Der Kläger gibt an, am … in der Provinz Parwan geboren zu sein. Er sei afghanischer Staatsangehöriger tadschikischer Volks- und sunnitischer Glaubenszugehörigkeit. Er habe sein Heimatland nach dem achten Lebensjahr mit seinem Bruder und dessen Familie in den Iran verlassen und sei danach nicht mehr dorthin zurückgekehrt. Den Iran habe er mit dem Bruder am 25. August 2015 verlassen und sei dann etwa im November 2015 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, wo er am 17. Mai 2016 einen Asylantrag gestellt hat.
Im Rahmen seiner Anhörung vor dem Bundesamt für ... (im Folgenden: Bundesamt) am 17. Januar 2017 gab der Kläger an, im Heimatland die Schule bis zur zweiten Klasse besucht zu haben, wovon jedoch nicht einmal ein Jahr Unterricht stattgefunden habe. Einen Beruf habe der Kläger nicht gelernt und habe ihm Iran nicht gearbeitet. Die Fluchtkosten habe sein Bruder getragen. Im Heimatland lebten noch seine Eltern sowie vier Geschwister, vier Onkel und acht Tanten. Die Eltern lebten in einem Haus, das Eigentum des Vaters sei. Dieser habe landwirtschaftliche Grundstücke verpachtet; er sei behindert. Zu seinen Fluchtgründen führte der Kläger an, dass er nach Afghanistan nicht zurück könne, da die Lage dort unsicher sei und Krieg herrsche; sein Vater sei durch eine Verletzung aufgrund einer Mine behindert. Er wisse nicht, was er dort machen könne. Es bestünde auch die Gefahr, dort als Junge vergewaltigt zu werden. Im Iran sei der Kläger aufgrund seiner Volks- und Religionszugehörigkeit beleidigt und geschlagen worden.
Mit Bescheid des Bundesamtes vom 31. Januar 2017 wurde die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt (Ziffer 1), der Antrag auf Asylanerkennung abgelehnt (Ziffer 2), der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt (Ziffer 3) und festgestellt dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Der Kläger wurde zur Ausreise innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens aufgefordert; für den Fall der Nichtbefolgung wurde ihm die Abschiebung nach Afghanistan angedroht (Ziffer 5). Das gesetzliche Einreise und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 15 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 6). Zur Begründung wurde vorgetragen, dass der Kläger keine persönlich gegen ihn gerichteten Verfolgungshandlungen vorgetragen habe. Soweit er auf die Furcht vor Missbrauch und Krieg abstelle, werde keiner der Verfolgungsgründe nach § 3b AsylG verwirklicht. Auch die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus scheide aus hinsichtlich der Befürchtung, als Selbstmordattentäter oder Tanzjunge missbraucht zu werden; hierfür habe der Kläger keine realen Anhaltspunkte vorgetragen. Abschiebungsverbote könnten ebenfalls nicht festgestellt werden. Der langjährige Aufenthalt im Iran führe zu keiner anderen Einschätzung. Allein maßgeblich sei insoweit, dass der Kläger den größten Teil seines Lebens in einer islamisch geprägten Umgebung verbracht habe und eine der beiden Landessprachen spreche. In Afghanistan lebten noch seine Eltern, vier Geschwister und zahlreiche Verwandte. Es sei nicht ersichtlich, dass diese den Kläger landesuntypisch von Unterhalt und Unterstützung ausschließen sollten. Es existierten Wohnung und Grundeigentum bei den Eltern und es sei davon auszugehen, dass die Eltern ihr minderjähriges Kind wieder zu Hause aufnehmen.
Gegen den Bescheid ließ der Kläger am 16. Februar 2017 Klage erheben.
Mit Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 20. Juni 2018 wurde u.a. vortragen, dass die Eltern zusammen mit den jüngeren Geschwistern vor etwa 5-6 Monaten Afghanistan verlassen hätten und in den Iran gegangen seien. Es treffe nicht zu, dass das Haus in Afghanistan seinem Vater gehört habe.
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger seine Klage insoweit zurücknehmen lassen, als er beantragt hatte, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen sowie hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Diesbezüglich wurde das Verfahren abgetrennt und unter dem Az. W 1 K 18.31435 eingestellt.
Der Kläger ließ zuletzt beantragen,
die Beklagte zu verpflichten, bei dem Kläger unter entsprechender Aufhebung des Bundesamtsbescheides vom 31. Januar 2017 ein nationales Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen.
Mit Schreiben der Beklagten vom 22. Februar 2017 wurde beantragt,
die Klage abzuweisen.
Durch Beschluss des Gerichts vom 26. April 2018 wurde der Rechtsstreit auf den Einzelrichter übertragen.
Zum Gegenstand des Verfahrens wurde die Erkenntnismittelliste zu Afghanistan, Stand: Juli 2018, gemacht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 17. Juli 2018, sowie der vorgelegten Behördenakte verwiesen.
Die zulässige Klage, über die in Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten verhandelt und entschieden werden konnte (§ 102 Abs. 2 VwGO) ist - soweit sie noch Gegenstand dieses Verfahrens ist - begründet, da der Kläger einen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Afghanistan hat. Der streitgegenständliche Bescheid vom 31. Januar 2017 ist aufzuheben, soweit er dem entgegensteht (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Der Kläger hat einen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG aufgrund seiner Minderjährigkeit und der in Afghanistan herrschenden prekären Lebensumstände.
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) unzulässig ist. Einschlägig ist hier Art. 3 EMRK, wonach niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden darf. Das wäre beim Kläger der Fall, wenn er nach Afghanistan zurückkehren müsste. Der Kläger muss befürchten, aufgrund der dortigen Lage unter Berücksichtigung seiner individuellen Situation einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Zwar macht der Kläger nicht geltend, dass ihm näher spezifizierte, konkrete Maßnahmen drohen würden, sondern beruft sich auf die allgemein schlechte Lage in seinem Heimatland in Kombination mit einer schwerwiegenden Erkrankung. Die zu erwartenden schlechten Lebensbedingungen und die daraus resultierenden Gefährdungen weisen im vorliegenden Einzelfall jedoch eine Intensität auf, dass auch ohne konkret drohende Maßnahmen von einer unmenschlichen Behandlung auszugehen ist (vgl. etwa BayVGH, U.v. 23.3.2017 - 13a B 17.30030 - juris; U.v. 21.11.2014 - 13a B 14.30284, B.v. 11.01.2017 - 13a ZB 16.30878).
Der Schutzbereich des § 60 Abs. 5 AufenthG ist auch bei einer allgemeinen, auf eine Bevölkerungsgruppe bezogenen Gefahrenlage eröffnet (BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - juris; BayVGH v. 21.11.2014, a.a.O., juris Rn. 16 ff.). Es ist hierbei in Bezug auf den Gefährdungsgrad das Vorliegen eines sehr hohen Niveaus erforderlich, denn nur dann liegt ein außergewöhnlicher Fall vor, in dem die humanitären Gründe gegen eine Ausweisung „zwingend“ sind. Wenn das Bundesverwaltungsgericht (a.a.O.) die allgemeine Lage in Afghanistan nicht als so ernst einstuft, dass ohne weiteres eine Verletzung des Art. 3 EMRK angenommen werden könne, weist dies ebenfalls auf die Notwendigkeit einer besonderen Ausnahmesituation hin (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014, a.a.O. Rn. 19). Eine solche ist jedoch bei dem Kläger gegeben.
Die aktuelle Lage in Afghanistan und Kabul stellt sich wie folgt dar:
Das Auswärtige Amt führt in seinem Lagebericht vom 31. Mai 2018 aus, dass Afghanistan trotz der Verbesserung der Lebensbedingungen für viele Afghanen in den letzten 15 Jahren weiterhin eines der ärmsten Länder der Welt sei und trotz Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, erheblicher Anstrengungen der Regierung und kontinuierlicher Fortschritte im Jahr 2016 lediglich Rang 169 von 188 im Human Development Index belegt habe. Die wirtschaftliche Entwicklung bleibe geprägt von den Nachwirkungen des Abzugs bis 2014 in größerer Zahl präsenter internationaler Truppen, die schwierige Sicherheitslage sowie schwacher Investitionstätigkeit. Zugleich gebe es erhebliche Bemühungen internationaler Partner zur Wirtschaftsbelebung. In 2017 habe das Wirtschaftswachstum 2,6% betragen. Ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum scheine kurzfristig nicht in Sicht. Rund 39% der Bevölkerung lebe unterhalb der Armutsgrenze. Die Grundversorgung sei für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, was für Rückkehrer naturgemäß verstärkt gelte. Dabei bestehe ein eklatantes Gefälle zwischen urbanen Zentren wie z.B. Kabul und ländlichen Gebieten Afghanistans. Das rapide Bevölkerungswachstum von rund 2,4% im Jahr (d.h. Verdopplung der Bevölkerung innerhalb einer Generation) sowie die große Zahl der Binnenvertriebenen und Rückkehrer aus den Nachbarländern stelle eine weitere Herausforderung für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes dar. Die Schaffung von Arbeitsplätzen bleibe eine zentrale Herausforderung. Nach Angaben der Weltbank sei die Arbeitslosenquote zwischen 2008 und 2014 von 25% auf 39% gestiegen. Die internationale Gemeinschaft unterstütze die afghanische Regierung maßgeblich in ihren Bemühungen, die Lebensbedingungen der Menschen in Afghanistan zu verbessern. Aufgrund kultureller Bedingungen seien die Aufnahme und die Chancen außerhalb des eigenen Familien- bzw. Stammesverbandes vor allem in größeren Städten realistisch (vgl. diesbezüglich: Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.10.2016, S. 22). Die Ausweichmöglichkeiten würden maßgeblich vom Grad der sozialen Verwurzelung, der Ethnie und der finanziellen Lage abhängen. Die sozialen Netzwerke vor Ort und deren Auffangmöglichkeiten spielten eine zentrale Rolle für den Aufbau einer Existenz (so auch BFA Österreich, Fact Finding Mission Report Afghanistan, April 2018). Die afghanische Regierung habe 2017 mit der Umsetzung eines Aktionsplans für Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge begonnen. IOM biete Unterstützung bei der Ankunft in Kabul mit bis zu zweiwöchiger Unterkunft und Begleitung der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Gewährung eines Anstoßkredits. Auch die Bundesrepublik Deutschland fördere Reintegrationsprojekte.
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage vom 14.09.2017, Seite 27 ff.) führt aus, dass Afghanistan eines der ärmsten Länder der Welt bleibe, wobei der Anteil der notleidenden Bevölkerung im Verlaufe des Jahres 2016 um 13% angestiegen sei; 2017 benötigten 9,3 Millionen Afghanen dringend humanitäre Hilfe. Die Arbeitslosenquote sei seit dem Abzug der internationalen Streitkräfte rasant angestiegen und inzwischen auch in städtischen Gebieten hoch. Gleichzeitig seien die Löhne in Gebieten, welche von Rückkehrströmen betroffen seien, signifikant gesunken. Nach wie vor seien die meisten Menschen in der Land- und Viehwirtschaft oder als Tagelöhner tätig. Die zunehmenden Rückkehrströme hätten zu einem enormen Anstieg an Unterkunftsbedarf geführt, weshalb sich insbesondere in der Hauptstadt Kabul die Wohnraumsituation extrem verschärft habe. Rund 68% der Bevölkerung hätten keinen Zugang zu adäquaten Sanitätsinstallationen und ca. 45% keinen Zugang zu aufbereitetem Trinkwasser. Rund 40% der Bevölkerung sei von Lebensmittelunsicherheit betroffen. Die Zahl der von ernsthafter Lebensmittelunsicherheit betroffenen Menschen steige an und umfasse inzwischen 1,6 Millionen Personen. In Gebieten, die von hohen Rückkehrströmen betroffen waren, seien die Lebensmittelpreise stark angestiegen. Etwa 9 Millionen Menschen, in besonderem Maße Frauen und Kinder, hätten keinen oder nur beschränkten Zugang zu Gesundheitseinrichtungen, welchen es auch an angemessener Ausstattung mangele. Im Jahr 2016 sei der Druck zur Rückkehr auf afghanische Flüchtlinge im Iran und in Pakistan dramatisch angestiegen; Kabul sowie die Provinzen im Norden, Nordosten und Osten des Landes seien in besonderem Maße betroffen gewesen. Rückkehrende fänden oft keine adäquate Unterkunft; sie lebten oft in notdürftigen Behausungen mit schlechten Sanitäranlagen. Der eingeschränkte Zugang zu Land, Nahrungsmitteln und Trinkwasser und die begrenzten Möglichkeiten zur Existenzsicherung stellten eine enorme Herausforderung für diesen Personenkreis dar. Aufgrund der äußerst schwierigen Lebensbedingungen würden Rückkehrende oft zu intern Vertriebenen, deren Zahl Ende 2016 auf etwa 1,4 Millionen Menschen geschätzt worden sei und deren Lage sich in den vergangenen Jahren massiv verschlechtert habe. Auch für Flüchtlinge aus Europa gestalte sich eine Rückkehr schwierig. Die Bevölkerung Kabuls solle sich binnen nur sechs Jahren verdreifacht haben. Dort lebten etwa 75% der Bevölkerung in informellen und behelfsmäßigen Behausungen, die oft weder ans Wasserversorgungsnetz noch an die Kanalisation angeschlossen seien. Der Zugang zu Lebensmitteln habe sich rasant verschlechtert, was unter anderem auf die mangelnden Arbeitsmöglichkeiten zurückzuführen sei. Armut sei weit verbreitet. Beinahe die Hälfte der Bevölkerung Kabuls könne sich keine medizinische Behandlung leisten. Die große Zahl der Rückkehrenden und intern Vertriebenen führe zur Überlastung der bereits äußerst stark beanspruchten Infrastruktur zur Erbringung der Grunddienstleistungen in der Hauptstadt Kabul aber auch andernorts, insbesondere in den wichtigsten Provinzstädten und Bezirken.
Der UNHCR weist in seinen Anmerkungen zur Situation in Afghanistan vom Dezember 2016 darauf hin, dass sich die Sicherheitslage seit April 2016 insgesamt nochmals deutlich verschlechtert habe, was damit einher gehe, dass sich der Konflikt in Afghanistan im Laufe des Jahres 2016 weiter ausgebreitet habe und die Zahl der zivilen Opfer im ersten Halbjahr 2016 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um weitere 4% gestiegen sei. Die Zahl der intern Vertriebenen habe im Jahr 2016 auf Rekordniveau gelegen; zudem sei auch aus den Nachbarländern Pakistan und Iran eine große Zahl von Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt, was zu einer extremen Belastung der ohnehin bereits überstrapazierten Aufnahmekapazitäten in den wichtigsten Städten der Provinzen und Distrikte in Afghanistan geführt habe. Dies gelte auch für die Stadt Kabul, wo nur begrenzte Möglichkeiten der Existenzsicherung, eine extrem angespannte Wohnraumsituation sowie mangelnder Zugang zu grundlegenden Versorgungsleistungen bestehe, sodass die Verfügbarkeit einer internen Schutzalternative im Umfeld eines dramatisch verschärften Wettbewerbs um den Zugang zu knappen Ressourcen unter Berücksichtigung der besonderen Umstände jedes einzelnen Antragstellers geprüft wer-den müsse.
Dies zugrunde gelegt steht einer Rückführung des Klägers nach Afghanistan ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG entgegen, auch wenn die obergerichtliche Rechtsprechung im Regelfall davon ausgeht, dass für alleinstehende, gesunde, arbeitsfähige junge Männer bei einer Rückkehr nach Afghanistan kein Abschiebungsverbot festzustellen ist (vgl. etwa BayVGH, B.v. 12.4.2018 - 13a ZB 18.30135 - juris). Denn abweichend von den Verhältnissen im Regelfall befindet sich der hiesige Kläger nach Überzeugung des Gerichts in einer besonderen Ausnahmesituation.
Diese ist vorliegend insbesondere dadurch gekennzeichnet, dass es sich bei dem Kläger um einen Minderjährigen im Alter von 16,5 Jahren handelt, der in seinem Heimatland nicht auf seine Eltern oder sonstige angemessene Betreuungs- und Versorgungsmöglichkeiten durch andere Familienmitglieder oder Verwandte zurückgreifen kann (vgl. dazu BayVGH, U.v. 23.3.2017 - 13a B 17.30011 - juris). Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend mit dem vorherigen schriftsätzlichen Vortrag seines Bevollmächtigten - auch nach seinem persönlichen Eindruck - glaubhaft angegeben, dass seine Eltern mit den jüngeren Geschwistern sowie einer weiteren verheirateten Schwester Afghanistan vor 6 Monaten verlassen hätten und sich im Iran angesiedelt hätten. Er hat diesbezüglich überzeugend erklärt, dass die sich zunehmend verschlechternde Sicherheitslage in Afghanistan ausschlaggebend für den Weggang gewesen sei sowie darüber hinaus eigene familiäre Erfahrungen, wonach der Vater durch einen Anschlag verletzt worden und seitdem behindert sei (insoweit übereinstimmend auch Niederschrift zur Bundesamtsanhörung, S. 6) sowie ein Onkel ebenfalls durch einen Anschlag ums Leben gekommen sei.
Soweit sich noch Familienmitglieder oder Verwandte in Afghanistan aufhalten, so hat der Kläger auch diesbezüglich nachvollziehbar und glaubhaft geschildert, dass er zu seiner in Afghanistan verheirateten Schwester keinen Kontakt habe, vielmehr nicht einmal wisse, wo diese jetzt lebe. Auch seine Onkel und Tanten kenne der Kläger gar nicht und es bestehe keinerlei Kontakt; zu einem Onkel habe vielmehr eine Feindschaft bestanden, was sich auch mit den Angaben des ebenfalls in Deutschland lebenden Bruders, T* … …, geb. …, deckt. Der fehlende Kontakt erscheint dem Gericht plausibel, nachdem der Kläger sein Heimatland bereits im Alter von acht Jahren verlassen hat und danach nicht mehr dorthin zurückgekehrt ist. Prägnant hat der Kläger dies auch dadurch zum Ausdruck gebracht, indem er erklärte, dass er nicht einmal mehr seine Eltern richtig kenne.
Erschwerend ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass der Kläger die Schule nur bis zur zweiten Klasse besucht hat. Auch in diesem Zeitraum habe täglich nur für kurze Zeit Unterricht stattgefunden und es sei immer wieder zu Schulausfällen gekommen. Mit diesem Vortrag vor dem Bundesamt übereinstimmend hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass er Dari weder lesen noch schreiben könne und er im Iran lediglich privat ein wenig Farsi gelernt habe. Er hat sich damit keine Bildung aneignen können, die es ihm ggf. ermöglichen würde, seine beruflichen Chancen bei einer Rückkehr nach Afghanistan zu erhöhen. Auch einen Beruf hat der Kläger nicht erlernt, sondern lediglich als Kind ab und zu Fenster von Autos geputzt. Vor diesem Hintergrund sähe sich der Kläger in Afghanistan aufgrund der Erkenntnismittellage in erheblicher Weise mangelnden Erwerbsmöglichkeiten gegenüber, wobei weiter negativ ins Gewicht fällt, dass der Kläger bislang zu keinem Zeitpunkt auf sich allein gestellt war, sondern stets in der Obhut seiner Eltern oder seines Bruders gelebt hat. Er hat zudem bereits im Alter von acht Jahren sein Heimatland Afghanistan verlassen und ist seither nicht mehr dorthin zurückgekehrt, so dass er nicht in der Lage war, sich entscheidende Kenntnisse über die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse in Afghanistan anzueignen und Strategien für ein Überleben in Afghanistan, etwa in Kabul, zu entwickeln.
Der Kläger verfügt in Afghanistan auch nicht mehr über Vermögenswerte, da er im Zusammenhang mit dem Wegzug seiner Eltern aus Afghanistan glaubhaft geschildert hat, dass der Vater das elterliche Wohnhaus und die landwirtschaftlichen Grundstücke verkauft hat und die Familie mit diesem Geld dann in den Iran gegangen sei. Nachdem der Vater im Iran nicht arbeitet, was offensichtlich auf seine Behinderung zurückzuführen ist (vgl. auch Niederschrift der Bundesamtsanhörung, S. 4), ist davon auszugehen, dass die Eltern den Verkaufserlös zur Finanzierung des Lebensunterhaltes im Iran benötigen. Hierbei würden sie durch einen Schwiegersohn unterstützt. Bei dieser Sachlage ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger von seinen Eltern auch keine finanzielle Unterstützung erwarten kann. Dies gilt darüber hinaus auch für die in Afghanistan verbliebenen Verwandten des Klägers, nachdem nichts dafür ersichtlich ist, dass diese finanziell besonders gut gestellt sind und zu diesen - wie bereits geschildert - überdies kein Kontakt besteht.
Unter Berücksichtigung vorstehender Ausführungen und nach den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismitteln ist nicht davon auszugehen, dass der minderjährige Kläger sich ohne Betreuungs- und Versorgungsmöglichkeiten in Afghanistan eine Existenz aufbauen und das zum Lebensunterhalt Erforderliche erwirtschaften kann (vgl. auch EASO, Country Guidance: Afghanistan, Juni 2018, S. 107 f.).
Nach alledem wird ersichtlich, dass bei dem Kläger vielfältige und schwerwiegende negative Gesichtspunkte im Hinblick auf eine Überlebensmöglichkeit in Afghanistan kumuliert zusammentreffen. Gerade in der Kumulation der geschilderten negativen Einzelumstände liegt hier aber eine besondere Ausnahmesituation begründet. Im Rahmen einer Gesamtschau steht damit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan in eine ausweglose Lage geraten würde, die einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK gleichkommt und diesem nicht zugemutet werden kann. Ein Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG ist daher unter entsprechender Aufhebung des Bundesamtsbescheides festzustellen.
Der Klage war daher stattzugeben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.