Beschluss vom Verwaltungsgericht Stuttgart - 1 K 3675/22

Tenor

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, es zu unterlassen, sich auf dem Kurznachrichtendienst Twitter oder sonst öffentlich wie in den auf dem Kurznachrichtendienst Twitter veröffentlichten Tweets des Beauftragten der Landesregierung Baden-Württemberg gegen Antisemitismus vom ... .

„BeauftragtggAntisemitismusBW @beauftragtgg: Dr. B. begrüßte die Entscheidung von @..., nach, Gastbeiträgen‘ des Verschwörungsmythologen #H. nicht länger Werbeanzeigen auf #... zu schalten.,Auch der @ZentralratJuden, meine Familie & ich sind über dieses Portal oft persönlich verhöhnt, ja angegriffen worden. Viele Autoren vertreten rassistische & demokratiefeindliche Positionen. Die Finanzierung von Verschwörungsmythen durch die Wirtschaft muss dringend ein Ende haben.‘, dankte Dr. B. in S. für die Entscheidung.“

zu äußern, soweit darin die Aussagen „Viele Autoren vertreten rassistische & demokratiefeindliche Positionen.“ und „Die Finanzierung von Verschwörungsmythen durch die Wirtschaft muss dringend ein Ende haben.“ getroffen werden.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragstellerin und der Antragsgegner je zur Hälfte.

Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

 
I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen sie betreffende Äußerungen des Beauftragten der Landesregierung Baden-Württemberg gegen Antisemitismus, die dieser auf dem Kurznachrichtendienst Twitter veröffentlicht hat.
Die Antragstellerin betreibt unter der Internetseite „….com“ den politischen Blog „…“, über den sie kostenlose journalistische Beiträge von eigenen Angaben zufolge derzeit rund 60 Stamm- sowie über 220 Gastautoren veröffentlicht. Zu den Gastautoren gehört unter anderem Prof. Dr. H., Professor für Öffentliche Finanzen an der Universität H. im Ruhestand, der sich in mehreren auf der Internetseite der Antragstellerin publizierten Artikeln kritisch zu den staatlichen Corona-Infektionsschutzmaßnahmen äußerte. Die Antragstellerin finanziert ihr Geschäftsmodell neben der Einwerbung von Spenden und Patenschaften durch die Vermarktung von Werbeplätzen auf ihrer Internetseite. Hierzu bediente sie sich bislang des Werbetechnologieunternehmens T., das Werbung auf den Internetseiten von journalistischen Anbietern (Publisher) ausspielt.
Der Antragsgegner hat in der Sitzung des Ministerrats vom 13.03.2018 das Amt eines Beauftragten der Landesregierung Baden-Württemberg gegen Antisemitismus (im Folgenden: Antisemitismusbeauftragter) geschaffen, das beim Staatsministerium angesiedelt ist und seit dem 19.03.2018 von Dr. B. bekleidet wird. Der Antisemitismusbeauftragte unterhält auf dem Kurznachrichtendienst Twitter den offiziellen Account „BeauftragtggAntisemitismusBW @beauftragtgg“.
Am … erschien auf dem Kurznachrichtendienst Twitter folgender Tweet:
„WahnSager @WahnSager: Auweia @...! Seid ihr sicher, dass ihr auf … (schlimm genug!) im Umfeld des Lügners, Impfgegners und Coronaverharmlosers #H. mit eurer Werbung gut vertreten seid?? (Screenshot von heute) @...“
Die A. reagierte hierauf am … mit dem Tweet:
„…@...: Antwort an @WahnSager und @...: Vielen Dank für diesen Hinweis! Derartige Anzeigen werden automatisiert ausgespielt und wir haben keinen Einfluss auf die Platzierung. Wir werden den Fall jedoch prüfen und unsere Blacklist entsprechend überarbeiten.“
Auf eine E-Mail-Anfrage der Antragstellerin vom 14.06.2022, nach welchen Kriterien die A. ihre Blacklist erstelle, antwortete die Social-Media-Abteilung der A. am 16.06.2022:
„Sie verstehen sicherlich, dass wir jegliche Hinweise überprüfen, die uns erreichen. Und genau das behalten wir uns auch in diesem Fall vor: Eine Prüfung des Mediums auf dem Anzeigen für unser Unternehmen ausgespielt werden. Und die stetige Überarbeitung unserer Inklusions- und Exklusionslisten für Werbeanzeigen.“
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Der weitere Verlauf wird in dem von den Gesellschaftern der Antragstellerin am 29.06.2022 um 06:05 Uhr auf deren Internetseite veröffentlichten Artikel „...“ zusammenfassend wie folgt dargestellt:
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„Wie viele Affären, so kommt auch diese mit einer scheinbaren Petitesse ins Rollen. Ein kleiner Denunziant verspritzt auf Twitter anonym sein Gift gegen … Die Firma A. ignoriert dies nicht etwa, sondern verspricht servil, den Fall zu prüfen. Einige Tage später cancelt unser Anzeigen-Mediapartner sämtliche Anzeigen auf … auf Veranlassung eines in Deckung bleibenden ,Premiumkunden‘. Das gefährdet unsere Existenz. Die ... soll plattgemacht werden. Und die Meinungsfreiheit gleich mit. Eine besonders unrühmliche Rolle spielt dabei der … und die dazugehörige Firma A.“
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In dem Text des Artikels heißt es unter anderem:
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„Wir stellten am Donnerstag den 23.06.2022 fest, dass über unsere Anzeigen Agentur T., mit der wir seit Jahren vertrauensvoll zusammenarbeiten, keinerlei Werbung mehr ausgespielt wurde.“
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Der Antisemitismusbeauftragte äußerte sich am … auf dem Kurznachrichtendienst Twitter in zwei um … Uhr und … Uhr veröffentlichten Tweets wie folgt:
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„BeauftragtggAntisemitismusBW @beauftragtgg: Dr. B. begrüßte die Entscheidung von @..., nach ,Gastbeiträgen‘ des Verschwörungsmythologen #H. nicht länger Werbeanzeigen auf #... zu schalten.,Auch der @ZentralratJuden, meine Familie & ich sind über dieses Portal oft persönlich verhöhnt, ja angegriffen worden. Viele Autoren vertreten rassistische & demokratiefeindliche Positionen. Die Finanzierung von Verschwörungsmythen durch die Wirtschaft muss dringend ein Ende haben.‘, dankte Dr. B. in Stuttgart für die Entscheidung.“
16 
Mit Schreiben vom 30.06.2022 forderte die Antragstellerin das Staatsministerium zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung unter Fristsetzung bis zum 05.07.2022 auf, auf die dieses am 06.07.2022 antworten ließ, dass es dem nicht nachkommen werde.
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Der Antisemitismusbeauftragte äußerte sich hierzu am ... auf dem Kurznachrichtendienst Twitter in mehreren Tweets unter anderem wie folgt:
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„BeauftragtggAntisemitismusBW @beauftragtgg: ,Wieder versucht ein szenebekannter Rechts-Anwalt einer GmbH mich mit einer schlampig zusammengeleimten, hastig an die Mailadresse der Pressestelle übersandten SLAPP-Erklärung zum Schweigen zu bringen.“, erklärte Dr. B. in S., Selbstverständlich werden wir uns nicht einschüchtern und nicht einmal von unserer Arbeit ablenken lassen, sondern auch Öffentlichkeit und Parlament über den andauernden Rechtsmissbrauch durch SLAPP-Methoden informieren.“, bekräftige der Beauftragte.“
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Am 08.07.2022 hat die Antragstellerin bei dem Verwaltungsgericht Stuttgart um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Sie vertritt die Auffassung, dass sie durch die streitgegenständliche Veröffentlichung in ihren Grundrechten auf Pressefreiheit, Chancengleichheit und Berufsausübungsfreiheit sowie ihrem Unternehmenspersönlichkeitsrecht verletzt werde. Die vergleichbar einer Pressemitteilung verfasste Veröffentlichung stelle eine offizielle staatliche Verlautbarung dar, die als Aufruf zum wirtschaftlichen Boykott und als schwerwiegende Diffamierung des von ihr betriebenen Mediums zu bewerten sei. Die Aussage, es habe eine Entscheidung der A. gegeben, „nach ,Gastbeiträgen‘ des Verschwörungsmythologen #H. nicht länger Werbeanzeigen auf #... zu schalten“, sei eine unbelegte Behauptung, während es dem Antisemitismusbeauftragten mit der Zuschreibung „Verschwörungsmythologe“ sowie der Verwendung des Wortes „Gastbeiträge“ in Anführungszeichen um eine diffamierende Abwertung nicht nur von Prof. Dr. H., sondern des Mediums insgesamt gehe. Den auf der Internetseite der Antragstellerin publizierten Artikeln von Prof. Dr. H. sei nicht im Ansatz irgendeine „Verschwörungsmythologie“ oder gar Antisemitismus zu entnehmen. Bei der abschließenden Äußerung „Die Finanzierung von Verschwörungsmythen durch die Wirtschaft muss dringend ein Ende haben.“ wiederum handle es sich um eine direkte Aufforderung, das Medium der Antragstellerin nicht durch die Schaltung von Werbeanzeigen zu finanzieren. Dieser Aufruf verletze in tiefgreifender Weise ihre grundrechtlich geschützten wirtschaftlichen Grundlagen und verstoße offenkundig gegen das Neutralitätsgebot staatlicher Amtsträger, das auch Presseunternehmen gegenüber zur Anwendung kommen müsse. Auch die weiteren Aussagen „Auch der @ZentralratJuden, meine Familie & ich sind über dieses Portal oft persönlich verhöhnt, ja angegriffen worden.“ und „Viele Autoren vertreten rassistische & demokratiefeindliche Positionen.“ ließen jeden sachlichen Bezug vermissen, entbehrten jeder Grundlage und seien allein auf die Diskreditierung der Antragstellerin gerichtet. Der Antisemitismusbeauftragte habe, indem er legitime Kritik an dem Zentralrat der Juden und seiner Person zum Gegenstand staatlicher Äußerungen gemacht sowie unbelegt der Plattform rassistische und demokratiefeindliche Positionen unterstelle, nicht nur die erforderliche Ausgewogenheit und rechtsstaatliche Distanz vermissen lassen, sondern auch das für jedes staatliche Handeln geltende Sachlichkeitsverbot verletzt. Die besondere Eilbedürftigkeit ergebe sich aus der fortdauernden Rechtsbeeinträchtigung, da der Tweet weiterhin abrufbar sei und der Antragsgegner sein Verhalten als zulässig erachte. In der Antragsschrift ist das „Staatsministerium“ als Antragsgegner bezeichnet worden.
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Die Antragstellerin beantragt – sachdienlich gefasst –,
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den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, es zu unterlassen, sich auf dem Kurznachrichtendienst Twitter oder sonst öffentlich wie in den auf dem Kurznachrichtendienst Twitter veröffentlichten Tweets des Beauftragten der Landesregierung Baden-Württemberg gegen Antisemitismus vom ...
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„BeauftragtggAntisemitismusBW @beauftragtgg: Dr. B. begrüßte die Entscheidung von @..., nach ,Gastbeiträgen‘ des Verschwörungsmythologen #H. nicht länger Werbeanzeigen auf #... zu schalten.,Auch der @ZentralratJuden, meine Familie & ich sind über dieses Portal oft persönlich verhöhnt, ja angegriffen worden. Viele Autoren vertreten rassistische & demokratiefeindliche Positionen. Die Finanzierung von Verschwörungsmythen durch die Wirtschaft muss dringend ein Ende haben.‘, dankte Dr. B. in S. für die Entscheidung.“
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zu äußern.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Er macht geltend, dass dem Antrag der Antragstellerin der Anordnungsanspruch fehle, da dieser der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht zustehe. Die streitgegenständlichen Äußerungen griffen nicht rechtswidrig in Rechte der Antragstellerin ein, sondern seien durch den dem Antisemitismusbeauftragten erteilten parlamentarischen Auftrag gedeckt. Zentrale Aufgabe des Antisemitismusbeauftragten sei die Bekämpfung des Antisemitismus und von antisemitischen Verschwörungsmythen. Dazu gehöre auch, die Finanzströme hinter antisemitischen Äußerungen und Verschwörungserzählungen und -mythen aufzudecken und durch entsprechende Hinweise die Öffentlichkeit zu sensibilisieren, dies auch in den elektronischen Medien. Dabei sei der Antisemitismusbeauftragte nicht zur Neutralität verpflichtet, sondern müsse qua Amt gegen alle antisemitistischen Tendenzen Stellung nehmen, was lobende oder tadelnde Kommentare zu Maßnahmen Dritter einschließe; auch das grundsätzlich geltende Sachlichkeitsgebot sei insoweit eingeschränkt. Der Blog der Antragstellerin werde seit einigen Jahren häufig als rechtspopulistisch, antisemitisch und islamophob eingeordnet, wie sich aus verschiedenen – von dem Antragsgegner vorgelegten – Beiträgen in anderen Print- und Onlinemedien ergebe. Prof. Dr. H., der der Querdenker-Szene zugerechnet werden könne, habe sich in dem auf der Internetseite der Antragstellerin publizierten Beitrag „...“ nicht nur sachlich mit den staatlichen Corona-Infektionsschutzmaßnahmen auseinandergesetzt, sondern unter anderem eine Umgestaltung unserer Gesellschaftsordnung in Richtung eines wahrhaften Hygienestaats unterstellt. Zudem habe sich die Leitung der Universität H. von ihm aufgrund verschiedener anderweitiger Äußerungen, vor allem aber wegen der Gleichsetzung der derzeitigen Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland mit denen im Deutschen Reich des Jahres 1933 distanziert, und habe der Antisemitismusbeauftragte bereits im Juni 2021 über die Internetseite „....de“ öffentlich darauf hingewiesen, dass und auf welche Weise Prof. Dr. H. antisemitische Verschwörungsmythen verbreite. Der Antisemitismusbeauftragte selbst sei in verschiedenen – von dem Antragsgegner namentlich benannten und vorgelegten – Beiträgen auf der Internetseite der Antragstellerin wiederholt verunglimpft worden, während dem Zentralrat der Juden regelmäßig vorgeworfen werde, er sei „Ersatzjudentum“, das von der Bundesregierung bezahlt und gelenkt werde. Diese Äußerungen enthielten Verschwörungsmythen und seien geeignet, Vorurteile und Hass zu befördern. Die Twitter-Äußerungen des Antisemitismusbeauftragten enthielten auch keine unwahren Tatsachenbehauptungen. Dass es eine Entscheidung der A. gebe, nicht länger Werbeanzeigen auf der Internetseite der Antragstellerin zu schalten, hätten deren Gesellschafter in dem am 29.06.2022 veröffentlichten Artikel selbst mitgeteilt. Im Übrigen handele es sich bei dem Inhalt der streitgegenständlichen Tweets um Meinungsäußerungen, denen jeweils ein wahrer Tatsachenkern zugrunde liege, wohingegen ein zielgerichteter Boykottaufruf gegen die Antragstellerin nicht gegeben sei. Die Äußerung „Die Finanzierung von Verschwörungsmythen durch die Wirtschaft muss dringend ein Ende haben.“ richte sich gegen die Finanzierung von Verschwörungsmythen überhaupt, gleichviel wer der Verbreiter solchen Gedankenguts sei. Sie betreffe die Antragstellerin allenfalls reflexhaft und sei im Übrigen im Hinblick auf das legitime Ziel, Finanzierungsquellen von Verschwörungsmythen öffentlich zu machen und zu kritisieren, verhältnismäßig. Schließlich stehe der begehrten einstweiligen Anordnung auch das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache entgegen.
II.
27 
Der Antrag hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist er unbegründet.
28 
Für den Antrag ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Dieser ist nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
29 
Es handelt sich insbesondere um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit. Öffentlich-rechtlicher Natur sind Klagen beziehungsweise Anträge auf Widerruf oder Unterlassen einer Äußerung, die von einem Träger der öffentlichen Verwaltung bei Erfüllung öffentlicher Aufgaben gestützt auf vorhandene oder vermeintliche öffentlich-rechtliche Befugnisse gegenüber einem außerhalb der Verwaltung stehenden Bürger abgegeben wird. Die Äußerung muss in einem – nicht durch Beziehungen bürgerlich-rechtlicher Gleichordnung geprägten – hoheitlichen Bereich gefallen sein. Dagegen ist der ordentliche Rechtsweg gegeben, wenn die beanstandete Äußerung nicht in amtlicher Eigenschaft, sondern nur gelegentlich einer nach öffentlichem Recht zu beurteilenden Tätigkeit gemacht wird, insbesondere wenn sie allein Ausdruck einer persönlichen Meinung oder Einstellung des Trägers öffentlicher Verwaltung ist. Ob ein Amtsträger sich im Zusammenhang mit seiner Amtsführung geäußert hat, ist nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles zu bestimmen. (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 12.12.2001 – 1 S 2410/01 -, juris Rn. 3; OVG Bln.-Bbg., Beschl. v. 25.05.2020 - 10 L 49.17 -, juris Rn. 10, jeweils m.w.N.). Amtsautorität wird insbesondere dann in Anspruch genommen, wenn der Amtsinhaber sich durch amtliche Verlautbarungen in Form offizieller Publikationen, Pressemitteilungen sowie auf der offiziellen Internetseite seines Geschäftsbereichs erklärt oder wenn Staatssymbole und Hoheitszeichen eingesetzt werden (vgl. BVerfG, Urt. v. 27.02.2018 - 2 BvE 1/16 -, juris Rn. 66, und Urt. v. 09.06.2020 - 2 BvE 1/19 -, juris Rn. 59). Für die Grenzziehung, ob sich jemand als Funktionsträger oder privat äußert, ist auch maßgeblich, wie die Äußerung für den Empfänger zu verstehen war (vgl. OVG Bln.-Bbg., Beschl. v. 25.05.2020, a.a.O. Rn. 14).
30 
Die von der Antragstellerin beanstandeten Tweets des Antisemitismusbeauftragten haben bei einer Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalles in Ausübung von dessen öffentlichen Aufgaben stattgefunden, mit der Folge, dass der mit dem Antrag geltend gemachte Unterlassungsanspruch öffentlich-rechtlicher Natur ist. Es handelt sich trotz der namentlichen Nennung des Amtswalters „Dr. B.“ nicht um dessen private Meinungsäußerung. Die Aussagen auf dem Kurznachrichtendienst Twitter erfolgten vielmehr unter spezifischer Inanspruchnahme der Autorität des Amts des Antisemitismusbeauftragten und der mit ihm verbundenen Ressourcen. Dies folgt bereits daraus, dass die Tweets unter Nutzung des offiziellen Twitter-Accounts des Antisemitismusbeauftragten – und nicht des privaten Twitter-Accounts des Amtswalters – veröffentlicht wurden. Der Charakter einer amtlichen Verlautbarung wird zudem durch das äußere Erscheinungsbild der Veröffentlichung unterstrichen, die in ihrer Form und ihrem Duktus einer Pressemitteilung entspricht. Auch die von der Antragstellerin konkret beanstandeten Aussagen sind jedenfalls im Schwerpunkt – nämlich soweit sie die vermeintliche Verbreitung von Verschwörungsmythen durch die Antragstellerin und deren Finanzierung durch Werbeanzeigen thematisieren – nicht als persönliche Meinungsäußerung des Amtswalters, sondern als Äußerung des Antisemitismusbeauftragten im Zusammenhang mit seiner Amtsführung zu verstehen. Da nach den Umständen des Einzelfalls die Tweets als einheitlicher Lebenssachverhalt zu bewerten sind, kommt es auch nicht in Betracht, die Aussagen Stück für Stück darauf zu unterteilen, ob sie in Ausübung des Amts des Antisemitismusbeauftragten oder als Privatperson geäußert wurden, solange nicht in einem Teil der Äußerung der Äußernde selbst hervorhebt, dass sie persönlich und damit jenseits der Amtstätigkeit erfolgten (vgl. OVG Bln.-Bbg., Beschl. v. 25.05.2020, a.a.O. Rn. 15).
31 
Der Antrag ist zulässig und begründet, soweit er sich auf die Aussagen in den am ... veröffentlichten Tweets des Antisemitismusbeauftragten „Viele Autoren vertreten rassistische & demokratiefeindliche Positionen.“ und „Die Finanzierung von Verschwörungsmythen durch die Wirtschaft muss dringend ein Ende haben.“ bezieht. Die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung sind insoweit erfüllt. Hingegen fehlt es hinsichtlich der weiteren Aussagen „Dr. B. begrüßte die Entscheidung von @..., nach,Gastbeiträgen‘ des Verschwörungsmythologen #H. nicht länger Werbeanzeigen auf #... zu schalten“ und „Auch der @ZentralratJuden, meine Familie & ich sind über dieses Portal oft persönlich verhöhnt, ja angegriffen worden“ an einem Anordnungsanspruch.
32 
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ergehen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um unter anderem wesentliche Nachteile abzuwenden. Hierzu hat der Antragsteller nach § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO das Vorliegen sowohl eines Anordnungsanspruchs, also die Berechtigung seines Begehrens in der Sache, als auch eines Anordnungsgrundes, und damit die besondere Dringlichkeit der Angelegenheit, glaubhaft zu machen. Hinreichend glaubhaft gemacht bedeutet, dass die tatsächlichen Voraussetzungen zwar nicht zur Überzeugung des Gerichts feststehen, aber hinreichend wahrscheinlich („glaubhaft“) sein müssen. Ist der Antrag – wie hier – auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet, sind an Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch erhöhte Anforderungen zu stellen. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt dann grundsätzlich nur in Betracht, wenn ein Obsiegen des Antragstellers in der Hauptsache bei summarischer Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist und dem Antragsteller ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung schwere und unzumutbare Nachteile entstünden, die auch bei einem späteren Erfolg in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könnten (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 123 Rn. 14 m.w.N.).
33 
Anspruchsgrundlage für die begehrte Unterlassung einer Wiederholung der genannten Äußerungen ist der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch. Greift der Staat durch schlichtes Verwaltungshandeln rechtswidrig in verfassungsrechtlich geschützte Positionen ein und besteht die Gefahr einer Wiederholung des rechtswidrigen Eingriffs, kann der Betroffene gestützt auf das berührte Recht Unterlassung verlangen (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.12.2005 - 7 C 20.04 -, juris Rn. 10 m.w.N.).
34 
Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich der Aussagen in den am 29.06.2022 veröffentlichten Tweets des Antisemitismusbeauftragten „Viele Autoren vertreten rassistische & demokratiefeindliche Positionen.“ und „Die Finanzierung von Verschwörungsmythen durch die Wirtschaft muss dringend ein Ende haben.“ gegeben.
35 
Allerdings ist hinsichtlich des Unterlassungsanspruchs das Land Baden-Württemberg und nicht – wie in der Antragsschrift bezeichnet – das Staatsministerium passivlegitimiert. Wird – wie hier – ein Anspruch auf Unterlassen von Äußerungen, die im Zusammenhang mit der Erfüllung hoheitlicher Aufgaben stehen, geltend gemacht, ist nach einhelliger Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum aufgrund des im öffentlichen Recht geltenden Rechtsträgerprinzips Anspruchsgegner und daher auch gerichtlich in Anspruch zu nehmen grundsätzlich der Hoheitsträger, dem die Äußerungen seines Amtswalters zugerechnet werden. Grund hierfür ist, dass Äußerungen eines Amtsträgers im Grundsatz rechtlich als solche der Anstellungskörperschaft gelten, dessen Organ er ist. Mit amtlichen Äußerungen wird damit die Auffassung der Anstellungskörperschaft rechtlich festgelegt, so dass auch nur diese selbst auf deren Korrektur in Anspruch genommen werden kann (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 17.12.2009 - 2 ME 313/09 -, juris Rn. 9; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 02.11.1998 - 9 S 2434/98 -, juris Rn. 5 f., jeweils m.w.N.). Anstellungskörperschaft des Antisemitismusbeauftragten ist das Land Baden-Württemberg, nicht das Staatsministerium als oberste Landesbehörde.
36 
Die Kammer konnte indes das Passivrubrum von Amts wegen berichtigen, da die in der Antragsschrift enthaltene Angabe des Antragsgegners auf einer irrtümlichen Falschbezeichnung beruht. Auch die Parteibezeichnung in einer Antragsschrift ist grundsätzlich auslegungsfähig, wobei es darauf ankommt, wie die Bezeichnung bei objektiver Würdigung aus der Sicht der Empfänger (Gericht und Gegenpartei) zu verstehen ist. Bei einer unrichtigen oder mehrdeutigen Bezeichnung gilt diejenige Person oder Behörde als Verfahrensbeteiligte, die erkennbar durch den Antragsgegenstand betroffen wird. Dies ist durch Auslegung des Rubrums unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Antragsschrift zu ermitteln. Dabei kann als Auslegungshilfe der Gesichtspunkt dienen, dass der Antrag im Zweifel nicht gegen den falschen, sondern gegen den nach dem Inhalt des Antrags richtigen Antragsgegner gerichtet sein soll (vgl. OVG Meckl.-Vorp., Beschl. v. 02.07.2020 - 2 LZ 472/19 -, juris Rn. 12; BayVGH, Beschl. v. 01.10.2018 - 4 ZB 18.512 -, jeweils m.w.N.).
37 
Ausgehend hiervon war vorliegend das Passivrubrum von Amts wegen zu berichtigen. Die Antragsschrift lässt eindeutig erkennen, dass als Anspruchsgegner nicht der Beamte persönlich, sondern der Hoheitsträger, dem dessen Äußerungen zugerechnet werden, in Anspruch genommen werden soll. Bei der Nennung des Staatsministeriums als der obersten Landesbehörde, bei der der Antisemitismusbeauftragte organisatorisch angesiedelt ist, statt des Landes Baden-Württemberg als dessen Anstellungskörperschaft handelt es sich mithin um eine offensichtliche Falschbezeichnung. Im Übrigen ist auf den in § 78 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 VwGO enthaltenen Rechtsgedanken zu verweisen. Danach genügt zur Bezeichnung des Beklagten die Angabe der Behörde. Benennt in einem Rechtsstreit auf Unterlassen von Äußerungen, die im Zusammenhang mit der Erfüllung hoheitlicher Aufgaben stehen, der Antragsteller statt der Anstellungskörperschaft eine für diese handelnde Behörde, so kann dies – wenn nicht besondere Umstände entgegenstehen – die Annahme rechtfertigen, als Verfahrensgegner sei die Körperschaft gemeint (vgl. BayVGH, Beschl. v. 18.07.1989 - 4 CE 89.2120 -, NVwZ-RR 1990, 99).
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Die Voraussetzungen des Unterlassungsanspruchs liegen hinsichtlich der Aussagen des Antisemitismusbeauftragten in den Tweets vom ... „Viele Autoren vertreten rassistische & demokratiefeindliche Positionen.“ und „Die Finanzierung von Verschwörungsmythen durch die Wirtschaft muss dringend ein Ende haben.“ vor. Insoweit ist die Antragstellerin im Schutzbereich eines Grundrechts durch hoheitliches Handeln des Antragsgegners rechtswidrig beeinträchtigt worden und hat eine Wiederholung der Beeinträchtigung zu besorgen.
39 
Als subjektive Rechte der Antragstellerin sind die Grundrechte der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) und der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) sowie das ihr als Personenmehrheit zustehende allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3 GG durch die streitgegenständlichen Äußerungen des Antisemitismusbeauftragten berührt.
40 
Die Antragstellerin unterfällt als Unternehmen, das den politischen Blog „...“ betreibt, dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Dem steht nicht entgegen, dass das Online-Portal „....com“ im Rahmen der einfachgesetzlichen Ausgestaltung des Bundes- und Landesrechts weder „Presse“ noch „Rundfunk“, sondern ein „Telemedium“ im Sinne des § 1 Abs. 1 TMG und § 2 Abs. 1 MStV darstellt (vgl. BayVGH, Beschl. v. 27.01.2017 - 7 CE 16.1994 -, juris Rn. 20; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 25.03.2014 - 1 S 169/14 -, juris Rn. 20). Denn diese einfachgesetzliche Begriffsbestimmung schließt die Antragstellerin nicht vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG aus. Die Begriffe des Grundgesetzes sind insoweit entwicklungsoffen und können auch die sogenannten „neuen Medien“ umfassen. Daher sind jedenfalls Onlineangebote mit – wie hier – journalistisch-redaktionellem Inhalt, die der öffentlichen Meinungsbildung dienen, vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG erfasst (vgl. VG München, Beschl. v. 28.07.2020 - M 10 E 20.2750 -, juris Rn. 43 m.w.N.). Die Pressefreiheit umfasst auch das Schalten von Werbeanzeigen, weil es sich dabei im Ergebnis um die Weiterverbreitung von Nachrichten handelt (vgl. BVerfG, Urt. v. 04.04.1967 - 1 BvR 414/64 -, juris Rn. 30 ff., und Urt. v. 12.12.2000 - 1 BvR 1762/95 u.a. -, juris Rn. 39). Art. 12 Abs. 1 GG wiederum schützt die Freiheit der Berufswahl und der Berufsausübung und damit die gesamte berufliche und Erwerbszwecken dienende Tätigkeit. Die Antragstellerin als inländische juristische Person kann sich nach Art. 19 Abs. 3 GG auf dieses Grundrecht berufen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 13.09.2005 - 2 BvF 2/03 -, juris Rn. 229 m.w.N.). Darüber hinaus tangieren die streitgegenständlichen Aussagen auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Antragstellerin als Medienunternehmen (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3 GG). Denn in seinen Tweets vom ... hat sich der Antisemitismusbeauftragte negativ über die Antragstellerin geäußert und damit eine Erklärung abgegeben, die geeignet sein kann, deren Ansehen in der Öffentlichkeit herabzusetzen.
41 
Der Antragsgegner hat durch hoheitliches Handeln in die genannten Rechtspositionen der Antragstellerin eingegriffen.
42 
Die Aussagen des Antisemitismusbeauftragten in den Tweets vom ... sind – wie bereits dargelegt – dem Antragsgegner als hoheitliches Handeln zuzurechnen. Der Umstand, dass es sich um amtliche Äußerungen handelt, steht dem Eingriffscharakter nicht entgegen. Zwar ist nicht jedes staatliche Informationsverhalten und nicht jede Teilhabe des Staates am Prozess öffentlicher Meinungsbildung als Grundrechtseingriff zu bewerten. Maßgebend ist vielmehr, ob der Schutzbereich des Grundrechts berührt wird und ob die Beeinträchtigung jedenfalls eine eingriffsgleiche Maßnahme darstellt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.05.2005 - 1 BvR 1072/01 -, juris Rn. 50, 58). Dafür reicht eine mittelbar faktische Wirkung aus (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.06.2002 - 1 BvR 670/91 -, juris Rn. 70). Die beanstandeten amtlichen Äußerungen des Antisemitismusbeauftragten entfalten zumindest eine solche mittelbar faktische Wirkung mit Eingriffsqualität. Denn mit ihnen wird ausdrücklich erklärt, die Antragstellerin veröffentliche Beiträge mit rassistischen und demokratiefeindlichen Inhalten, sowie darüber hinaus suggeriert, sie verbreite Verschwörungsmythen. Diese Aussagen sind nicht nur geeignet, sich abträglich auf das Ansehen der Antragstellerin in der Öffentlichkeit auszuwirken, sondern können auch dazu führen, dass potentielle Werbekunden davon abgehalten werden, Werbeanzeigen auf der Internetseite der Antragstellerin zu schalten. Angesichts der Bedeutung der amtlichen Äußerung erscheint auch eine spürbare Wirkung in den genannten Schutzbereichen möglich. Wie die Antragstellerin vorgetragen hat und durch den im Artikel ihrer Gesellschafter vom 29.06.2022 mitgeteilten E-Mail-Verkehr mit dem Werbetechnologieunternehmen T. glaubhaft gemacht worden ist, beabsichtigt T., die Geschäftsbeziehung mit der Antragstellerin zu beenden, und wurde von dem Unternehmen im Zuge dessen seit dem 23.06.2022 keinerlei Werbung mehr auf der Internetseite der Antragstellerin ausgespielt.
43 
Das hoheitliche Handeln des Antragsgegners war rechtswidrig, soweit die Aussagen des Antisemitismusbeauftragten „Viele Autoren vertreten rassistische & demokratiefeindliche Positionen.“ und „Die Finanzierung von Verschwörungsmythen durch die Wirtschaft muss dringend ein Ende haben.“ betroffen sind.
44 
Für die Aussage in den am ... veröffentlichten Tweets „Die Finanzierung von Verschwörungsmythen durch die Wirtschaft muss dringend ein Ende haben.“ fehlt bereits die Ermächtigungsgrundlage. Der Antragsgegner kann sich insoweit nicht auf seine verfassungsunmittelbare Aufgabe der Staatsleitung stützen.
45 
Diese Aufgabe ermächtigt die Regierung zwar auch, die Öffentlichkeit über wichtige Vorgänge außerhalb oder weit im Vorfeld ihrer eigenen gestaltenden politischen Tätigkeit zu unterrichten. Die Staatsleitung in diesem Sinne umfasst die Aufgabe, durch rechtzeitige öffentliche Information die Bewältigung von Konflikten in Staat und Gesellschaft zu erleichtern und auf diese Weise neuen, oft kurzfristig auftretenden Herausforderungen entgegenzutreten, auf Krisen schnell und sachgerecht zu reagieren sowie den Bürgern auch mit Warnungen oder Empfehlungen zu Orientierungen zu verhelfen. Soweit die Informationstätigkeit zu lediglich mittelbar-faktischen Beeinträchtigungen von Grundrechten führt, verlangt der Vorbehalt des Gesetzes hierfür keine über die Aufgabe der Staatsleitung hinausgehende besondere Ermächtigung durch den Gesetzgeber (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.12.2005 - 7 C 20.04 -, juris Rn. 27 m.w.N.).
46 
Das ist aber anders dann, wenn das hoheitliche Handeln sich nach seiner Zielsetzung und seinen Wirkungen als Ersatz für eine staatliche Maßnahme darstellt, die als Grundrechtseingriff im herkömmlichen Sinne zu qualifizieren ist. Durch Wahl eines solchen funktionalen Äquivalents eines Eingriffs kann das Erfordernis einer besonderen gesetzlichen Grundlage nicht umgangen werden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.06.2002 - 1 BvR 558/91 -, juris Rn. 62; BVerwG, Urt. v. 15.12.2005, a.a.O. Rn. 28).
47 
Die Aussage des Antisemitismusbeauftragten in den am ... veröffentlichten Tweets „Die Finanzierung von Verschwörungsmythen durch die Wirtschaft muss dringend ein Ende haben.“ ist ein solches funktionales Äquivalent für eine staatliche Maßnahme, die als Grundrechtseingriff im herkömmlichen Sinne zu qualifizieren ist. Dieser ist dadurch gekennzeichnet, dass der Staat zielgerichtet zu Lasten bestimmter Betroffener einen im öffentlichen Interesse erwünschten Erfolg herbeiführen will. Seine Maßnahme muss eindeutig auf einen nachteiligen Effekt abzielen, der bei dem Betroffenen eintreten soll, und darf diesen Effekt nicht lediglich als Begleiterscheinung mit sich bringen (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.12.2005, a.a.O. Rn. 29 m.w.N.).
48 
Mit der Aussage in den am ... veröffentlichten Tweets „Die Finanzierung von Verschwörungsmythen durch die Wirtschaft muss dringend ein Ende haben.“ begnügt sich der Antisemitismusbeauftragte nicht mehr damit, die Öffentlichkeit allgemein für aktuelle Formen des Antisemitismus und Verschwörungsglauben im Internet zu sensibilisieren sowie auf die Finanzströme hinter vermeintlichen antisemitischen Äußerungen und Verschwörungserzählungen hinzuweisen. Vielmehr geht er bei der gebotenen Auslegung der amtlichen Äußerung nach dem objektiven Empfängerhorizont (vgl. BVerfG, Urt. v. 15.06.2022 - 2 BvE 4/20 u.a. -, juris Rn. 138; BVerwG, Beschl. v. 16.07.1993 - 7 B 10.93 -, juris Rn. 3, jeweils m.w.N.) dazu über, die von ihm allgemein angenommenen Gefahren mit Blick auf den Einzelfall der Antragstellerin zu bekämpfen, indem er Wirtschaftsunternehmen dazu aufruft, auf deren Internetseite keinerlei Werbeanzeigen mehr zu schalten. Dieser Bedeutungsgehalt kommt der Aussage „Die Finanzierung von Verschwörungsmythen durch die Wirtschaft muss dringend ein Ende haben.“ vorliegend zu, auch wenn in der Textpassage für sich genommen die Antragstellerin nicht namentlich genannt wird. Denn der Bezug zur Antragstellerin wird hinreichend klar durch das Eingangsstatement in den am ... veröffentlichten Tweets „Dr. B. begrüßte die Entscheidung von @..., nach,Gastbeiträgen‘ des Verschwörungsmythologen #H. nicht länger Werbeanzeigen auf #... zu schalten.“ hergestellt, mit der die Aussage „Die Finanzierung von Verschwörungsmythen durch die Wirtschaft muss dringend ein Ende haben.“ offensichtlich inhaltlich zusammenhängt. Aus Sicht eines verständigen Bürgers zielt der Antisemitismusbeauftragte mit letztgenannter Aussage darauf ab, dass potentielle Werbekunden davon absehen, Werbeanzeigen auf der Internetseite der Antragstellerin zu schalten. Er ermöglicht und fördert damit unter spezifischer Inanspruchnahme der Autorität seines Amts konkrete Schritte gegen die Antragstellerin. Dass Wirtschaftsunternehmen ihre Geschäftsbeziehungen zu der Antragstellerin abgebrochen haben oder zukünftig abbrechen werden, ist mithin kein Nachteil, der nur mehr oder weniger zufällig oder nebenbei als Folge allgemeiner Informationstätigkeit des Antragsgegners eingetreten ist beziehungsweise eintreten wird. Dieser Nachteil ist vielmehr die zwangsläufige Folge der streitigen Aussage „Die Finanzierung von Verschwörungsmythen durch die Wirtschaft muss dringend ein Ende haben.“; diese ist auf dieses Ergebnis gerichtet. Nach ihrem Inhalt und Zweck stellt sie sich als typisches auf den Einzelfall bezogenes Verwaltungshandeln dar, das dem Rechtsgüterschutz durch Bekämpfung angenommener Gefahren dient (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.06.2002 - 1 BvR 558/91 -, juris Rn. 68).
49 
Unerheblich ist, dass die nachteiligen Wirkungen der Aussage in den am ... veröffentlichten Tweets „Die Finanzierung von Verschwörungsmythen durch die Wirtschaft muss dringend ein Ende haben.“ die Antragstellerin erst über das Verhalten von Dritten, nämlich bisheriger oder potentieller Werbepartner, erreicht haben beziehungsweise erreichen werden. Das von dem Antragsgegner mit Aussage verfolgte Handlungsziel fasst den gesamten Geschehensablauf zu einer einheitlichen grundrechtsbeeinträchtigenden Handlung zusammen (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.12.2005, a.a.O. Rn. 31 m.w.N.).
50 
Ebenso wenig kommt es darauf an, ob ein Unternehmen berechtigt ist, die Beziehungen zu der Antragstellerin wegen des tatsächlichen oder vermeintlichen Inhalts von auf ihrer Internetseite veröffentlichten Beiträgen abzubrechen. Die grundrechtlich geschützte Privatautonomie hat regelmäßig andere (weiter gezogene) Schranken, als sie die Grundrechte der Pressefreiheit und Berufsfreiheit sowie das allgemeine (Unternehmens-)Persönlichkeitsrecht staatlichem Handeln setzt. Dass der Antragsgegner erst in Verbindung mit dem privatautonomen Handeln eines Dritten in einen grundrechtlich geschützten Lebensbereich eingreift, entbindet ihn nicht von den Schranken staatlichen Handelns (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.12.2005, a.a.O. Rn. 32).
51 
Mit der weiteren Aussage in den am ... veröffentlichten Tweets „Viele Autoren vertreten rassistische & demokratiefeindliche Positionen.“ hat der Antisemitismusbeauftragte ebenfalls einen rechtswidrigen Zustand geschaffen. Denn mit dieser Äußerung hat er gegen das Sachlichkeitsgebot verstoßen.
52 
Anders als in der Rolle als Privatperson, in der er das uneingeschränkte Recht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG hat und sich insoweit im politischen Meinungskampf äußern und für seine Ansichten werben darf, unterliegt der Antisemitismusbeauftragte des Antragsgegners bei Äußerungen in dieser Eigenschaft gewissen Beschränkungen: Während Tatsachenbehauptungen in der Regel zulässig sind, wenn sie bei objektiver Überprüfung zutreffen, müssen sich Werturteile von Hoheitsträgern an allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen, vor allem an dem Willkürverbot und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, messen lassen. Werturteile und Meinungsäußerungen von Hoheitsträgern unterliegen danach insbesondere dem Sachlichkeitsgebot, das verlangt, dass die getätigte Äußerung in einem konkreten Bezug zur Erfüllung der hoheitlichen Aufgaben des Äußernden steht, auf einem im Wesentlichen zutreffenden oder zumindest sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern beruht und den sachlich gebotenen Rahmen nicht überschreitet (vgl. BVerfG, Beschl. v. 15.08.1989 - 1 BvR 881/89 -, juris Rn. 15; BVerwG, Beschl. v. 11.11.2010 - 7 B 54.10 -, juris Rn. 14). Für die Verhältnismäßigkeit staatlicher Äußerungen spielt es eine erhebliche Rolle, in welchem Kontext die Äußerungen fallen und auf genau welche Fragstellungen sie reagieren. So wäre beispielsweise bei einer Äußerung in einem sozialen Medium, das auf starke Vereinfachung und Verkürzung zielt, eine pointiertere und gröbere Zuspitzung zulässig als in einem ausstellungsbegleitenden wissenschaftlich kuratierten Katalog (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 08.09.2020 - 1 BvR 987/20 -, juris Rn. 12). Hingegen steht eine Beeinträchtigung der Chancengleichheit politischer Parteien vorliegend nicht in Rede, weshalb der Antisemitismusbeauftragte – entgegen der Auffassung der Antragstellerin – nicht an das aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG abgeleitete Neutralitätsgebot (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 13.09.2017 - 10 C 6/16 -, juris Rn. 24 m.w.N.) gebunden ist.
53 
Ausgehend von diesen Maßstäben überschreitet die Aussage in den am ... veröffentlichten Tweets „Viele Autoren vertreten rassistische & demokratiefeindliche Positionen.“ den Rahmen des sachlich Gebotenen. Dabei kann dahinstehen, ob die Äußerung noch in einem konkreten Bezug zur Erfüllung der hoheitlichen Aufgaben des Antisemitismusbeauftragten steht, die in dem Landtagsbeschluss vom 07.03.2018 schwerpunktmäßig dahingehend beschrieben werden, dass er ressortübergreifend die Maßnahmen der Landesregierung zur Bekämpfung des Antisemitismus koordiniert, Ansprechpartner für Belange jüdischer Gruppen und gesellschaftlicher Organisationen sowie Ansprechpartner und Vermittler für Antisemitismusbekämpfung durch Bund, Länder und Zivilgesellschaft ist, in einer ständigen Bund-Länder-Kommission mit Vertretern der zuständigen Stellen mitwirkt und die Gesellschaft für aktuelle und historische Formen des Antisemitismus durch Öffentlichkeitsarbeit sowie politische und kulturelle Bildung sensibilisiert (vgl. LT-Drs. 16/4754, S. 1, 4 f.). Denn jedenfalls vermag die Kammer, gemessen an den Erkenntnismöglichkeiten des gerichtlichen Eilverfahrens, nicht festzustellen, dass die Werturteile, Autoren, die Beiträge auf der Internetseite der Antragstellerin veröffentlichen, würden „rassistische“ oder „demokratiefeindliche“ Positionen vertreten, auf einem im Wesentlichen zutreffenden oder zumindest sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern beruhten.
54 
Bei beiden Zuschreibungen handelt es sich um Werturteile beziehungsweise Meinungsäußerungen, nicht hingegen um Tatsachenbehauptungen, denn es ist nicht durch eine Beweiserhebung festzustellen, wann ein Beitrag „rassistisch“ oder „demokratiefeindlich“ ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.09.2012 - 1 BvR 2979/10 -, juris Rn. 27). Das Erfordernis des Vorliegens sachlicher Anhaltspunkte bedeutet, dass bloße Vermutungen oder ein bloßer Verdacht nicht ausreichen, sondern konkrete und in gewissem Umfang verdichtete Umstände als Tatsachenbasis vorliegen müssen (vgl. BayVGH, Beschl. v. 25.10.2017 - 5 ZB 17.340 -, juris Rn. 29). Vorliegend fehlt es an ausreichenden sachlichen Anhaltspunkten dafür, dass der Antisemitismusbeauftragte die Meinung vertreten und äußern darf, dass Autoren, die Beiträge auf der Internetseite der Antragstellerin veröffentlichen, „rassistische“ oder „demokratiefeindliche“ Positionen vertreten. Der Antragsgegner hat keine derartigen Anhaltspunkte benannt. Insbesondere gehen sie nicht aus den von ihm im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Beiträgen hervor, die ausweislich der Antragserwiderungsschrift vom 25.07.2022 (lediglich) belegen sollen, dass die Antragstellerin häufig als rechtspopulistisch, antisemitisch und islamophob eingeordnet werde, dass Prof. Dr. H. Verschwörungsmythen und antisemitisches Gedankengut verbreite, dass die Antragstellerin in verschiedenen Beiträgen den Antisemitismusbeauftragten wiederholt verunglimpft habe, und dass Autoren der Antragstellerin sich regelmäßig mit dem Zentralrat der Juden beschäftigten und in diesem Zusammenhang Verschwörungsmythen verbreiteten. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass Autoren, die Beiträge auf der Internetseite der Antragstellerin veröffentlichen, „rassistische“ oder „demokratiefeindliche“ Positionen vertreten, sind auch nicht aus öffentlich zugänglichen Quellen allgemeinkundig (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 31.01.1992 - 8 C 78/89 -, juris Rn. 27 m.w.N.).
55 
Die Antragstellerin hat auch die Gefahr einer Wiederholung der rechtswidrigen Aussagen des Antisemitismusbeauftragten „Viele Autoren vertreten rassistische & demokratiefeindliche Positionen.“ und „Die Finanzierung von Verschwörungsmythen durch die Wirtschaft muss dringend ein Ende haben.“ zu besorgen.
56 
Dass weitere Eingriffe drohen, kann regelmäßig angenommen werden, wenn bereits eine Beeinträchtigung stattgefunden hat. Denn im Regelfall wird die Behörde ihre Maßnahmen für rechtmäßig halten und keinen Anlass sehen, von diesen Abstand zu nehmen (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.12.2005, a.a.O. Rn. 34). Vorliegend hat der Antragsgegner in der Antragserwiderungsschrift vom 25.07.2022 ausdrücklich erklärt, dass er nicht bereit sei, dem Unterlassungsbegehren auch nur für die Dauer des gerichtlichen Eilverfahrens nachzukommen, da hierdurch die Arbeit des Antisemitismusbeauftragten beeinträchtigt werde. Der Antisemitismusbeauftragte selbst erklärte bereits am ... auf dem Kurznachrichtendienst Twitter in mehreren Tweets, dass er sich von dem rechtlichen Vorgehen der Antragstellerin gegen seine Aussagen in den Tweets vom ... „nicht einschüchtern und nicht einmal von [seiner] Arbeit ablenken lassen, sondern auch Öffentlichkeit und Parlament über den andauernden Rechtsmissbrauch durch SLAPP-Methoden informieren“ werde. Es ist daher nicht auszuschließen, dass der Antisemitismusbeauftragte die beanstandeten Äußerungen wiederholen wird.
57 
Die Antragstellerin hat, soweit hinsichtlich der Aussagen des Antisemitismusbeauftragten in den Tweets vom ... „Viele Autoren vertreten rassistische & demokratiefeindliche Positionen.“ und „Die Finanzierung von Verschwörungsmythen durch die Wirtschaft muss dringend ein Ende haben.“ ein Anordnungsanspruch besteht, auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 ZPO). Die Entscheidung ist eilbedürftig, weil der Antragsgegner nicht bereit ist, die streitgegenständlichen Äußerungen (einstweilen) zu unterlassen. Die Antragstellerin hätte daher ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang die Rechtsverletzung bis auf Weiteres hinzunehmen.
58 
Dem aufgrund des Vorliegens von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund hinsichtlich der Aussagen des Antisemitismusbeauftragten in den Tweets vom ... „Viele Autoren vertreten rassistische & demokratiefeindliche Positionen.“ und „Die Finanzierung von Verschwörungsmythen durch die Wirtschaft muss dringend ein Ende haben.“ gebotenen Erlass einer einstweiligen Anordnung kann der Antragsgegner schließlich nicht mit Erfolg entgegenhalten, dem Erlass stehe das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache entgegen. Denn ohne einstweilige Anordnung wäre dem Gebot, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (Art. 19 Abs. 4 GG), nicht genügt. Ohne eine entsprechende gerichtliche Anordnung würde der Unterlassungsanspruch der Antragstellerin nämlich vereitelt, weil ein späterer Erfolg im Hauptsacheverfahren die in der Zwischenzeit erfolgte Rechtsverletzung nicht mehr ausgleichen könnte.
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Hingegen fehlt es hinsichtlich der weiteren Aussagen in den am ... veröffentlichten Tweets des Antisemitismusbeauftragten „Dr. B. begrüßte die Entscheidung von @..., nach,Gastbeiträgen‘ des Verschwörungsmythologen #H. nicht länger Werbeanzeigen auf #... zu schalten“ und „Auch der @ZentralratJuden, meine Familie & ich sind über dieses Portal oft persönlich verhöhnt, ja angegriffen worden“ mangels Vorliegens der Voraussetzungen des Unterlassungsanspruchs an einem Anordnungsanspruch, weshalb der Erlass einer einstweiligen Anordnung insoweit ausscheidet. Beide Äußerungen weisen ohne Weiteres einen konkreten Bezug zur Erfüllung der hoheitlichen Aufgabe des Antisemitismusbeauftragten, die Gesellschaft für aktuelle Formen des Antisemitismus durch Öffentlichkeitsarbeit zu sensibilisieren, auf und verletzen weder das Sachlichkeitsgebot noch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
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Die Aussage „Auch der @ZentralratJuden, meine Familie & ich sind über dieses Portal oft persönlich verhöhnt, ja angegriffen worden“ enthält mehrere Meinungsäußerungen des Antisemitismusbeauftragten, die auf einem im Wesentlichen zutreffenden Tatsachenkern beruhen und sich infolgedessen im Rahmen des sachlich Gebotenen halten. Der Antragsgegner hat insoweit verschiedene auf der Internetseite der Antragstellerin veröffentlichte Beiträge vorgelegt, in denen der Zentralrat der Juden und das Amt des Antisemitismusbeauftragten beziehungsweise dessen Amtswalter diskreditiert werden. So heißt es zum einen in den Beiträgen „...“, „...“ und „...“, dass „die Machthabenden im wiedervereinigten Deutschland ein Ersatzjudentum, [das heißt] ein staatlich finanziertes und der Politik unterstelltes Attrappe-Judentum ohne Religion und praktisch ohne Juden [aufgebaut]“ hätten, dass „[d]as von der Bundesregierung gezahlte Geld (…) der Zentralrat für sich und seine Selbstdarstellung, für den Unterhalt seines Apparats und seiner Funktionäre [verbrauche]“, und dass „J. S. und Kompagnons nicht die Sprecher der Juden in Deutschland [sind], sondern von der Bundesregierung bezahlte Funktionäre zum Vortäuschen eines aktiven jüdischen Lebens, das sie selbst unterdrücken“. Zum anderen werden der Antisemitismusbeauftragte beziehungsweise der Amtswalter Dr. B. bereits in den Überschriften mehrerer Beiträge abwertend als „...“ oder „...“ bezeichnet und wird ihm in dem Beitrag „...“ dezidiert die Kompetenz zur Amtsausübung abgesprochen („B. hat sich einiges Wissen angelesen, trotzdem hat er vom Antisemitismus keine oder gerade so viel Ahnung, wie ein Biologe haben muss, um eine Pusteblume von einer Orchidee zu unterscheiden. Er ist ein dilettierender, wichtigtuerischer Amateur, der sich selbst bewundert.“). Es sind daher ausreichende sachliche Anhaltspunkten dafür vorhanden, dass der Antisemitismusbeauftragte die Meinung vertreten und äußern darf, dass der Zentralrat der Juden und er selbst in Beiträgen auf der Internetseite der Antragstellerin „persönlich verhöhnt, ja angegriffen worden“ sind. Die als Reaktion im Rahmen eines politischen Meinungskampfes anzusehende Aussage ist zudem in ihrer Wortwahl nicht polemisch oder diffamierend, sondern beschränkt sich auf die Mitteilung einer Bewertung des Antisemitismusbeauftragten, die dieser auf der Grundlage der von dem Antragsgegner vorgelegten Beiträge getroffen hat. Auch für einen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist daher insoweit nichts erkennbar.
61 
Was die Aussage „Dr. B. begrüßte die Entscheidung von @..., nach, Gastbeiträgen‘ des Verschwörungsmythologen #H. nicht länger Werbeanzeigen auf #... zu schalten“ angeht, trifft die darin enthaltene Tatsachenbehauptung, die A. habe entschieden, keine Werbeanzeigen mehr auf der Internetseite der Antragstellerin zu schalten, nach dem Erkenntnisstand der Kammer im Zeitpunkt ihrer Entscheidung sachlich zu. Die Gesellschafter der Antragstellerin haben in dem von dem Antragsgegner vorgelegten, am 29.06.2022 um 06:05 Uhr auf der Internetseite der Antragstellerin veröffentlichten Artikel „...“ selbst mitgeteilt, dass seit dem 23.06.2022 über T. keinerlei Werbung, also auch keine Werbeanzeigen von A. mehr ausgespielt wurden. Dass dem eine bewusste Entscheidung der A. zugrunde lag, geht hinreichend deutlich aus dem in dem Artikel mitgeteilten E-Mail-Verkehr der Antragstellerin mit der A. und T. hervor. Darin wird einerseits mitgeteilt, dass sich die A. „[e]ine Prüfung des Mediums [,] auf dem Anzeigen für unser Unternehmen ausgespielt werden, [vorbehalte]“ (E-Mail der Social-Media-Abteilung der A. v. 16.06.2022), andererseits, dass T. „von unserem Premium-Advertiser (…) starke Beschwerden zur Polarität und Kontroversität der Inhalte von ... erhalten“ habe und nach einer Prüfung „zu dem Schluss [kam], dass die auf ... veröffentlichten Inhalte des Publisher-Richtlinien von T. nicht entsprechen“ und „[i]nfolgedessen die Partnerschaft zwischen ... und T. beendet werden [müsse]“ (E-Mail v. 23.06.2022). Hieraus kann hinreichend sicher der Rückschluss gezogen werden, dass die A. entschieden hat, keine Werbeanzeigen mehr auf der Internetseite der Antragstellerin zu schalten.
62 
Die weitere in der Aussage enthaltene Tatsachenbehauptung, dass der Entscheidung der A. Gastbeiträge von Prof. Dr. H. auf der Internetseite der Antragstellerin zeitlich vorauslagen, ist ebenfalls sachlich zutreffend. Denn nach dem eigenen Sachvortrag der Antragstellerin im Schriftsatz vom 01.08.2022 hat Prof. Dr. H. zwischen dem 22.04.2020 und 09.06.2022 insgesamt fünf Artikel auf ihrer Internetseite veröffentlicht. Dass der Antisemitismusbeauftragte in seinem Tweet vom ... das Wort „Gastbeitrag“ in Anführungszeichen gesetzt hat, stellt insoweit lediglich eine pointierte Hervorhebung der Stellung von Prof. Dr. H. als Gastautor der Antragstellerin dar, die bei Nutzung eines sozialen Mediums wie des auf starke Vereinfachung und Verkürzung zielenden Kurznachrichtendienstes Twitter die Ebene eines sachlichen, rationalen Diskurses nicht verlässt.
63 
Des Weiteren hält sich das dem Gastautor der Antragstellerin Prof. Dr. H. in dem Tweet des Antisemitismusbeauftragten vom ... zugeschriebene Werturteil „Verschwörungsmythologe“ im Rahmen des sachlich Gebotenen. Denn es beruht auf einem im Wesentlichen zumindest sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern. Der Antragsgegner hat mit dem Antragserwiderungsschriftsatz vom 25.07.2022 unter anderem den auf der Internetseite „....de“ veröffentlichten Beitrag vom 23.06.2021 „Antisemitismusbeauftragter B.: H. verbreitet antisemitischen Verschwörungsmythos“ vorgelegt, in dem der Antisemitismusbeauftragte ausführlich darlegt, dass und weshalb nach seinem Dafürhalten Prof. Dr. H. auf dem Kurznachrichtendienst Twitter Verschwörungsmythen verbreitet. Unter anderem habe Prof. Dr. H. getwittert, dass alle Twitter-Nutzer, die mithilfe eines roten Bildes für eine No-Covid-Strategie werben würden, einer Ideologie des Transhumanismus angehörten, für eine „Corona- und Ökodiktatur“ seien und von superreichen Eliten, darunter WEF-Gründer Klaus Schwab, Bill Gates und der jüdische Milliardär George Soros, bezahlt würden; dies sei die Blaupause einer antisemitischen Verschwörungserzählung. Diesen Ausführungen ist die Antragstellerin nicht entgegengetreten. Damit liegen ausreichende sachliche Anhaltspunkten dafür vor, dass der Antisemitismusbeauftragte die Meinung vertreten und auf dem Kurznachrichtendienst Twitter pointiert und zugespitzt äußern darf, Prof. Dr. H. sei ein „Verschwörungsmythologe“.
64 
Schließlich ist es mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar, dass der Antisemitismusbeauftragte in seinem Tweet vom ... die Entscheidung der A., keine Werbeanzeigen mehr auf der Internetseite der Antragstellerin zu schalten, „begrüßt“. Mit der legitimen Aufgabenwahrnehmung durch den Antisemitismusbeauftragten des Antragsgegners kann im Einzelfall auch die Befugnis verbunden sein, dass der Öffentlichkeitsarbeit zugrundeliegende Konzept, für aktuelle Formen des Antisemitismus zu sensibilisieren und Verschwörungsglauben im Internet und in den sozialen Medien sichtbar zu machen, durch Äußerungen, die auch Dritte betreffen, zu bestätigen oder zu verteidigen. Dazu kann auch das Recht gehören, zu einzelnen Verhaltensweisen Dritter urteilend Stellung zu nehmen, wenn und soweit der Aufgabenbereich des Antisemitismusbeauftragten betroffen ist; eine Bindung an ein irgendwie geartetes Neutralitätsgebot besteht insoweit nicht (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 17.08.2010 - 1 BVR 2585/06 -, juris Rn. 23 f.). Der Antisemitismusbeauftragte darf sich daher auch lobend zu den Werbeaktivitäten eines Wirtschaftsunternehmens äußern, wenn dies – wie hier – auf hinreichender Tatsachenbasis sachbezogen mit dem legitimen Ziel erfolgt, die Finanzierung der Verbreitung von Verschwörungsmythen auf der Internetseite eines Medienunternehmens aufzudecken und die Ebene eines sachlichen, rationalen Diskurses – auch in der Wortwahl – nicht verlassen wird.
65 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
66 
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und 2 GKG. Wegen der zumindest teilweisen Vorwegnahme der Hauptsache sieht die Kammer in Orientierung an Nummer 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 von einer Reduzierung des Auffangwerts ab (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 22.01.2020 - 9 S 2797/19 -, juris Rn. 29).

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