Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 9 S 1667/20

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 8. Mai 2020 - 2 K 1374/20 - wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.750,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem sein Antrag abgelehnt wurde, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Aufsichtsarbeiten Nr. 1 und 2 in der Prüfungskampagne Frühjahr 2019 der Ersten juristischen Staatsprüfung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts vorläufig neu zu bewerten, ihm die vorläufige Wiederholung der Aufsichtsarbeiten Nr. 3 und 4 zu ermöglichen und ihn bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen vorläufig zur mündlichen Prüfung zuzulassen, ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (vgl. § 147 Abs. 1, § 146 Abs. 1 und 4 VwGO). Sie ist jedoch nicht begründet. Die mit der Beschwerde dargelegten Gründe, auf die die Prüfung des Senats nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Abänderung des erstinstanzlichen Beschlusses.
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dazu ist nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen, dass ein Anordnungsgrund besteht, d. h. eine vorläufige gerichtliche Entscheidung erforderlich ist, und ein Anordnungsanspruch gegeben ist, also die tatsächlichen Voraussetzungen für den geltend gemachten Anspruch erfüllt sind. Grundsätzlich ausgeschlossen - da mit dem Wesen einer einstweiligen Anordnung nicht vereinbar - ist es, eine Regelung zu treffen, die rechtlich oder zumindest faktisch auf eine Vorwegnahme der Hauptsache hinausläuft (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31.03.2003 - 2 BvR 1779/02 -, NVwZ 2003, 1112; W.-R. Schenke, in Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 123 Rn. 14). Ausnahmen von diesem Verbot kommen nur in Betracht, wenn dies zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) geboten ist, d. h. wenn andernfalls schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre, und zugleich ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist (st.Rspr., vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 25.10.1988 - 2 BvR 745/88 -, BVerfGE 79, 69; BVerwG, Urteil vom 18.04.2013 - 10 C 9.12 -, BVerwGE 146, 189, und Beschluss vom 13.08.1999 - 2 VR 1.99 -, BVerwGE 109, 258; Senatsbeschlüsse vom 20.09.1994 - 9 S 687/94 -, DVBl. 1995, 160, vom 15.02.2016 - 9 S 2453/15 -, und vom 19.04.2017 - 9 S 673/17 -, VBlBW 2018, 39; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 18.03.2014 - 4 S 509/14 -, juris; Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Aufl. 2018, Rn. 909). Ausgehend von diesen Maßstäben hat das Verwaltungsgericht die begehrte einstweilige Anordnung zu Recht nicht erlassen.
Es hat entschieden, der Antragsteller habe die - aufgrund der Vorwegnahme der Hauptsache - erhöhten Anforderungen an das Vorliegen eines Anordnungsgrundes im Hinblick auf die erstrebte Neubewertung der Aufsichtsarbeiten 1 und 2 nicht glaubhaft gemacht. Durch die Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes drohten ihm keine schweren und unzumutbaren Nachteile, insbesondere keine erhebliche Ausbildungsverzögerung. Da der Abschluss der Ausbildung zunächst der Zulassung zum Vorbereitungsdienst und eines erfolgreichen Abschlusses der Zweiten juristischen Staatsprüfung bedürfe, müsse das Ergebnis des Hauptsacheverfahrens ohnehin abgewartet werden. Aus diesem Grund komme auch eine vorläufige Zulassung zur mündlichen Prüfung nicht in Betracht. Mit dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (Beschluss vom 19.04.2017 - 9 S 673/17 -) dürfte zudem zweifelhaft sein, ob die vorläufige Zulassung zur mündlichen Prüfung nicht bereits aus Rechtsgründen ausscheide. Offen bleiben könne, ob der Antrag auf vorläufige Wiederholung der Aufsichtsarbeiten Nr. 3 und 4 ebenfalls bereits an der fehlenden Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes scheitere. Denn der Antragsteller habe hinsichtlich dieses Begehrens jedenfalls keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Aufgrund der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage sei nicht davon auszugehen, dass dem Antragsteller wegen des Fehlens der Seiten 18 und 19 der Aufsichtsarbeit Nr. 3 ein Anspruch auf Wiederholung der Prüfung zustehe. Es spreche Vieles dafür, dass die fehlenden Seiten gar nicht erst zur Abgabe gelangt seien. Nach den in den Verwaltungsakten des Antragsgegners enthaltenen Stellungnahmen der aufsichtsführenden Personen vom 26.11.2019 könnten sich diese nicht an Unregelmäßigkeiten oder nicht zuzuordnende Blätter erinnern. Die aufsichtsführende Frau F. habe erklärt, dass ihr beim Verpacken der Arbeiten keine Unregelmäßigkeiten aufgefallen seien. Weiter spreche für diese Annahme, dass nach Auskunft des Erstprüfers sein Sekretariat vom kompletten Klausurensatz einen Sicherungsscan angefertigt habe und die entsprechenden Seiten bereits beim Einscannen gefehlt hätten. Die vom Antragsteller im Widerspruchsverfahren vorgelegte eidesstattliche Versicherung sei nicht geeignet, diese Einschätzung zu entkräften.
Der Antragsteller dürfte auch nicht mit seinem Einwand durchdringen, dass die Bewertung der Aufsichtsarbeit Nr. 4 deshalb rechtsfehlerhaft sei, weil die Aufgabenstellung der Arbeit den Rahmen des nach der Prüfungsordnung zulässigen Prüfungsstoffes überschreite. Er sei insoweit bereits nach § 25 Abs. 3 Satz 3 JAPrO präkludiert, da er die Rüge nicht spätestens einen Monat nach Abschluss des schriftlichen Teils der Staatsprüfung, sondern erstmals in der Widerspruchsbegründung, mit Schreiben vom 16.08.2019, erhoben habe. Unabhängig davon dürfte die geltend gemachte Überschreitung des zulässigen Prüfungsstoffes auch in der Sache nicht vorliegen.
Die mit der Beschwerde dargelegten Gründe, aus denen die Entscheidung abzuändern sein soll, sind nicht geeignet, diese Beurteilung des Verwaltungsgerichts zu erschüttern.
1. a) Der Antragsteller macht geltend, das Verwaltungsgericht habe hinsichtlich des - von ihm primär verfolgten - Anspruchs auf vorläufige Neubewertung der Aufsichtsarbeiten Nr. 1 und 2 einen Anordnungsgrund rechtsfehlerhaft und unter Verkennung des Gewährleistungsgehalts von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verneint. Da ein Prüfling einen Anspruch darauf habe, dass im Rahmen der Neubewertung einer Prüfungsleistung dieselben Bewertungskriterien zur Anwendung kommen wie bei der Erstbewertung, müsse er auch die Möglichkeit haben, diesen Anspruch im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes zu sichern. Verwehre man ihm dies, werde der Neubewertungsanspruch durch Zeitablauf wesentlich oder sogar vollständig entwertet. Dies ergebe sich konkret daraus, dass die ursprünglichen Prüfer zum Zeitpunkt des rechtskräftigen Abschlusses des Hauptsacheverfahrens für eine Neubewertung ggf. schon aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht mehr zur Verfügung stünden, ihnen der maßgebliche Vergleichsmaßstab und/oder das seinerzeit zur Anwendung gebrachte Bewertungssystem nicht mehr (hinreichend) erinnerlich sei oder sich dieses zu Lasten des Prüflings infolge weiterer Prüfertätigkeit verändert habe. Durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken begegne es auch, soweit das Verwaltungsgericht schwere und unzumutbare Nachteile nur noch unter dem verengten Aspekt der Ausbildungsverzögerung erwogen und verneint habe. Für die Frage des Vorliegens eines Anordnungsgrundes sei auch entscheidend, ob dem Prüfling eine (drohende) Ungewissheit über seinen weiteren Werdegang zugemutet werden könne.
Der erkennende Senat habe es in seinem Beschluss vom 03.07.1986 (9 S 1586/86) für das Vorliegen eines Anordnungsgrundes für ausreichend erachtet, dass dem Antragsteller schwere, unzumutbare Nachteile entstünden, wenn die schriftliche Prüfungsarbeit nicht vorläufig neu bewertet werde. Diese Nachteile habe der Senat seinerzeit vor allem darin gesehen, dass es dem dortigen Antragsteller nicht zugemutet werden könne, seinen erworbenen Wissensstand für einen längeren Zeitraum mit beträchtlichem Aufwand aufrechtzuerhalten. Zudem habe der Senat in dem Antrag nur eine teilweise Vorwegnahme der Hauptsache und keinerlei Probleme hinsichtlich der Berechnung der Gesamtnote in der Ersten juristischen Prüfung gesehen; auch eine hohe Wahrscheinlichkeit für den Erfolg in der Hauptsache habe er nicht gefordert.
b) Dieses Vorbringen gibt keinen Anlass, den angegriffenen Beschluss zu ändern.
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Das Verwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, dass die begehrte vorläufige Neubewertung der Aufsichtsarbeiten Nr. 1 und 2 die Hauptsache vorwegnimmt. Die Neubewertung kann nicht vorläufig ergehen, da die Bewertung von Prüfungsleistungen ein alle Elemente des Bewertungsgegenstandes und der Bewertungsmaßstäbe einbeziehender, somit auf Endgültigkeit abzielender Vorgang ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 06.11.2017 - 9 S 1665/17 -, vom 17.08.1982 - 9 S 1871/92 -, juris und vom 19.10.1984 - 9 S 2423/84 -, NVwZ 1985, 594; Niehues/Fischer/Jeremias, a.a.O., Rn. 908). Die Vorläufigkeit betrifft mithin nicht den Bewertungsvorgang an sich, sondern nur die Frage, ob die neue Bewertung nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens bestehen bleibt. Hat ein Antrag auf vorläufige Neubewertung einer Prüfungsleistung im Eilverfahren Erfolg, wird bei einem entsprechenden Obsiegen im Klageverfahren die Prüfungsleistung nicht nochmals - nunmehr endgültig - erneut bewertet, sondern die bereits erfolgte „vorläufige“ Neubewertung wird zur endgültigen Bewertung. Eine bereits vorläufig angeordnete Neubewertung steht somit lediglich unter dem Vorbehalt einer anderen Entscheidung in der Hauptsache und nimmt diese bis dahin - vorübergehend - vorweg (vgl. Senatsbeschluss vom 03.07.1986 - 9 S 1586/86 -; SächsOVG, Beschluss vom 09.03.2017 - 5 B 50/17 -, juris; OVG Bln-Bbg., Beschluss vom 29.01.2010 - OVG 10 M 13.09 -, juris; OVG Hamburg, Beschluss vom 13.02.2007 - 3 Bs 270/06 -, juris).
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Die mit der - prozessual - vorläufigen Neubewertung einhergehende Vorwegnahme der Hauptsache ist, wie bereits dargelegt, nur ausnahmsweise zulässig, wenn dies zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) geboten ist, d. h. wenn andernfalls schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre, und zugleich ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 06.11.2017, a.a.O., vom 03.07.1986, a.a.O., und vom 19.10.1984). Mit dem Verwaltungsgericht geht auch der Senat davon aus, dass der Antragsteller derartige Nachteile nicht glaubhaft gemacht hat.
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Insbesondere ist nicht erkennbar, dass die Versagung der vorläufigen Neubewertung der beiden Klausuren zu einer erheblichen Ausbildungsverzögerung führte und der Antragsteller dadurch gezwungen wäre, prüfungsrelevante Kenntnisse und Fähigkeiten auf dem aktuellen Stand zu halten, obwohl seine Situation durch die Ungewissheit über seinen weiteren Werdegang geprägt ist (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 25.07.1996 - 1 BvR 638/96 -, juris Rn. 19; Senatsbeschlüsse vom 19.04.2017 - 9 S 673/17 -, juris, und vom 06.11.2017 - 9 S 1665/17 -; vgl. auch HessVGH, Beschluss vom 03.12.2002 - 8 TG 2413/02 -, NVwZ-RR 2003, 756). Denn vorliegend ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller zum Abschluss seiner juristischen Ausbildung zunächst noch der Zulassung zum Vorbereitungsdienst und eines erfolgreichen Abschlusses der Zweiten juristischen Staatsprüfung bedarf. In den Vorbereitungsdienst kann er jedoch nicht ohne die Feststellung des endgültigen Bestehens der Ersten juristischen Prüfung aufgenommen werden (vgl. § 37 Abs. 2 Nr. 1 der Verordnung des Justizministeriums über die Ausbildung und Prüfung der Juristen - JAPrO - vom 08.10.2002 [GBl. S. 391] in der hier maßgeblichen Fassung vom 17.12.2015 [GBl. S. 1210]; zum maßgeblichen Zeitpunkt im Prüfungsrecht BVerwG, Urteil vom 10.04.2019 - 6 C 19.18 -, juris; Senatsbeschluss vom 13.02.2020 - 9 S 3359/19 -, juris). Daher drohen insoweit keine erheblichen Ausbildungsverzögerungen, weil das Ergebnis des Hauptsacheverfahrens ohnehin abgewartet werden muss (vgl. den Senatsbeschluss vom 19.04.2017, a.a.O., juris Rn. 10). Entgegen der Behauptung des Antragstellervertreters ist der Senat in seinem Beschluss vom 03.07.1986 - 9 S 1586/86 - keineswegs davon ausgegangen, dass sich der dortige Antragsteller mit einem vorläufigen Prüfungszeugnis für das Referendariat bewerben und eingestellt werden kann. Ohne Erfolg macht der Antragsteller in diesem Zusammenhang unter pauschalem Verweis auf „zahlreiche berufliche Perspektiven“ geltend, es sei „keineswegs sicher“, dass er überhaupt in den Vorbereitungsdienst eintrete und die Zweite juristische Staatsprüfung ablege. Damit hat er nicht substantiiert aufgezeigt, dass er konkret eine von der juristischen „Regelausbildung“ abweichende Ausbildung anstrebt. Ungeachtet dessen hat bereits das Verwaltungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass ferner eine substantiierte Darlegung erforderlich wäre, welcher Arbeitgeber bereit wäre, ihn mit einem nur aufgrund einer vorläufigen Regelung erteilten Zeugnis einzustellen.
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Ferner hat das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen, dass sich eine besondere Dringlichkeit für eine vorläufige Neubewertung der schriftlichen Arbeiten auch nicht aus der Eigenart der Prüfungsleistung ergibt, wie dies etwa bei mündlichen Prüfungen mit Blick auf das mit zunehmendem Zeitablauf verblassende Erinnerungsvermögen der Prüfer und die fehlende Reproduzierbarkeit der Fall sein kann (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 11.04.1996 - 6 B 13.96 -, juris; Senatsbeschluss vom 09.03.2020 - 9 S 2327/19 -; vgl. auch Niehues/Fischer/Jeremias, a.a.O., Rn. 759).
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Ohne Erfolg versucht der Antragsteller desweiteren, eine Parallele zu der Entscheidung des Senats vom 03.07.1986 (a.a.O.) zu ziehen und daraus einen Anordnungsgrund für den vorliegenden Fall herzuleiten. Er nimmt insoweit nicht ausreichend in den Blick, dass der dortige Antragsteller glaubhaft vorgetragen hatte, dass er umgehend nach Erteilung des Strafrechtsscheines zur Ersten juristischen Staatsprüfung in Nordrhein-Westfalen zugelassen werden könne und eine entsprechende Bewerbung beabsichtigte. An diesem Umstand, der für den Senat in der damaligen Entscheidung entscheidend war, fehlt es vorliegend. Der Antragsteller muss, wie bereits dargelegt, zunächst das Ergebnis des Hauptsacheverfahrens abwarten, um zum Vorbereitungsdienst zugelassen zu werden. In diesem Punkt unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt im Übrigen auch von demjenigen, der dem vom Antragsteller gleichfalls in Bezug genommenen Senatsbeschluss vom 28.05.2020 (9 S 1345/20, juris) zugrunde lag und in dem die vorläufige Neubewertung einer nach der einschlägigen Studien- und Prüfungsordnung endgültig nicht bestandenen Prüfungsleistung (Klausur) im Bachelor-Studiengang „Arbeitsmarktmanagement“ unter beschwerderechtlichem Blickwinkel gegenständlich war. Im Übrigen nimmt der Antragsteller nicht ausreichend in den Blick, dass er sein Prüfungswissen ohnehin für den Vorbereitungsdienst sowie das Zweite juristische Staatsexamen konservieren muss und dies daher einen Anordnungsgrund nicht zu rechtfertigen vermag.
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Soweit der Antragsteller darauf hinweist, dass der Grundsatz der Chancengleichheit gleiche Bewertungsmaßstäbe erfordere, diese jedoch mit zunehmendem Zeitablauf schwieriger zu gewährleisten seien, vermag auch dies keinen schweren und unzumutbaren Nachteil zu begründen.
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Nach dem in Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG verankerten Gebot der Chancengleichheit im Prüfungsrecht darf es einem Prüfling weder zum Vorteil noch zum Nachteil gereichen, dass er die Anerkennung eines Bewertungsfehlers mit Hilfe eines Rechtsbehelfs erstreiten muss. Vielmehr müssen - worauf der Antragsteller zu Recht hinweist - so weit wie möglich vergleichbare Prüfungsbedingungen und Bewertungskriterien gelten (grundlegend BVerfG, Beschluss vom 17.04.1991 - 1 BvR 419/81, 1 BvR 213/83 -, BVerfGE 84, 34; ferner BVerwG, Urteile vom 10.10.2002 - 6 C 7.02 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 402, und vom 06.09.1995 - 6 C 16.93 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 355; Senatsurteile vom 06.07.2015 - 9 S 2062/14 -, juris, vom 10.03.2015 - 9 S 2309/13 -, juris, und vom 10.11.2010 - 9 S 624/10 -, juris; Niehues/Fischer/Jeremias, a.a.O., Rn. 687).
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Der Antragsteller verkennt jedoch, dass es einen Anspruch des Prüflings darauf, dass seine Klausur von denselben Prüfern bewertet wird, die die übrigen Klausuren eines Termins bewertet haben, nicht gibt (so OVG NRW, Beschluss vom 23.12.2013 - 14 B 1277/13 -, juris Rn. 18). Haftet einer Prüfung ein rechtserheblicher Mangel an, lässt sich das Gebot der Chancengleichheit regelmäßig nicht mehr in exakt derselben Weise gewährleisten wie bei fehlerfreiem Prüfungsverlauf (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.10.2002, a.a.O., und vom 06.09.1995, a.a.O.). Zudem können sich Möglichkeiten der Fehlerkorrektur in ihren Auswirkungen als ambivalent erweisen. Während etwa die Wiederholung von Prüfungsteilen von einigen Prüflingen als Vorteil und dementsprechend von den Mitprüflingen als bedenkliche Gewährung einer zusätzlichen Prüfungschance empfunden werden mag, können andere in ihr lediglich eine Belastung sehen, die den Nachteil, den sie durch den Prüfungsmangel erlitten haben, eher verstärkt als ausgleicht (vgl. Niehues/Fischer/Jeremias, a.a.O., Rn. 498). Da somit in den Fällen eines Prüfungsmangels die Chancengleichheit regelmäßig - und nicht nur ausnahmsweise - lediglich annähernd (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.04.1996, a.a.O., juris Rn. 10, und Senatsbeschluss vom 09.03.2020 - 9 S 2327/20 -, [jeweils „soweit wie möglich“]) wiederhergestellt werden kann, ist es ausreichend, aber auch erforderlich, dass die Neubewertung bzw. Wiederholung einer Prüfungsleistung insgesamt unter Bedingungen stattfindet, die mit denjenigen bei normalem Prüfungsverlauf vergleichbar sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.10.2002, a.a.O.).
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Ausgehend hiervon ist nicht ersichtlich, dass es dem Antragsteller unter Gleichheitsaspekten unzumutbar wäre, die „endgültige“ Neubewertung seiner Aufsichtsarbeiten Nr. 1 und 2 im Hauptsacheverfahren abzuwarten. Die von ihm geäußerten Befürchtungen, die bisherigen Prüfer könnten nicht mehr zur Verfügung stehen oder ihre weitere Prüfertätigkeit könne zu veränderten Bewertungskriterien führen, sind - auch mit Blick auf ihren spekulativen Charakter - unter Berücksichtigung des Gewährleistungsgehalts von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht dazu geeignet, eine besondere Eilbedürftigkeit zu begründen. Das verfassungsrechtlich begründete Gebot, die Grundlagen der prüfungsspezifischen Wertung bei der Neubewertung im Wesentlichen konstant zu halten, kann auch noch im Rahmen der „endgültigen“ Neubewertung der schriftlichen Prüfungsleistungen sichergestellt werden; der ausnahmsweisen Sicherung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes unter Durchbrechung des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache bedarf es hierfür nicht.
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2. Ferner rügt der Antragsteller, das Verwaltungsgericht habe auch hinsichtlich der begehrten vorläufigen Wiederholung der Klausuren Nr. 3 und 4 Anordnungsgrund und -anspruch zu Unrecht verneint. Es verkenne, dass die (teilweise) Vorwegnahme der Hauptsache geboten sei, weil ihm ansonsten die aufgezeigten schweren und unzumutbaren Nachteile entstünden, er insbesondere für einen unabsehbar langen Zeitraum sein Prüfungswissen konservieren müsse, obwohl sein weiterer beruflicher Werdegang ungewiss sei. Soweit das Verwaltungsgericht einen Anordnungsanspruch verneint und angenommen habe, es spreche Vieles dafür, dass die Seiten 18 und 19 der Klausur nicht zur Abgabe gelangt seien, gebe es dafür keine Anhaltspunkte. Dass diese Seiten bereits bei der Erstkorrektur fehlten, sei kein Indiz dafür, dass er sie nicht abgegeben habe. Dasselbe gelte hinsichtlich der Aussage der aufsichtsführenden Personen, dass ihnen keine Unregelmäßigkeiten und losen Blätter aufgefallen seien. Im Gegenteil spreche dies gerade dafür, dass er die maßgeblichen Seiten abgegeben habe und diese auf dem Weg vom Prüfungsamt zum Erstkorrektor verlorengegangen seien. Der Antragsgegner habe bis jetzt nicht vorgetragen, welche Maßnahmen er getroffen habe, um einen Verlust von Klausurseiten zu verhindern. Es spreche Vieles dafür, dass das Landesjustizprüfungsamt als „Herr des Prüfungsverfahrens“ die Seitenzahlen bei Abgabe der Klausuren auf Vollständigkeit überprüfen müsse, damit die Möglichkeit eines Verschwindens von Klausurseiten in seinem Verantwortungsbereich ausgeschlossen sei. Das Verwaltungsgericht habe sich „überhaupt keine Gedanken“ zu einer etwaigen Beweislastumkehr gemacht und sich im Übrigen einfach über die von ihm hilfsweise erhobenen materiellen Rügen hinweggesetzt. Auch hiermit dringt der Antragsteller nicht durch.
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Soweit er hinsichtlich der erstrebten vorläufigen Wiederholung der Aufsichtsarbeiten Nr. 3 und 4 die Verneinung eines Anordnungsgrundes durch das Verwaltungsgericht rügt, verkennt er bereits, dass das Gericht die Frage der besonderen Eilbedürftigkeit offen gelassen und entscheidungstragend darauf abgestellt hat, dass er hinsichtlich seines Wiederholungsbegehrens jedenfalls keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht habe.
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Darüber hinaus lässt der Antragsteller außer Acht, dass sich das Verwaltungsgericht durchaus mit der Frage einer möglichen Beweislastumkehr aufgrund des Teilverlustes der Klausur Nr. 3 auseinandergesetzt, diese im Ergebnis jedoch verneint hat. Dies ist nicht zu beanstanden. Da sich im Rahmen des Eilverfahrens nicht aufklären ließ, wann und in wessen Verantwortungssphäre die Prüfungsseiten 18 und 19 der Aufsichtsarbeit verloren gegangen sind, kommt es entscheidend darauf an, wer die materielle Beweislast für diesen Umstand trägt. Dem allgemeinen Rechtsgrundsatz folgend, dass die Unerweislichkeit einer Tatsache zu Lasten desjenigen Beteiligten geht, der aus ihr für ihn günstige Rechtsfolgen herleitet (vgl. Senatsurteil vom 08.12.1989 - 9 S 1937/89 -, juris; Kraft, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 108 Rn. 52 m.w.N.), geht es grundsätzlich zum Nachteil des Prüflings, wenn sich Prüfungsfehler oder andere für das Bestehen des Prüfungsanspruchs maßgebliche Umstände nicht nachweisen lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.12.1987 - 7 C 49.87 -, BVerwGE 78, 367; Niehues/Fischer/Jeremias, a.a.O., Rn. 869; vgl. jedoch Senatsurteil vom 08.10.1996 - 9 S 2437/95 -, juris zur Beweislast der Prüfungsbehörde bei - erwiesenen - Verfahrensfehlern für das (negative) Ergebnis der Prüfungsarbeit).
22 
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, dass dieser Grundsatz nicht ausnahmslos gilt und eine Ausnahme - dem in § 444 ZPO zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken folgend (vgl. hierzu Senatsurteil vom 08.10.1996 - 9 S 2437/95 -, juris) - im Fall der Beweisvereitelung durch die Prüfungsbehörde geboten ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.12.1987, a.a.O.; Beschluss vom 18.02.2003 - 6 B 10.03 -, juris). Unter Berücksichtigung des Umstands, dass die aufsichtsführenden Personen am 26.11.2019 keine Unregelmäßigkeiten bei Abgabe der Klausur feststellen konnten und nach Auskunft des Sekretariats des Erstprüfers die Seiten 18 und 19 zudem bereits bei Fertigung eines Sicherungsscans fehlten, hat das Gericht indes ein schuldhaftes Verhalten auf Seiten des Antragsgegners, das unter Umständen eine Beweislastumkehr rechtfertigen könnte, nicht festzustellen vermocht. Hiergegen ist nichts zu erinnern.
23 
Zwar trägt die Prüfungsbehörde die Beweislast dafür, dass die Prüfung frei von Verfahrensfehlern erfolgt ist, wenn und soweit notwendige Protokollierungen unterblieben sind (vgl. OVG NRW, Urteil vom 04.12.2013 - 14 A 2138/12 -, juris hinsichtlich der Verkürzung der Prüfungszeit; ferner Niehues/Fischer/Jeremias, a.a.O., Rn. 869). Eine entsprechende Protokollierungspflicht des Antragsgegners hinsichtlich der Vollständigkeit der Klausuren bei deren Abgabe enthalten jedoch weder die Bestimmungen der JAPrO, noch ergibt sie sich mit Blick auf die Abgrenzung der Verantwortungsbereiche zwischen Prüfling und Prüfungsbehörde. An diesem Ergebnis ändert auch der Umstand nichts, dass der Antragsteller mit dem Finanzgericht Hamburg (Urteil vom 30.10.2000 - V 7/00 -, juris) eine entsprechende Protokollierung durch das Landesjustizprüfungsamt als „Herr des Prüfungsverfahrens“ für wünschenswert hält. Das Rechtsstaatsprinzip und das Gebot der Gewährung wirksamen Rechtsschutzes verlangen nicht, dass - ohne Rücksicht auf die Frage einer Beweisvereitelung durch die Prüfungsbehörde - bei einem Verlust von Teilen von Prüfungsarbeiten stets schon die denkgesetzlich nicht ausschließbare Möglichkeit eines Prüfungsfehlers ausreicht, um der Prüfungsbehörde die Beweislast für das Nichtvorliegen eines Prüfungsfehlers zuzuschieben (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.12.1987, a.a.O.).
24 
Ohne Erfolg trägt der Antragsteller weiterhin vor, das Verwaltungsgericht habe seine materiellen Rügen hinsichtlich der Aufsichtsarbeit Nr. 3 übergangen. Er lässt insoweit außer Acht, dass mit Blick auf das Verbot der Überkompensation ordnungsgemäß erbrachte und noch bewertbare Prüfungsleistungen bei erheblichen Bewertungsfehlern nicht wiederholt, sondern nur erneut bewertet werden können (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.04.1996, a.a.O.; Senatsurteil vom 16.05.2006 - 9 S 1974/05 - und Senatsbeschlüsse vom 21.09.2005 - 9 S 473/05 -, NVwZ-RR 2006, 255, vom 09.01.2019 - 2455/19 -, und vom 23.01.2020 - 9 S 2494/19 -; OVG NRW, Beschluss vom 23.12.2013, a.a.O.; Niehues/Fischer/Jeremias, a.a.O., Rn. 509). Hinsichtlich eines Anspruchs auf vorläufige Neubewertung fehlt es jedoch, wie dargelegt, am Anordnungsgrund.
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3. a) Bezüglich der Aufsichtsarbeit Nr. 4 rügt der Antragsteller, das Verwaltungsgericht nehme zu Unrecht an, dass er hinsichtlich seines Einwands, der Prüfungsstoff sei überschritten, präkludiert sei. Da er erst durch seinen Prozessbevollmächtigten auf diesen möglichen Verfahrensfehler hingewiesen worden sei, sei ihm dieser während des Laufs der Monatsfrist weder bekannt noch grob fahrlässig unbekannt geblieben. Soweit das Verwaltungsgericht darüber hinaus eine Überschreitung des zulässigen Prüfungsstoffs in der Sache verneint habe, habe es die von ihm vorgetragenen verfassungsrechtlichen Einwände komplett übergangen. Kenntnisse des Staatsorganisationsrechts und des Verfassungsprozessrechts seien für die ordnungsgemäße spätere Berufsausübung nicht erforderlich, so dass dem in § 1 Abs. 2 Satz 2 JAPrO niedergelegten Zweck der Ersten juristischen Staatsprüfung nicht entsprochen werde.
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Dies gelte auch im Hinblick auf Kenntnisse der materiellen Regelungen des Verhältnisses des Bundes zu den Ländern und vor allem der verfassungsprozessualen Regelungen des Bund-Länder-Streits. Ein Bund-Länder-Streit könne nur vor dem Bundesverfassungsgericht ausgetragen werden. In der dortigen Spruchpraxis spiele er jedoch so gut wie keine Rolle; bei einer juris-Recherche finde man [nur] acht Entscheidungen. Selbst wenn die - allerdings verschwindend geringe - Möglichkeit bestehe, dass eine gewichtige Zahl der Kandidaten später einmal Richter am Bundesverfassungsgericht werde, wäre es im Hinblick auf die wiederum verschwindend geringe Bedeutung des Bund-Länder-Streits verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen, den Kandidaten entsprechende Kenntnisse abzuverlangen. Prof. Dr. A. F. spreche im Hinblick auf den Regelungsinhalt des in der Klausur erörterungsbedürftigen Art. 84 Abs. 3 GG von einem „Krisenszenario“ und sehe in dieser Norm keine Regelung der Verwaltungspraxis im Bundesstaat. Es sei damit handgreiflich, dass die ordnungsgemäße Ausübung der Tätigkeit als Richter am Verwaltungs-, Finanz-, Sozial-, Zivil-, und Arbeitsgericht, als Rechtsanwalt sowie Verwaltungsbeamter bzw. Mitarbeiter einer Behörde keine Kenntnisse der materiellen Regelungen des Verhältnisses des Bundes zu den Ländern und insbesondere nicht der verfassungsprozessualen Regelung des Bund-Länder-Streits voraussetze. Dies sei auch insoweit evident, als nach § 46 JAPrO [n.F.] keine Pflichtstation beim Bundesverfassungsgericht vorgesehen sei.
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b) Diese Darlegungen geben keinen Anlass, den angegriffenen Beschluss zu ändern. Entgegen der Ansicht des Antragstellers begegnet der in der Aufsichtsarbeit Nr. 4 enthaltene Prüfungsstoff jedenfalls in der Sache weder verfassungs- noch einfachrechtlichen Bedenken. Auf die Frage, ob er mit diesem Einwand bereits gemäß § 25 Abs. 3 Satz 1 JAPrO präkludiert ist, kommt es mithin nicht streitentscheidend an.
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Das Ziel einer jeden Prüfung, bestimmte Kenntnisse und Fähigkeiten des Prüflings zuverlässig zu ermitteln, wird nur dann erreicht, wenn der Prüfungsstoff geeignet ist, solche Feststellungen hinreichend sicher zu treffen. Angesichts dessen muss sich die Prüfung an den Anforderungen des Berufs ausrichten, dessen Befähigungsmerkmale sie feststellen soll. Damit wird zwar keine exakte Angleichung verlangt, jedoch sind sachlich nicht gerechtfertigte Überforderungen untersagt. Die in der Prüfung gestellten Leistungsanforderungen dürfen nicht außer Verhältnis zu den Anforderungen des angestrebten Berufes stehen. Bei der Bestimmung dieser Anforderungen steht dem Normgeber ein Einschätzungsspielraum zu. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird zwar noch nicht durch einen "Überschuss" an Prüfungsanforderungen verletzt, sofern dieser sich in vernünftigen Grenzen hält. Diese Grenzen werden jedoch überschritten, wenn Prüfungsanforderungen gestellt werden, die mit den Anforderungen des Berufs nichts mehr zu tun haben (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 17.07.1961 - 1 BvL 44/55 -, BVerfGE 13, 97 und vom 25.02.1969 - 1 BvR 224/67 -, BVerfGE 25, 236; BVerwG, Beschluss vom 09.01.2018 - 6 B 63.17 -, juris Rn. 10; Urteil vom 17.07.1987 - 7 C 118.86 -, BVerwGE 78, 55 und Beschluss vom 16.10.1985 - 7 B 189.85 -, juris; Senatsurteil vom 05.06.2020 - 9 S 149/20 -, juris; Niehues/Fischer/Jeremias, a.a.O., Rn. 376, 380, 649). Dies ist hier ersichtlich nicht der Fall.
29 
Beide Aufgabenstellungen der Aufsichtsarbeit Nr. 4 sind vom zulässigen Prüfungsstoff gedeckt und auch unter verfassungsrechtlichem Blickwinkel nicht zu beanstanden. In Aufgabe 1 war nach den Erfolgsaussichten eines Bund-Länder-Streits und in Aufgabe 2 nach der Zulässigkeit einer einstweiligen Anordnung gemäß § 32 BVerfGG gefragt. Beide Themengebiete gehören gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 9 JAPrO ersichtlich zum zulässigen Pflichtfachstoff der Ersten juristischen Prüfung (vgl. dagegen § 51 Abs. 1 Nr. 9 JAPrO, wonach das Staatsorganisationsrecht vom zulässigen Prüfungsstoff der schriftlichen Prüfung der Zweiten juristischen Staatsprüfung ausgenommen ist). Nach dessen erstem Spiegelstrich erstreckt sich das Pflichtfach „Öffentliches Recht“ auf Verfassungsrecht (ohne Notstands- und Finanzverfassungsrecht) sowie im Überblick auf Verfassungsprozessrecht. Der Bund-Länder-Streit ist dem Staatsorganisationsrecht als Teilbereich des - nicht nur im Überblick zulässigen - Verfassungsrechts zuzurechnen.
30 
Der Umstand, dass das Verfassungsprozessrecht lediglich „im Überblick“ Gegenstand des Prüfungsstoffes war, steht der Zulässigkeit der Aufgabenstellung 2 (Zulässigkeit einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG) nicht entgegen. Gemäß § 8 Abs. 4 JAPrO wird die Prüfungstiefe der „im Überblick“ zulässigen Prüfungsgegenstände dahingehend reduziert, dass (nur) die Kenntnis der Systematik und der wichtigsten Rechtsfiguren ohne Einzelwissen verlangt wird. Dass die Zulässigkeitsvoraussetzungen einer einstweiligen Anordnung vor dem Bundesverfassungsgericht die demnach zulässige Prüfungstiefe überschreiten, wird mit der Beschwerdeschrift schon nicht hinreichend dargelegt. Die Prüfung „im Überblick“ bedeutet im Übrigen auch nicht, dass nur einfach zu beantwortende Fragen zugelassen wären. Vielmehr wird lediglich untersagt, Aufgaben zu stellen, die allein mit einem Grundwissen in dem bezeichneten Sachgebiet offensichtlich nicht zu lösen sind (vgl. Senatsbeschluss vom 06.11.2017 - 9 S 1665/17 -; Niehues/Fischer/Jeremias, a.a.O., Rn. 390). Die Bearbeitung von Aufgabe 2 verlangt indes lediglich Grundwissen hinsichtlich der Zulässigkeit einer einstweiligen Anordnung vor dem Bundesverfassungsgericht. Zudem sind die Fragestellungen im Sachverhalt deutlich angelegt und sind mit allgemeinen Rechtsanwendungs- und Auslegungsregeln beherrschbar (vgl. bereits Senatsurteil vom 10.11.2010 - 9 S 624/10 -, juris Rn. 85).
31 
Soweit der Antragsteller eine Verfassungswidrigkeit des Prüfungsstoffs aus der seiner Ansicht nach geringen Bedeutung des Bund-Länder-Streits und von Art. 84 Abs. 3 GG (Bundesaufsicht über die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder) herleiten will, nimmt er nicht ausreichend in den Blick, dass es für die Frage der Zulässigkeit des Prüfungsstoffes ohne Belang ist, welche Bedeutung die jeweiligen Materien im Einzelnen in der konkreten Spruchpraxis haben und ob Hochschullehrer vereinzelt Kritik an einer verfassungsrechtlichen Bestimmung üben. Dass die weitgehende Gestaltungsfreiheit des Normgebers bei der Festlegung des Prüfungsstoffs (vgl. Senatsurteil vom 16.07.2003 - 9 S 616/03 -, juris Rn. 47 zur Gestaltungsfreiheit der Länder bei der Festlegung der Erziehungsziele und Unterrichtsgegenstände; ferner Niehues/Fischer/Jeremias, a.a.O., Rn. 376) überschritten wäre, da Prüfungsanforderungen gestellt wurden, die mit den Anforderungen des Berufs in keinem Zusammenhang stehen, ist jedenfalls nicht ersichtlich.
32 
Der Antragsgegner weist insoweit auch zu Recht auf die fundamentale Bedeutung der Regelungen zum Aufbau des Staates, dem Verhältnis zwischen Bund und Ländern, der staatlichen Gewaltenteilung, der Gesetzgebungskompetenz und dem Gesetzgebungsverfahren sowie der Verwaltungskompetenz für die gesamte staatliche Ordnung hin.
33 
Soweit der Antragsteller ferner geltend macht, die Anforderungen erstreckten sich nur auf theoretisches Wissen und erfassten nicht die für den angestrebten Beruf unverzichtbaren praktischen Fähigkeiten, lässt er zunächst außer Acht, dass für die Beurteilung der Geeignetheit des Prüfungsstoffs nicht nur eine einzelne Klausur, sondern das gesamte Spektrum der betreffenden Leistungskontrolle ins Auge gefasst werden muss. Die Prüfungsaufgaben müssen insgesamt nach Form und Inhalt geeignet sein, Prüflinge, die das Ausbildungsziel erreicht haben, von denen zu unterscheiden, die es nicht erreicht haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.08.1996, a.a.O.; Niehues/Fischer/Jeremias, a.a.O., Rn. 380). Dass diese Voraussetzungen hinsichtlich des gesamten schriftlichen Teils der Ersten juristischen Staatsprüfung der Prüfungskampagne Frühjahr 2019 nicht vorgelegen hätten, zeigt der Antragsteller nicht auf. Ungeachtet dessen verweist der Antragsgegner zutreffend darauf, dass staatsorganisationsrechtliche Kenntnisse entgegen der Einschätzung des Antragstellers nicht ausschließlich für Richter am Bundesverfassungsgericht relevant sind, sondern es einige Berufsbilder eines Volljuristen - wie etwa volljuristische Mitarbeiter des Bundesverfassungsgerichts und der Landesverfassungsgerichte sowie Beamte der Regierungen und Parlamente sowie bei entsprechendem Mandat auch Rechtsanwälte - gibt, in denen sich staatsorganisationsrechtliche und verfassungsprozessrechtliche Fragen stellen.
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Soweit in der Bearbeitung von Aufsichtsarbeit Nr. 4 die (Vor-)Wirkungen von Richtlinien thematisiert werden sollten, war auch dies gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 11 JAPrO vom zulässigen Prüfungsstoff gedeckt. Nach dieser Bestimmung können aus dem Gebiet des Europarechts „Rechtsquellen des Rechts der Europäischen Union; Rechtsnatur, Organe und Handlungsformen der Europäischen Union; Grundfreiheiten des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union und ihre Durchsetzung“ ohne Einschränkung der Kenntnistiefe zum Gegenstand der Ersten juristischen Staatsprüfung gemacht werden. Hierzu zählt ersichtlich auch das (Standard-)Wissen hinsichtlich der Wirkungsweise von Richtlinien. Auf die Frage, ob der gegenständliche Prüfungsstoff auch den Anforderungen von § 8 Abs. 2 Nr. 11 JAPrO n.F. vom 02.05.2019 (GBl. S. 131) genügt, wonach Europarecht (unter anderem die Rechtsquellen des Rechts der Europäischen Union) nur noch „im Überblick“ zum Pflichtfachstoff gehört, kommt es vorliegend nicht an. Denn im maßgeblichen Zeitpunkt der Absolvierung des schriftlichen Prüfungsteils war diese Bestimmung noch nicht in Kraft getreten (vgl. § 69 JAPrO n.F.).
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Da nach alledem Verfahrensfehler aufgrund einer Überschreitung des zulässigen Prüfungsstoffes nicht vorliegen dürften, kommt es auf die Frage, ob der Antragsteller aufgrund einer verspäteten Rüge bereits gemäß § 25 Abs. 3 Satz 1 JAPrO präkludiert war, nicht an. Der Senat weist insoweit jedoch darauf hin, dass die zuständige Prüfungsbehörde die Verantwortung dafür trägt, dass der Prüfungsstoff den gesetzlichen Vorgaben entspricht und die Aufgaben im Sinne der anstehenden Leistungskontrolle geeignet sind. Eine Prüfung, die diese fundamentalen Anforderungen missachtet, muss auch ohne (rechtzeitige) Rüge wiederholt werden (vgl. die Senatsurteile vom 10.11.2010, a.a.O., juris Rn. 86, und vom 26.06.2019 - 9 S 1209/18 -, juris Rn. 26; Niehues/Fischer/Jeremias, a.a.O., Rn. 401, 217, auch zum Rügeerfordernis der Kenntnis des Mangels und seiner Bedeutung für die Leistungskontrolle).
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4. Ferner rügt der Antragsteller, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht einen Anordnungsgrund hinsichtlich der vorläufigen Zulassung zur mündlichen Prüfung verneint. Ein erst nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens zuerkannter Anspruch auf Zulassung zur mündlichen Prüfung sei für den Betroffenen jedoch häufig nichts mehr wert, weil er sich bis zu diesem Zeitpunkt beruflich längst anders orientiert habe und dies ggf. zur Sicherung des Lebensunterhalts auch habe tun müssen und infolgedessen gar keine Möglichkeit mehr habe, sich auf eine (mündliche) Prüfung vorzubereiten und Prüfungsleistungen zu erbringen. Im Übrigen überzeuge es nicht, einen Antrag auf vorläufige Zulassung zur mündlichen Prüfung deshalb als unstatthaft anzusehen, weil die Endnote nicht festgesetzt werden könne. Der endgültigen Notenfestsetzung bedürfe es allein deshalb nicht, weil die Zulassung zur mündlichen Prüfung nur vorläufig und allein deshalb erfolge, um zu vermeiden, dass der Prüfling für einen unabsehbar langen Zeitraum sein Prüfungswissen konservieren müsse. Soweit sich der erkennende Senat in seiner Entscheidung vom 19.04.2017 (9 S 673/17) auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 07.10.1988 (7 C 2.88) berufe, verkenne er, dass diese Entscheidung durch die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.12.2001 (6 C 14.01) und vom 10.10.2002 (6 C 7.02) überholt sei. In seinem Urteil vom 19.12.2001 führe das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich aus, dass für die Gesamtnotenbildung bzw. die Abweichensentscheidung der präsente Eindruck des Prüfungsausschusses von der vom Prüfling in der mündlichen Prüfung gezeigten Leistung nicht unverzichtbar sei; diese Rechtsprechung sei mit Urteil vom 10.10.2002 bestätigt worden. Auch diese Einwände des Antragstellers greifen nicht durch.
37 
Das Verwaltungsgericht hat einen Anordnungsgrund hinsichtlich der begehrten vorläufigen Zulassung zur mündlichen Prüfung zunächst mit Blick darauf verneint, dass dem Antragsteller keine erheblichen Ausbildungsverzögerungen drohten, da er, um zum Vorbereitungsdienst zugelassen zu werden, ohnehin das Hauptsacheverfahren abwarten müsse. Soweit der Antragsteller einen Anordnungsgrund ungeachtet dessen allein daraus herleiten will, dass er sein Prüfungswissen für einen unabsehbar langen Zeitraum konservieren müsste, lässt er außer Acht, dass dies nach der prüfungsrechtlichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Senats nicht ohne Weiteres die besondere Eilbedürftigkeit zu begründen vermag. Hinzukommen muss vielmehr, dass die Situation durch die Ungewissheit über den weiteren beruflichen Werdegang gekennzeichnet ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.07.1996, a.a.O.; Senatsbeschlüsse vom 19.04.2017, a.a.O., und vom 06.11.2017, a.a.O.). Diese Ungewissheit kann indes vorliegend nicht im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes ausgeräumt werden, da der Antragsteller, wie dargelegt, ohnehin zunächst den Abschluss des Hauptsacheverfahrens abwarten muss.
38 
Nach der Rechtsprechung des Senats dürfte die vorläufige Zulassung zur mündlichen Prüfung der Staatsprüfung unabhängig davon auch aus Rechtsgründen ausscheiden (vgl. dazu Senatsbeschlüsse vom 19.04.2017, a.a.O., vom 06.11.2017, a.a.O., vom 05.03.1990 - 9 S 433/90 -, NVwZ-RR 1990, 419, und vom 25.04.1989 - 9 S 851/89 -, NVwZ-RR 1989, 478). Der Antragsgegner hat dem Antragsteller mit Bescheid vom 11.06.2019 mitgeteilt, dass er die Staatsprüfung in der Ersten juristischen Prüfung aufgrund des Ergebnisses der schriftlichen Prüfung endgültig nicht bestanden habe. In den Aufsichtsarbeiten habe er eine Durchschnittspunktzahl von 3,41 Punkten erzielt. Nach § 16 JAPrO setze die Teilnahme an der mündlichen Prüfung jedoch voraus, dass in der schriftlichen Prüfung eine Durchschnittspunktzahl von mindestens 3,75 Punkten erreicht worden sei. Hiergegen richtet sich die von dem Antragsteller beim Verwaltungsgericht erhobene Klage, über die noch nicht entschieden ist. In diesem Fall dürfte eine - vorläufige - Teilnahme an der mündlichen Prüfung bereits nicht statthaft sein, da die vom Prüfungsausschuss im Anschluss an die mündliche Prüfung vorzunehmende Entscheidung über die Endnote der Staatsprüfung (vgl. § 19 Abs. 1 JAPrO) nicht möglich ist. Denn der Prüfungsausschuss kann nur auf der Grundlage aller Einzelleistungen und damit auch der Einzelleistungen in der schriftlichen Prüfung entscheiden. Unter Berücksichtigung der bisher vorliegenden Bewertungen kann indes für den Antragsteller keine Endnote festgesetzt werden, weil er damit aufgrund des Verfehlens der erforderlichen Durchschnittspunktzahl von der mündlichen Prüfung ausgeschlossen ist (vgl. § 16 JAPrO).
39 
Unter Außerachtlassung der Noten der angegriffenen Aufsichtsarbeiten kann ebenfalls keine Endnote festgesetzt werden, und die erstrebte Neubewertung kann auch anderweitig nicht ersetzt werden. Zudem muss die Festsetzung der Endnote unter dem frischen Eindruck der mündlichen Leistungen des Kandidaten geschehen (vgl. § 19 Abs. 1 und 2 JAPrO). Auch kann nur bei Vorliegen aller Bewertungen über ein Abweichen von der Durchschnittspunktzahl entschieden werden (§ 19 Abs. 2 Satz 4 JAPrO). Die Festsetzung der Endnote lässt sich daher nicht aufschieben (vgl. Senatsbeschlüsse vom 19.04.2017, a.a.O., vom 06.11.2017, a.a.O., vom 25.04.1989 - 9 S 851/89 -, NVwZ-RR 1989, 478, und vom 05.03.1990 - 9 S 433/90 -, NVwZ-RR 1990, 419; siehe auch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 07.10.1988 - 7 C 2.88 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 258).
40 
Zu Unrecht hält der Antragsteller diese Rechtsprechung des Senats aufgrund der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.12.2001 (a.a.O.) und vom 10.10.2002 (a.a.O.) für überholt. Darin hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts entschieden, dass die Möglichkeit, ausnahmsweise die Gesamtnote nach § 5d Abs. 4 DRiG anzuheben, das Prüfungsgeschehen nicht in einer Weise prägt, die es rechtfertigen würde, die Rechtsfolgen von Prüfungsmängeln an ihr auszurichten. Ferner hat er mit Blick auf den Grundsatz, dass der Prüfling bei einer gerichtlich erstrittenen Fehlerkorrektur nur den geringstmöglichen Nachteil hinnehmen soll, den Prüfling nicht für verpflichtet gehalten, die gesamte Prüfung, sondern nur den fehlerbehafteten Teil zu wiederholen. In diesem Fall - in dem ein Anspruch auf Wiederholung dem Grunde nach bestand und es lediglich um die Art der Fehlerkorrektur ging - hat der 6. Senat angenommen, der für eine Anhebung nach § 5d Abs. 4 DRiG grundsätzlich erforderliche Gesamteindruck aller Prüfungsleistungen sei nicht unverzichtbar. Ein weitergehender Aussagegehalt kann den Entscheidungen mit Blick auf den hier anders gelagerten Streitgegenstand im Eilverfahren dagegen nicht entnommen werden.
41 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
42 
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG in Anlehnung an die Empfehlungen in Nr. 36.1 und Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs 2013.
43 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO sowie § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG hinsichtlich der Streitwertfestsetzung).

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