Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 4 S 2078/20

Tenor

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 28. Mai 2020 - 14 K 20290/17 - wird abgelehnt.

Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 223.167,96 EUR festgesetzt.

Gründe

 
Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart hat keinen Erfolg. Aus den von der Beklagten in der fristgemäßen Antragsbegründung genannten und somit nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO allein maßgeblichen Gründen ist die Berufung nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (I.), tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten (II.), Divergenz (III.), grundsätzlicher Bedeutung (IV.) oder eines Verfahrensmangels (hierzu ebenfalls unter IV.) zuzulassen.
I.
Mit der Zulassungsbegründung werden keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hervorgerufen. Eine Zulassung hiernach setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 16.07.2013 - 1 BvR 3057/11 -, BVerfGE 134, 106 [118] und vom 08.12.2009 - 2 BvR 758/07 -, BVerfGE 125, 104 [140]). Dies kann regelmäßig nur dadurch erfolgen, dass sich die Antragsbegründung konkret mit der angegriffenen Entscheidung inhaltlich auseinandersetzt und aufzeigt, was im Einzelnen und warum dies als fehlerhaft erachtet wird (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 09.11.2004 - 11 S 2771/03 -, Juris Rn. 2).
Gemessen hieran trägt die Zulassungsbegründung die Annahme ernstlicher Richtigkeitszweifel nicht. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte sowie den im angegriffenen Urteil - welches insoweit rechtskräftig geworden ist - gesondert verurteilten Herrn H. zu Recht als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 223.167,96 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit - somit seit dem 28.12.2017 - zu zahlen.
Rechtsgrundlage dieses Anspruchs ist § 48 Satz 1 BeamtStG, der im Hinblick auf die Beklagte als ehemalige Bürgermeisterin der Klägerin gemäß § 92 Satz 1 Hs. 1 LBG Anwendung findet. Danach haben Beamte, die vorsätzlich oder grob fahrlässig die ihnen obliegenden Pflichten verletzen, dem Dienstherrn, dessen Aufgaben sie wahrgenommen haben, den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Die Dienstpflichtverletzungen der Beklagten liegen hier nach den - nicht angegriffenen - Feststellungen des Verwaltungsgerichts in der fehlenden Aufstellung und Vorlage der Jahresabschlüsse ab dem Haushaltsjahr 2006, einer mangelhaften Buchführung sowie in der unterlassenen Aufarbeitung der über mehr als ein Jahrzehnt angelaufenen Rückstände, beginnend mit dem Haushaltsjahr 2003.
Bei der Beurteilung des zu ersetzenden Schadens finden im Rahmen des § 48 Satz 1 BeamtStG die zivilrechtlichen Haftungsgrundsätze der §§ 249 ff. BGB entsprechende Anwendung (vgl. BVerwG, Urteil vom 02.02.2017 - 2 C 22.16 -, Juris Rn. 17-19; Sächs. OVG, Urteil vom 28.11.2017 - 2 A 91/16 -, Juris Rn. 22; OVG NRW, Beschluss vom 14.03.2011 - 1 A 366/09 -, Juris Rn. 16, 24).
Ausgehend hiervon ist das Verwaltungsgericht zutreffend von einem ersatzfähigen Schaden in Gestalt der aufgewandten Kosten für die externen Beratungsleistungen in Höhe von 223.167,96 EUR ausgegangen, welche aufgrund der aufzuarbeitenden Missstände in exorbitantem Umfang und mit einer Vielschichtigkeit in der Sache als erforderlich anzusehen sind, weil das bei der Klägerin hierfür zuständige Personal bei zeitgleicher Aufrechterhaltung des Tagesgeschäfts zu einer ordnungsgemäßen Fehlerbehebung nicht mehr in der Lage gewesen wäre.
Soweit die Beklagte dem entgegen hält, das Verwaltungsgericht habe es versäumt, die schadensrechtliche Differenzhypothese zutreffend in Anwendung zu bringen, und übersehen, „dass der vermeintliche Vermögensschaden in jedem Fall eingetreten wäre und damit von vornherein unvermeidbar (Stichwort: ,Sowieso-Kosten‘)“ gewesen sei, weil die Inanspruchnahme externer Beratungsleistungen nicht nur im Jahr 2015, sondern auch im Zeitpunkt der Übernahme des Bürgermeisteramts durch die Beklagte im Jahr 2006 erforderlich gewesen sei, vermag dies die Richtigkeit des angegriffenen Urteils nicht hinreichend in Frage zu stellen.
Zunächst ist festzuhalten, dass die Beklagte sich mit dem Begriff der „Sowieso-Kosten“ der Sache nach auf eine fehlende Zurechenbarkeit des Schadens aufgrund einer sog. Reserveursache beruft (und nicht auf die nach dem herkömmlichen Begriffsverständnis anerkannte Konstellation des zivilrechtlichen Werkvertragsrecht, vgl. hierzu: BGH, Urteil vom 17.05.1984 - VII ZR 169/82 -, Juris Orientierungssatz Nr. 3 m.w.N. sowie Rn. 20, 21). Die Beklagte meint, die Klägerin hätte die hier streitbefangenen Kosten für externe Beratungsleistungen in jedem Fall erbringen müssen, weil bereits bei Übernahme des Bürgermeisteramts im Jahr 2006 erhebliche Versäumnisse der Vorjahre vorgelegen hätten, die nur mit Hilfe externer Dienstleister hätten nachgeholt werden können.
Für die Frage einer Reserveursache trägt auch im öffentlichen Dienstrecht der Schädiger - vorliegend mithin die Beklagte - die Feststellungslast (vgl. zu den zivilrechtlichen Darlegungs- und Beweislastregeln BGH, Urteil vom 29.09.1982 - IVa ZR 309/80 -, Juris Rn. 47 m.w.N.). Denn bei der sog. hypothetischen Kausalität, wozu die Reserveursache als Fallgruppe zu zählen ist, geht es um die Frage, ob sich der Schädiger darauf berufen kann, dass der von ihm verursachte Schaden auf Grund eines anderen Ereignisses ohnehin eingetreten wäre (vgl. Palandt, BGB, 80. Auflage, Vorb. v. § 249 Rn. 55 m.w.N.).
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Ausgehend hiervon ist das Vorbringen der Beklagten zum einen nicht hinreichend substantiiert, zum anderen geht es auch in der Sache fehl, weil es die diesbezüglichen - entgegenstehenden - Ausführungen des Verwaltungsgerichts nicht berücksichtigt.
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Die Beklagte hat nicht näher ausgeführt, welche Kosten sie als durch ihren Amtsvorgänger verursacht und damit - bei einem hypothetischen Kausalverlauf - schon als bei ihrer Amtsübernahme im Jahr 2006 erforderlich gewesen ansieht. Dies wäre aber vor dem Hintergrund ihrer Darlegungsobliegenheit gemäß § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO erforderlich gewesen. Eine bloße Behauptung dahingehend, sämtliche Kosten wären auch im Jahr 2006 angefallen, weil bereits zu diesem Zeitpunkt eine externe Beratungsleistung hätte in Anspruch genommen werden müssen, genügt jedenfalls nicht. Insbesondere ist der Senat auch nicht von Rechts wegen gehalten, die Rechnungen im Einzelnen daraufhin durchzusehen, ob die angefallenen Beratungskosten gegebenenfalls (abgrenzbar) auf einen Zeitraum vor der Amtsübernahme der Beklagten zurückzuführen sein könnten. Dergleichen ist hier auch keineswegs evident.
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Im Gegenteil hat das Verwaltungsgericht im angegriffenen Urteil aufgeführt, die zu bereinigenden Rückstände hätten zwar bereits im Haushaltsjahr 2003 ihren Anfang genommen, sich jedoch in der Folgezeit - und insbesondere während der Amtszeit der Beklagten - kontinuierlich fortgesetzt und perpetuiert, ohne dass zwischenzeitlich adäquate Maßnahmen zu einer entsprechenden Eindämmung der Schadensvertiefung ergriffen worden wären. Hiermit hat sich die Beklagte im Zulassungsantrag nicht hinreichend auseinandergesetzt. Vielmehr steht ihre Einschätzung, die Beraterkosten wären in jedem Fall angefallen, im Widerspruch zu dem bislang dargelegten und sonst ersichtlichen Sachverhalt. Denn der seitens der externen Berater erbrachte Arbeitsaufwand war gerade aufgrund der beklagtenseits verursachten Vertiefung und Perpetuierung der Missstände über viele Jahre hinweg ungleich größer als er im Jahr 2006 gewesen wäre. Die Beklagte kann sich daher nach ihrer achtjährigen Amtszeit nicht pauschal auf ein Verschulden ihres Amtsvorgängers berufen, wenn es um die Aufarbeitung von eklatanten Missständen in den Bereichen Haushalts-, Kassen- und Rechnungsführung geht, und sie keine hinreichenden pflichtgemäßen Anstrengungen unternommen hat, um die bei Amtsübernahme bereits bestandenen Missstände zu beheben, sondern mit einer evident nachlässigen und mangelhaften Buchführung und unter Verletzung ihrer Kernpflichten dazu beigetragen hat, dass sich die Missstände vertiefen und einen exorbitanten Umfang erreichen konnten.
II.
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Die Berufung ist auch nicht wegen besonderer rechtlicher oder tatsächlicher Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass der Rechtssache nicht nur allgemeine oder durchschnittliche Schwierigkeit zukommt. Da dieser Zulassungsgrund auch die Richtigkeit der Entscheidung im Einzelfall gewährleisten soll, muss zugleich im Zulassungsvorbringen deutlich gemacht werden, dass wegen der in Anspruch genommenen besonderen Schwierigkeiten der Ausgang des (künftigen) Berufungsverfahrens jedenfalls ergebnisoffen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 12.05.2020 - 4 S 3240/19 -, Juris Rn. 12 m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen der Beklagten nicht. Soweit sie als Grund für die Annahme tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten nur ausführt, „aus den unter II.1. [des Zulassungsantrags] genannten Gründen ist dies der Fall“ und damit auf ihre Begründung des Zulassungsgrunds „ernstliche Richtigkeitszweifel“ verweist, vermag sie weder tatsächliche noch rechtliche Schwierigkeiten hinreichend darzulegen. Denn die von ihr - ohne Substanz - angestellten Erwägungen zu den externen Beratungskosten als „Sowieso-Kosten“ sind nicht im Ansatz geeignet, besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten des Verfahrens aufzuzeigen, die es rechtfertigten, dass man ihnen im Rahmen eines Berufungsverfahren nachginge.
III.
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Auch soweit die Beklagte ihren Zulassungsantrag auf eine Divergenz stützt, hat dieser keinen Erfolg, weil sie eine Abweichung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO nicht genügend dargetan hat. Eine Divergenz läge erst dann vor, wenn das Verwaltungsgericht in der angegriffenen Entscheidung einen Rechtssatz aufgestellt hätte, der einem abstrakten Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts im - von der Beklagten zitierten - Beschluss vom 27.10.2016 (5 C 55/15) ausdrücklich oder konkludent widerspräche.
15 
Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die Beklagte versteht das Bundesverwaltungsgericht in der genannten Entscheidung dahingehend, dass der durch eine unerlaubte Handlung Geschädigte grundsätzlich keinen Anspruch darauf habe, besser zu stehen, als er stünde, wenn der Schädiger die unerlaubte Handlung nicht begangen hätte. Hierzu stehen die Feststellungen im angegriffenen Urteil nicht im Widerspruch. Die Beklagte verkennt in ihrer Annahme, die Klägerin habe Schadensersatz für Aufwendungen erhalten, die in jedem Fall von der Gemeinde zu tragen gewesen wären, dass die Kosten - jedenfalls in der hier relevanten Höhe - erst durch die jahrelange Perpetuierung und drastische Vertiefung der Missstände sowie mangels pflichtgemäßer Aufarbeitung der Rückstände entstanden sind. Auf obige Ausführungen wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen.
IV.
16 
Zu den von der Beklagten ebenfalls benannten Zulassungsgründen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache sowie eines Verfahrensmangels hat die Beklagte keine Ausführungen gemacht und damit insoweit den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht im Ansatz genügt.
V.
17 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
18 
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3, § 47 Abs. 1, 3 GKG und folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben worden sind.
19 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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