Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 1 S 3510/20

Tenor

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 06.11.2020 - 16 K 5374/20 - wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 20.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Die fristgerecht dargelegten Gründe, auf die sich die Prüfung des Senats beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO), geben dem Senat keinen Anlass, über den Antrag der Antragsteller auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abweichend vom Verwaltungsgericht zu entscheiden.
1. Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 06.11.2020 den am 05.11.2020 gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, gerichtet auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche der Antragsteller gegen die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin „Infektionsschutzrechtliche Maßnahmen für die Wahlgebäude sowie für die Wahl- und Briefwahlräume der OB-Wahl am 8. November 2020 und einer eventuell erforderlichen Neuwahl am 29. November 2020“ vom 28.10.2020 abgelehnt. Die Antragsteller zu 1 und 2 berufen sich sowohl auf ihr aktives Wahlrecht, als auch auf ihr Recht zur Wahlbeobachtung. Die Antragsteller zu 3 und 4 sind nicht wahlberechtigt und begehren die Wahl zu beobachten. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, das öffentliche Interesse am Vollzug der angefochtenen Allgemeinverfügung überwiege das Suspensivinteresse der Antragsteller. Die Allgemeinverfügung sei nach summarischer Prüfung rechtmäßig und verletze die Antragsteller nicht in ihren Rechten. § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG stelle eine taugliche Rechtsgrundlage dar, die in der Allgemeinverfügung angeordneten Maßnahmen seien insbesondere verhältnismäßig im Hinblick auf die betroffenen Rechte der Antragsteller auf freie Ausübung ihres Wahlrechts (§ 14 GemO, Art. 28 Abs. 1 GG). Sie dienten dem Schutz von Leben und Gesundheit, demgegenüber sei der Eingriff in die Rechte der Antragsteller nur gering, ein Eingriff in das Wahlrecht dürfte nicht vorliegen. Es spreche viel dafür, dass die Abhaltung der Wahl am 08.11.2020 – welche aufgrund der derzeit steigenden Infektionszahlen ohne entsprechende infektionsschutzrechtliche Maßnahmen möglicherweise nicht stattfinden könnte – durch die angegriffenen Maßnahmen überhaupt erst ermöglicht werde. Selbst bei offenen Erfolgsaussichten überwöge bei der gebotenen Abwägung das Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse der Antragsteller. Der Eingriff in die Rechte der Antragsteller sei allenfalls gering im Verhältnis zu den zu schützenden Grundrechten auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) der übrigen Bevölkerung.
2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung kann keinen Erfolg haben.
Die Rechtskontrolle von Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen, können nur mit den in den Wahlvorschriften vorgesehenen Rechtsbehelfen und im Wahlprüfungsverfahren angefochten werden. Dies beruht auf der Überlegung, dass der reibungslose Ablauf einer (Parlaments-)Wahl nur gewährleistet werden kann, wenn die Rechtskontrolle der zahlreichen Einzelentscheidungen der Wahlorgane während des Wahlverfahrens begrenzt und im Übrigen einem nach der Wahl stattfindenden Wahlprüfungsverfahren vorbehalten bleibt (vgl. BVerfGE, Beschl. v. 15.05.1963 – 2 BvR 194/63 – juris Rn. 4). Wären alle Entscheidungen, die sich unmittelbar auf die Vorbereitung und Durchführung einer Wahl im Vorfeld derselben beziehen, mit Rechtsmitteln angreifbar, käme es in dem Wahlorganisationsverfahren zu erheblichen Beeinträchtigungen. Umfangreichere Sachverhaltsermittlungen und die Klärung schwieriger tatsächlicher und rechtlicher Fragen wären kaum ohne erhebliche Auswirkungen auf den Ablauf des Wahlverfahrens möglich (BVerfG, Beschl. v. 24.08.2009 – 2 BvQ 50/09 – juris Rn. 5). Für Parlamentswahlen auf Bundesebene sieht es das Bundesverfassungsgericht daher als zulässig an, dass gem. § 49 BWahlG die Rechtskontrolle der auf das Wahlverfahren bezogenen Entscheidungen während des Wahlablaufs eingeschränkt ist und im Übrigen die Kontrolle von Wahlfehlern einem nach der Wahl durchzuführenden Prüfungsverfahren vorbehalten bleibt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.04.1994 - 2 BvR 2686/93 -, NVwZ 1994, S. 893 <894>).
Diese Grundsätze sind nach Auffassung des Senats auch auf Kommunalwahlen übertragbar. Das Kommunalwahlgesetz Baden-Württemberg sieht Rechtsschutz vor der Wahl nur für ausgewählte Einzelakte (nämlich in § 6 Abs. 3, § 7 Abs. 2, § 8 Abs. 4 und § 10 Abs. 5 KomWG) vor, darüber hinaus besteht die Pflicht zur Absage einer Wahl durch die Rechtaufsichtsbehörde nur bei offenkundigem Mangel, § 29 KomWG. Ausgehend von dieser Gesetzessystematik kann einstweiliger Rechtsschutz im Vorfeld einer Kommunalwahl nur in Ausnahmefällen zulässig sein. Solche Ausnahmefälle liegen allenfalls dann vor, wenn bei summarischer Prüfung bereits vor der Wahl festgestellt werden kann, dass das Wahlverfahren an einem offensichtlichen Fehler leidet, der in einem Wahlprüfungs- oder Wahlanfechtungsverfahren nach §§ 30f. KomWG zur Erklärung der Ungültigkeit der Wahl führen wird (vgl. VGH Bad.-Württemb., Urt. v. 19.03.1979 – I 915/8 – juris Rn. 16; OVG Rhl.-Pf., Beschl. v. 30.04.2014 - 10 B 10415/14.OVG – juris Rn. 6). In allen anderen Fällen muss die Verfolgung subjektiver Rechte Einzelner gegenüber dem Interesse der Allgemeinheit an der Durchführung der Wahl zurücktreten und können Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen, alleine mit den in den Wahlvorschriften vorgesehenen Rechtsbehelfen im nachträglichen Wahlprüfungsverfahren durchgesetzt werden (vgl. BVerfG Beschl. v. 24.08.2009 – 2 BvR 1898/07 – juris Rn. 4; VGH Bad.-Württemb. Beschl. v. 05.05.1976 – I 785/76 – DÖV 1976, 678).
Gemessen daran liegen die Voraussetzungen für die Gewährung des von den Antragstellern begehrten vorläufigen Rechtsschutzes nicht vor. Es ist nicht feststellbar, dass das Wahlverfahren an einem offensichtlichen Fehler leidet, der in einem Wahlprüfungs- oder Wahlanfechtungsverfahren gemäß §§ 30, 31 KomWG zur Erklärung der Ungültigkeit der Wahl führen wird.
Eine Kommunalwahl ist nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 KomWG für ungültig zu erklären, wenn wesentliche Vorschriften über die Wahlvorbereitung, die Wahlhandlung oder über die Ermittlung und Feststellung des Wahlergebnisses unbeachtet geblieben sind oder nach § 32 Abs. 1 Nr. 1 KomWG Bewerber oder Dritte eine andere gegen ein Gesetz verstoßende Wahlbeeinflussung begangen haben.
Wesentliche Vorschriften über die Wahl i.S.d. § 32 Abs. 1 Nr. 2 KomWG sind alle Vorschriften, die die tragenden Grundsätze des Wahlrechts – die allgemeine, unmittelbare, gleiche, freie und geheime Wahl – sichern sollen oder solche, die die Öffentlichkeit des Verfahrens und korrekte wahlrechtliche Entscheidungen sowie die richtige Ermittlung und Feststellung des Wahlergebnisses gewährleisten sollen. Nicht hierzu zählen bloße Ordnungs- und Nützlichkeitsvorschriften (Quecke/Bock/Königsberg, Das Kommunalwahlrecht in Baden-Württemberg, 7. Aufl. 2019, § 32 Rn. 97).
In Streit steht hier die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin, mit der sie bestimmte Regelungen für den Ablauf des Wahltags in Zusammenhang mit der SARS-CoV-2-Pandemie getroffen hat. Die hier normierten Maßnahmen für die Wahlgebäude und –räume hindern die Antragsteller zu 1 und 2 nicht grundsätzlich an der Ausübung ihres Wahlrechts, für eine offensichtliche Rechtswidrigkeit ist nichts ersichtlich.
10 
Darüber hinaus haben alle Antragsteller durch die differenzierten Regelungen in der Allgemeinverfügung hinreichend Gelegenheit als Wahlbeobachter tätig zu sein. Für den Senat ist deshalb insgesamt nicht erkennbar, dass der Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl verletzt würde.
11 
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, 2, § 39 Abs. 1 GKG. Von einer Halbierung des Streitwerts wird wegen Vorwegnahme der Hauptsache abgesehen.
12 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen