Urteil vom Verwaltungsgericht Trier (Disziplinarkammer) - 4 K 720/12.TR
Tenor
Die Disziplinarverfügung vom 2. Mai 2012 und der Widerspruchsbescheid vom 27. Juni 2012 werden aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldnerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Zahlung einer Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckungsfähigen Betrages abzuwenden, wenn nicht zuvor der Vollstreckungsgläubiger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der am ... 1957 in ... geborene Kläger, der bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand zum ... 2013 als ... im Dienst der Beklagten stand, wendet sich gegen eine Disziplinarverfügung, mit der ihm eine Geldbuße in Höhe von 3.500,- Euro auferlegt wird.
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Aufgrund diverser Vorfälle beantragte der Kläger unter dem 31. Januar 2011 bei seinem höchsten Dienstvorgesetzten die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen sich selbst. Am 11. März 2011 leitete das ... gegen den Beamten ein Disziplinarverfahren ein mit dem Vorwurf, er habe gegen seine Pflicht, dienstlichen Anordnungen und Weisungen Folge zu leisten, sowie gegen seine allgemeine Wohlverhaltenspflicht verstoßen.
- 3
Unter dem 15. März 2011 wurde der Kläger über die Einleitung des Disziplinarverfahrens in Kenntnis gesetzt. Er wurde über seine Rechte belehrt und ihm wurde Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt. Das Bundesministerium ... lehnte mit Schreiben vom 5. April 2011 ein Begehren des Klägers auf Übernahme des Disziplinarverfahrens in eigener Zuständigkeit ab. Nachfolgend gestellte Befangenheits- und Beweisanträge wurden unter anderem mit Schreiben vom 9. September 2011 und 14. September 2011 abgelehnt. Ein am 21. Oktober 2011 beim erkennenden Gericht gestellter Antrag auf Fristsetzung nach § 62 Bundesdisziplinargesetz wurde mit Beschluss vom 28. November 2011 (4 L 1387/11.TR) abgelehnt.
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Das am 30. Dezember 2011 erstellte wesentliche Ergebnis der Ermittlungen wurde dem Kläger mit Schreiben vom 30. Januar 2012 zur Kenntnis gegeben. Dem Kläger wurde Gelegenheit gegeben, sich abschließend zu äußern. Hiervon machte er nachfolgend unter dem 14. Februar 2012 umfassend Gebrauch.
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Mit Verfügung vom 2. Mai 2012 wurde gegen den Beamten eine Geldbuße in Höhe von 3.500,- Euro verhängt. Ihm wird zum Vorwurf gemacht, gegen seine Folgepflicht sowie gegen die allgemeine Wohlverhaltenspflicht verstoßen zu haben, indem er am ... 2010 entgegen der Weisung des ... und ohne Einhaltung des Dienstwegs Staatssekretär Dr. ... berichtet und dabei zu den Führungsweisungen der Leitung des ... abträgliche Bewertungen abgegeben habe, wobei er den Sachverhalt zum Teil unvollständig bzw. unzutreffend wiedergegeben habe. Zudem habe er am ... 2010 außerhalb seiner Zuständigkeit und erneut ohne Einhaltung des Dienstweges zur Information Staatssekretär Dr. ... in Kopie an dessen Büro berichtet und dabei erneut die Amtsführung der Leitung des ... in herabsetzender Form bewertet. Schließlich habe er am ... 2011 wiederum außerhalb seiner Zuständigkeit ohne Einhaltung des Dienstwegs dem Hauptabteilungsleiter ... berichtet und dort ebenfalls die Amtsführung der Leitung des ... negativ bewertet. Unter Abwägung aller für und gegen den Kläger sprechenden Umstände sei die Verhängung einer Geldbuße in Höhe von 3.500,- Euro angemessen, aber auch ausreichend, um ihn zukünftig zu ordnungsgemäßem Verhalten anzuhalten.
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Hiergegen legte der Kläger fristgerecht Widerspruch ein, der mit Bescheid vom 27. Juni 2012 zurückgewiesen wurde. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass nach erneuter Überprüfung der Sach- und Rechtslage die Recht- und Zweckmäßigkeit der Disziplinarverfügung vom 2. Mai 2012 vollumfänglich bestätigt werde. Erneute oder weitergehende Ermittlungen seien mangels diesbezüglicher Anhaltspunkte nicht geboten.
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Am 5. Juli 2012 hat der Kläger fristgerecht die vorliegende Klage erhoben, mit er sich weiterhin gegen die Disziplinarverfügung wendet. Er vertritt die Auffassung, ihm könne ein Dienstvergehen nicht vorgeworfen werfen. Es sei vielmehr die Beklagte, die ihn in nicht hinnehmbarer Weise in seinen Rechten verletzt habe. Dies nicht nur durch die Disziplinarverfügung, sondern auch dadurch, dass ihm die Führung der Dienstgeschäfte des ihm übertragenen konkret-funktionalen Amtes des Abteilungsleiters „...“ verboten und er schlichtweg durch Zuweisung einer vermeintlichen „Sonderaufgabe“, die selbstverständlich nicht amtsangemessen gewesen sei, „kaltgestellt“ worden sei. Hiermit habe die Beklagte faktisch eine weitere Disziplinarmaßnahme vollzogen.
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Der Kläger beantragt,
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die Disziplinarverfügung vom 2. Mai 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2012 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Unter Verweis auf die streitgegenständlichen Verfügungen trägt die Beklagte ergänzend vor, eine Maßnahme nach § 66 Bundesbeamtengesetz sei gegen den Kläger nicht ausgesprochen worden. Seine Argumentation im Disziplinarverfahren zeige, dass er insgesamt versucht habe, gegen die eindeutige Weisungslage der Vorgesetzten seine persönlichen Vorstellungen durchzusetzen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zur Gerichtskate gereichten Schriftsätze sowie auf die Verwaltungs- und Widerspruchsakten, ebenso wie auf die Personalakten verwiesen. Diese lagen dem Gericht vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig und führt in der Sache auch zum Erfolg. Die Disziplinarverfügung ist aufzuheben, da gegen den zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bereits in den Ruhestand versetzten Kläger nach § 5 Abs. 2 Bundesdisziplinargesetz – BDG - die verhängte Disziplinarmaßnahme nicht mehr zulässig ist.
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Anders als sonst bei einer Anfechtungsklage ist das Verwaltungsgericht bei einer Klage gegen eine Disziplinarverfügung nicht nach § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO - darauf beschränkt, eine rechtswidrige Verfügung aufzuheben. Vielmehr prüft das Gericht nach § 60 Abs. 3 BDG neben der Rechtmäßigkeit auch die Zweckmäßigkeit der Entscheidung. Mithin ist die Prüfungskompetenz nicht nur auf die Frage beschränkt, ob das dem Kläger mit der Disziplinarverfügung zum Vorwurf gemachte Verhalten (Lebenssachverhalt) tatsächlich vorliegt und als Dienstvergehen zu würdigen ist, sondern sie umfasst auch die Kompetenz unter Beachtung des Verschlechterungsverbots darüber zu entscheiden, welches die angemessene Disziplinarmaßnahme ist. Es trifft in Anwendung der in § 13 Abs. 1 BDG niedergelegten Grundsätze innerhalb der durch die Verfügung vorgegebenen Obergrenze in Gestalt der konkret verhängten Disziplinarmaßnahme vielmehr eine eigene Ermessensentscheidung (Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, Kommentar, § 60, Rdnr. 23).
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Nach § 13 BDG entscheidet das Gericht unter umfassender Berücksichtigung der Schwere des Dienstvergehens, des Persönlichkeitsbildes des Beamten sowie der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit über die zu verhängende Disziplinarmaßnahme. Eine Beschränkung der Recht- und Zweckmäßigkeitskontrolle auf den Zeitpunkt des Erlasses der Disziplinarverfügung ist mit dem Gebot, eine Würdigung aller Gesichtspunkte nach den Grundsätzen des § 13 Abs. 1 BDG zu treffen, unvereinbar (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19. September 2007, 21 dA 3600/06.O – juris -). Demzufolge hat das Gericht in seine Entscheidung auch einzustellen, ob ein Dienstvergehen zwar erwiesen ist, die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme jedoch nicht angezeigt erscheint. Ebenso sind Entwicklungen nach Erlass der Disziplinarverfügung und damit auch die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung hinsichtlich der materiell-rechtlichen Regelung des § 5 Abs. 2 BDG zu berücksichtigen (vg. OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O.; Weiss, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, Kommentar, § 60, Rdnr. 127, m.w.N. aus der Rspr.).
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Vorliegend ist der Kläger zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung kein aktiver Beamter mehr, so dass der Anwendungsbereich des § 5 Abs. 2 BDG zugrunde zu legen ist. Nach Maßgabe dieser Vorschrift sind Disziplinarmaßnahmen gegen Ruhestandsbeamte nur die Kürzung und die Aberkennung des Ruhegehalts, nicht aber die hier verhängte Geldbuße. Da nach dem Grundsatz der reformatio in peius eine Verschlechterung des Klägers im Klageverfahren von vorneherein ausscheidet, mithin das Gericht der Höhe nach an die verhängte Geldbuße gebunden ist, ist die Disziplinarverfügung bereits wegen Unzulässigkeit der Verhängung der ausgesprochenen – oder aber auch einer noch geringeren - Disziplinarmaßnahme aufzuheben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 BDG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils folgt aus § 3 BDG in Verbindung mit §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Gründe, die Berufung zuzulassen, sind nicht gegeben (§§ 124, 124a VwGO).
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Referenzen
- VwGO § 124 1x
- BDG § 5 Arten der Disziplinarmaßnahmen 2x
- VwGO § 154 1x
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- ZPO § 167 Rückwirkung der Zustellung 1x
- 4 L 1387/11 1x (nicht zugeordnet)
- BDG § 13 Bemessung der Disziplinarmaßnahme 3x
- VwGO § 124a 1x
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- 21 dA 3600/06 1x (nicht zugeordnet)
- BDG § 3 Ergänzende Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes und der Verwaltungsgerichtsordnung 1x
- BDG § 77 Kostentragung und erstattungsfähige Kosten 1x
- BDG § 60 Mündliche Verhandlung, Entscheidung durch Urteil 1x