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| I. Die Klage ist zulässig. |
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| 1. Die Klage ist als auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Identitätsfeststellung gerichtete Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO statthaft. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts findet § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO in den Fällen, in denen sich - wie hier - der Verwaltungsakt bereits vor Klageerhebung erledigt hat, entsprechende Anwendung (vgl. z.B. BVerwG, Urteile vom 14.07.1999 - 6 C 7.98 -, BVerwGE 109, 203 ff., und vom 25.06.2008 - 6 C 21.07 -, BVerwGE 131, 216 ff.). |
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| 2. Der Kläger hat vorliegend ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung. Aus dem Wortlaut des § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO und dem systematischen Zusammenhang mit § 42 VwGO ergibt sich, dass die Verwaltungsgerichte nur ausnahmsweise für die Überprüfung erledigter Verwaltungsakte in Anspruch genommen werden können. Nach dem Wegfall der mit dem Verwaltungsakt verbundenen Beschwer wird gerichtlicher Rechtsschutz grundsätzlich nur zur Verfügung gestellt, wenn der Kläger ein berechtigtes rechtliches, wirtschaftliches oder ideelles Interesse an einer nachträglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit der erledigten Maßnahme hat (Kopp/Schenke, VwGO, 24, Aufl. 2018, § 113 Rn. 129). Die Identitätsfeststellung ist eine sich typischerweise kurzfristig erledigende polizeiliche Maßnahme, die in das Grundrecht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG eingegriffen hat. Da solche Maßnahmen ohne die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses regelmäßig keiner Überprüfung in einem gerichtlichen Hauptsacheverfahren zugeführt werden könnten, eröffnet Art. 19 Abs. 4 GG die Möglichkeit einer Klärung der Rechtmäßigkeit des erledigten Verwaltungsakts im Wege nachträglicher Feststellung (st. Rspr., vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 30.04.1997 - 2 BvR 817/90 -, juris; BVerfG, Beschluss vom 05.07.2013 - 2 BvR 370/13 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20.05.2015 - 6 S 494/15 -, juris). Unter Berücksichtigung der Umstände der Maßnahmen kann dem Kläger vorliegend ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung nicht abgesprochen werden. In Fällen der vorliegenden Art, in denen Feststellungsbegehren polizeiliche Maßnahmen in grundrechtlich geschützten Bereichen zum Gegenstand haben, würde es einen rechtsfreien Raum eröffnen, der mit dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit aus Art. 20 Abs. 3 GG und dem durch Art. 19 Abs. 4 GG garantierten Anspruch auf effektiven Rechtsschutz nicht zu vereinbaren wäre, wenn man das Feststellungsinteresse und damit die verwaltungsgerichtliche Überprüfung des polizeilichen Handelns verneint (vgl. VG Stuttgart, Urteil vom 22.10.2015 - 1 K 5060/13 -, juris Rn. 14; VG Köln, Urteil vom 13.06.2013 - 20 K 4683/12 -, juris; Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 113 Rn .145 m.w.N.). Das Fortsetzungsfeststellungsinteresse ist in Fällen typischerweise kurzfristiger Erledigung eines Verwaltungsakts auch zu bejahen, ohne dass es insoweit besonderer Anforderungen etwa an die Intensität des Grundrechtseingriffs bedürfte (vgl. VG Stuttgart, Urteil vom 22.10.2015 - 1 K 5060/13 -, juris Rn. 14 m.w.N.; ebenso Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 113 Rn. 145). Zudem besteht bei dem Kläger im Hinblick auf die weiteren Fahrten mit dem Flixbus zwischen Konstanz und Freiburg auch eine hinreichend konkrete Wiederholungsgefahr. |
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| II. Die Klage ist auch begründet. |
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| Die am 02.04.2017 durchgeführte polizeiliche Maßnahme war rechtswidrig und hat den Kläger in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analog. |
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| Die Identitätsfeststellung bedurfte als Eingriff in das Grundrecht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG) und in das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) einer gesetzlichen Grundlage. Eine solche lag im maßgeblichen Zeitpunkt nicht vor. Denn § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG, der allein als gesetzliche Grundlage für die in Streit stehende polizeiliche Maßnahme in Betracht kommt, ist auch nach Inkrafttreten des Erlasses zur Anwendung von § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG des Bundesministeriums des Innern vom 07.03.2016 (im Folgenden: Erlass vom 07.03.2016) aus Gründen des Unionsrechts unanwendbar. |
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| Die Vorschrift des § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG (1.) ist mit dem Unionsrecht (2.) auch nach Inkrafttreten des Erlasses vom 07.03.2016 nicht vereinbar (3.). Mangels Entscheidungserheblichkeit kann offen bleiben, ob § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG verfassungsgemäß ist und ob die tatbestandlichen Voraussetzungen im Zeitpunkt der Kontrolle vorlagen (4.). |
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| 1. Nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG kann die Bundespolizei die Identität einer Person im Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von dreißig Kilometern zur Verhinderung oder Unterbindung unerlaubter Einreise in das Bundesgebiet oder zur Verhütung von Straftaten im Sinne des § 12 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 BPolG feststellen. Straftaten im Sinne dieser Vorschrift sind Vergehen (§ 12 Abs. 2 StGB), die (Nr. 1) gegen die Sicherheit der Grenze oder die Durchführung der Aufgaben der Bundespolizei nach § 2 BPolG - d.h. der Aufgaben des Grenzschutzes - gerichtet sind, oder die (Nr. 2) nach den Vorschriften des Paßgesetzes, des Aufenthaltsgesetzes oder des Asylgesetzes zu verfolgen sind, soweit sie durch den Grenzübertritt oder in unmittelbarem Zusammenhang mit diesem begangen wurden, oder die (Nr. 3) einen Grenzübertritt mittels Täuschung, Drohung, Gewalt oder auf sonst rechtswidrige Weise ermöglichen sollen, soweit sie bei der Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs festgestellt werden, oder die (Nr. 4) das Verbringen einer Sache über die Grenze ohne behördliche Erlaubnis als gesetzliches Tatbestandsmerkmal der Strafvorschrift verwirklichen, sofern der Bundespolizei durch oder auf Grund eines Gesetzes die Aufgabe der Überwachung des Verbringungsverbotes zugewiesen ist. Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG erfüllt, kann die Bundespolizei gemäß § 23 Abs. 3 S. 1 BPolG zur Feststellung der Identität die erforderlichen Maßnahmen treffen. Sie kann den Betroffenen insbesondere anhalten, ihn nach seinen Personalien befragen und verlangen, dass er Ausweispapiere zur Prüfung aushändigt. Bei der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs kann die Bundespolizei ferner verlangen, dass der Betroffene Grenzübertrittspapiere vorlegt. Der Betroffene kann festgehalten und zur Dienststelle mitgenommen werden, wenn seine Identität oder seine Berechtigung zum Grenzübertritt auf andere Weise nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden kann (§ 23 Abs. 3 S. 2 bis 4 BPolG). |
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| Die Kontrollen nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG setzen nicht das Vorliegen einer konkreten Gefahr voraus und werden daher oft als Schleierfahndung bezeichnet (Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, § 23 BPolG Rn. 12). Anknüpfungspunkt für eine Identitätsfeststellung ist nach dem Wortlaut dieser Vorschrift vielmehr allein der Umstand, dass sich eine Person an einem bestimmten Ort - im Grenzgebiet im Sinne der o.g. Vorschriften - aufhält (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 13.02.2018 - 1 S 1468/17 -, juris Rn. 26). |
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| 2. Nach Art. 67 Abs. 2 S. 1 AEUV stellt die Union sicher, dass Personen an den Binnengrenzen nicht kontrolliert werden. Vor diesem Hintergrund steht die im maßgeblichen Zeitpunkt anwendbare Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex; im Folgenden: SGK). Diese Verordnung sieht nach deren Art. 1 vor, dass keine Grenzkontrollen in Bezug auf Personen stattfinden, die die Binnengrenzen zwischen den Mitgliedstaaten der Union überschreiten und legt Regeln für die Grenzkontrollen in Bezug auf Personen fest, die die Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Union überschreiten. Art. 22 SGK bestimmt, dass die Binnengrenzen unabhängig von der Staatsangehörigkeit der betreffenden Personen an jeder Stelle ohne Personenkontrollen überschritten werden dürfen. Das Ausbleiben der Grenzkontrollen an den Binnengrenzen berührt nach Art. 23 SGK jedoch nicht: |
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| a) die Ausübung der polizeilichen Befugnisse durch die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten nach Maßgabe des nationalen Rechts, sofern die Ausübung solcher Befugnisse nicht die gleiche Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen hat; dies gilt auch in Grenzgebieten. Im Sinne von Satz 1 darf die Ausübung der polizeilichen Befugnisse insbesondere nicht der Durchführung von Grenzübertrittskontrollen gleichgestellt werden, wenn die polizeilichen Maßnahmen |
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| i) keine Grenzkontrollen zum Ziel haben; |
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| ii) auf allgemeinen polizeilichen Informationen und Erfahrungen in Bezug auf mögliche Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit beruhen und insbesondere auf die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität abzielen; |
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| iii) in einer Weise konzipiert sind und durchgeführt werden, die sich eindeutig von systematischen Personenkontrollen an den Außengrenzen unterscheidet; |
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| iv) auf der Grundlage von Stichproben durchgeführt werden; |
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| b) die Durchführung von Sicherheitskontrollen bei Personen in See- oder Flughäfen durch die zuständigen Behörden nach Maßgabe des nationalen Rechts, die Verantwortlichen der See- oder Flughäfen oder die Beförderungsunternehmer, sofern diese Kontrollen auch bei Personen vorgenommen werden, die Reisen innerhalb des Mitgliedstaats unternehmen |
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| c) die den Mitgliedstaaten eingeräumte Möglichkeit, in ihren Rechtsvorschriften die Verpflichtung zum Besitz oder Mitführen von Urkunden und Bescheinigungen vorzusehen […] |
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| Der Begriff der „Binnengrenzen“ bezeichnet nach Art. 2 Nr. 1 lit. a) unter anderem die gemeinsamen Landgrenzen der Mitgliedstaaten. Die Regelungen sind jedoch auf die Binnengrenzen des Schengen-Raums, somit auch auf die Grenze zwischen Deutschland und der Schweiz anwendbar. Das Protokoll zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstandes in den Rahmen der Europäischen Union (Schengen-Protokoll) steht mit dem Vertrag über die Europäische Union in der Fassung des Vertrags von Lissabon (EUV) und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) auf einer normativen Stufe (Art. 51 EUV) und überführt den sog. Schengen-Besitzstand in das Unionsrecht (Röben, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Stand: August 2018, Art. 67 AEUV Rn. 130). Die Schweiz ist der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands assoziiert (ABl. 2004 L 370). Entsprechend sieht Erwägungsgrund 40 des SGK vor, dass diese Verordnung für die Schweiz eine Weiterentwicklung der Bestimmungen des Schengen-Besitzstands im Sinne des Abkommens zwischen der Europäischen Union, der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Assoziierung der Schweizerischen Eidgenossenschaft bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands darstellt, die zu dem in Artikel 1 Buchstabe A des Beschlusses 1999/437/EG in Verbindung mit Artikel 3 des Beschlusses 2008/146/EG (16) des Rates genannten Bereich gehören. |
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| Aus den vorgenannten Vorschriften ergibt sich nach der Auslegung des EuGH die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die Einhaltung des Unionsrechts durch die Schaffung und Wahrung eines „Rechtsrahmens“ zu sichern, der gewährleistet, dass die praktische Ausübung der Befugnis zur Durchführung von Identitätskontrollen nicht die gleiche Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen haben kann (EuGH, Urteil vom 22.06.2010 - C-188/10 -, juris Rn. 73 f.; EuGH, Urteil vom 19.07.2012 - C-278/12 -, juris Rn. 68; EuGH, Urteil vom 21.06.2017 - C-9/16 -, juris Rn. 37). Die Mitgliedstaaten haben insbesondere dann, wenn Indizien darauf hindeuten, dass eine gleiche Wirkung wie bei Grenzübertrittskontrollen besteht, durch Konkretisierungen und Einschränkungen sicherzustellen, dass eine solche gleiche Wirkung vermieden wird. Insoweit muss eine nationale Regelung (wie § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG), die den Polizeibehörden eine Befugnis zur Durchführung von Identitätskontrollen einräumt, die zum einen auf das Gebiet an der Grenze des Mitgliedstaats zu anderen Mitgliedstaaten beschränkt und zum anderen unabhängig vom Verhalten der kontrollierten Person und vom Vorliegen besonderer Umstände ist, aus denen sich die Gefahr einer Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung ergibt, insbesondere das Ermessen lenken, über das diese Behörden bei der praktischen Handhabung der besagten Befugnis verfügen (EuGH, Urteil vom 22.06.2010 - C-188/10 -, juris Rn. 74; EuGH, Urteil vom 21.06.2017 - C-9/16 -, juris Rn. 39). Dieser erforderliche Rahmen muss hinreichend genau und detailliert sein, damit sowohl die Notwendigkeit der Kontrollen als auch die konkret gestatteten Kontrollmaßnahmen selbst Kontrollen unterzogen werden können (EuGH, Urteil vom 19.07.2012 - C-278/12 -, juris Rn. 76; EuGH, Urteil vom 21.06.2017 - C-9/16 -, juris Rn. 41). |
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| 3. Diesen Vorgaben genügt § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG auch nach Inkrafttreten des Erlasses vom 07.03.2016 nicht (entgegen OVG Saarland, Urteil vom 21.02.2019 - 2 A 806/17 -, juris). |
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| § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG stellt allein nicht sicher, dass die dort vorgesehenen Identitätsfeststellungen nicht die gleiche Wirkung wie Grenzkontrollen haben (EuGH, Urteil vom 21.06.2017 - C-9/16 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 13.02.2018 - 1 S 1468/17 -, juris Rn. 81; Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, § 23 BPolG Rn. 11). |
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| Die Verwaltungsvorschrift „BRAS 120“ wurde für die in Streit stehende Maßnahme ausdrücklich nicht herangezogen (Schreiben der Bundespolizeidirektion vom 23.10.2017, AS 62 der Behördenakte). Der Frage, ob diese Vorschrift zur Ausfüllung des erforderlichen Rechtsrahmens genügt, ist daher an dieser Stelle nicht nachzugehen (vgl. hierzu VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 13.02.2018 - 1 S 1468/17 -, juris |
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| Ein den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs genügender Rechtsrahmen ergab sich auch nicht aus dem - mit der Kommission abgestimmten - Erlass vom 07.03.2016. Denn dieser erfüllt weder die vom EuGH vorgenannten formalen Anforderungen (a)) noch ist er inhaltlich geeignet, die unionsrechtlichen Vorgaben zu konkretisieren (b)), sodass die Befugnisnorm des § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG auch in Verbindung mit dem Erlass unangewendet bleiben muss (c)). Dass die Europäische Kommission nach der Veröffentlichung des Erlasses die Einstellung des Vertragsverletzungsverfahrens beschlossen hat, entbindet das Gericht nicht von einer eigenen Prüfung der Vereinbarkeit der streitgegenständlichen Rechtsgrundlage mit dem Unionsrecht. Dabei sieht das Gericht im Hinblick auf die bereits ergangenen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 22.06.2010 - C-188/10 -, juris Rn. 73 f.; Urteil vom 19.07.2012 - C-278/12 -, juris Rn. 68; Urteil vom 21.06.2017 - C-9/16 -, juris Rn. 37) und die hierbei wiederholt herausgearbeiteten Anforderungen an die rechtlichen Rahmenbedingungen von einer Vorlage nach Art. 267 AEUV ab. |
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| a) Der Erlass vom 07.03.2016 erfüllt bereits die formalen Anforderungen nicht, die an den unionsrechtlich geforderten Rechtsrahmen zu stellen sind. Nach den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache „Melki und Abdeli“ (EuGH, Urteil vom 22.06.2010 - C-188/10 -, juris Rn.75) sprach viel dafür, dass die nationale, zu Kontrollmaßnahmen ermächtigende Vorschrift selbst „den erforderlichen Rahmen für diese Befugnis“ vorgeben muss (vgl. Groh, NVwZ 2016, 1678, 1682; ders., NVwZ 2017, 1608, 1609; Trennt, DÖV 2012, 216, 222; a.A. Kempfler, BayVBl. 2012, 9, 11 zu Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 BayPAG). In der Entscheidung zu § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG hat der EuGH zwar an der Formulierung festgehalten, dass Art. 67 Abs. 2 AEUV und Art. 21 und Art. 22 SGK einer Regelung - wie sie § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG enthält - entgegenstehen, es sei denn „diese Regelung“ gebe den „erforderlichen Rahmen“ vor, der gewährleistet, dass die praktische Ausübung der Befugnis nicht die gleiche Wirkung wie Grenzkontrollen haben kann (EuGH, Urteil vom 21.06.2017 - C-9/16 -, juris Rn. 58, 63). Sodann hat er es jedoch den nationalen Gerichten überlassen, zu prüfen, ob zum maßgeblichen Zeitpunkt Bestimmungen in Kraft waren, die ausreichend sicherstellen, dass die praktische Ausübung der polizeilichen Befugnis zur Durchführung von Identitätskontrollen nicht die gleiche Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen haben könne (EuGH, Urteil vom 21.06.2017 - C-9/16 -, juris Rn. 61, 63). Letzteres deutet an, dass auch durch andere Regelungen eine Konkretisierung der Befugnisnorm erreicht werden kann. |
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| Nach Ansicht des Gerichts können solche konkretisierenden Regelungen nur Vorschriften des Außenrechts (Gesetze im formellen Sinn, Rechtsverordnungen) sein; eine Verwaltungsvorschrift als Innenrecht der Verwaltung genügt vor dem Hintergrund des Unionsrechts zur Konkretisierung nicht (so auch Groh, NVwZ 2016, 1678, 1682; ders., NVwZ 2017, 1608, 1609; Halder/Ittner, ZJS 2018, 308, 314 ff.; Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, § 23 BPolG Rn. 10; Trennt, DÖV 2012, 216, 222; a.A. Graf Vizthum, ELR 2010, 236, 240; Kempfler, BayVBl. 2012, 9, 11 zu Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 BayPAG; wohl auch Michl, DÖV 2018, 50, 57; offen gelassen VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 13.02.2018 - 1 S 1468/17 -, juris Rn. 86). Das Unionsrecht erfordert zur Steuerung von verdachtsunabhängigen grenzpolizeilichen Befugnissen eine „nationale Regelung“ (vgl. EuGH, Urteil vom 22.06.2010, a.a.O., 74 f.), die den Erfordernissen der Rechtssicherheit (vgl. EuGH, Urteil vom 22.06.2010, a.a.O., Rn. 75) dienen soll, hinreichend bestimmt ist und effektiven Rechtsschutz ermöglicht („Kontrolle der Kontrolle“, vgl. EuGH, Urteil vom 21.06.2017, a.a.O., Rn. 40; Urteil vom 19.07.2012, a.a.O., Rn. 76; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 13.02.2018 - 1 S 1468/17 -, juris Rn. 86). Der nationalen Regelung kommt demnach die Aufgabe zu, einen Maßstab für die gerichtliche Überprüfung der Kontrollen zu bilden (Groh, NVwZ 2017, 1608, 1609). Dies aber kann eine Verwaltungsvorschrift nicht gewährleisten. Hierfür spricht die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache „TA-Luft“ (Urteil vom 30.05.1991 - C-361/88 -, Slg 1991, I-2567-2606), wonach Verwaltungsvorschriften grundsätzlich ungeeignet sind, der mitgliedstaatlichen Pflicht zur Umsetzung von EU-Richtlinien zu genügen. Denn der Gedanke, dass Verwaltungsvorschriften mangels Außenwirkung von Betroffenen nicht unmittelbar gerichtlich geltend gemacht werden können und überdies den betroffenen Bürgern häufig nicht bekannt seien, lässt sich vorliegend dahingehend fruchtbar machen, dass Verwaltungsvorschriften per se weniger Rechtssicherheit gewährleisten als formelle Gesetze (vgl. Trennt, DÖV 2012, 216, 222; VG Stuttgart, Urteil vom 22.10.2015 - 1 K 5060/13 -, juris Rn. 30). |
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| Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass es sich um eine ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift handelt (anders wohl Michl, DÖV 2018, 50, 57). Zwar können ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften vermittelt durch den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) Außenrechtswirkung entfalten (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.05. 2006 - 5 C 10.05 -, NVwZ 2006, 1184, 1188 m.w.N.; Voßkuhle/Kaufhold, JuS 2016, 314, 315 f.), die gerichtliche Kontrolle richtet sich jedoch allein danach, wie die zuständigen Behörden die Verwaltungsvorschrift im maßgeblichen Zeitpunkt in ständiger Praxis gehandhabt haben und in welchem Umfang sie infolgedessen an den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG gebunden sind (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 25.04.2018 - 19 A 2261/16 -, juris Rn. 49). Weicht die Verwaltungspraxis demnach von der Verwaltungsvorschrift ab, ist eine gerichtliche Kontrolle an diesem Maßstab nicht möglich und der Betroffene in dieser Hinsicht faktisch rechtsschutzlos (Groh, NVwZ 2017, 1608, 1609; Halder/Ittner, ZJS 2018, 308, 316). Dies aber widerspricht den Vorgaben des Unionsrechts an einen justiziablen Rechtsrahmen für Personenkontrollen. |
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| Es kann in diesem Zusammenhang auch nicht darauf ankommen, ob im maßgeblichen Zeitpunkt die Verwaltungspraxis tatsächlich mit der Verwaltungsvorschrift übereingestimmt hat. Denn dies wäre für den Rechtsschutzsuchenden nicht zu durchschauen und er wäre zur Inanspruchnahme von Rechtsschutz „ins Blaue hinein“ gezwungen, was mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes nicht zu vereinbaren ist (zum Gebot effektiven Rechtsschutzes bei fehlender Veröffentlichung der Norm: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 13.02.2018 - 1 S 1468/17 -, juris Rn. 86). |
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| b) Unabhängig davon war der Erlass vom 07.03.2016 auch inhaltlich nicht geeignet, den unionsrechtlich geforderten Rechtsrahmen zu gewährleisten. Der Erlass vom 07.03.2016 fasst zunächst die Vorgaben des Art. 21 Buchstabe a der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 (heute Art. 23 Buchstabe a der Verordnung (EU) 2016/399 - SGK) zusammen. Weiter heißt es: „Zur Präzisierung der Anwendung der vorgenannten Befugnis zur Identitätsfeststellung der Bundespolizei in den Grenzgebieten nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG bitte ich um Beachtung der nachfolgenden Rahmenbedingungen“. Insbesondere soll der zur Konkretisierung vorgesehene Rahmen nach lit. c) des Erlasses vom 07.03.2016 wie folgt ausgestaltet sein: |
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| a. Die Kontrollmaßnahmen sind nicht auf Dauer anzulegen, sondern erfolgen unregelmäßig zu unterschiedlichen Zeiten, an unterschiedlichen Orten und stichprobenartig unter Berücksichtigung des Reiseaufkommens. |
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| b. Die Kontrollmaßnahmen finden nicht allein aus Anlass des Grenzübertritts statt. Sie erfolgen auf der Grundlage von ständig aktualisierten Lageerkenntnissen und/oder (grenz-)polizeilicher Erfahrung, die die Bundespolizeidienststellen auf der Grundlage von eigenen Lageinformationen oder denen anderer Behörden entwickeln. Daher sind allgemeine oder konkrete polizeiliche Informationen und/oder Erfahrungen über grenzüberschreitende Kriminalität, z.B. über häufig genutzte Verkehrsmittel und -wege, bestimmte Verhaltensweisen, und die Analyse der verfügbaren Informationen über grenzüberschreitende Kriminalität, die aus eigenen Quellen oder von anderen Behörden stammen, Ausgangspunkt der Ausübung polizeilicher Maßnahmen sowie ihrer Intensität und Häufigkeit. |
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| Dem so gezogenen Rahmen lassen sich keine präzisen Vorgaben entnehmen, die Kontrollen gleicher Wirkung effektiv ausschlössen. Die unter a. enthaltene Aneinanderreihung unbestimmter Rechtsbegriffe („nicht auf Dauer“, „unregelmäßig“, „zu unterschiedlichen Zeiten“, „an unterschiedlichen Orten“, „stichprobenartig“) geht kaum über die bereits in Art. 23 Buchstabe a der Verordnung (EU) 2016/399 (SGK) normierten Anforderungen hinaus und belässt der polizeilichen Vollzugspraxis einen erheblichen Spielraum (Michl, DÖV 2018, 50, 58). Die bloße Wiederholung der Einschränkungen des Art. 23 lit. a S. 2 SGK in ermessenslenkenden Verwaltungsvorschriften ist nicht geeignet, einen konkretisierenden und der Kontrolle zugänglichen Rahmen zu gewähren (Halder/Ittner, ZJS 2018, 308, 313). Denn dies dürfte nach Sinn und Zweck über eine europarechtskonforme Auslegung nicht hinausgehen, die aber vom Europäischen Gerichtshof nicht als ausreichend erachtet wurde (zur europarechtskonformen Auslegung: EuGH, Urteil vom 22.06.2010 - C-188/10 -, juris; EuGH, Urteil vom 21.06.2017 - C-9/16 -, juris). Hingegen enthält die vom Europäischen Gerichtshof gebilligte niederländische Regelung (Art. 4.17a der Ausländerverordnung) präzise Vorgaben und kontingentiert die Kontrollen zeitlich und örtlich. Zudem besteht in Deutschland durch zusätzliche Kontrollen der jeweiligen Landespolizei die Gefahr eines Summationseffekts. Denn die Landespolizeigesetze enthalten eigene Befugnisnormen zu Identitätskontrollen im Grenzbereich (vgl. § 26 Abs. 1 Nr. 6 PolG BW; Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 BayPAG; zu den Ermächtigungsgrundlagen des Bundes und der Länder zur Schleierfahndung: Trennt, DÖV 2012, 216). Es darf sich jedoch gerade in der Gesamtschau keine den Grenzkontrollen vergleichbare Wirkungsweise ergeben. Der Erlass vom 07.03.2016 berücksichtigt dies unter lit. c) lediglich wie folgt: „Zur Vermeidung von Mehrfachkontrollen sollen die Kontrollmaßnahmen mit anderen Behörden möglichst abgestimmt werden oder sind im Rahmen gemeinsamer Einsatz-/Kooperationsformen durchzuführen.“ Auch insoweit enthält der Erlass vom 07.03.2016 keine konkreten und nachprüfbaren Vorgaben. Zudem legt die insgesamt weiche Formulierung nahe, dass es sich nicht um zwingend einzuhaltende Vorgaben handelt. Die unter lit. c) b. des Erlasses vom 07.03.2016 gefasste Bestimmung, wonach die Ausübung der Befugnis an Lageerkenntnisse und grenzpolizeiliche Erfahrung rückzubinden ist, genügt für sich genommen nicht, um Kontrollen gleicher Wirkung auszuschließen (EuGH, Urteil vom 21.06.2017 - C-9/16 -, juris Rn. 70 ff.; Michl, DÖV 2018, 50, 58). |
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| c) Aufgrund des Anwendungsvorrangs des europäischen Rechts darf die Befugnisnorm des § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG im vorliegenden Kollisionsfall nicht herangezogen werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs führt die Unvereinbarkeit einer Vorschrift des innerstaatlichen Rechts mit dem Unionsrecht nicht zur Nichtigkeit der nationalen Vorschrift. Stattdessen ist das nationale Gericht in dieser Situation verpflichtet, die nationale Vorschrift unangewendet zu lassen (vgl. EuGH, Urteile vom 15.07.1964 - 6/64 [Costa/E.N.E.L.] -, Slg 10, 1251, vom 22.10.1998 - C-10/97 bis C-22/97 -, Slg 1998, 630, und vom 19.01.2010 - C-555/07 [Kücükdeveci] -, Slg 2010, I-365). |
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| Im Übrigen weist das Gericht darauf hin, dass § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG auch künftig in Ausnahmesituationen als Ermächtigungsgrundlage für verdachtsunabhängige Personenkontrollen herangezogen werden kann, wenn die Bundesrepublik Deutschland auf der Grundlage der Art. 25 ff. des Schengener Grenzkodex und im Einklang mit dessen Vorgaben vorübergehend wieder Grenzkontrollen an der betreffenden Binnengrenze einführt. Dies war zum Zeitpunkt der hier zu beurteilenden Personenkontrolle im April 2017 an der Grenze zur Schweiz indes nicht der Fall. |
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| 4. Die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG ebenso wie die Frage, ob die Identitätsfeststellung ferner rechtswidrig ist, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG im Zeitpunkt der Kontrolle nicht vorlagen, kann nach den obigen Ausführungen im Ergebnis offen bleiben. |
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| IV. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht liegen vor, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 124a Abs. 1 S. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Denn die Klärung der für die Beurteilung des Streitfalles maßgeblichen Rechtsfrage, ob § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG i.V.m. dem Erlass des Bundesministeriums des Inneren zur Anwendung von § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG vom 07.03.2016 mit dem Unionsrecht vereinbar ist, hat - über ihre Bedeutung für den zu entscheidenden konkreten Fall hinaus - wesentliche Bedeutung für die einheitliche Auslegung und Anwendung sowie für die Fortbildung des Rechts (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 124 Rn. 10, § 132 Rn. 9). Die Klärung dieser Frage liegt im allgemeinen Interesse. Ausweislich der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage unter anderem der Fraktion DIE LINKE wurden in dem Jahr 2016 1.475.499, im Jahr 2017 1.730.449 und im 1. Quartal des Jahres 2018 391.130 Identitätskontrollen auf die Befugnisnorm des § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPOlG gestützt (vgl. BT-Drs. 19/2151, 3). Vorliegend wird die Unvereinbarkeit des § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG auch nach Inkrafttreten des Erlasses zur Anwendung von § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG des Bundesministeriums des Innern (BMI) vom 07.03.2016 (im Folgenden: Erlass vom 07.03.2016) verwaltungsgerichtlich festgestellt. Die Bundesregierung geht hingegen davon aus, dass der Erlass des BMI vom 07.03.2016 einen ausreichenden Rahmen zur Konkretisierung darstellt. Dies auch vor dem Hintergrund, dass die Europäische Kommission nach Veröffentlichung des vorgenannten Erlasses am 15.02.2017 die Einstellung des zuvor eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens beschlossen hat (vgl. BT-Drs. 19/2151, 3). Die grundsätzliche Bedeutung ergibt sich hier auch daraus, dass die Entscheidung von dem Urteil eines anderen Oberverwaltungsgerichts abweicht (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 124 Rn. 10), hier dem Urteil des OVG Saarland vom 21.02.2019 - 2 A 806/17 -. |
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