Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 27. Januar 2020 - A 3 K 16306/17 - wird abgelehnt.
Die Beklagte trägt die Kosten des - gerichtskostenfreien - Zulassungsverfahrens.
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| Der auf § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO gestützte Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung muss erfolglos bleiben, weil die geltend gemachte „unzulässige Überraschungsentscheidung des Verwaltungsgerichts“ nicht vorliegt. |
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| Eine unzulässige Überraschungsentscheidung ist nur gegeben, wenn das Gericht gegen den Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) bzw. das Gebot fairen Verfahrens (Art. 47 Abs. 2 Satz 1 GRCh) dadurch verstößt, dass es ohne vorherigen Hinweis seine Entscheidung auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29.01.2010 - 5 B 21.09 -, Juris Rn. 18; Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, GRCh, Art. 47 Rn. 2; jeweils m.w.N.). |
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| Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten nicht dadurch gegeben, dass das Verwaltungsgericht sie über die Aufhebung des angefochtenen Bescheids des Bundesamts vom 22.11.2017 hinaus dazu verpflichtet hat, im Falle der Klägerin (aufgrund ihrer 2019 geborenen Tochter und einer fehlenden italienischen Versorgungszusicherung) wegen Vulnerabilität festzustellen, dass hinsichtlich Italiens die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegen. Die Beklagte überinterpretiert die zitierten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, wenn sie hieraus herleiten will, dass höchstrichterlich entschieden sei, dass eine Verpflichtungsklage hinsichtlich der Feststellung im angefochtenen Bundesamtsbescheid unter Ziffer 2, ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG liege nicht vor, generell unstatthaft sei. Im Urteil vom 26.02.2019 - 1 C 30.17 - hat das Bundesverwaltungsgericht lediglich ausgeführt, dass die dortige Klage, „soweit sie sich gegen die Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1 des Bescheides des Bundesamtes richtet“, als Anfechtungsklage statthaft ist (Juris Rn. 12). Im Urteil vom 09.08.2016 - 1 C 6.16 - wurde vergleichbar nur ausgeführt, dass bezüglich einer rechtsgestaltenden Regelung über die Unzulässigkeit des Asylantrags (Ziffer 1: „Der Asylantrag ist unzulässig“) die Anfechtungsklage die allein statthafte Klageart ist (Juris Rn. 9). Und mit Urteil vom 27.10.2015 - 1 C 32.14 - (Juris Rn. 13 f.) hat das Bundesverwaltungsgericht nur entschieden, dass es im Dublinverfahren keine gerichtliche Pflicht zum „Durchentscheiden“ gibt, d.h. eine auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichtete Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO unstatthaft ist. Auch dieser Entscheidung lässt sich, mit anderen Worten, nur entnehmen, dass bezüglich der Ablehnung des Asylantrags als unzulässig (nur) die Anfechtungsklage statthaft ist, sodass das Bundesamt bei deren Erfolg selbst prüfen muss, ob ein anderer Dublinstaat den Asylsuchenden aufnimmt oder ob es den Selbsteintritt erklärt mit der Folge der behördlichen Prüfung der Flüchtlingseigenschaft. Aus diesen Entscheidungen folgt freilich nicht des Weiteren die Unstatthaftigkeit einer gesonderten Verpflichtungsklage, wenn das Bundesamt im Dublin- oder Drittstaatenbescheid neben der Ablehnung des Asylantrags als unzulässig in Ziffer 1 ausdrücklich - wie im vorliegenden Fall unter Ziffer 2 - als weiteren Streitgegenstand regelt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, und der Kläger - wie hier - diesbezüglich kumulativ einen weiteren Hauptantrag stellt. |
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| Im vorliegenden Fall liegt zudem vor allem deshalb keine Überraschungsentscheidung vor, weil die Beklagte nach dem konkreten Prozessverlauf bezüglich des Streitgegenstandes des § 60 Abs. 5 AufenthG mit einer erfolgreichen Verpflichtungsklage rechnen musste. Dies folgt zunächst daraus, dass die damals noch anwaltlich unvertretene Klägerin mit Klageschrift vom 28.11.2017 u.a. ausdrücklich - prozessual unbedingt - beantragt hatte: „3. Ein Abschiebeverbot auszusprechen während des Verfahrens.“. Des Weiteren hat die Kammer der Klägerin mit Beschluss vom 13.11.2019 bezüglich aller Streitgegenstände vollumfänglich Prozesskostenhilfe bewilligt. Schließlich hat die Klägerin sodann, nunmehr anwaltlich vertreten, in der öffentlichen Sitzung vor dem Verwaltungsgericht am 27.01.2020 ausdrücklich nicht nur die Aufhebung des Bescheids, sondern zusätzlich - wiederum prozessual unbedingt, d.h. nicht nur als Hilfsantrag - die Verpflichtung der Beklagten beantragt, festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG besteht. Nach alledem können die kumulative Bescheidaufhebung sowie die Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Italiens nicht als überraschend gewertet werden. |
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| Ob dieser kumulative Ausspruch des Verwaltungsgerichts inhaltlich „unrichtig“ ist, wie die Beklagte wohl meint, kann in diesem Berufungszulassungsverfahren nicht weiter geklärt werden. Der Einwand, da nach Aufhebung des gesamten Bescheides derzeit keine Abschiebung nach Italien drohe, erweise sich der zusätzliche Ausspruch zu § 60 Abs. 5 AufenthG asylrechtlich als unnötig bzw. jedenfalls als problematisch, sollte das Bundesamt nunmehr aus Italien eine Versorgungszusicherung für die Klägerin und ihr Kleinkind erhalten, lässt sich durchaus hören. Hindernisse für eine spätere Überstellung nach Italien nach Erhalt einer Zusicherung der dortigen Behörden dürften sich aus der Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots allerdings wohl nicht ergeben (vgl. § 73c Abs. 2 AsylG). Insbesondere dürfte der Klägerin keine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen sein, d.h. aufenthaltsrechtlich dürfte der Ausspruch zu § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Italiens unproblematisch sein, weil § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG wohl nur ein Abschiebungsverbot bezüglich des Herkunftsstaates meinen und nicht im Rahmen eines Dublin- oder Drittstaatenverfahrens anwendbar sei kann, bei dem das eigentliche Asylbegehren noch nicht inhaltlich geprüft worden ist. Insoweit könnte eine teleologische Reduktion des Tatbestands oder jedenfalls ein atypischer Ausnahmefall („soll“) anzunehmen sein. |
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| Dieser Beschluss ist unanfechtbar. |
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