationen während des Antragsverfahrens für Ausweisdokumente, aber der nationale Personalausweis (Computerized National Identity Card, CNIC) identifiziert nicht die Religion eines Karteninhabers und Pässe unterscheiden nicht zwischen sunnitischen und schiitischen Muslimen. Wiewohl können einige Schiiten durch gebräuchliche schiitischen Namen identifiziert werden. In ähnlicher Weise können ethnische und Stammesnamen die ethnische Zugehörigkeit oder Stammeszugehörigkeit einer Person offenbaren. Insbesondere bei den Hazara ist dies regelmäßig möglich (DFAT, Country Information Report Pakistan, 20.02.2019, S. 35 Ziff. 3.92).
44 
Schiiten in Pakistan treten vor allem bei schiitischen religiösen Veranstaltungen und Pilgerreisen in den Irak und den Iran in Erscheinung, wo sie besonders leicht und oft Ziel und Opfer religiös motivierter Übergriffe und gezielter Tötungen werden. Diesbezüglich wird aber auch konstatiert, dass das pakistanische Militär Versuche unternimmt, diese Pilgerreisen militärisch zu schützen (DFAT), Country Information Report Pakistan, 20.02.2019, S. 37 Ziff. 3.102 und 3.103). Schiiten gedenken des Ashura-Tages mit Nachstellungen des Martyriums und Prozessionen, bei denen schwarz gekleidete schiitische Männer und Frauen durch die Straßen ziehen, sich auf die Brust schlagen und singen. Selbstverletzungen, wie z.B. Geißelungen während der Ashura-Prozessionen, können bleibende Spuren hinterlassen. Schiitische und sunnitische Moscheen sind deutlich voneinander unterscheidbar. Schiitische Moscheen und Kultstätten oder Imambargahs weisen eine unterschiedliche muslimische Ikonographie auf, darunter das schiitische Schwert, Pferde, Bilder von Ali und Hussein und "U-förmige" Halbmonde. In schiitischen und sunnitischen Moscheen gibt es unterschiedliche Gebetszeiten, und die Gläubigen nehmen beim Beten unterschiedliche Handhaltungen ein. Schi'a-Moscheen gibt es in ganz Pakistan. Schiiten können in sunnitischen Moscheen beten und umgekehrt, obwohl dies nur selten geschieht. Beide Sekten teilen sich eine Reihe berühmter religiöser Stätten, darunter auch Sufi-Schreine. Es gibt keine rechtlichen Barrieren, die eine Heirat zwischen Schiiten und Sunniten in Pakistan verhindern. Zwar kommt es zu Eheschließungen, aber sunnitisch-schiitische Ehen werden in einem Umfeld zunehmender Religiosität immer seltener. Ein Partner (in der Regel die Braut) erfährt in der Regel eine religiöse Bekehrung. Dem DFAT sind Zwangskonversionen zwischen Sekten nicht bekannt. Dem DFAT liegen keine Hinweise auf eine systematische Diskriminierung von Schiiten bei der Erlangung einer Anstellung im öffentlichen Dienst, bei der Polizei, beim Militär oder in der Privatwirtschaft vor. Schiiten sind in der Regierung und im öffentlichen Dienst gut vertreten (BFA, LIB Pakistan, S. 63; UK HO, Country Policy and Information Note Pakistan: Shia Muslims, Version 2.0, 01.2019, S. 7). Pakistanische Schiiten sind in allen Lebensbereichen vertreten; in vielen Fällen ist es ihnen gelungen, im kulturellen Bereich Pakistans eine herausragende Rolle zu spielen und einflussreiche, hochrangige Positionen zu erlangen (IRB, Pakistan, Situation and treatment of Shia Muslims, 01.2020, S. 3). Dem DFAT zufolge sind Schiiten gut repräsentiert im Parlament und nehmen regelmäßig an Wahlen für gemäßigte politische Parteien teil. Die Pakistan People’s Party (PPP) hat bzw. hatte mehrere hochrangige schiitische Führer, darunter Zulfikar Ali Bhutto, seine Tochter Benazir Bhutto und Benazir Bhuttos Ehemann Asif Ali Zardari, die alle als Präsident und/oder Premierminister Pakistans fungierten. Zardari und Benazir's Sohn, Bilawal, ist der derzeitige Leiter der PPP. Andere wichtige Parteien, darunter Imran Khans Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI) und die Muttahida Qaumi Movement (MQM), haben ebenfalls eine bedeutende schiitische Anhängerschaft (wiedergegeben von UK HO, Pakistan: Shia Muslims, 01.2019, S. 13).
45 
Einige Schiiten nehmen jedoch eine Diskriminierung von Schiiten wahr, die auf höheren Ebenen einiger Organisationen eine Rolle spielen. Insgesamt geht das DFAT davon aus, dass Schiiten, die keine Hazara oder Turi sind (siehe Hazaras Hazarasand Turis), bei der Arbeitssuche im Allgemeinen nicht aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit diskriminiert werden. Geringfügige Anti-Schi'a-Diskriminierung findet auf Gemeindeebene statt und kann sich in Gewalt oder Sachbeschädigung äußern. Sunnitische und schiitische Studenten besuchen die gleichen öffentlichen und privaten Bildungseinrichtungen. Die Studenten müssen ihre Religionszugehörigkeit für den Zugang zu öffentlichen und privaten Einrichtungen, einschließlich Universitäten, angeben. Religiöse Voreingenommenheit im öffentlichen Bildungswesen betrifft vorwiegend Nicht-Muslime, aber schiitische Gruppen haben Bedenken geäußert, dass der Lehrplan öffentlicher Schulen und die vorgeschriebenen Lehrbücher Darstellungen sunnitischer Gebetsrituale enthalten und prominente historische Schia-Figuren auslassen. Nach Einschätzung des DFAT gibt es keine Hindernisse darauf, dass die Schiiten aufgrund ihrer Sektenzugehörigkeit daran gehindert wären, sich aktiv an demokratischen Prozessen in Pakistan zu beteiligen. Sektenartige Gewalt in Pakistan richtete sich historisch gesehen gegen Einzelpersonen, Kultstätten, Schreine und religiöse Schulen, wobei die Schiiten jedoch traditionell einen höheren Anteil der Todesopfer stellten (DFAT, Country Information Report Pakistan, 20.02.2019, S. 35).
46 
Zwischen radikalen Sunniten und der schiitischen Minderheit kommt es immer wieder zu Gewalt (AA, Lagebericht Pakistan, Stand: Mai 2019, S. 14). Verstärkt seit 2017 und insbesondere im Zusammenhang mit den Wahlen im Jahr 2018 waren Angehörige der religiösen Minderheiten und damit auch Schiiten Opfer sektiererischer Gewalt („sectarian violence“). Laut des Think Tanks Centre for Research and Security Studies gab es in diesem Zusammenhang 2017 319 Tote und 636 Verletzte (zitiert nach AA, Lagebericht Pakistan, Stand: Mai 2019, S. 14). Dem South Asian Terrorism Portal (SATP) zufolge wurden im Jahr 2017 bei 10 Angriffen 114 Schiiten getötet und 308 verletzt. Das SATP berichtet von weiteren fünf Angriffen zwischen dem 1. Januar und dem 17. Juni 2018, bei denen sieben Menschen getötet und vier verletzt wurden. LeJ und LeJ al-Al-Alami bekannten sich in Verbindung mit dem ISIL zu vielen dieser Angriffe. Das BFA fasst Berichte aus dem Jahr 2018 zusammen, wonach es im Jahr 2018 zwölf Fälle konfessionell motivierter Gewalt (minus 40 % zum Vorjahr) mit 51 Todesopfern (minus 31 % zum Vorjahr) gegeben habe. Sieben der zwölf Angriffe hätten Mitgliedern der schiitischen Glaubensgemeinschaft gegolten. Zehn der zwölf Angriffe hätten in Khyber Pakhtunkhwa und Belutschistan stattgefunden (BFA, LIB Pakistan, S. 64). Weiter fasst das BFA Berichte über willkürliche Verhaftungen von Schiiten während der religiösen Feiertage im Monat „Muharram“ zusammen und dokumentiert ferner, dass einige Bundes- und Provinzbehörden rund um das schiitische Muharram-Fest die Bewegungsfreiheit von Klerikern, die dafür bekannt sind, konfessionelle Gewalt zu propagieren, eingeschränkt habe; zudem seien hunderttausende Sicherheitskräfte im ganzen Land während des Ashura-Fests zum Schutz der schiitischen Zeremonien eingesetzt worden, die gemäß Beobachtern 2017 friedlicher als in den Vorjahren abgelaufen seien (ausführlicher noch IRB, Pakistan: Situation of Shia Muslims, 01.2020, S. 12 f.).
47 
Demgegenüber gibt es Berichte von einer Verschärfung interreligiöser Spannungen seit 2017. Vielfach wird von wachsender religiöser Intoleranz im Jahre 2018 berichtet. Die politischen Führer zögerten, gegen religiöse Diskriminierung anzukämpfen und diejenigen, die dies taten, seien Gewalt ausgesetzt gewesen (Vorwurf der Blasphemie). Während des Wahlkampfs 2018 sei der politische Diskurs religiöser geworden und habe die Kluft zwischen religiöser Mehrheit und Minderheiten verschärft. Die Religiosität unter den Jugendlichen in Pakistan nehme ebenfalls zu. Auch in diesem Zusammenhang wird über verstärkte Äußerungen von religiöser Intoleranz in den Medien berichtet (DFAT, Country Information Report Pakistan, 20.02.2019, S. 33 Ziff. 3.77).
48 
Aus dem Jahre 2019 wird berichtet, dass keine Region in Pakistan vor religiös motivierter Gewalt Sicherheit geboten hätte. Die Provinzen Belutschistan und Sindh hätten die meisten Vorfälle verzeichnet. Unter den 24 Getöteten und 120 verletzten Personen im Jahre 2019 seien 28 getötete und 57 verletzte Schiiten gewesen (CRRS – Centre for Research & Security Studies (27.01.2020), Annual Security Report 2019, S. 30f.; zitiert nach BAMF, Länderreport 24 Pakistan: Lage der Ahmadis und Schiiten sowie Ehrverbrechen im Kontext der islamisch geprägten Strafgesetzgebung, Stand: 05/2020, S. 3).
49 
Laut dem South Asian Terrorism Portal (SATP) sind fast 50 verschiedene inländische und transnationale extremistische/terroristische Gruppen in Pakistan aktiv. Diese Gruppen stellen eine ernsthafte Sicherheitsbedrohung insbesondere für die religiösen Minderheitsgemeinschaften in Pakistan dar. Darüber hinaus hat die Ausrichtung dieser Gruppen auf schiitische und sufistische Muslime tiefgreifende sektiererische Spannungen ausgelöst. Nach Berichten einer schiitisch-muslimischen Organisationen, Majlis Wahdat-e-Muslimeen Pakistan (MWM), haben die pakistanischen Taliban und andere terroristische Gruppen in der letzten Dekade schätzungsweise 25.000 Schiiten getötet. Neben den pakistanischen Taliban (Tehrik-e-Taliban Pakistan - TTP) und einem pakistanischen Ableger des islamischen Staates (ISIS) treten vornehmlich die Lashkar-e-Jhangvi (LeJ) sowie die Sipah-e-Sahaba (SSP, jetzt Ahl-e Sunnat Wal Jama’at (ASWJ)) als relevante Verfolgungsakteure auf. Diese Gruppen bekennen sich auch offen zu gezielten Tötungen von Schiiten. In einem im Juni 2011 veröffentlichten offenen Brief erklärten LeJ-Führer ihre Absicht, "die unreine Sekte" der "Schiiten und Hazara-Schiiten" abzuschaffen (DFAT, Country Information Report Pakistan, 20.02.2019, S. 35; IRB, Pakistan: Situation of Shia Muslims, 01.2020, S. 4). Das langjährige Versäumnis der Regierung, Übergriffe auf religiöse Minderheiten zu verhindern oder strafrechtlich zu verfolgen hat ein tief verwurzeltes Klima der Straflosigkeit geschaffen, welches extremistische Akteure ermutigt hat (U.S. COMMISSION ON INTERNATIONAL RELIGIOUS FREEDOM (USCIRF), Pakistan, ANNUAL REPORT 2017). Auch an anderer Stelle wird berichtet, dass Schiiten – wenngleich sie nicht in demselben Maße wie andere nicht-muslimische Religionsgemeinschaften von dem staatlichen Rechtsystem diskriminiert werden – das Hauptziel sektiererischer Attacken sind (vgl. UNHRC, Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, Januar 2017, S. 54 f., 57). Zwischen 2012 und 2015 seien Berichten zufolge die Anschuldigungen der Blasphemie gegen Schiiten exponentiell gestiegen. Auch dort wird von denselben Verfolgungsakteuren berichtet, die Schiiten als Ketzer, Ungläubige und Abtrünnige ansehen, welche mit dem Tod bestraft werden sollten und die sich weitgehender Straflosigkeit gegenübersehen. Weiter wird berichtet, dass insbesondere die Volksgruppe der Hazara überproportional vulnerabel ist und sich deren Vulnerabilität aufgrund ihrer besonderen Sichtbarkeit im Prozentsatz unter schiitischen Opfern sektiererischer Gewalt und Übergriffe widerspiegelt. Mindestens seit 2012 habe auch die Anzahl sektiererischer Gewalt gegen Schiiten zugenommen, wobei primär einfache schiitische Individuen betroffen seien. Militante Gruppen sollen Selbstmordattentäter und Granatenangriffe in belebten schiitischen Gebieten wie Schulen, Einkaufsgebieten und Märkten sowie in Bussen und anderen Fahrzeugen eingesetzt haben. Berichten zufolge werden schiitische Pilger angegriffen, die in den und aus dem Iran reisen. Ferner wird von Übergriffen auf Moscheen, insbesondere während der Gebetszeiten, sowie auf religiöse Feste, insbesondere die „Ashura“-Prozessionen während des schiitischen heiligen Monats Muharram berichtet. Ferner gibt es Erkenntnisse über gezielte Tötungen schiitischer Fachleute und Beamte, darunter Ärzte, Anwälte, Politiker, prominente Geschäftsleute und lokale Händler (UNHRC, Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, Januar 2017, S. 57 f.; DFAT, Country Information Report Pakistan, 20.02.2019, S. 36). Übergriffe auf Schiiten finden in allen Regionen des Landes statt. Anti-schiitische Rhetorik durchdringt alle Schichten der Gesellschaft. Extremistische Gruppen rufen zur Ermordung einzelner Schiiten auf und haben Methoden angewendet, um Angst zu wecken und sie zur Flucht zu zwingen (UNHRC, Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, Januar 2017, S. 58 f.). In Anbetracht dieser Erkenntnisse ist der UNHCR der Ansicht, dass Mitglieder der schiitischen Glaubensgemeinschaft je nach ihren individuellen Umständen hinsichtlich ihrer Religion, Ethnie, (unterstellten) politischen Meinung und/oder anderen relevanten Gründen auf internationalen Flüchtlingsschutz angewiesen sein können. Nach der Einschätzung von DFAT sehen sich die meisten Schiiten in Pakistan einem geringen Risiko sektiererischer Gewalt gegenüber. Die diesbezügliche Gefahr variiert abhängig von den geografischen Gegebenheiten und ihrer Mitgliedschaft in einer spezifischen Volksgruppe (Hazara und Turis). Bekanntere Schiiten sind einem höheren, moderaten Risiko ausgesetzt, da sie leichter und stärker ins Visier genommen werden (DFAT, Country Information Report Pakistan, 20.02.2019, S. 37 Ziff. 3.104).
50 
Nach der Einschätzung des Auswärtigen Amtes im aktuellen Lagebericht hat die pakistanische Regierung seit Verabschiedung des Nationalen Anti-Terror-Aktionsplans am 24.12.2014 (laut IRB, Pakistan: Situation of Shia Muslims, 01.2020, S. 12, aus Februar 2016) Anstrengungen unternommen, um den Einfluss radikaler islamistischer Prediger auf die Bevölkerung zu begrenzen, etwa indem sie verstärkt gegen die illegale Nutzung von Moschee-Lautsprechern für aufwieglerische Botschaften sowie gegen Hassprediger vorgeht, Material, das zu der religiösen Intoleranz und Hass aufruft sowie religiös motivierte Gewaltanwendungen verherrlicht, beschlagnahmt und die Präsenz von Vertretern radikal-islamischer Richtungen in TV-Politik-Talkshows beschränkt. Demgegenüber wird berichtet, dass weiterhin die Gefahr besteht, dass extremistische religiöse Gruppen Lynchjustiz gegen Muslime und Angehörige religiöser Minderheiten üben. Niedrigschwelligere Repressionen reichten von regelmäßigen Belästigungen bis hin zu Angriffen auf die körperliche Unversehrtheit. Übergriffe stünden regelmäßig im Zusammenhang mit Fällen (angeblicher) Blasphemie oder Apostasie (AA, Lagebericht Pakistan, Stand: Mai 2019, S. 14, 19).
51 
Demgegenüber wird an anderer Stelle berichtet, dass die pakistanische Regierung vielfach dafür kritisiert wird, dass es ihr nicht gelingt, schiitische Muslime von Attacken nichtstaatlicher Akteure zu schützen und es militanten Organisationen vielmehr erlaubt, ungestraft zu agieren, indem sie deren gewalttätige Angriffe auf Schiiten nicht untersucht und bestraft. Ungeachtet gewisser Anstrengungen regionaler Behörden, stärkere Schutzmaßnahmen für Schiiten in manchen Situationen zu treffen, habe sich die Sicherheitssituation für Schiiten Berichten zufolge nicht verbessert. Selbst dort, wo die Polizei vor Ort war, war sie nicht in der Lage, Attacken zu unterbinden. In diesem Zusammenhang wird die Polizei als gleichgültig, inkompetent oder sogar mitschuldig an der Gewalt und Diskriminierung von Schiiten bezeichnet (UNHRC, Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, Januar 2017, S. 55 f.).
52 
Differenziert fällt die Einschätzung des Immigration and Refugee Board of Canada aus (IRB, Pakistan: Situation of Shia Muslims, 01.2020, S. 12). Demnach hätten der Nationale Aktionsplan und die stark sichtbare Präsenz paramilitärischer Einheiten zu einer signifikanten Verringerung sektiererischer Gewalt geführt. Ungeachtet eines relativen Rückgangs seien gewalttätige Vorfälle immer noch „weit verbreitet“ und könnten „sektiererische Angriffe tödlich sein“. Weiter wird berichtet, dass verstärkte staatliche Schutzmaßnahmen während der Ashura-Prozessionen teilweise die mit dieser größeren Gefährdung verbundenen Bedrohungen milderten (IRB, Pakistan: Situation of Shia Muslims, 01.2020, S. 12; DFAT, Country Information Report Pakistan, 20.02.2019, S. 35 f.). Gleiches gelte für schiitische Pilgerreisen, wobei diesbezüglich berichtet wird, dass der Schutz nicht stets sichergestellt sei („infrequent“).
c)
53 
Der erkennende Einzelrichter zieht aus den dargestellten Erkenntnismitteln folgende Schlüsse im Hinblick auf die Situation der Schiiten in Pakistan: Schiiten sind nach nationalem Recht der sunnitischen Mehrheitsbevölkerung formal gleichgestellt, insbesondere werden sie ebenfalls als Muslime angesehen. Ein staatliches Verfolgungsprogramm gegenüber Schiiten existiert nicht. Schiiten erfahren staatlicherseits keine systematische Diskriminierung und haben Zugang zu allen staatlichen Institutionen. Auch im Rahmen der Religionsausübung sehen sich Schiiten keinen formalen rechtlichen Nachteilen/Beschränkungen gegenüber.
54 
Anders stellt sich die Situation hinsichtlich nichtstaatlicher Akteure dar: Hier gibt es nennenswerte sunnitisch-islamistische Akteure, die gezielt Schiiten als Andersgläubige verfolgen und zu ihrer Verfolgung aufrufen. Insbesondere die Volksgruppen der Hazara und der Turis sind aufgrund ihrer räumlichen Konzentration, besonderen Erkennbarkeit und ausgeprägten Vulnerabilität in gewissem Umfang derartigen Übergriffen ausgesetzt. Schiiten werden insbesondere Opfer von Übergriffen durch nichtstaatliche Akteure im Rahmen ihrer konfessionsspezifischen Religionsausübungen/Rituale. Dann sind sie besonders verletzlich, wobei der pakistanische Staat gewisse Anstrengungen unternimmt, dem entgegenzuwirken. Nichtsdestotrotz wird jährlich von einer nennenswerten Zahl religiös motivierter Übergriffe bis hin zu Tötungen von Schiiten berichtet.
d)
55 
Dessen ungeachtet kommt die Annahme einer Gruppenverfolgung von Schiiten in Pakistan nicht in Betracht.
aa)
56 
Die rechtlichen Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich geklärt (vgl. BVerwG, Urteile vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - BVerwGE 126, 243 und vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 1 AufenthG Nr. 30). Die Gefahr eigener Verfolgung kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gefahr der Gruppenverfolgung). Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religion anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen von den Fällen eines staatlichen Verfolgungspogroms - (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200) ferner eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ voraus, welche die Regelvermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin „wegen“ eines der in § 60 Abs. 1 AufenthG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 - juris Rn. 43). Darüber hinaus gilt auch für die Gruppenverfolgung, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, d.h. wenn auch keine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar sein muss. Diese ursprünglich für die unmittelbare und die mittelbare staatliche Gruppenverfolgung entwickelten Grundsätze sind prinzipiell auch auf die private Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure übertragbar, wie sie § 3c Nr. 3 AsylG (entsprechend Art. 6 lit. c) QRL; früher § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. c) AufenthG) ausdrücklich als schutzbegründend geregelt ist (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29.06.2020 - 13 A 10206/20 - juris Rn. 47).
57 
Ob Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen in deren Herkunftsstaat die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllen, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen i.S.v. § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. a und b AufenthG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale i.S.v. § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Bezug gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 - NVwZ 2009, 1237).
bb)
58 
Diese vom Bundesverwaltungsgericht geforderte Relationsbetrachtung führt vorliegend zu dem Ergebnis, dass Schiiten angesichts ihres Anteils an der Gesamtbevölkerung im Vergleich zu den berichteten (jährlichen) Übergriffen keinem beachtlichen Risiko ausgesetzt sind, das so groß wäre, dass nicht nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit, sondern eine konkrete Gefahr für jeden einzelnen Schiiten bestünde, Opfer eines religiös motivierten Übergriffs zu werden.
59 
Dabei kann bei (zugunsten des Klägers) großzügiger (d. h. diese Zahl relativ verschmälernder) Betrachtung von einem Anteil der Schiiten an der Gesamtbevölkerung Pakistans von 19 Millionen ausgegangen werden (10 % von 190 Millionen Pakistani). Dieser absoluten Zahl potentiell betroffener Schiiten stehen für das zuletzt am besten dokumentierte Jahr 2017 bei wohlwollender Betrachtung ca. 500 berichtete Übergriffe gegenüber, die die Schwelle des § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG erreichten. In den Folgejahren 2018 und 2019 ist die Zahl dokumentierter Fälle sogar noch (weitaus) geringer.
60 
Diese Zahlen genügen bei Weitem nicht, um – im Sinne der zitierten Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts an die Bejahung einer Gruppenverfolgung – davon ausgehen zu können, dass jeder einzelne Schiit quasi automatisch Opfer/Subjekt von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter würde und sich insgesamt ein Muster systematischer Verfolgung ergäbe. Vielmehr ist umgekehrt anzunehmen, dass es sich bei den berichteten Verfolgungshandlungen gegen Schiiten um (wenn auch vielfache) einzelne Übergriffe handelt.
61 
Dabei muss berücksichtigt werden, dass es weder ein staatliches Verfolgungsprogramm gegenüber Schiiten gibt, noch, dass sich der pakistanische Staat systematisch an Übergriffen nichtstaatlicher Akteure auf Schiiten beteiligt. Vielmehr unternimmt er (zumindest gewisse) Anstrengungen, um Schiiten vor derartigen Übergriffen zu schützen und die anti-schiitische Rhetorik fundamentalistischer Sunniten im öffentlichen/gesellschaftlichen Diskurs einzudämmen. Dies kann dem pakistanischen Staat schon deswegen unterstellt (und damit zugutegehalten) werden, weil Schiiten nicht unterproportional in Polizei, Sicherheitskräften und öffentlicher Verwaltung sowie in der Politik repräsentiert sind. Eine relevante Verfolgungsgefahr geht daher „nur“ von nichtstaatlichen Akteuren in Gestalt islamistisch-sunnitischer Gruppen aus. Deren (relevante) Verfolgungshandlungen gegenüber Sunniten beschränkten sich allerdings auf die dargestellten nummerischen Übergriffe als Ausdruck sektiererischer Gewalt. Nach dem Dafürhalten des erkennenden Einzelrichters ist die vorgenommene kalkulatorische Relationsbetrachtung nicht um eine wertende Gesamtbetrachtung dergestalt zu ergänzen, dass weitere beachtliche Verfolgungshandlungen im Sinne einer Kumulierung (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG) in die Betrachtung mit einbezogen werden müssten.
62 
Danach kommt die Annahme einer Gruppenverfolgung von Schiiten in Pakistan nicht in Betracht.
e)
63 
Der Kläger ist auch nicht vorverfolgt aus Pakistan ausgereist, weshalb ihm nicht die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 QRL zugutekommt. Der Kläger hat von einem Übergriff auf ihn im Zusammenhang mit seiner religiösen Betätigung bei der Tehrik-e-Jafaria berichtet. Zweifel an der Glaubhaftigkeit des klägerischen Vortrags hegt der erkennende Einzelrichter – anders als das Bundesamt – nicht. Wiewohl die klägerischen Ausführungen zu dem Übergriff (mit Schussverletzung) auf ihn sowohl beim Bundesamt als auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung nicht besonders detailreich und plastisch waren, führt dies nicht zur Annahme ihrer Imagination durch den Kläger. Denn die erlittene Schussverletzung stand nicht im Vordergrund des klägerischen Vortrags und bedurfte daher – aus Sicht des Klägers nachvollziehbar – keiner genaueren Darstellung/Ausführungen hierzu. Hinzu kommt, dass sie nach dem klägerischen Vortrag bereits etliche Jahre zurücklag.
64 
Dieser Umstand führt allerdings auch dazu, dass nicht (mehr) angenommen werden kann, dass die Furcht vor Verfolgung „begründet“ bzw. dass weiterhin die Annahme der Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 QRL gegeben ist. Wenngleich keine Kausalität zwischen dem fluchtbegründenden Umstand und der Flucht bestehen muss (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 16.10.2019 - A 12 S 2881/18 - juris Rn. 15), muss die deutliche zeitliche Zäsur zwischen der erlittenen Schussverletzung und dem Zeitpunkt der Ausreise dennoch dazu führen, dass nicht mehr angenommen werden kann, dass diese noch für die Verfolgungsfurcht beachtlich ist. Mit anderen Worten ist die Verfolgungsvermutung, die aufgrund von Art. 4 Abs. 4 QRL seinerzeit sicherlich anzunehmen war, mittlerweile durch Zeitablauf widerlegt (in diesem Sinne auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 09.11.2010 - A 4 S 703/10 - juris Rn. 39 f.). Dies gilt ungeachtet des Umstands, dass der Kläger – wie glaubhaft vorgetragen – auch seitdem Opfer/Subjekt religiös motivierter Schikanen durch Sunniten geworden ist. Denn der erkennende Einzelrichter konnte bezüglich dieser nicht die Überzeugungsgewissheit gewinnen, dass diese die erforderliche Schwere erreichten. Damit kann nicht i. S. d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i. V. m. Art. 2 lit. d) QRL angenommen werden, dass die Flucht des Klägers vor der vor mindestens acht Jahren erlittenen Schussverletzung noch „begründet“ ist, weshalb die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 QRL insoweit zugunsten des Klägers nicht in Betracht kommt.
65 
Diese kann auch nicht bezogen auf andere Aspekte des klägerischen Vortrags angenommen werden. Denn die weiteren Ausführungen des Klägers zu den seitdem erlittenen Misshandlungen/Schikanen genügen nicht den Anforderungen an einen plastischen, eine begründete Furcht vor Verfolgung in ausreichendem Maße darlegenden Sachverhalt. Damit will der erkennende Einzelrichter nicht in Abrede stellen, dass es die ansatzweise beschriebenen Misshandlungen gegeben hat. Dem diesbezüglichen Vortrag lässt sich jedoch in dem erforderlichen Maße nichts dazu entnehmen, in welchem Umfang (§ 3a Abs. 1 AsylG), durch wen konkret (§ 3c AsylG), in welchem sachlich-zeitlichen Zusammenhang (§ 3b AsylG) und warum (§ 3a Abs. 3 AsylG) die angeblichen Misshandlungen dem Kläger zugefügt wurden.
f)
66 
Schließlich fällt auch bei Außerachtlassung der Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 QRL die Prognose (Art. 4 Abs. 3 QRL), ob dem Kläger im Falle seiner (erzwungenen) Rückkehr nach Pakistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung drohte, zu seinen Lasten aus.
67 
Zwar hat der Kläger sowohl beim Bundesamt als auch in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass er für den Fall seiner Rückkehr nach Pakistan davon ausgeht, alsbald als Schiit erkannt und (deshalb) umgebracht zu werden. Subjektiv mag dies vom Kläger tatsächlich so empfunden werden, wovon dessen Eindruck in der mündlichen Verhandlung zeugt. Objektiv hingegen ist diese Verfolgungsfurcht nicht begründet. Denn mangels Gruppenverfolgung (s. o.) und mangels individuell gefahrerhöhender Umstände in der Person des Klägers bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Pakistan beachtliche Verfolgungshandlungen zuteilwerden würden.
2.
68 
Der klägerische Vortrag ist auch nicht geeignet, zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes zu führen. Insoweit gilt auch hier (mit dem Bundesamt), dass der als fluchtbegründend vorgetragene Lebenssachverhalt aus Rechtsgründen ebendies nicht rechtfertigt.
69 
Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 AsylG ist einem Ausländer subsidiärer Schutz zuzuerkennen, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden in Gestalt der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), von Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3) droht. Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG gelten die § 3c bis 3e AsylG entsprechend. Insbesondere bedarf es also auch für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes aus den in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG genannten Gründen eines Verfolgungsakteurs im Sinne des § 3c AsylG (Art. 6 Richtlinie 2011/95/EU vom 13. Dezember 2011, ABl EU L 337/95).
70 
An diesen Voraussetzungen fehlt es im vorliegenden Fall. Dem Kläger droht in Pakistan weder die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1sylG), noch Folter (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 AsylG). Auch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG (ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts) liegen nicht vor, weil in Pakistan – auch in der Region Punjab – gegenwärtig kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt. Zudem weisen die dem Kläger in Pakistan bzw. in seiner Heimatregion drohenden allgemeinen Gefahren (etwa im Rahmen von Terroranschlägen) keine derart hohe Dichte bzw. keinen derart hohen Grad auf, dass praktisch jede Zivilperson bei einer Rückkehr allein durch ihre Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung für Leib und Leben ausgesetzt wäre/ist (zu den rechtlichen Maßstäben einschließlich des lokalen Anknüpfungspunktes vgl. BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 - juris Rn. 15,17,18; BayVGH, Beschluss vom 09.01.2015 - 13a ZB 14.30449 - juris Rn. 10). Bei einer geschätzten Gesamtbevölkerung von über 200 Millionen Menschen in Pakistan ist das Risiko, als Zivilperson Schaden an Leib oder Leben durch Anschläge zu erleiden, verschwindend gering (vgl. VG München, Beschluss vom 29.01.2019 - M 32 K 16.35462 - BeckRS Rn. 17; VG Augsburg, Urteil vom 23.06.2020 - Au 3 K 18.30182 - juris Rn. 34; VG Potsdam, Urteil vom 15.01.2019 - 11 K 2756/18.A - juris Rn. 45). Auch in Ansehung des Umstands, dass der Kläger als Schiit einer graduell etwas erhöhten Gefahr ausgesetzt ist, Opfer von sektiererischer Gewalt zu werden, ergibt sich nichts Anderes (s. o.).
71 
Die Gewährung subsidiären Schutzes auf Grundlage von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Alt. 2, 3 AsylG kommt auch nicht unter dem allgemeinen Gesichtspunkt der schlechten humanitären Situation in Pakistan in Betracht. Denn insoweit fehlt es an dem erforderlichen Akteur, § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3c AsylG (siehe hierzu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 54 m. w. N. zur st. Rspr.).
4.
72 
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG.
a)
73 
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) unzulässig ist. Dies umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem dem Ausländer unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht. Eine Verletzung des Art. 3 EMRK kommt in besonderen Ausnahmefällen auch bei „nichtstaatlichen“ Gefahren aufgrund prekärer Lebensbedingungen in Betracht, bei denen ein „verfolgungsmächtiger Akteur" (§ 3c AsylG) fehlt, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung mit Blick auf die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung „zwingend“ sind (BVerwG, Urteile vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146, 12 Rn. 25; und vom 04.07.2019 - 1 C 48.18 - juris Rn. 13). Die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren müssen hierfür jedenfalls ein „Mindestmaß an Schwere“ (minimum level of severity) aufweisen (vgl. EGMR , Urteil vom 13.12.2016 - Nr. 41738/10, Paposhvili/Belgien - Rn. 174; EuGH, Urteil vom 16.02.2017 - C-578/16 PPU - C.K. u.a. - Rn. 68); es kann erreicht sein, wenn der Ausländer seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält (s.a. BVerwG, Beschluss vom 08.08.2018 - 1 B 25.18 - NVwZ 2019, 61 Rn. 11).
74 
Auch im Rahmen des Art. 3 EMRK ist nach der Rechtsprechung des EGMR eine tatsächliche Gefahr („real risk“) erforderlich, d.h. es muss eine ausreichende reale, nicht nur auf bloßen Spekulationen, denen eine hinreichende Tatsachengrundlage fehlt, gegründete Gefahr („a sufficiently real risk“) bestehen. Die tatsächliche Gefahr einer Art. 3 EMRK zuwiderlaufenden Behandlung muss danach aufgrund aller Umstände des Falles hinreichend sicher und darf nicht nur hypothetisch sein (EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich - NVwZ 2012, 681; Entscheidung vom 22.09.2009 - 30471/08 - Abdolkhani und Karimnia/Türkei - InfAuslR 2010, 47; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 26.06.2019 - A 11 S 2108/18 - juris Rn. 44 f.). Erforderlich, aber auch ausreichend ist danach die tatsächliche Gefahr der Folter oder unmenschlichen Behandlung, was dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entspricht (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 - NVwZ 2011, 51 Rn. 22).
75 
Des Weiteren ist von Bedeutung, ob außerordentliche Umstände, die – wie hier – nicht in die unmittelbare Verantwortung des Abschiebungszielstaates fallen und die dem abschiebenden Staat nach Art. 3 EMRK eine Abschiebung des Ausländers verbieten, gerade an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet (BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 - NVwZ 2013, 1167, Leitsatz 2 und EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich) - NVwZ 2012, 681, Rn. 265, 301, 309; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12.12.2018 - A 11 S 1923/17 - juris Rn. 142).
76 
Schließlich muss sich die tatsächliche Gefahr einer unmenschlichen Behandlung nicht unbedingt sofort nach Ankunft im Herkunftsstaat realisieren können; es muss allein mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu prognostizieren sein, dass dies in der Zukunft der Fall sein kann. Abhängig von den Gründen, die zu einer solchen tatsächlichen Gefahr einer unmenschlichen Behandlung führen können, unterscheidet sich der Zeitraum, der für die Prognose in den Blick zu nehmen ist und in dem der Eintritt der tatsächlichen Gefahr für die – nicht notwendigerweise auch der Verletzung der – Rechtsgüter Leib, Leben oder Freiheit zu prognostizieren sein muss, um eine Verletzung von Art. 3 EMRK anzunehmen. Insbesondere ist es im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK nicht erforderlich, dass sich die Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit alsbald realisiert. Diese strikte, absolute zeitliche Einschränkung, wie sie bei der verfassungskonformen Auslegung und Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 6 AufenthG zu beachten ist (BVerwG, Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 - NVwZ 2012, 244 Rn. 22), ist im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG gerade nicht anwendbar. Denn sie ist Teil des strengen Maßstabs, der zur von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geforderten Durchbrechung der gesetzlich vorgesehenen Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG geboten ist, der aber keine Anwendung auf § 60 Abs. 5 AufenthG findet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 08.08.2018 - 1 B 25.18 - NVwZ 2019, 61 Rn. 13).
b)
77 
Ausgehend hiervon sind die dargestellten hohen Anforderungen an das Vorliegen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. v. Art. 3 EMRK in Ansehung des Klägers nicht gegeben. Nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit lässt sich annehmen, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Pakistan in absehbarer Zeit Gefahr liefe, einem Leben ohne Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung ausgesetzt zu sein.
78 
Denn dem Kläger als zwar nicht mehr jungem, aber uneingeschränkt arbeitsfähigen Mann würde es möglich sein, in seinem früheren Beruf als Kranfahrer oder in einem anderen Berufszweig für sich selbst zu sorgen und seinen Lebensunterhalt in ausreichendem Maße, d.h. zur Sicherung des Existenzminimums, zu verdingen. Denn Derartiges war ihm schon vor seiner Ausreise aus Pakistan möglich und es bestehen in der Person des Klägers auch keine Anhaltspunkte dafür, dass ihm dies nicht erneut gelingen würde. Wesentlich für diese Einschätzung ist, dass der Kläger seine wirtschaftliche Situation in Pakistan als „gut“ bezeichnet hat und in der Lage war, durch im Wesentlichen eigene Ersparnisse (ca. 15.000-20.000 EUR) seine Ausreise zu finanzieren.
79 
Etwas Anderes ergibt sich vorliegend auch nicht aus der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage in Pakistan aufgrund der Corona-Pandemie.
80 
Die Situation in Pakistan im Umgang mit dem Corona-Virus stellt sich wie folgt dar: Ein- und Ausreisen nach bzw. aus Pakistan sind seit Juni 2020 unter Einschränkungen wieder möglich. Sowohl der Eisenbahnverkehr als auch der restliche öffentliche Verkehr ist (wenn auch eingeschränkt) wieder in Betrieb. Pakistan hat alle Industrien und Unternehmen wieder geöffnet. Zur Vermeidung eines erneuten landesweiten „Lockdowns“ werden Erkrankungs-Hotspots isoliert. Ziel dieser unterschwelligen Maßnahmen ist es, dadurch geringere Folgen für die landesweite Wirtschaft, insbesondere großflächige Arbeitsmöglichkeiten für die Millionen von Tagelöhnern herbeizuführen. Infolge der teilweisen Ausgangsbeschränkungen und sonstigen Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus sind schätzungsweise 12-18 Mio. Pakistani zusätzlich arbeitslos geworden. Um die wirtschaftlichen Folgen für die unteren sozialen Schichten der Bevölkerung auszugleichen, hat die pakistanische Regierung ein Hilfs- und Stimulus-Paket sowohl für diese als auch für die Industrie von umgerechnet 7 Mrd. EUR auf den Weg gebracht. Weitere 3,4 Mrd. EUR wurden für Weizenlieferungen, den Einkommensausfall der Tagelöhner, die am stärksten von den Einschränkungen betroffenen Familien und für die Reduktion der Stromkosten ausgeschüttet. Nach Auslaufen des Notfallprogramms EHSAAS im Mai 2020 verteilt nunmehr die Armee Lebensmittel an die Ärmsten; einzelne Provinzen haben weitere Hilfspakete angekündigt und Armenhäuser weiten die Lebensmittelversorgung für Bedürftige aus. Daneben erfolgen Hilfslieferungen aus China und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Ein Konjunkturpaket der pakistanischen Regierung für das Baugewerbe soll die Wirtschaft in der Corona-Krise entlasten und die prekäre Lage der Tagelöhner verbessern. Ein eigens hierfür eingerichtetes „Construction Industry Development Board“ wird die Aktivitäten koordinieren und der Bau- und Landwirtschaftssektor von der Abriegelung ausgenommen bleiben, da diese Sektoren die Hauptbeschäftigungsquelle für einen Großteil der Bevölkerung darstellen (zum Ganzen Wirtschaftskammer Österreich, Corona Virus: Situation in Pakistan, aktuelle Lage und Info-Updates, abrufbar unterhttps://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-infos-pakistan.html, Stand: 02.11.2020, zuletzt abgerufen am 10.12.2020).
81 
Hieraus schließt der erkennende Einzelrichter, dass der pakistanische Staat der von der Corona-Pandemie heraufbeschworenen wirtschaftlichen Notlage nicht – im Sinne der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK (Urteil vom 21. Januar 2011, M.S.S./Belgien und Griechenland, CE:ECHR:2011:0121JUD003069609, §§ 252 bis 263) sowie der zu Art. 4 GRCh ergangenen Rechtsprechung des EuGH in den sog. Dublin-Fällen (EuGH, Urteil vom 19.03.2019, Jawo, C-163/17, Celex-Nr. 62017CJ0163, juris Rn. 92; Urteil vom 19.03.2019, Ibrahim, C-297/17, Celex-Nr. 62017CJ0297 – juris Rn. 87; EuGH, Beschluss vom 13.11.2019, C-540/17, Celex-Nr. 62017CO0540 – juris Rn. 39) – gleichgültig gegenübersteht, sondern dass er vielmehr umgekehrt alles ihm Mögliche unternimmt, um die Folgen der Corona-Pandemie für die Not leidende Bevölkerung so weit wie möglich abzumildern.
82 
Ausweislich der zuletzt verfügbaren und in der mündlichen Verhandlung thematisierten Infektionszahlen für Pakistan (WHO, https://covid19.who.int/region/emro/country/pk, Stand: 10.12.2020) betrug die Zahl der bestätigten Corona-Fälle 426.142 und die Zahl der Todesfälle, die im Zusammenhang mit Covid-19 stehen, 8.547. Insgesamt ist zu konstatieren, dass die Zahl der Neuinfektionen – wie dies praktisch weltweit der Fall ist – auf einem annähernd stabilen, mittleren Niveau liegt. Wenngleich anzunehmen ist, dass die Zahl der unerkannten Infektionsfälle (Dunkelziffer) aufgrund geringerer Testungen höher liegt als dies etwa in Deutschland der Fall ist, kann dennoch angesichts der Verlaufskurve der Neuinfektionen sowie der absoluten Zahl der an oder im Zusammenhang mit Covid-19 verstorbenen Personen nicht angenommen werden, dass diese Zahl signifikant über der von der WHO angegebenen liegt. Angesichts des Höhe der Fallzahlen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung in Pakistan kann damit konstatiert werden, dass die Wahrscheinlichkeit, an Covid-19 zu erkranken, nicht signifikant höher liegt als etwa in Deutschland.
83 
Zwar lässt sich bei der anzustellenden Prognose nicht ausschließen, dass – im Zuge einer weltweiten zweiten Welle – die Fallzahlen auch in Pakistan erneut (auch landesweit) drastischer steigen werden und der von der pakistanischen Regierung um jeden Preis zu vermeidende zweite harte „Lockdown“ Realität würde. Auch in einem solchen Fall vermag der erkennende Einzelrichter aber nicht mit dem erforderlichen Grad an Überzeugung anzunehmen, dass dem Kläger aufgrund dieser allgemeinen Lage in Pakistan eine reale Gefahr der Verelendung drohen würde. Denn wie die Vergangenheit gezeigt hat, ist der pakistanische Staat willens und in der Lage, den gravierendsten Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Wirtschaft und die Bevölkerung zu begegnen und für diese abzumildern. Insbesondere haben das Nothilfeprogramm EHSAAS sowie die Verteilung von Nahrungsmitteln an die ärmsten Bevölkerungsschichten gezeigt, dass auch diesen über ihre materielle Not hinweggeholfen werden konnte. Derartiges wäre auch in Zukunft bei einem etwaig erneut notwendig werdenden zweiten „Lockdown“ zu erwarten.
84 
Hinzu kommt, dass der Kläger wohl schon gar nicht zu der Gruppe der am stärksten von der Pandemie betroffenen, ärmsten Bevölkerungsschichten zählt. Denn der Kläger hat im Rahmen seiner Anhörung beim Bundesamt angegeben, dass seine wirtschaftliche Situation vor seiner Ausreise „gut“ gewesen sei. Zudem dürfte der Kläger auf die Hilfe seiner weiterhin in Pakistan lebenden Familie zurückgreifen können.
85 
Folglich kommt auch die Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht in Betracht. Eine im Sinne der Vorschrift erforderliche erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben kann vorliegend weder hinsichtlich der Möglichkeit der Erkrankung mit dem Corona-Virus, noch mit sonstigen Erkrankungen des Klägers begründet werden. Bezüglich Ersterer gilt aufgrund von § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.6.2010 – 10 C 10.09, NVwZ 2011, 48 (50); siehe hierzu auch Bergmann/Dienelt/Dollinger AufenthG § 60 Rn. 99) der besonders strenge Maßstab der extremen Gefahrenlage, der nur anzunehmen ist, wenn der Ausländer quasi „sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert“ würde. Angesichts des diffusen Krankheitsverlaufs im Falle einer Infektion mit dem Corona-Virus und den zum Teil milden oder gar symptomfreien Verläufen insbesondere bei jungen Menschen (wie dem Kläger) kann Derartiges nicht per se angenommen werden. Für sonstige Erkrankungen des Klägers, die aufgrund der pandemiebedingten Einschränkungen der Gesundheitsversorgung in Pakistan oder im Zusammenspiel mit einer Corona-Virus-Infektion etwaig zu einer relevanten Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 5 Satz 7 AufenthG führen könnte, bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte.
4.
86 
Nach alledem begegnet auch die in Ziff. 5 des streitgegenständlichen Bescheids verfügte Abschiebungsandrohung nach Pakistan keinen rechtlichen Bedenken. Sie findet ihre rechtliche Grundlage in § 34 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot (Ziff. 6 des streitgegenständlichen Bescheids) ist vorliegend nicht Streitgegenstand.
5.
87 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.

Gründe

 
26 
Nach Übertragung des Rechtsstreits auf diesen entscheidet der Berichterstatter anstelle der Kammer als Einzelrichter, § 76 Abs. 1 AsylG.
27 
Über die Klage konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung von 03.12.2020 entschieden werden, da die Beklagte auf diese Möglichkeit zuvor mit der Ladung hingewiesen worden war, § 102 Abs. 2 VwGO.
28 
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 HS 2 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, des subsidiären Schutzes oder auf Feststellung von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG. Der Bescheid vom 08.11.2018 ist, soweit er angegriffen wurde, rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1, 5 Satz 1 VwGO).
1.
29 
Der Kläger ist kein Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 4, 1 AsylG.
a)
30 
Die Flüchtlingseigenschaft ist einem Ausländer zuzuerkennen, der Flüchtling ist (§ 3 Abs. 1, 4 AsylG i. V. m. § 60 Abs. 1 AufenthG), sofern er nicht die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt (§ 3 Abs. 4 AsylG). Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) - ist der Ausländer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Dabei sind die in § 3 Abs. 2 und 3 AsylG aufgeführten Ausschlussgründe zu beachten.
31 
Als Verfolgungshandlung gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG (in Umsetzung von Art. 9 Abs. 1 Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU – im Folgenden: QRL) Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 04. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) - EMRK - keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2).
32 
Seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 05.09.2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11 - NVwZ 2012, 1612 - juris Rn. 57, 59; dazu Berlit/Dörig/Storey, ZAR 2016, 281 (284)) ist (europaweit) geklärt, dass (auch) Eingriffe in die Religionsfreiheit als Verfolgungshandlungen i. S. v. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a) QRL qualifiziert werden können, sofern sie als „schwerwiegende Verletzung“ anzusehen sind (dies rezipierend EuGH, Urteil vom 04.10.2018 - C-56/17 - juris Rn. 94). Denn das in Art. 10 Abs. 1 GRCh verankerte Recht auf Religionsfreiheit stellt ein grundlegendes Menschenrecht dar, ist eines der Fundamente einer demokratischen Gesellschaft und entspricht Art. 9 EMRK. Ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit kann so gravierend sein, dass er einem der in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Fälle gleichgesetzt werden kann, auf die Art. 9 Abs. 1 Buchst. a) QRL als Anhaltspunkt für die Feststellung verweist, welche Handlungen insbesondere als Verfolgung gelten.
33 
Eine Verletzung des durch Art. 10 Abs. 1 GRCh garantierten Rechts auf Religionsfreiheit stellt eine Verfolgungshandlung i. S. v. Art. 9 Abs. 1 QRL dar, wenn ein Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art. 6 QRL genannten Akteure strafrechtlich verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden oder wenn ihm die Gefahr einer Verletzung von Leib und Leben sowie der (physischen) Freiheit droht (EuGH, Urteil vom 05.09.2012 - C-71/11 - NVwZ 2012, 1612 Rn. 67; BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23/12 - BVerwGE 146, 67-89 = juris Rn. 25). Das bedeutet, dass die genannten Folgen und Sanktionen dem Ausländer im Herkunftsland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen müssen. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal "... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung..." des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (jetzt Art. 2 Buchst. d) Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt ("real risk"); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 Rn. 22). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. u. a. BVerwG, Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 (169 f.).
34 
Zu den Handlungen, die eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a) QRL darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit eines Asylantragstellers, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in seine Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben. Mit der weiten Definition des Religionsbegriffs in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b) QRL wäre es nicht vereinbar, die Beachtlichkeit einer Verletzungshandlung danach zu beurteilen, ob diese in einen Kernbereich der privaten Glaubensbetätigung (forum internum) oder in einen weiteren Bereich der öffentlichen Glaubensausübung (forum externum) eingreift (EuGH, Urteile vom 05.09.2012 - C-71/11 - NVwZ 2012, 1612 Rn. 62 f.; vom 29.05.2018 - C-426/16 - juris Rn. 44; vom 10.06.2018 - C-25/17 - juris Rn. 47; vom 04.10.2018 - C-56/17 - juris Rn. 81; BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23/12 - BVerwGE 146, 67-89 = juris Rn. 24, unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung).
35 
Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 1 QRL setzt nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen (EuGH, Urteil vom 05.09.2012 - C-71/11 - NVwZ 2012, 1612 Rn. 69; BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23/12 - BVerwGE 146, 67-89 = juris Rn. 26). Könnte nicht schon das Verbot bestimmter Formen der Religionsausübung eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a) QRL darstellen, blieben Betroffene gerade in solchen Ländern schutzlos, in denen die angedrohten Sanktionen besonders schwerwiegend und so umfassend sind, dass sich Gläubige genötigt sehen, auf die Glaubenspraktizierung zu verzichten. Kann Verfolgung somit schon in dem Verbot als solchem liegen, kommt es auf das tatsächliche künftige Verhalten des Asylbewerbers und daran anknüpfende Eingriffe in andere Rechtsgüter des Betroffenen (z.B. in Leben oder Freiheit) letztlich nicht an (BVerwG, a. a. O. juris Rn. 26 f.).
36 
Die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a) QRL zu erfüllen (sodass dem Asylbewerber der Verzicht auf ihre Ausübung nicht zugemutet werden kann), hängt sowohl von objektiven als auch von subjektiven Gesichtspunkten ab (EuGH, Urteil vom 05.09.2012 - C-71/11 - NVwZ 2012, 1612 Rn. 70; BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23/12 - BVerwGE 146, 67-89 = juris Rn. 28). Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzungen anderer Rechtsgüter wie z.B. Leib und Leben. Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es insoweit maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers an; denn ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, begründet keine erhebliche Verfolgungsgefahr (EuGH, Urteil vom 04.10.2018 – C-56/17 - NVwZ 2019, 634 = juris Ls. 4). In subjektiver Hinsicht ist die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit beachtlich, wenn für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig, d. h. für den jeweiligen Asylbewerber unverzichtbar ist (EuGH, Urteil vom 05.09.2012 - C-71/11 - NVwZ 2012, 1612 Rn. 70 f.; BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23/12 - BVerwGE 146, 67-89 = juris Rn. 29 f.; Beschluss vom 9.12.2010 - 10 C 19.09 - BVerwGE 138, 270 Rn. 43; ähnlich schon BVerfG, Beschluss vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 - BVerfGE 76, 143-170 - juris Rn. 37). Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten.
37 
Die religiöse Identität als innere Tatsache lässt sich nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen. Dafür ist das religiöse Selbstverständnis eines Asylbewerbers grundsätzlich sowohl vor als auch nach der Ausreise aus dem Herkunftsland von Bedeutung. Bei Ahmadis aus Pakistan ist zunächst festzustellen, ob und seit wann sie der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft angehören. Hierbei dürfte sich die Einholung einer Auskunft der Zentrale der Glaubensgemeinschaft in Deutschland anbieten (BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23/12 - BVerwGE 146, 67-89 = juris Rn. 31; siehe auch EuGH, Urteil vom 04.10.2018 - C-56/17 - NVwZ 2019, 634 = juris Ls. 3, wonach es einem Asylantragsteller obliegt, sein Vorbringen glaubhaft zu substantiieren, indem er Anhaltspunkte darlegt, die es der zuständigen Behörde ermöglichen, den Wahrheitsgehalt des Vorbringens zu überprüfen; allgemein zu den beidseitigen Mitwirkungspflichten an der Sachverhaltsaufklärung EuGH, Urteil vom 22.11.2012 - C-277/11 (M.M.) - juris Rn. 65). Allerdings darf die Wirksamkeit einer nach kirchenrechtlichen Vorschriften bestehenden Mitgliedschaft des Schutzsuchenden in der Kirchengemeinschaft von den Verwaltungsgerichten nicht in Frage gestellt werden. Vielmehr haben diese die Kirchenmitgliedschaft der flüchtlingsrechtlichen Prüfung zugrunde zu legen, selbst wenn die vorgelegten Unterlagen Anhaltspunkte für eine gewisse Oberflächlichkeit, Missbräuchlichkeit oder für eine mitbestimmende taktische Prägung des Übertritts zur christlichen Religion erkennen lassen; derartigen Anhaltspunkten kann jedoch im Rahmen der Verfolgungsprognose Rechnung getragen werden (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 03.04.2020 - 2 BvR 1838/15 - juris Rn. 29; tendenziell deutlich weitergehend Berlit/Dörig/Storey, ZAR 281 (285); ebenso noch BVerwG, Beschluss vom 25.08.2015 - 1 B 40.15 - NVwZ 2015, 1678: keine Bindung an die Beurteilung des Amtsträgers einer christlichen Kirche, der Taufe des Betroffenen liege eine ernsthafte und nachhaltige Glaubensentscheidung zu Grunde). Gleichsam dürfen die Verwaltungsgerichte weder eine inhaltliche „Glaubensprüfung“ – etwa eine eigene Auslegung oder Priorisierung einzelner Glaubensinhalte gegenüber anderen Aspekten der jeweils betroffenen Religion – noch eine Bewertung des Glaubens des Einzelnen oder der Lehre der Kirche vornehmen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 03.04.2020 - 2 BvR 1838/15 - juris Rn. 31, 37 m. w. N. zur st. Rspr. des BVerfG).
38 
Demgegenüber gehört die Frage, ob und bejahendenfalls welche Aspekte einer Glaubensüberzeugung oder Glaubensbetätigung in einem hinreichenden Maße für die religiöse Identität des individuellen Schutzsuchenden prägend sind oder nicht, und die damit angesprochene Prüfung, ob die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen, zu den von dem Verwaltungsgericht überprüfbaren Sachvortrag des jeweiligen Asylbewerbers (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 03.04.2020 - 2 BvR 1838/15 - juris Rn. 30). Dabei müssen und dürfen die Verwaltungsgerichte lediglich der Stellung des Schutzsuchenden zu seinem Glauben nachgehen, nämlich der Intensität und Bedeutung der von ihm selbst empfundenen Verbindlichkeit von Glaubensgeboten für die eigene religiöse Identität. Im Rahmen dieser Prüfung haben die Verwaltungsgerichte allerdings die Bedeutung des Grundrechts auf Glaubens-, Gewissens- und Religionsfreiheit als ein in einer demokratischen Gesellschaft zentrales Grundrecht und grundlegendes Menschenrecht in besonderem Maße zu berücksichtigen. Dies betrifft sowohl die Sachverhaltsaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO) als auch die Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 VwGO): In Fällen, in denen es um die Bedeutung einer bestimmten Glaubenspraxis für die religiöse Identität des Schutzsuchenden und die Intensität der selbst empfundenen Verpflichtung eines bestimmten Glaubensgebotes geht, kommt der verfahrensrechtlichen Sachaufklärungspflicht verfassungsrechtliches Gewicht zu. Die fachgerichtliche Beurteilung muss daher auf einer hinreichend verlässlichen und auch ihrem Umfang nach zureichenden tatsächlichen Grundlage beruhen. Dabei ist nicht nur das Vorbringen des Schutzsuchenden im Rahmen der in aller Regel gebotenen informatorischen gerichtlichen Anhörung zu berücksichtigen, sondern es sind auch äußere Anknüpfungstatsachen heranzuziehen, die Rückschlüsse auf die innere Einstellung des Betroffenen erlauben (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 03.04.2020 - 2 BvR 1838/15 - juris Rn. 31-33). Auch im Rahmen der tatrichterlichen Beweiswürdigung ist die besondere Bedeutung des Grundrechts auf Glaubens-, Gewissens- und Religionsfreiheit zu beachten. Zwar unterliegt es im Ausgangspunkt der freien Beweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, auf welche Weise das Tatsachengericht sich die erforderliche Überzeugungsgewissheit vom Vorliegen der entscheidungserheblichen Tatsache verschafft, ob der Schutzsuchende eine verfolgungsträchtige religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - BVerwG 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 = juris Rn. 30, und angegriffener Beschluss vom 25.08.2015 - BVerwG 1 B 40.15 - juris Rn. 14). Es bedarf im Rahmen der Beweiswürdigung jedoch in aller Regel der Gesamtschau einer Vielzahl von Gesichtspunkten. Dabei werden die Beweisanforderungen auch im Hinblick auf Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, Art. 10 Abs. 1 GR-Charta und Art. 9 Abs. 1 EMRK nicht überspannt, wenn von einem volljährigen Antragsteller im Regelfall erwartet wird, dass er schlüssige und nachvollziehbare Angaben zu den Grundzügen seiner Religion, seinem eigenen religiösen Selbstverständnis sowie zu seiner religiösen Betätigung im Heimatland und den ggf. hierbei erlittenen Einschränkungen machen kann (vgl. EuGH, Urteil vom 04.10.2018 - C-56/17 - NVwZ 2019, 634 (639) Rn. 84 und 90). Allerdings wird der Umfang des Wissens über die eigene Religion maßgeblich von der individuellen Geschichte des Antragstellers, seiner Persönlichkeit, seinem Bildungsniveau und seiner intellektuellen Disposition abhängen, die bei der Beweiswürdigung daher angemessen Berücksichtigung finden müssen (vgl. BVerwG, angegriffener Beschluss vom 25.08.2015 - BVerwG 1 B 40.15 - juris Rn. 14; Berlit/Dörig/Storey, ZAR 2016, 281 (284); zum Ganzen BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 03.04.2020 - 2 BvR 1838/15 - juris 34-36).
39 
Schließlich darf als Indiz für die Unverzichtbarkeit der privaten oder öffentlichen Glaubensbetätigung im Herkunftsland, die die Grundlage für die Beurteilung der Verfolgungsgefahr ist, auch von den Verwaltungsgerichten geprüft werden, wie der Betroffene seinen Glauben in Deutschland auslebt: Ergibt die Prüfung, dass der Asylbewerber seinen Glauben in Deutschland nicht in einer Weise praktiziert, die ihn im Heimatland der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde, spricht dies regelmäßig dagegen, dass eine solche Glaubensbetätigung für seine religiöse Identität prägend ist, es sei denn, der Betroffene kann gewichtige Gründe hierfür vorbringen. Praktiziert er seinen Glauben hingegen in entsprechender Weise, ist weiter zu prüfen, ob diese Form der Glaubensausübung für den Kläger zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist und nicht etwa nur deshalb erfolgt, um die Anerkennung als Flüchtling zu erreichen (BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - BVerwG 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 = juris Rn. 30). Ist dies festgestellt, kommt es weiter darauf an, ob ein Asylbewerber berechtigterweise befürchten muss, dass ihm aufgrund einer öffentlichen religiösen Betätigung im Heimatland, die zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine schweren Rechtsgutverletzung droht, insbesondere die Gefahr, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23/12 - BVerwGE 146, 67-89 = juris Rn. 32).
b)
40 
Die Situation für Schiiten in Pakistan stellt sich (abstrakt) wie folgt dar:
41 
Berichten zufolge sind Schiiten in Pakistan die größte muslimische Minderheit und machen zwischen 10 und 25 % der auf 190 bis 208 Millionen Einwohner geschätzten pakistanischen Gesamtbevölkerung aus (Die CIA schätzt, dass 96,4% der Bevölkerung sich als Muslime begreift, von denen 85-90% Sunniten und 10-15% Schiiten sind, Central Intelligence Agency, The World Factbook – Pakistan: People and Society, 27.10.2016, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/pk.html; ähnliche Zahlen bei Australian Department of Foreign Affairs and Trade (DFAT), Country Information Report Pakistan, 20.02.2019, https://dfat.gov.au/about-us/publications/Documents/country-information-report-pakistan.pdf, S. 33, Ziff. 3.72; IRB – Immigration and Refugee Board of Canada, Pakistan: Situation and treatment of Shia [Shi'a, Shi'i, Shiite] Muslims, including Hazaras and Turi, particularly in Lahore, Karachi, Islamabad, and Hyderabad; state response to violence against Shias (2017-January 2020) [PAK106393.E], S. 1). Dies entspricht – absolut betrachtet – zwischen ca. 20 und 50 Millionen Schiiten in Pakistan (ebenso BFA, LIB Pakistan, 16.05.2019, letzte Kurzinformation vom 09.08.2019, S. 63). Laut dem Australian Department of Foreign Affairs and Trade (DFAT, Country Information Report Pakistan, 20.02.2019, S. 33) sind Schiiten im ganzen Land verteilt und stellen in der semi-autonomen Region Gilgit-Baltistan die Bevölkerungsmehrheit (IRB, Pakistan: Situation of Shia Muslims, 01.2020, S. 1).
42 
Art. 20 der pakistanischen Verfassung sieht vor, dass jeder Bürger das Recht hat, seine Religion zu bekennen, auszuüben und zu verbreiten – vorbehaltlich des Gesetzes, der öffentlichen Ordnung und der Moral – und dass jede Konfession und jeder Sekte das Recht hat, ihre religiösen Institutionen zu errichten, zu unterhalten und zu verwalten. Art. 36 der Verfassung garantiert die legitimen Rechte und Interessen von Minderheiten, einschließlich ihrer ordnungsgemäßen Vertretung in den Bundes- und Provinzdiensten. Die Verfassung legt den Islam als Staatsreligion fest (Art. 2). Art. 41 Abs. 2 und Art. 100 Abs. 3 der Verfassung verlangen, dass der Präsident und der Premierminister Muslime sind. Art. 260 der Verfassung definiert den Begriff „Muslim“ und schließt ausdrücklich mehrere Gruppen, nicht aber Schiiten, von dieser Definition aus (DFAT, Country Information Report Pakistan, 20.02.2019, S. 32 f.).
43 
Nach der Einschätzung des DFAT sind Pakistaner – mit Ausnahme der Ahmadis und Hazara – im Allgemeinen in der Lage, ihre Religion ohne offizielle Einmischung oder Diskriminierung auszuüben. Jedoch wird ein Trend zu verstärktem religiösem Konservatismus und Intoleranz gegenüber religiösen Minderheiten festgestellt, der voraussichtlich 2019 anhalten wird. Die meisten religiösen Minderheiten (mit den genannten Ausnahmen von Ahmadis und Hazara) sind einem moderaten Risiko von gesellschaftlicher Diskriminierung und Gewalt gegen religiöse Zeremonien und Kultstätten ausgesetzt (DFAT, Country Information Report Pakistan, 20.02.2019, S. 34 Ziff. 3.80). Überproportional viele Schiiten leben u.a. in Peshawar, Kohat, Hangu, Dera Ismail Khan in Khyber Pakhtunkhwa, in den Kurram und Orakzai-Distrikten im früheren FATA (Federally Administrated Tribal Areas). Aufgrund ihrer höheren Konzentration und zum Teil Isolation in der Bevölkerung sind Shiiten dort einer besonderen Gefährdung gegenüber krimineller und militanter Gewalt ausgesetzt. Obwohl einige Schiiten in Enklaven in diesen Städten leben, sind die schiitischen und sunnitischen Gemeinschaften im Allgemeinen gut integriert (DFAT, Country Information Report Pakistan, 20.02.2019, S. 35 Ziff. 3.91 und S. 36 f. Ziff. 3.101; UK Home Office (UKHO): Country Policy and Information Note Pakistan: Shia Muslims, 01.2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2002540/CPIN-Pakistan-Shias-v2.0_Jan_2019_.pdf). Die meisten pakistanischen Schiiten sind physisch oder sprachlich nicht von pakistanischen Sunniten zu unterscheiden. Die nationale Meldebehörde NADRA sammelt sektiererische Informationen während des Antragsverfahrens für Ausweisdokumente, aber der nationale Personalausweis (Computerized National Identity Card, CNIC) identifiziert nicht die Religion eines Karteninhabers und Pässe unterscheiden nicht zwischen sunnitischen und schiitischen Muslimen. Wiewohl können einige Schiiten durch gebräuchliche schiitischen Namen identifiziert werden. In ähnlicher Weise können ethnische und Stammesnamen die ethnische Zugehörigkeit oder Stammeszugehörigkeit einer Person offenbaren. Insbesondere bei den Hazara ist dies regelmäßig möglich (DFAT, Country Information Report Pakistan, 20.02.2019, S. 35 Ziff. 3.92).
44 
Schiiten in Pakistan treten vor allem bei schiitischen religiösen Veranstaltungen und Pilgerreisen in den Irak und den Iran in Erscheinung, wo sie besonders leicht und oft Ziel und Opfer religiös motivierter Übergriffe und gezielter Tötungen werden. Diesbezüglich wird aber auch konstatiert, dass das pakistanische Militär Versuche unternimmt, diese Pilgerreisen militärisch zu schützen (DFAT), Country Information Report Pakistan, 20.02.2019, S. 37 Ziff. 3.102 und 3.103). Schiiten gedenken des Ashura-Tages mit Nachstellungen des Martyriums und Prozessionen, bei denen schwarz gekleidete schiitische Männer und Frauen durch die Straßen ziehen, sich auf die Brust schlagen und singen. Selbstverletzungen, wie z.B. Geißelungen während der Ashura-Prozessionen, können bleibende Spuren hinterlassen. Schiitische und sunnitische Moscheen sind deutlich voneinander unterscheidbar. Schiitische Moscheen und Kultstätten oder Imambargahs weisen eine unterschiedliche muslimische Ikonographie auf, darunter das schiitische Schwert, Pferde, Bilder von Ali und Hussein und "U-förmige" Halbmonde. In schiitischen und sunnitischen Moscheen gibt es unterschiedliche Gebetszeiten, und die Gläubigen nehmen beim Beten unterschiedliche Handhaltungen ein. Schi'a-Moscheen gibt es in ganz Pakistan. Schiiten können in sunnitischen Moscheen beten und umgekehrt, obwohl dies nur selten geschieht. Beide Sekten teilen sich eine Reihe berühmter religiöser Stätten, darunter auch Sufi-Schreine. Es gibt keine rechtlichen Barrieren, die eine Heirat zwischen Schiiten und Sunniten in Pakistan verhindern. Zwar kommt es zu Eheschließungen, aber sunnitisch-schiitische Ehen werden in einem Umfeld zunehmender Religiosität immer seltener. Ein Partner (in der Regel die Braut) erfährt in der Regel eine religiöse Bekehrung. Dem DFAT sind Zwangskonversionen zwischen Sekten nicht bekannt. Dem DFAT liegen keine Hinweise auf eine systematische Diskriminierung von Schiiten bei der Erlangung einer Anstellung im öffentlichen Dienst, bei der Polizei, beim Militär oder in der Privatwirtschaft vor. Schiiten sind in der Regierung und im öffentlichen Dienst gut vertreten (BFA, LIB Pakistan, S. 63; UK HO, Country Policy and Information Note Pakistan: Shia Muslims, Version 2.0, 01.2019, S. 7). Pakistanische Schiiten sind in allen Lebensbereichen vertreten; in vielen Fällen ist es ihnen gelungen, im kulturellen Bereich Pakistans eine herausragende Rolle zu spielen und einflussreiche, hochrangige Positionen zu erlangen (IRB, Pakistan, Situation and treatment of Shia Muslims, 01.2020, S. 3). Dem DFAT zufolge sind Schiiten gut repräsentiert im Parlament und nehmen regelmäßig an Wahlen für gemäßigte politische Parteien teil. Die Pakistan People’s Party (PPP) hat bzw. hatte mehrere hochrangige schiitische Führer, darunter Zulfikar Ali Bhutto, seine Tochter Benazir Bhutto und Benazir Bhuttos Ehemann Asif Ali Zardari, die alle als Präsident und/oder Premierminister Pakistans fungierten. Zardari und Benazir's Sohn, Bilawal, ist der derzeitige Leiter der PPP. Andere wichtige Parteien, darunter Imran Khans Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI) und die Muttahida Qaumi Movement (MQM), haben ebenfalls eine bedeutende schiitische Anhängerschaft (wiedergegeben von UK HO, Pakistan: Shia Muslims, 01.2019, S. 13).
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Einige Schiiten nehmen jedoch eine Diskriminierung von Schiiten wahr, die auf höheren Ebenen einiger Organisationen eine Rolle spielen. Insgesamt geht das DFAT davon aus, dass Schiiten, die keine Hazara oder Turi sind (siehe Hazaras Hazarasand Turis), bei der Arbeitssuche im Allgemeinen nicht aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit diskriminiert werden. Geringfügige Anti-Schi'a-Diskriminierung findet auf Gemeindeebene statt und kann sich in Gewalt oder Sachbeschädigung äußern. Sunnitische und schiitische Studenten besuchen die gleichen öffentlichen und privaten Bildungseinrichtungen. Die Studenten müssen ihre Religionszugehörigkeit für den Zugang zu öffentlichen und privaten Einrichtungen, einschließlich Universitäten, angeben. Religiöse Voreingenommenheit im öffentlichen Bildungswesen betrifft vorwiegend Nicht-Muslime, aber schiitische Gruppen haben Bedenken geäußert, dass der Lehrplan öffentlicher Schulen und die vorgeschriebenen Lehrbücher Darstellungen sunnitischer Gebetsrituale enthalten und prominente historische Schia-Figuren auslassen. Nach Einschätzung des DFAT gibt es keine Hindernisse darauf, dass die Schiiten aufgrund ihrer Sektenzugehörigkeit daran gehindert wären, sich aktiv an demokratischen Prozessen in Pakistan zu beteiligen. Sektenartige Gewalt in Pakistan richtete sich historisch gesehen gegen Einzelpersonen, Kultstätten, Schreine und religiöse Schulen, wobei die Schiiten jedoch traditionell einen höheren Anteil der Todesopfer stellten (DFAT, Country Information Report Pakistan, 20.02.2019, S. 35).
46 
Zwischen radikalen Sunniten und der schiitischen Minderheit kommt es immer wieder zu Gewalt (AA, Lagebericht Pakistan, Stand: Mai 2019, S. 14). Verstärkt seit 2017 und insbesondere im Zusammenhang mit den Wahlen im Jahr 2018 waren Angehörige der religiösen Minderheiten und damit auch Schiiten Opfer sektiererischer Gewalt („sectarian violence“). Laut des Think Tanks Centre for Research and Security Studies gab es in diesem Zusammenhang 2017 319 Tote und 636 Verletzte (zitiert nach AA, Lagebericht Pakistan, Stand: Mai 2019, S. 14). Dem South Asian Terrorism Portal (SATP) zufolge wurden im Jahr 2017 bei 10 Angriffen 114 Schiiten getötet und 308 verletzt. Das SATP berichtet von weiteren fünf Angriffen zwischen dem 1. Januar und dem 17. Juni 2018, bei denen sieben Menschen getötet und vier verletzt wurden. LeJ und LeJ al-Al-Alami bekannten sich in Verbindung mit dem ISIL zu vielen dieser Angriffe. Das BFA fasst Berichte aus dem Jahr 2018 zusammen, wonach es im Jahr 2018 zwölf Fälle konfessionell motivierter Gewalt (minus 40 % zum Vorjahr) mit 51 Todesopfern (minus 31 % zum Vorjahr) gegeben habe. Sieben der zwölf Angriffe hätten Mitgliedern der schiitischen Glaubensgemeinschaft gegolten. Zehn der zwölf Angriffe hätten in Khyber Pakhtunkhwa und Belutschistan stattgefunden (BFA, LIB Pakistan, S. 64). Weiter fasst das BFA Berichte über willkürliche Verhaftungen von Schiiten während der religiösen Feiertage im Monat „Muharram“ zusammen und dokumentiert ferner, dass einige Bundes- und Provinzbehörden rund um das schiitische Muharram-Fest die Bewegungsfreiheit von Klerikern, die dafür bekannt sind, konfessionelle Gewalt zu propagieren, eingeschränkt habe; zudem seien hunderttausende Sicherheitskräfte im ganzen Land während des Ashura-Fests zum Schutz der schiitischen Zeremonien eingesetzt worden, die gemäß Beobachtern 2017 friedlicher als in den Vorjahren abgelaufen seien (ausführlicher noch IRB, Pakistan: Situation of Shia Muslims, 01.2020, S. 12 f.).
47 
Demgegenüber gibt es Berichte von einer Verschärfung interreligiöser Spannungen seit 2017. Vielfach wird von wachsender religiöser Intoleranz im Jahre 2018 berichtet. Die politischen Führer zögerten, gegen religiöse Diskriminierung anzukämpfen und diejenigen, die dies taten, seien Gewalt ausgesetzt gewesen (Vorwurf der Blasphemie). Während des Wahlkampfs 2018 sei der politische Diskurs religiöser geworden und habe die Kluft zwischen religiöser Mehrheit und Minderheiten verschärft. Die Religiosität unter den Jugendlichen in Pakistan nehme ebenfalls zu. Auch in diesem Zusammenhang wird über verstärkte Äußerungen von religiöser Intoleranz in den Medien berichtet (DFAT, Country Information Report Pakistan, 20.02.2019, S. 33 Ziff. 3.77).
48 
Aus dem Jahre 2019 wird berichtet, dass keine Region in Pakistan vor religiös motivierter Gewalt Sicherheit geboten hätte. Die Provinzen Belutschistan und Sindh hätten die meisten Vorfälle verzeichnet. Unter den 24 Getöteten und 120 verletzten Personen im Jahre 2019 seien 28 getötete und 57 verletzte Schiiten gewesen (CRRS – Centre for Research & Security Studies (27.01.2020), Annual Security Report 2019, S. 30f.; zitiert nach BAMF, Länderreport 24 Pakistan: Lage der Ahmadis und Schiiten sowie Ehrverbrechen im Kontext der islamisch geprägten Strafgesetzgebung, Stand: 05/2020, S. 3).
49 
Laut dem South Asian Terrorism Portal (SATP) sind fast 50 verschiedene inländische und transnationale extremistische/terroristische Gruppen in Pakistan aktiv. Diese Gruppen stellen eine ernsthafte Sicherheitsbedrohung insbesondere für die religiösen Minderheitsgemeinschaften in Pakistan dar. Darüber hinaus hat die Ausrichtung dieser Gruppen auf schiitische und sufistische Muslime tiefgreifende sektiererische Spannungen ausgelöst. Nach Berichten einer schiitisch-muslimischen Organisationen, Majlis Wahdat-e-Muslimeen Pakistan (MWM), haben die pakistanischen Taliban und andere terroristische Gruppen in der letzten Dekade schätzungsweise 25.000 Schiiten getötet. Neben den pakistanischen Taliban (Tehrik-e-Taliban Pakistan - TTP) und einem pakistanischen Ableger des islamischen Staates (ISIS) treten vornehmlich die Lashkar-e-Jhangvi (LeJ) sowie die Sipah-e-Sahaba (SSP, jetzt Ahl-e Sunnat Wal Jama’at (ASWJ)) als relevante Verfolgungsakteure auf. Diese Gruppen bekennen sich auch offen zu gezielten Tötungen von Schiiten. In einem im Juni 2011 veröffentlichten offenen Brief erklärten LeJ-Führer ihre Absicht, "die unreine Sekte" der "Schiiten und Hazara-Schiiten" abzuschaffen (DFAT, Country Information Report Pakistan, 20.02.2019, S. 35; IRB, Pakistan: Situation of Shia Muslims, 01.2020, S. 4). Das langjährige Versäumnis der Regierung, Übergriffe auf religiöse Minderheiten zu verhindern oder strafrechtlich zu verfolgen hat ein tief verwurzeltes Klima der Straflosigkeit geschaffen, welches extremistische Akteure ermutigt hat (U.S. COMMISSION ON INTERNATIONAL RELIGIOUS FREEDOM (USCIRF), Pakistan, ANNUAL REPORT 2017). Auch an anderer Stelle wird berichtet, dass Schiiten – wenngleich sie nicht in demselben Maße wie andere nicht-muslimische Religionsgemeinschaften von dem staatlichen Rechtsystem diskriminiert werden – das Hauptziel sektiererischer Attacken sind (vgl. UNHRC, Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, Januar 2017, S. 54 f., 57). Zwischen 2012 und 2015 seien Berichten zufolge die Anschuldigungen der Blasphemie gegen Schiiten exponentiell gestiegen. Auch dort wird von denselben Verfolgungsakteuren berichtet, die Schiiten als Ketzer, Ungläubige und Abtrünnige ansehen, welche mit dem Tod bestraft werden sollten und die sich weitgehender Straflosigkeit gegenübersehen. Weiter wird berichtet, dass insbesondere die Volksgruppe der Hazara überproportional vulnerabel ist und sich deren Vulnerabilität aufgrund ihrer besonderen Sichtbarkeit im Prozentsatz unter schiitischen Opfern sektiererischer Gewalt und Übergriffe widerspiegelt. Mindestens seit 2012 habe auch die Anzahl sektiererischer Gewalt gegen Schiiten zugenommen, wobei primär einfache schiitische Individuen betroffen seien. Militante Gruppen sollen Selbstmordattentäter und Granatenangriffe in belebten schiitischen Gebieten wie Schulen, Einkaufsgebieten und Märkten sowie in Bussen und anderen Fahrzeugen eingesetzt haben. Berichten zufolge werden schiitische Pilger angegriffen, die in den und aus dem Iran reisen. Ferner wird von Übergriffen auf Moscheen, insbesondere während der Gebetszeiten, sowie auf religiöse Feste, insbesondere die „Ashura“-Prozessionen während des schiitischen heiligen Monats Muharram berichtet. Ferner gibt es Erkenntnisse über gezielte Tötungen schiitischer Fachleute und Beamte, darunter Ärzte, Anwälte, Politiker, prominente Geschäftsleute und lokale Händler (UNHRC, Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, Januar 2017, S. 57 f.; DFAT, Country Information Report Pakistan, 20.02.2019, S. 36). Übergriffe auf Schiiten finden in allen Regionen des Landes statt. Anti-schiitische Rhetorik durchdringt alle Schichten der Gesellschaft. Extremistische Gruppen rufen zur Ermordung einzelner Schiiten auf und haben Methoden angewendet, um Angst zu wecken und sie zur Flucht zu zwingen (UNHRC, Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, Januar 2017, S. 58 f.). In Anbetracht dieser Erkenntnisse ist der UNHCR der Ansicht, dass Mitglieder der schiitischen Glaubensgemeinschaft je nach ihren individuellen Umständen hinsichtlich ihrer Religion, Ethnie, (unterstellten) politischen Meinung und/oder anderen relevanten Gründen auf internationalen Flüchtlingsschutz angewiesen sein können. Nach der Einschätzung von DFAT sehen sich die meisten Schiiten in Pakistan einem geringen Risiko sektiererischer Gewalt gegenüber. Die diesbezügliche Gefahr variiert abhängig von den geografischen Gegebenheiten und ihrer Mitgliedschaft in einer spezifischen Volksgruppe (Hazara und Turis). Bekanntere Schiiten sind einem höheren, moderaten Risiko ausgesetzt, da sie leichter und stärker ins Visier genommen werden (DFAT, Country Information Report Pakistan, 20.02.2019, S. 37 Ziff. 3.104).
50 
Nach der Einschätzung des Auswärtigen Amtes im aktuellen Lagebericht hat die pakistanische Regierung seit Verabschiedung des Nationalen Anti-Terror-Aktionsplans am 24.12.2014 (laut IRB, Pakistan: Situation of Shia Muslims, 01.2020, S. 12, aus Februar 2016) Anstrengungen unternommen, um den Einfluss radikaler islamistischer Prediger auf die Bevölkerung zu begrenzen, etwa indem sie verstärkt gegen die illegale Nutzung von Moschee-Lautsprechern für aufwieglerische Botschaften sowie gegen Hassprediger vorgeht, Material, das zu der religiösen Intoleranz und Hass aufruft sowie religiös motivierte Gewaltanwendungen verherrlicht, beschlagnahmt und die Präsenz von Vertretern radikal-islamischer Richtungen in TV-Politik-Talkshows beschränkt. Demgegenüber wird berichtet, dass weiterhin die Gefahr besteht, dass extremistische religiöse Gruppen Lynchjustiz gegen Muslime und Angehörige religiöser Minderheiten üben. Niedrigschwelligere Repressionen reichten von regelmäßigen Belästigungen bis hin zu Angriffen auf die körperliche Unversehrtheit. Übergriffe stünden regelmäßig im Zusammenhang mit Fällen (angeblicher) Blasphemie oder Apostasie (AA, Lagebericht Pakistan, Stand: Mai 2019, S. 14, 19).
51 
Demgegenüber wird an anderer Stelle berichtet, dass die pakistanische Regierung vielfach dafür kritisiert wird, dass es ihr nicht gelingt, schiitische Muslime von Attacken nichtstaatlicher Akteure zu schützen und es militanten Organisationen vielmehr erlaubt, ungestraft zu agieren, indem sie deren gewalttätige Angriffe auf Schiiten nicht untersucht und bestraft. Ungeachtet gewisser Anstrengungen regionaler Behörden, stärkere Schutzmaßnahmen für Schiiten in manchen Situationen zu treffen, habe sich die Sicherheitssituation für Schiiten Berichten zufolge nicht verbessert. Selbst dort, wo die Polizei vor Ort war, war sie nicht in der Lage, Attacken zu unterbinden. In diesem Zusammenhang wird die Polizei als gleichgültig, inkompetent oder sogar mitschuldig an der Gewalt und Diskriminierung von Schiiten bezeichnet (UNHRC, Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, Januar 2017, S. 55 f.).
52 
Differenziert fällt die Einschätzung des Immigration and Refugee Board of Canada aus (IRB, Pakistan: Situation of Shia Muslims, 01.2020, S. 12). Demnach hätten der Nationale Aktionsplan und die stark sichtbare Präsenz paramilitärischer Einheiten zu einer signifikanten Verringerung sektiererischer Gewalt geführt. Ungeachtet eines relativen Rückgangs seien gewalttätige Vorfälle immer noch „weit verbreitet“ und könnten „sektiererische Angriffe tödlich sein“. Weiter wird berichtet, dass verstärkte staatliche Schutzmaßnahmen während der Ashura-Prozessionen teilweise die mit dieser größeren Gefährdung verbundenen Bedrohungen milderten (IRB, Pakistan: Situation of Shia Muslims, 01.2020, S. 12; DFAT, Country Information Report Pakistan, 20.02.2019, S. 35 f.). Gleiches gelte für schiitische Pilgerreisen, wobei diesbezüglich berichtet wird, dass der Schutz nicht stets sichergestellt sei („infrequent“).
c)
53 
Der erkennende Einzelrichter zieht aus den dargestellten Erkenntnismitteln folgende Schlüsse im Hinblick auf die Situation der Schiiten in Pakistan: Schiiten sind nach nationalem Recht der sunnitischen Mehrheitsbevölkerung formal gleichgestellt, insbesondere werden sie ebenfalls als Muslime angesehen. Ein staatliches Verfolgungsprogramm gegenüber Schiiten existiert nicht. Schiiten erfahren staatlicherseits keine systematische Diskriminierung und haben Zugang zu allen staatlichen Institutionen. Auch im Rahmen der Religionsausübung sehen sich Schiiten keinen formalen rechtlichen Nachteilen/Beschränkungen gegenüber.
54 
Anders stellt sich die Situation hinsichtlich nichtstaatlicher Akteure dar: Hier gibt es nennenswerte sunnitisch-islamistische Akteure, die gezielt Schiiten als Andersgläubige verfolgen und zu ihrer Verfolgung aufrufen. Insbesondere die Volksgruppen der Hazara und der Turis sind aufgrund ihrer räumlichen Konzentration, besonderen Erkennbarkeit und ausgeprägten Vulnerabilität in gewissem Umfang derartigen Übergriffen ausgesetzt. Schiiten werden insbesondere Opfer von Übergriffen durch nichtstaatliche Akteure im Rahmen ihrer konfessionsspezifischen Religionsausübungen/Rituale. Dann sind sie besonders verletzlich, wobei der pakistanische Staat gewisse Anstrengungen unternimmt, dem entgegenzuwirken. Nichtsdestotrotz wird jährlich von einer nennenswerten Zahl religiös motivierter Übergriffe bis hin zu Tötungen von Schiiten berichtet.
d)
55 
Dessen ungeachtet kommt die Annahme einer Gruppenverfolgung von Schiiten in Pakistan nicht in Betracht.
aa)
56 
Die rechtlichen Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich geklärt (vgl. BVerwG, Urteile vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - BVerwGE 126, 243 und vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 1 AufenthG Nr. 30). Die Gefahr eigener Verfolgung kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gefahr der Gruppenverfolgung). Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religion anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen von den Fällen eines staatlichen Verfolgungspogroms - (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200) ferner eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ voraus, welche die Regelvermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin „wegen“ eines der in § 60 Abs. 1 AufenthG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.09.2010 - A 10 S 689/08 - juris Rn. 43). Darüber hinaus gilt auch für die Gruppenverfolgung, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, d.h. wenn auch keine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar sein muss. Diese ursprünglich für die unmittelbare und die mittelbare staatliche Gruppenverfolgung entwickelten Grundsätze sind prinzipiell auch auf die private Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure übertragbar, wie sie § 3c Nr. 3 AsylG (entsprechend Art. 6 lit. c) QRL; früher § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. c) AufenthG) ausdrücklich als schutzbegründend geregelt ist (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29.06.2020 - 13 A 10206/20 - juris Rn. 47).
57 
Ob Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen in deren Herkunftsstaat die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllen, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen i.S.v. § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. a und b AufenthG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale i.S.v. § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Bezug gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 - NVwZ 2009, 1237).
bb)
58 
Diese vom Bundesverwaltungsgericht geforderte Relationsbetrachtung führt vorliegend zu dem Ergebnis, dass Schiiten angesichts ihres Anteils an der Gesamtbevölkerung im Vergleich zu den berichteten (jährlichen) Übergriffen keinem beachtlichen Risiko ausgesetzt sind, das so groß wäre, dass nicht nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit, sondern eine konkrete Gefahr für jeden einzelnen Schiiten bestünde, Opfer eines religiös motivierten Übergriffs zu werden.
59 
Dabei kann bei (zugunsten des Klägers) großzügiger (d. h. diese Zahl relativ verschmälernder) Betrachtung von einem Anteil der Schiiten an der Gesamtbevölkerung Pakistans von 19 Millionen ausgegangen werden (10 % von 190 Millionen Pakistani). Dieser absoluten Zahl potentiell betroffener Schiiten stehen für das zuletzt am besten dokumentierte Jahr 2017 bei wohlwollender Betrachtung ca. 500 berichtete Übergriffe gegenüber, die die Schwelle des § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG erreichten. In den Folgejahren 2018 und 2019 ist die Zahl dokumentierter Fälle sogar noch (weitaus) geringer.
60 
Diese Zahlen genügen bei Weitem nicht, um – im Sinne der zitierten Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts an die Bejahung einer Gruppenverfolgung – davon ausgehen zu können, dass jeder einzelne Schiit quasi automatisch Opfer/Subjekt von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter würde und sich insgesamt ein Muster systematischer Verfolgung ergäbe. Vielmehr ist umgekehrt anzunehmen, dass es sich bei den berichteten Verfolgungshandlungen gegen Schiiten um (wenn auch vielfache) einzelne Übergriffe handelt.
61 
Dabei muss berücksichtigt werden, dass es weder ein staatliches Verfolgungsprogramm gegenüber Schiiten gibt, noch, dass sich der pakistanische Staat systematisch an Übergriffen nichtstaatlicher Akteure auf Schiiten beteiligt. Vielmehr unternimmt er (zumindest gewisse) Anstrengungen, um Schiiten vor derartigen Übergriffen zu schützen und die anti-schiitische Rhetorik fundamentalistischer Sunniten im öffentlichen/gesellschaftlichen Diskurs einzudämmen. Dies kann dem pakistanischen Staat schon deswegen unterstellt (und damit zugutegehalten) werden, weil Schiiten nicht unterproportional in Polizei, Sicherheitskräften und öffentlicher Verwaltung sowie in der Politik repräsentiert sind. Eine relevante Verfolgungsgefahr geht daher „nur“ von nichtstaatlichen Akteuren in Gestalt islamistisch-sunnitischer Gruppen aus. Deren (relevante) Verfolgungshandlungen gegenüber Sunniten beschränkten sich allerdings auf die dargestellten nummerischen Übergriffe als Ausdruck sektiererischer Gewalt. Nach dem Dafürhalten des erkennenden Einzelrichters ist die vorgenommene kalkulatorische Relationsbetrachtung nicht um eine wertende Gesamtbetrachtung dergestalt zu ergänzen, dass weitere beachtliche Verfolgungshandlungen im Sinne einer Kumulierung (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG) in die Betrachtung mit einbezogen werden müssten.
62 
Danach kommt die Annahme einer Gruppenverfolgung von Schiiten in Pakistan nicht in Betracht.
e)
63 
Der Kläger ist auch nicht vorverfolgt aus Pakistan ausgereist, weshalb ihm nicht die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 QRL zugutekommt. Der Kläger hat von einem Übergriff auf ihn im Zusammenhang mit seiner religiösen Betätigung bei der Tehrik-e-Jafaria berichtet. Zweifel an der Glaubhaftigkeit des klägerischen Vortrags hegt der erkennende Einzelrichter – anders als das Bundesamt – nicht. Wiewohl die klägerischen Ausführungen zu dem Übergriff (mit Schussverletzung) auf ihn sowohl beim Bundesamt als auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung nicht besonders detailreich und plastisch waren, führt dies nicht zur Annahme ihrer Imagination durch den Kläger. Denn die erlittene Schussverletzung stand nicht im Vordergrund des klägerischen Vortrags und bedurfte daher – aus Sicht des Klägers nachvollziehbar – keiner genaueren Darstellung/Ausführungen hierzu. Hinzu kommt, dass sie nach dem klägerischen Vortrag bereits etliche Jahre zurücklag.
64 
Dieser Umstand führt allerdings auch dazu, dass nicht (mehr) angenommen werden kann, dass die Furcht vor Verfolgung „begründet“ bzw. dass weiterhin die Annahme der Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 QRL gegeben ist. Wenngleich keine Kausalität zwischen dem fluchtbegründenden Umstand und der Flucht bestehen muss (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 16.10.2019 - A 12 S 2881/18 - juris Rn. 15), muss die deutliche zeitliche Zäsur zwischen der erlittenen Schussverletzung und dem Zeitpunkt der Ausreise dennoch dazu führen, dass nicht mehr angenommen werden kann, dass diese noch für die Verfolgungsfurcht beachtlich ist. Mit anderen Worten ist die Verfolgungsvermutung, die aufgrund von Art. 4 Abs. 4 QRL seinerzeit sicherlich anzunehmen war, mittlerweile durch Zeitablauf widerlegt (in diesem Sinne auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 09.11.2010 - A 4 S 703/10 - juris Rn. 39 f.). Dies gilt ungeachtet des Umstands, dass der Kläger – wie glaubhaft vorgetragen – auch seitdem Opfer/Subjekt religiös motivierter Schikanen durch Sunniten geworden ist. Denn der erkennende Einzelrichter konnte bezüglich dieser nicht die Überzeugungsgewissheit gewinnen, dass diese die erforderliche Schwere erreichten. Damit kann nicht i. S. d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i. V. m. Art. 2 lit. d) QRL angenommen werden, dass die Flucht des Klägers vor der vor mindestens acht Jahren erlittenen Schussverletzung noch „begründet“ ist, weshalb die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 QRL insoweit zugunsten des Klägers nicht in Betracht kommt.
65 
Diese kann auch nicht bezogen auf andere Aspekte des klägerischen Vortrags angenommen werden. Denn die weiteren Ausführungen des Klägers zu den seitdem erlittenen Misshandlungen/Schikanen genügen nicht den Anforderungen an einen plastischen, eine begründete Furcht vor Verfolgung in ausreichendem Maße darlegenden Sachverhalt. Damit will der erkennende Einzelrichter nicht in Abrede stellen, dass es die ansatzweise beschriebenen Misshandlungen gegeben hat. Dem diesbezüglichen Vortrag lässt sich jedoch in dem erforderlichen Maße nichts dazu entnehmen, in welchem Umfang (§ 3a Abs. 1 AsylG), durch wen konkret (§ 3c AsylG), in welchem sachlich-zeitlichen Zusammenhang (§ 3b AsylG) und warum (§ 3a Abs. 3 AsylG) die angeblichen Misshandlungen dem Kläger zugefügt wurden.
f)
66 
Schließlich fällt auch bei Außerachtlassung der Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 QRL die Prognose (Art. 4 Abs. 3 QRL), ob dem Kläger im Falle seiner (erzwungenen) Rückkehr nach Pakistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung drohte, zu seinen Lasten aus.
67 
Zwar hat der Kläger sowohl beim Bundesamt als auch in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass er für den Fall seiner Rückkehr nach Pakistan davon ausgeht, alsbald als Schiit erkannt und (deshalb) umgebracht zu werden. Subjektiv mag dies vom Kläger tatsächlich so empfunden werden, wovon dessen Eindruck in der mündlichen Verhandlung zeugt. Objektiv hingegen ist diese Verfolgungsfurcht nicht begründet. Denn mangels Gruppenverfolgung (s. o.) und mangels individuell gefahrerhöhender Umstände in der Person des Klägers bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Pakistan beachtliche Verfolgungshandlungen zuteilwerden würden.
2.
68 
Der klägerische Vortrag ist auch nicht geeignet, zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes zu führen. Insoweit gilt auch hier (mit dem Bundesamt), dass der als fluchtbegründend vorgetragene Lebenssachverhalt aus Rechtsgründen ebendies nicht rechtfertigt.
69 
Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 AsylG ist einem Ausländer subsidiärer Schutz zuzuerkennen, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden in Gestalt der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), von Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3) droht. Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG gelten die § 3c bis 3e AsylG entsprechend. Insbesondere bedarf es also auch für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes aus den in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG genannten Gründen eines Verfolgungsakteurs im Sinne des § 3c AsylG (Art. 6 Richtlinie 2011/95/EU vom 13. Dezember 2011, ABl EU L 337/95).
70 
An diesen Voraussetzungen fehlt es im vorliegenden Fall. Dem Kläger droht in Pakistan weder die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1sylG), noch Folter (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 AsylG). Auch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG (ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts) liegen nicht vor, weil in Pakistan – auch in der Region Punjab – gegenwärtig kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt. Zudem weisen die dem Kläger in Pakistan bzw. in seiner Heimatregion drohenden allgemeinen Gefahren (etwa im Rahmen von Terroranschlägen) keine derart hohe Dichte bzw. keinen derart hohen Grad auf, dass praktisch jede Zivilperson bei einer Rückkehr allein durch ihre Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung für Leib und Leben ausgesetzt wäre/ist (zu den rechtlichen Maßstäben einschließlich des lokalen Anknüpfungspunktes vgl. BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 - juris Rn. 15,17,18; BayVGH, Beschluss vom 09.01.2015 - 13a ZB 14.30449 - juris Rn. 10). Bei einer geschätzten Gesamtbevölkerung von über 200 Millionen Menschen in Pakistan ist das Risiko, als Zivilperson Schaden an Leib oder Leben durch Anschläge zu erleiden, verschwindend gering (vgl. VG München, Beschluss vom 29.01.2019 - M 32 K 16.35462 - BeckRS Rn. 17; VG Augsburg, Urteil vom 23.06.2020 - Au 3 K 18.30182 - juris Rn. 34; VG Potsdam, Urteil vom 15.01.2019 - 11 K 2756/18.A - juris Rn. 45). Auch in Ansehung des Umstands, dass der Kläger als Schiit einer graduell etwas erhöhten Gefahr ausgesetzt ist, Opfer von sektiererischer Gewalt zu werden, ergibt sich nichts Anderes (s. o.).
71 
Die Gewährung subsidiären Schutzes auf Grundlage von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Alt. 2, 3 AsylG kommt auch nicht unter dem allgemeinen Gesichtspunkt der schlechten humanitären Situation in Pakistan in Betracht. Denn insoweit fehlt es an dem erforderlichen Akteur, § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3c AsylG (siehe hierzu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 54 m. w. N. zur st. Rspr.).
4.
72 
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG.
a)
73 
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) unzulässig ist. Dies umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem dem Ausländer unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht. Eine Verletzung des Art. 3 EMRK kommt in besonderen Ausnahmefällen auch bei „nichtstaatlichen“ Gefahren aufgrund prekärer Lebensbedingungen in Betracht, bei denen ein „verfolgungsmächtiger Akteur" (§ 3c AsylG) fehlt, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung mit Blick auf die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung „zwingend“ sind (BVerwG, Urteile vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146, 12 Rn. 25; und vom 04.07.2019 - 1 C 48.18 - juris Rn. 13). Die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren müssen hierfür jedenfalls ein „Mindestmaß an Schwere“ (minimum level of severity) aufweisen (vgl. EGMR , Urteil vom 13.12.2016 - Nr. 41738/10, Paposhvili/Belgien - Rn. 174; EuGH, Urteil vom 16.02.2017 - C-578/16 PPU - C.K. u.a. - Rn. 68); es kann erreicht sein, wenn der Ausländer seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält (s.a. BVerwG, Beschluss vom 08.08.2018 - 1 B 25.18 - NVwZ 2019, 61 Rn. 11).
74 
Auch im Rahmen des Art. 3 EMRK ist nach der Rechtsprechung des EGMR eine tatsächliche Gefahr („real risk“) erforderlich, d.h. es muss eine ausreichende reale, nicht nur auf bloßen Spekulationen, denen eine hinreichende Tatsachengrundlage fehlt, gegründete Gefahr („a sufficiently real risk“) bestehen. Die tatsächliche Gefahr einer Art. 3 EMRK zuwiderlaufenden Behandlung muss danach aufgrund aller Umstände des Falles hinreichend sicher und darf nicht nur hypothetisch sein (EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich - NVwZ 2012, 681; Entscheidung vom 22.09.2009 - 30471/08 - Abdolkhani und Karimnia/Türkei - InfAuslR 2010, 47; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 26.06.2019 - A 11 S 2108/18 - juris Rn. 44 f.). Erforderlich, aber auch ausreichend ist danach die tatsächliche Gefahr der Folter oder unmenschlichen Behandlung, was dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entspricht (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 - NVwZ 2011, 51 Rn. 22).
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Des Weiteren ist von Bedeutung, ob außerordentliche Umstände, die – wie hier – nicht in die unmittelbare Verantwortung des Abschiebungszielstaates fallen und die dem abschiebenden Staat nach Art. 3 EMRK eine Abschiebung des Ausländers verbieten, gerade an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet (BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 - NVwZ 2013, 1167, Leitsatz 2 und EGMR, Urteil vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich) - NVwZ 2012, 681, Rn. 265, 301, 309; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12.12.2018 - A 11 S 1923/17 - juris Rn. 142).
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Schließlich muss sich die tatsächliche Gefahr einer unmenschlichen Behandlung nicht unbedingt sofort nach Ankunft im Herkunftsstaat realisieren können; es muss allein mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu prognostizieren sein, dass dies in der Zukunft der Fall sein kann. Abhängig von den Gründen, die zu einer solchen tatsächlichen Gefahr einer unmenschlichen Behandlung führen können, unterscheidet sich der Zeitraum, der für die Prognose in den Blick zu nehmen ist und in dem der Eintritt der tatsächlichen Gefahr für die – nicht notwendigerweise auch der Verletzung der – Rechtsgüter Leib, Leben oder Freiheit zu prognostizieren sein muss, um eine Verletzung von Art. 3 EMRK anzunehmen. Insbesondere ist es im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK nicht erforderlich, dass sich die Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit alsbald realisiert. Diese strikte, absolute zeitliche Einschränkung, wie sie bei der verfassungskonformen Auslegung und Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 6 AufenthG zu beachten ist (BVerwG, Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 - NVwZ 2012, 244 Rn. 22), ist im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG gerade nicht anwendbar. Denn sie ist Teil des strengen Maßstabs, der zur von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geforderten Durchbrechung der gesetzlich vorgesehenen Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG geboten ist, der aber keine Anwendung auf § 60 Abs. 5 AufenthG findet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 08.08.2018 - 1 B 25.18 - NVwZ 2019, 61 Rn. 13).
b)
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Ausgehend hiervon sind die dargestellten hohen Anforderungen an das Vorliegen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. v. Art. 3 EMRK in Ansehung des Klägers nicht gegeben. Nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit lässt sich annehmen, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Pakistan in absehbarer Zeit Gefahr liefe, einem Leben ohne Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung ausgesetzt zu sein.
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Denn dem Kläger als zwar nicht mehr jungem, aber uneingeschränkt arbeitsfähigen Mann würde es möglich sein, in seinem früheren Beruf als Kranfahrer oder in einem anderen Berufszweig für sich selbst zu sorgen und seinen Lebensunterhalt in ausreichendem Maße, d.h. zur Sicherung des Existenzminimums, zu verdingen. Denn Derartiges war ihm schon vor seiner Ausreise aus Pakistan möglich und es bestehen in der Person des Klägers auch keine Anhaltspunkte dafür, dass ihm dies nicht erneut gelingen würde. Wesentlich für diese Einschätzung ist, dass der Kläger seine wirtschaftliche Situation in Pakistan als „gut“ bezeichnet hat und in der Lage war, durch im Wesentlichen eigene Ersparnisse (ca. 15.000-20.000 EUR) seine Ausreise zu finanzieren.
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Etwas Anderes ergibt sich vorliegend auch nicht aus der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage in Pakistan aufgrund der Corona-Pandemie.
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Die Situation in Pakistan im Umgang mit dem Corona-Virus stellt sich wie folgt dar: Ein- und Ausreisen nach bzw. aus Pakistan sind seit Juni 2020 unter Einschränkungen wieder möglich. Sowohl der Eisenbahnverkehr als auch der restliche öffentliche Verkehr ist (wenn auch eingeschränkt) wieder in Betrieb. Pakistan hat alle Industrien und Unternehmen wieder geöffnet. Zur Vermeidung eines erneuten landesweiten „Lockdowns“ werden Erkrankungs-Hotspots isoliert. Ziel dieser unterschwelligen Maßnahmen ist es, dadurch geringere Folgen für die landesweite Wirtschaft, insbesondere großflächige Arbeitsmöglichkeiten für die Millionen von Tagelöhnern herbeizuführen. Infolge der teilweisen Ausgangsbeschränkungen und sonstigen Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus sind schätzungsweise 12-18 Mio. Pakistani zusätzlich arbeitslos geworden. Um die wirtschaftlichen Folgen für die unteren sozialen Schichten der Bevölkerung auszugleichen, hat die pakistanische Regierung ein Hilfs- und Stimulus-Paket sowohl für diese als auch für die Industrie von umgerechnet 7 Mrd. EUR auf den Weg gebracht. Weitere 3,4 Mrd. EUR wurden für Weizenlieferungen, den Einkommensausfall der Tagelöhner, die am stärksten von den Einschränkungen betroffenen Familien und für die Reduktion der Stromkosten ausgeschüttet. Nach Auslaufen des Notfallprogramms EHSAAS im Mai 2020 verteilt nunmehr die Armee Lebensmittel an die Ärmsten; einzelne Provinzen haben weitere Hilfspakete angekündigt und Armenhäuser weiten die Lebensmittelversorgung für Bedürftige aus. Daneben erfolgen Hilfslieferungen aus China und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Ein Konjunkturpaket der pakistanischen Regierung für das Baugewerbe soll die Wirtschaft in der Corona-Krise entlasten und die prekäre Lage der Tagelöhner verbessern. Ein eigens hierfür eingerichtetes „Construction Industry Development Board“ wird die Aktivitäten koordinieren und der Bau- und Landwirtschaftssektor von der Abriegelung ausgenommen bleiben, da diese Sektoren die Hauptbeschäftigungsquelle für einen Großteil der Bevölkerung darstellen (zum Ganzen Wirtschaftskammer Österreich, Corona Virus: Situation in Pakistan, aktuelle Lage und Info-Updates, abrufbar unterhttps://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-infos-pakistan.html, Stand: 02.11.2020, zuletzt abgerufen am 10.12.2020).
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Hieraus schließt der erkennende Einzelrichter, dass der pakistanische Staat der von der Corona-Pandemie heraufbeschworenen wirtschaftlichen Notlage nicht – im Sinne der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK (Urteil vom 21. Januar 2011, M.S.S./Belgien und Griechenland, CE:ECHR:2011:0121JUD003069609, §§ 252 bis 263) sowie der zu Art. 4 GRCh ergangenen Rechtsprechung des EuGH in den sog. Dublin-Fällen (EuGH, Urteil vom 19.03.2019, Jawo, C-163/17, Celex-Nr. 62017CJ0163, juris Rn. 92; Urteil vom 19.03.2019, Ibrahim, C-297/17, Celex-Nr. 62017CJ0297 – juris Rn. 87; EuGH, Beschluss vom 13.11.2019, C-540/17, Celex-Nr. 62017CO0540 – juris Rn. 39) – gleichgültig gegenübersteht, sondern dass er vielmehr umgekehrt alles ihm Mögliche unternimmt, um die Folgen der Corona-Pandemie für die Not leidende Bevölkerung so weit wie möglich abzumildern.
82 
Ausweislich der zuletzt verfügbaren und in der mündlichen Verhandlung thematisierten Infektionszahlen für Pakistan (WHO, https://covid19.who.int/region/emro/country/pk, Stand: 10.12.2020) betrug die Zahl der bestätigten Corona-Fälle 426.142 und die Zahl der Todesfälle, die im Zusammenhang mit Covid-19 stehen, 8.547. Insgesamt ist zu konstatieren, dass die Zahl der Neuinfektionen – wie dies praktisch weltweit der Fall ist – auf einem annähernd stabilen, mittleren Niveau liegt. Wenngleich anzunehmen ist, dass die Zahl der unerkannten Infektionsfälle (Dunkelziffer) aufgrund geringerer Testungen höher liegt als dies etwa in Deutschland der Fall ist, kann dennoch angesichts der Verlaufskurve der Neuinfektionen sowie der absoluten Zahl der an oder im Zusammenhang mit Covid-19 verstorbenen Personen nicht angenommen werden, dass diese Zahl signifikant über der von der WHO angegebenen liegt. Angesichts des Höhe der Fallzahlen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung in Pakistan kann damit konstatiert werden, dass die Wahrscheinlichkeit, an Covid-19 zu erkranken, nicht signifikant höher liegt als etwa in Deutschland.
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Zwar lässt sich bei der anzustellenden Prognose nicht ausschließen, dass – im Zuge einer weltweiten zweiten Welle – die Fallzahlen auch in Pakistan erneut (auch landesweit) drastischer steigen werden und der von der pakistanischen Regierung um jeden Preis zu vermeidende zweite harte „Lockdown“ Realität würde. Auch in einem solchen Fall vermag der erkennende Einzelrichter aber nicht mit dem erforderlichen Grad an Überzeugung anzunehmen, dass dem Kläger aufgrund dieser allgemeinen Lage in Pakistan eine reale Gefahr der Verelendung drohen würde. Denn wie die Vergangenheit gezeigt hat, ist der pakistanische Staat willens und in der Lage, den gravierendsten Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Wirtschaft und die Bevölkerung zu begegnen und für diese abzumildern. Insbesondere haben das Nothilfeprogramm EHSAAS sowie die Verteilung von Nahrungsmitteln an die ärmsten Bevölkerungsschichten gezeigt, dass auch diesen über ihre materielle Not hinweggeholfen werden konnte. Derartiges wäre auch in Zukunft bei einem etwaig erneut notwendig werdenden zweiten „Lockdown“ zu erwarten.
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Hinzu kommt, dass der Kläger wohl schon gar nicht zu der Gruppe der am stärksten von der Pandemie betroffenen, ärmsten Bevölkerungsschichten zählt. Denn der Kläger hat im Rahmen seiner Anhörung beim Bundesamt angegeben, dass seine wirtschaftliche Situation vor seiner Ausreise „gut“ gewesen sei. Zudem dürfte der Kläger auf die Hilfe seiner weiterhin in Pakistan lebenden Familie zurückgreifen können.
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Folglich kommt auch die Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht in Betracht. Eine im Sinne der Vorschrift erforderliche erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben kann vorliegend weder hinsichtlich der Möglichkeit der Erkrankung mit dem Corona-Virus, noch mit sonstigen Erkrankungen des Klägers begründet werden. Bezüglich Ersterer gilt aufgrund von § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.6.2010 – 10 C 10.09, NVwZ 2011, 48 (50); siehe hierzu auch Bergmann/Dienelt/Dollinger AufenthG § 60 Rn. 99) der besonders strenge Maßstab der extremen Gefahrenlage, der nur anzunehmen ist, wenn der Ausländer quasi „sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert“ würde. Angesichts des diffusen Krankheitsverlaufs im Falle einer Infektion mit dem Corona-Virus und den zum Teil milden oder gar symptomfreien Verläufen insbesondere bei jungen Menschen (wie dem Kläger) kann Derartiges nicht per se angenommen werden. Für sonstige Erkrankungen des Klägers, die aufgrund der pandemiebedingten Einschränkungen der Gesundheitsversorgung in Pakistan oder im Zusammenspiel mit einer Corona-Virus-Infektion etwaig zu einer relevanten Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 5 Satz 7 AufenthG führen könnte, bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte.
4.
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Nach alledem begegnet auch die in Ziff. 5 des streitgegenständlichen Bescheids verfügte Abschiebungsandrohung nach Pakistan keinen rechtlichen Bedenken. Sie findet ihre rechtliche Grundlage in § 34 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot (Ziff. 6 des streitgegenständlichen Bescheids) ist vorliegend nicht Streitgegenstand.
5.
87 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.

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