Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 1 S 866/12

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 3. April 2012 - 7 K 5179/10 - geändert. Für die Klage gegen die Festsetzung der Benutzungsgebühr für die dem Kläger zugewiesene Fürsorgeunterkunft in der ... ... ..., ... ... ..., ... ... auf 343,08 EUR durch Nr. 3 des Bescheids der Beklagten vom 01.09.2010 und ihren Widerspruchsbescheid vom 12.11.2010, soweit dieser den Widerspruch hiergegen zurückweist, wird dem Kläger Prozesskostenhilfe bewilligt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die nach Nr. 5502 Satz 2 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz für ein erfolgloses Beschwerdeverfahren bezüglich der Versagung von Prozesskostenhilfe vorgesehene Gebühr wird um die Hälfte reduziert.

Gründe

 
1. Die Beschwerde ist zulässig. Für sie und für den Antrag des Klägers auf Prozesskostenhilfe besteht ein Rechtsschutzbedürfnis auch angesichts seines Vorbringens, dass er die Beiordnung eines Rechtsanwalts nicht begehre. Denn entgegen der Auffassung des Klägers besteht für das Verfahren keine Gerichtskostenfreiheit nach § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO, so dass ihn eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe besserstellen würde.
Die polizeirechtliche Zuweisung einer Unterkunft zur Vermeidung von Obdachlosigkeit ist keine Angelegenheit der Fürsorge im Sinne des § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO (a.A. OVG Hamburg, Beschl. v. 14.02.2011 - 4 Bs 11/11 - juris; Beschl. v. 04.10.2011 - 4 So 82/11 -, juris). Der Gesetzgeber hat mit Wirkung vom 01.01.2005 § 188 VwGO geändert. Er wollte vermeiden, dass mit der Zuweisung der Streitigkeiten über Sozialhilfe an die Sozialgerichte und der damit verbundenen Änderung des § 188 VwGO für Verfahren über die Befreiung von Rundfunkgebühren oder nach dem Asylbewerberleistungsgesetz künftig Gerichtskosten erhoben würden (vgl. BT-Drucks. 15/3169, S. 14). Er wies darauf hin, dass der Begriff der Fürsorge bereits gesetzlich geregelt sei, zum Beispiel in Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG. Darunter fielen insbesondere finanzielle, wirtschaftliche oder gesundheitliche Leistungen, die dem Hilfebedürftigen ein Leben ermöglichten, das der Menschenwürde entspreche (vgl. BT-Drucks. 15/3867, S. 4). Der Gesetzgeber wollte dabei ausdrücklich an den umfassend verstandenen Begriff der Sozialhilfe in § 188 VwGO anknüpfen (vgl. BT-Drucks. 15/3169, S. 14; BT-Drucks. 15/3867, S. 4). Auch den Begriff der allgemeinen öffentlichen Fürsorge, für den § 188 Satz 2 VwGO bis 1975 Gerichtskostenfreiheit vorsah (vgl. zur Regelungsgeschichte nur Heckmann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 188 Rn. 1), hatte das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung in einem umfassenden Sinne verstanden (vgl. nur BVerwG, Urt. v. 15.04.1964 - V C 45.63 - BVerwGE 18, 216; Urt. v. 09.10.1973 - V C 15.73 - BVerwGE 44, 110). Von Bedeutung ist dabei, ob die Leistung bedarfsorientiert erfolgt und abhängig von nicht ausreichendem Einkommen und Vermögen ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 03.12.2004 - 5 B 57.04 - NVwZ-RR 2005, 419, m.w.N.) Die Regelung des § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO knüpft die Gerichtskostenfreiheit an in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit fallende Sachgebiete an, die Fürsorgemaßnahmen im weiteren Sinne zum Gegenstand haben (vgl. BVerwG, Beschl. v. 20.04.2011 - 6 C 10/10 - NVwZ-RR 2011, 622). Eine Regelung gehört nicht zu einem Sachgebiet der Fürsorge, wenn sie nicht primär auf dem Gedanken der Fürsorge im weitesten Sinne beruht, sondern mit ihr im Schwerpunkt andere Zwecke verfolgt werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.01.1980 - 5 C 62.78 - Buchholz 412.4 § 2 KgfEG Nr. 38, zur Kriegsgefangenenentschädigung). Eine einzelne Regelung in einem Sachgebiet, das nicht zum Bereich der Fürsorge gehört, ist i.S.d. § 188 VwGO keine Angelegenheit der Fürsorge, auch wenn sie sozialstaatlichen Zwecken und der Fürsorge dient. Daher ist die Vorschrift über die Erstattung von Fahrgeldausfällen gemäß § 60 SchwbG unabhängig davon, welche Ziele hiermit verfolgt werden, eine Regelung auf dem Gebiet der Verkehrswirtschaft, für die Gerichtskostenfreiheit nicht besteht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 08.05.1990 - 7 ER 101.90 - Buchholz 310 § 188 VwGO Nr. 10).
Nach diesen Maßstäben liegt hier keine Gerichtskostenfreiheit nach § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO vor. Die polizeirechtliche Einweisung in eine Unterkunft zur Vermeidung von Obdachlosigkeit ist keine Angelegenheit der Fürsorge im Sinne dieser Norm. Mit dem Mittel der Einweisung handelt die Polizeibehörde im Rahmen der objektiv-rechtlichen staatlichen Pflicht, elementare Grundrechte des Einzelnen, insbesondere Leben und Gesundheit zu schützen, indem sie dem Obdachlosen ermöglicht, sich in der ihm zugewiesenen Unterkunft menschenwürdig aufzuhalten und wohnlich einzurichten (st. Rspr. des Senats, vgl. Beschluss vom 30.10.1986 - 1 S 2857/96 – VWBlBW 1987, 301). Die Maßnahme ist jedoch nicht von vornherein davon abhängig, dass beim Betroffenen ausreichendes Einkommen und Vermögen nicht vorhanden ist. Vor allem handelt es sich bei der Einweisung, auch wenn sie die Menschenwürde des Betroffenen schützt, im Schwerpunkt um eine polizeirechtliche Maßnahme. Ihr Zweck besteht vor allem darin, Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren und Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu beseitigen (vgl. § 1 PolG). Die Maßnahme ist mithin keine in einem Sachgebiet der Fürsorge im Sinne des § 188 VwGO
2. Die Beschwerde ist begründet, soweit sich der Kläger - erstmals ausdrücklich im Beschwerdeverfahren - gegen die Festsetzung der Benutzungsgebühr für die ihm zugewiesene Fürsorgeunterkunft in der ... ... ..., ... ... ..., ... ... auf 343,08 EUR durch Nr. 3 des Bescheids der Beklagten vom 01.09.2010 und ihren Widerspruchsbescheid vom 12.11.2010, soweit dieser den Widerspruch hiergegen zurückweist, wendet.Nach § 13 Abs. 1 der Satzung über die Benutzung von Fürsorgeunterkünften der ...-... ... (im Folgenden: Satzung) vom 18.09.2008 (ABl. Nr. 48 vom 27.11.2008) werden für die Benutzung der in Fürsorgeunterkünften in Anspruch genommenen Unterkünfte Gebühren/Entgelte nach § 13 und der Anlage erhoben. In der Anlage zur Satzung werden die Unterkünfte in der ... ..., in der sich die dem Kläger zugewiesene Wohnung befindet, nicht aufgeführt. Die Höhe der Benutzungsgebühr ergibt sich daher aus § 13 der Satzung. Bemessungsgrundlage für die Höhe der Benutzungsgebühren ist die Wohnfläche der zugewiesenen Unterkunft (§ 13 Abs. 1 Satz 1 der Satzung). Bei den geförderten Wohnungen ergibt sich die Höhe der Benutzungsgebühren aus den gesetzlichen Vorgaben (Wirtschaftlichkeitsberechnung) oder aus den Bewilligungsbescheiden bzw. Schuldurkunden, bei den nicht geförderten gestreuten Wohnungen, zu denen unstreitig die des Klägers gehört, aus dem unteren Wert des Mietspiegels (§ 13 Abs. 3 der Satzung). Dem Vorbringen der Beklagten im Beschwerdeverfahren, dass das Gebäude in der ... ... ... aus dem Baujahr 1957 stamme und der untere Wert des Mietspiegels 2011/2012 für dieses Gebäude bei durchschnittlicher Ausstattung und durchschnittlicher Lage bei 7,10 EUR je Quadratmeter liege, ist der Kläger entgegengetreten. Sein Vorbringen, mit dem er sich zum einen dagegen wendet, dass für seine Unterkunft anders als bei den in der Anlage zur Satzung genannten der Mietspiegel angewendet wird (vgl. zur grundsätzlichen Ungeeignetheit der ortsüblichen Vergleichsmiete für die Festsetzung der Benutzungsgebühr in Obdachlosenunterkünften: Senatsbeschluss vom 10.02.1994 - 1 S 1027/93 - ESVGH 44, 240 = NVwZ-RR 1994, 325; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 09.02.1995 - 2 S 542/94 - BWGZ 1995, 392; Urt. v. 15.08.1996 - 2 S 1197/95 -; Beschl. v. 05.02.1999 - 2 S 1286/98 -), und mit dem er zum anderen hinreichend substantiiert geltend macht, die Unterkunft habe keine durchschnittliche Ausstattung und befinde sich nicht in durchschnittlicher Lage, so dass sich nicht die Untergrenze von 7,10 EUR aus dem Mietspiegel ergebe, sondern ein niedrigerer Wert, bedarf der Klärung im Klageverfahren. Insoweit bestehen offene Erfolgsaussichten, so dass Prozesskostenhilfe zu bewilligen ist.
Im Übrigen ist die Beschwerde nicht begründet. Insoweit hat das Verwaltungsgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht abgelehnt, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO). Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der Bescheid der Beklagten vom 01.09.2010 im Übrigen - mit dem der Zuweisungsbescheid vom 24.07.2007 aufgehoben (1.), das Nutzungsverhältnis für die dem Kläger zugewiesene Wohnung nach der Satzung der Beklagten über die Benutzung von Fürsorgeunterkünften vom 18.09.2008 fortgeführt (2.) und das Benutzungsverhältnis bis zum 31.07.2011 befristet wurde (4.) - und ihr Widerspruchsbescheid vom 12.11.1010 - soweit er diese Regelungen betrifft - den Kläger nicht i.S.d. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO verletzen dürften. Auf die Begründung des angefochtenen Beschlusses (vgl. § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO) wird Bezug genommen. Mit Blick auf das Beschwerdevorbringen wird ergänzend Folgendes ausgeführt: Die Befristung hat ihre Rechtsgrundlage in § 2 Abs. 1 der Satzung, wonach das Benutzungsverhältnis auf zwei Jahre befristet ist (Satz 3) und verlängert werden kann, wenn der Benutzer nicht in der Lage ist, sich mit einer Wohnung oder ausreichendem Wohnraum zu versorgen (Satz 4). Der Kläger befand sich zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheids vom 01.09.2010 bereits im dritten Jahr in der zugewiesenen Wohnung. Die ausgesprochene Befristung ist daher nicht zu beanstanden. Durch die polizeiliche Einweisung in eine gemeindliche Notunterkunft wird kein Besitzstand des Obdachlosen begründet. Die Notunterkunft dient lediglich der vorübergehenden Unterbringung, um drohende oder bereits eingetretene Obdachlosigkeit abzuwenden. Mit dem Mittel der Einweisung handelt die Polizeibehörde, wie dargelegt, im Rahmen der objektiv-rechtlichen staatlichen Pflicht, elementare Grundrechte des Einzelnen, insbesondere Leben und Gesundheit zu schützen, indem sie dem Obdachlosen ermöglicht, sich in der ihm zugewiesenen Unterkunft aufzuhalten und notdürftig wohnlich einzurichten. Der durch polizeiliches Einschreiten geschaffene Zustand darf aber weder von der Verwaltung noch von dem Betroffenen als Dauerlösung betrachtet werden (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Beschluss vom 30.10.1986, a.a.O.).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Der teilweise Erfolg der Beschwerde bleibt insoweit unberücksichtigt, weil außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht erstattet werden (§ 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO) und in Bezug auf die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens dem Teilerfolg der Beschwerde dadurch Rechnung getragen wird, dass die gemäß Nr. 5502 Satz 2 des Kostenverzeichnisses in Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG vorgesehene Festgebühr nach Satz 3 dieser Bestimmung nach billigem Ermessen auf die Hälfte reduziert wird. Insofern entspricht die Kostenentscheidung der sich im Übrigen aus § 22 Abs. 1 Satz 1 GKG ergebenden Kostenhaftung des Klägers.
Der Beschluss ist unanfechtbar.

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