Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - A 3 S 2953/20

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 5. August 2020 - A 18 K 4406/17 - wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens.

Gründe

 
Der Antrag ist zulässig, insbesondere rechtzeitig gestellt und begründet worden (vgl. § 78 Abs. 4 Sätze 1 und 4 AsylG); er hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Denn die vom Kläger dargelegten Gründe (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG) rechtfertigen die Zulassung der Berufung aus dem von ihm geltend gemachten Zulassungsgrund des Verfahrensfehlers in der Form der Versagung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG in Verbindung mit § 138 Nr. 3 VwGO) nicht.
1. Der Kläger bringt vor, der in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht anwesende Dolmetscher habe seine informatorische Anhörung aus der Sprache Urdu übersetzt; dabei habe sich der Dolmetscher ausweislich der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung zu Beginn auf seinen allgemein geleisteten Eid für die Sprachen Urdu und Paschto berufen. Auch habe sein Prozessbevollmächtigter den Dolmetscher ausdrücklich gefragt, ob er für die Sprache Urdu allgemein beeidigt sei, was dieser bejaht habe. Jedoch ergebe sich aus dem Dolmetscherausweis vom 26.06.1998 und der Dolmetscherliste des Landes Hessen, dass der anwesende Dolmetscher lediglich für die Sprache Paschto, nicht hingegen für die Sprache Urdu allgemein beeidigt sei. Der Dolmetscher habe beim Verwaltungsgericht Karlsruhe eine verfälschte Dolmetscherbescheinigung vorgelegt. Die Sprachmittlung im Termin leide im Hinblick auf die fehlende Vereidigung des Dolmetschers unter einem erheblichen Mangel. Dieser habe in der mündlichen Verhandlung nicht gerügt werden können, weil er zu diesem Zeitpunkt weder ihm noch seinem Prozessbevollmächtigten bekannt gewesen sei. Ein Rechtssuchender müsse darauf vertrauen können, dass die Angaben des Gerichts und des hinzugezogenen Sprachmittlers wahr seien. Ein Sprachmittler, der bewusst über die Tatsache seiner Vereidigung täusche, erschüttere den Anspruch auf ein faires Verfahren. Zu einem Dolmetscher, der falsche Angaben mache, bestehe kein Vertrauen darauf, dass er inhaltlich richtig übersetze.
2. Einen Verstoß gegen seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs hat der Kläger damit nicht dargelegt (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG).
a) Der grundrechtlich verbürgte Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) und der Grundsatz des fairen Verfahrens verlangen von den Gerichten, das tatsächliche Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei ihrer Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Sie verpflichten die Gerichte indessen nicht, dem zur Kenntnis genommenen tatsächlichen Vorbringen oder der Rechtsansicht eines Beteiligten auch in der Sache zu folgen. Die Gerichte sind auch nicht verpflichtet, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden. Es müssen nur die wesentlichen, der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Eine Verletzung der Pflicht, den Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und zu erwägen, kann nur dann festgestellt werden, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles ergibt (vgl. BVerfG, Beschl. der 2. Kammer des Ersten Senats vom 02.07.2018 - 1 BvR 682/12 - NVwZ 2018, 1561; BVerwG, Beschl. v. 05.06.2009 - 5 B 80.08 - juris Rn. 8; jew. m.w.N.).
Eine Versagung des rechtlichen Gehörs kann auch in der Verletzung von Verfahrensvorschriften liegen, die der Wahrung des rechtlichen Gehörs dienen. Aber nicht jede Missachtung einer der Gewährung des rechtlichen Gehörs dienenden Regelung oder einer unmittelbar aus Art. 103 Abs. 1 GG fließenden Pflicht des Gerichts führt zu einem Gehörsverstoß, der die Kausalitätsvermutung des § 138 Nr. 3 VwGO auslöst (vgl. Eichberger/Buchheister, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 38. EL Januar 2020, § 138 Rn. 75 m.w.N.).
Ist die Hinzuziehung eines Dolmetschers – wie hier – notwendig im Sinn von § 55 VwGO i.V.m. § 185 Abs. 1 Satz 1 GVG, stellt es grundsätzlich einen Verfahrensfehler dar, wenn ein Dolmetscher hinzugezogen wird, der weder gemäß § 189 Abs. 2 GVG für Übertragungen der betreffenden Art nach den landesrechtlichen Vorschriften allgemein beeidigt ist und sich auf diesen Eid beruft, noch gemäß § 189 Abs. 1 Satz 1 GVG den Dolmetschereid leistet bzw. die Bekräftigung nach Satz 2 abgibt. Denn eine treue und gewissenhafte Übersetzung durch den Dolmetscher ist für die Anhörung der Betroffenen, die der deutschen Sprache nicht im Sinn von § 185 Abs. 1 Satz 1 GVG mächtig sind, unverzichtbar (vgl. BayVGH, Beschl. v. 04.12.2017 - 5 ZB 17.31569 - juris Rn. 7).
Die verfahrensfehlerhafte Nichtbeeidigung eines Dolmetschers führt jedoch nicht ohne weiteres zu einer Verletzung des rechtlichen Gehörs als Berufungszulassungsgrund. Denn eine treue und gewissenhafte Übersetzung kann auch dann sichergestellt sein, wenn der Eid durch den Dolmetscher nicht oder nicht ordnungsgemäß geleistet wurde. Eine im Rahmen der Berufungszulassung beachtliche Gehörsverletzung kommt erst dann in Betracht, wenn die Sprachmittelung durch den zugezogenen Dolmetscher aufgrund von Übertragungsfehlern an erheblichen Mängel gelitten und deshalb zu einer unrichtigen, unvollständigen oder sinnentstellenden Wiedergabe der vom Asylsuchenden in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben geführt hat. Mit der Rüge rechtlichen Gehörs ist deshalb darzulegen, was bei richtiger und vollständiger Übertragung vorgetragen worden wäre und inwieweit dies zu einer für den Kläger günstigen Entscheidung geführt hätte (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 22.07.1997 - A 12 S 3092/96 - juris Rn. 5; BayVGH, Beschl. v. 04.12.2017 - 5 ZB 17.31569 - juris Rn. 10; OVG Niedersachsen, Beschl. v. 13.02.2004 - 7 LA 194/03 - juris Rn. 4).
b) Vorliegend macht der Kläger geltend, der vom Verwaltungsgericht geladene Dolmetscher habe sich zu Beginn der mündlichen Verhandlung auf einen allgemein geleisteten Eid für Urdu und Paschtu berufen, obwohl er jedenfalls für die Sprache Urdu nicht allgemein beeidigt worden sei. Dementsprechend sei eine Vereidigung in der mündlichen Verhandlung durch das Verwaltungsgericht unterblieben.
Der Kläger trägt jedoch in der Zulassungsbegründung keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Dolmetscher in der mündlichen Verhandlung am 05.08.2020 vor dem Verwaltungsgericht nicht treu und gewissenhaft übertragen hat; solche lassen sich auch der Niederschrift nicht entnehmen. Vielmehr ist daraus abzuleiten, dass eine umfangreiche informatorische Anhörung des aus Pakistan stammenden Klägers erfolgt ist und dieser unter Einsatz des Dolmetschers nicht nur auf zahlreiche Fragen des Gerichts, sondern auch auf mehrere Nachfragen seines Prozessbevollmächtigten geantwortet hat, ohne dass Verständigungsprobleme erkennbar geworden sind. Der Senat verkennt nicht, dass es für den Kläger und dessen Prozessbevollmächtigten angesichts der einem Asylerfahren immanenten Verständigungsprobleme kein Leichtes ist, Übertragungsfehler eines Dolmetschers zu erkennen und in einem nachfolgenden Zulassungsverfahren geltend zu machen. Nichtsdestotrotz entbinden diese Schwierigkeiten den Kläger nicht davon, zumindest Anhaltpunkte für Übertragungsfehler aufzuzeigen. Vorliegend wäre es dem Kläger insbesondere möglich gewesen, eventuelle Diskrepanzen zwischen seinem tatsächlichen Vortrag in der mündlichen Verhandlung und dem mit Hilfe des Dolmetschers übersetzten Inhalt anhand der am 14.08.2020 zugestellten, detaillierten Sitzungsniederschrift des Verwaltungsgerichts festzustellen und sodann im vorliegenden Verfahren geltend zu machen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO i. V. mit § 83b AsylG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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