Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 1 S 2315/21

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
I.
Der Antragsteller beantragt im vorliegenden Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO – sachdienlich ausgelegt – § 3 der Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 (Corona-Verordnung – CoronaVO) vom 25. Juni 2021 in der Fassung der Verordnung der Landesregierung zur Änderung der Corona-Verordnung vom 23. Juli 2021, gültig ab 26.07.2021, bis zur Entscheidung in der Hauptsache vorläufig außer Vollzug zu setzen, soweit die Pflicht zum Tragen einer medizinischen Maske Personen erfasst, die geimpft i.S.v. § 4 Abs. 1 CoronaVO i.V.m. § 2 Nr. 3 SchAusnahmV sind.
§ 3 CoronaVO lautet:
(1) Es gilt die Pflicht zum Tragen einer medizinischen Maske.
(2) Eine Ausnahme von der Maskenpflicht gemäß Absatz 1 gilt:
1. im privaten Bereich,
2. im Freien, es sei denn, es ist davon auszugehen, dass ein Mindestabstand von 1,5 Metern zu anderen Personen nicht zuverlässig eingehalten werden kann,
3. für Kinder bis zum vollendeten sechsten Lebensjahr, 4. für Personen, die glaubhaft machen können, dass ihnen das Tragen einer medizinischen Maske aus gesundheitlichen oder sonstigen zwingenden Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar ist, wobei die Glaubhaftmachung gesundheitlicher Gründe in der Regel durch eine ärztliche Bescheinigung zu erfolgen hat,
4. sofern das Tragen einer Maske aus ähnlich gewichtigen und unabweisbaren Gründen im Einzelfall unzumutbar oder nicht möglich ist oder ein anderweitiger mindestens gleichwertiger Schutz für andere Personen gegeben ist oder
5. in den weiteren in Teil 2 geregelten Ausnahmen.
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(3) In Arbeits- und Betriebsstätten bleibt die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung vom 25. Juni 2021 (BAnz AT 28. Juni 2021 V1), in der jeweils geltenden Fassung, unberührt.
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§ 4 Abs. 1 CoronaVO lautet:
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Eine geimpfte Person ist eine asymptomatische Person, die im Besitz eines auf sie ausgestellten Impfnachweises im Sinne von § 2 Nummer 3 COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung vom 8. Mai 2021 (SchAusnahmV - BAnz AT 8. Mai 2021 V1) ist.
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§ 2 Nr. 3 SchAusnahmV lautet:
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Im Sinne dieser Verordnung ist
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3. ein Impfnachweis ein Nachweis hinsichtlich des Vorliegens einer vollständigen Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 in deutscher, englischer, französischer, italienischer oder spanischer Sprache in verkörperter oder digitaler Form, wenn die zugrundeliegende Schutzimpfung mit einem oder mehreren vom Paul-Ehrlich-Institut im Internet unter der Adresse www.pei.de/impfstoffe/covid-19 genannten Impfstoffen erfolgt ist, und
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a) entweder aus einer vom Paul-Ehrlich-Institut im Internet unter der Adresse www.pei.de/impfstoffe/covid-19 veröffentlichten Anzahl von Impfstoffdosen, die für eine vollständige Schutzimpfung erforderlich ist, besteht und seit der letzten erforderlichen Einzelimpfung mindestens 14 Tage vergangen sind oder
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b) bei einer genesenen Person aus einer verabreichten Impfstoffdosis besteht
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Der Antragsteller erhielt am 15.06.2021 die zweite Impfdosis des Covid-19-Impfstoffs von AstraZeneca. Zur Begründung seines Antrags trägt er vor, die Maskenpflicht in § 3 CoronaVO verletze ihn in seinem Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG, seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG sowie in seinem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 GG. Die repressiven Instrumente des Infektionsschutzes seien für Geimpfte unzulässig, weil von ihnen keine oder jedenfalls nur noch geringe Risiken ausgingen. Er habe sich zu seinem eigenen Schutz und zum Schutz seiner Mitmenschen dazu entschlossen, sich dem persönlichen Risiko einer Impfung zu unterziehen. Damit habe er alles aus seiner Sicht Erforderliche getan, seinen Beitrag zur Eindämmung des Virus zu leisten. Er habe daher auch einen Anspruch darauf, dass ihm seine persönlichen Freiheiten wiedergegeben würden und er keine Maske mehr tragen müsse. Wo Maßnahmen keinen signifikanten Schutz entfalten könnten, fehle es bereits an deren Geeignetheit, im Übrigen seien sie nicht erforderlich und unangemessen und könnten damit keine Eingriffe in Grundrechte rechtfertigen. Das Tragen einer Maske sei mehr als nur eine kleine Irritation. Es beeinträchtige die Selbst- und Fremdwahrnehmung, erschwere die Kommunikation und könne schlimmstenfalls gesundheitliche Beschwerden hervorrufen oder verstärken. Zudem fühle er sich durch die Maskenpflicht stigmatisiert, da er unterschiedslos zu Nichtgeimpften als potentielle Gefahrenquelle für eine Virusübertragung angesehen werde, obgleich seit seiner Impfung gerade keine wesentliche Gefahr mehr von ihm ausgehe.
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Die Aufrechterhaltung der Maskenpflicht für vollständig Geimpfte sei nach den zwischenzeitlich vorliegenden Erkenntnissen daher nicht mehr zu rechtfertigen. Dies gehe aus den Stellungnahmen des Robert Koch-Instituts hervor. Im Hinblick auf den öffentlichen Gesundheitsschutz werde vom RKI klargestellt, dass Geimpfte für das Infektionsgeschehen nicht mehr relevant seien. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person trotz vollständiger Impfung PCR-positiv werde, sei niedrig, wenn auch nicht bei Null. Weitere medizinische Erkenntnisse – auch im Zusammenhang mit der Delta-Variante – könne der Antragsgegner zur Begründung der Aufrechterhaltung der Maskenpflicht nicht vorweisen, eine Verhältnismäßigkeitsprüfung sowie eine Auseinandersetzung mit der Frage der Eingriffstiefe sei nicht erfolgt. Auch Bedenken im Hinblick auf die Kontrollierbarkeit der für Ungeimpfte weiterhin bestehenden Maskenpflicht seien nicht geeignet, die aufgezeigten Grundrechtseingriffe zu rechtfertigen. Durch die entsprechenden Apps könne der Impfnachweis einfach und schnell überprüft werden.
20 
Der Antragsgegner ist dem Antrag entgegengetreten. Die Vereinbarkeit der Maskenpflicht mit höherrangigem Recht sei unbestritten und die Erstreckung der Maskenpflicht auf geimpfte und genesene Personen sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zu beanstanden. Die Wahrscheinlichkeit für eine Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus sei für Geimpfte zwar deutlich geringer als für Ungeimpfte, jedoch durchaus noch vorhanden. Im Falle einer Infektion könne diese auch von Geimpften weitergegeben werden. Da bislang nur ca. die Hälfte der Bevölkerung über einen ausreichenden Impfschutz verfüge, sei die Gefahr hoch, dass die Infektionszahlen wieder rasant zunähmen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie den Akteninhalt verwiesen.
II.
22 
Der Senat entscheidet über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO in der Besetzung mit drei Richtern (§ 9 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO). Die Besetzungsregelung in § 4 AGVwGO ist auf Entscheidungen nach § 47 Abs. 6 VwGO nicht anwendbar (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 15.12.2008 - GRS 1/08 - ESVGH 59, 154).
23 
Der nach § 47 Abs. 6 VwGO gestellte Eilantrag auf vorläufige Außervollzugsetzung der Maskenpflicht gem. § 3 CoronaVO für Geimpfte i.S. v. § 4 Abs. 1 CoronaVO i.V.m. § § 2 Nr. 3 SchAusnahmV hat keinen Erfolg.
24 
1. Der Antrag ist zulässig.
25 
Ein Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO ist zulässig, wenn ein in der Hauptsache gestellter oder noch zu stellender Normenkontrollantrag nach § 47 Abs. 1 VwGO voraussichtlich zulässig ist (vgl. zu dieser Voraussetzung Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl., § 47 Rn. 387) und die gesonderten Zulässigkeitsvoraussetzungen für den Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO erfüllt sind. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
26 
Die Statthaftigkeit des Antrags folgt aus § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO, § 4 AGVwGO. Danach entscheidet der Verwaltungsgerichtshof auch außerhalb des Anwendungsbereichs des § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO über die Gültigkeit von im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften. Dazu gehören Verordnungen - wie hier - der Landesregierung.
27 
Die Jahresfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist gewahrt.
28 
Der Antragsteller ist antragsbefugt. Die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO hat jede natürliche oder juristische Person, die geltend machen kann, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Es genügt dabei, wenn die geltend gemachte Rechtsverletzung möglich erscheint (ausf. dazu Senat, Urt. v. 29.04.2014 - 1 S 1458/12 - VBlBW 2014, 462 m.w.N.). Nach diesem Maßstab besteht die Antragsbefugnis. Es ist jedenfalls nicht von vornherein nach jeder Betrachtungsweise ausgeschlossen, dass der Antragsteller in seinem Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) sowie seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 GG) verletzt ist.
29 
Für einen etwaigen Antrag in der Hauptsache und den nach § 47 Abs. 6 VwGO liegt auch ein Rechtsschutzinteresse vor. Denn mit einem Erfolg dieser Anträge könnte der Antragsteller seine Rechtsstellung jeweils verbessern.
30 
2. Der nach § 47 Abs. 6 VwGO gestellte Antrag ist aber nicht begründet.
31 
Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann der Verwaltungsgerichtshof auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind zunächst die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags in der Hauptsache, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen. Ist danach der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Ergibt diese Prüfung, dass ein Normenkontrollantrag in der Hauptsache voraussichtlich begründet wäre, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug der streitgegenständlichen Satzung oder Rechtsvorschrift zu suspendieren ist. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug der Rechtsvorschrift vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens nicht abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden: Gegenüberzustellen sind die Folgen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Antrag nach § 47 Abs. 1 VwGO aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, also so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung - trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache - dringend geboten ist (BVerwG, Beschl. v. 25.02.2015 - 4 VR 5.14 -, ZfBR 2015, 381; Beschl. v. 16.09.2015 - 4 VR 2/15 -, juris; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 09.08.2016 - 5 S 437/16 -, juris m.w.N.; Beschl. v. 13.03.2017 - 6 S 309/17 - juris). Mit diesen Voraussetzungen stellt § 47 Abs. 6 VwGO an die Aussetzung des Vollzugs einer untergesetzlichen Norm erheblich strengere Anforderungen, als § 123 VwGO sie sonst an den Erlass einer einstweiligen Anordnung stellt (BVerwG, Beschl. v. 18.05.1998 - 4 VR 2/98 - NVwZ 1998, 1065).
32 
An diesen Maßstäben gemessen ist der Antrag des Antragstellers auf vorläufige Außervollzugsetzung der Maskenpflicht für Geimpfte nicht begründet. Ein im Hauptsacheverfahren gegen § 3 CoronaVO gerichteter Normenkontrollantrag hätte voraussichtlich keinen Erfolg (a). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist auch nicht im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO dringend geboten (b).
33 
a) Ein Normenkontrollantrag gegen § 3 CoronaVO hätte aller Voraussicht nach keinen Erfolg.
34 
aa) Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung, an der er festhält, entschieden, dass die in § 3 CoronaVO geregelte Maskenpflicht voraussichtlich mit höherrangigem Recht in Einklang steht (zuletzt zur Maskenpflicht in der Schule, Beschl. v. 15.06.2021 - 1 S 1694/21 - und Beschl. v. 29.04.2021 - 1 S 1204/21 - juris; zu § 1 Abs. 3 CoronaVO Schule auch Beschl. v. 21.04.2021, a.a.O., und v. 20.04.2021 - 1 S 1121/21 -; sowie bereits für die Vorgängerbestimmung aus § 6a Nr. 1 CoronaVO Schule a.F. Senat, Beschl. v. 04.11.2020 - 1 S 3318/20 - und v. 22.10.2020 - 1 S 3201/20 - juris; für die Bestimmungen zur Maskenpflicht im öffentlichen Personenverkehr Senat, Beschl. v. vom 25.06.2020 - 1 S 1739/20 - juris, vom 13.05.2020 - 1 S 1314/20 - und vom 18.05.2020 - 1 S 1417/20 -; für verordnungsrechtliche Bestimmungen zur Maskenpflicht im Schulunterricht im Ergebnis auch für das jeweilige dortige Landesrecht BayVGH, Beschl. v. 08.09.2020 - 20 NE 20.199 - und v. 07.09.2020 - 20 NE 20.1981 -; OVG Schl.-Holst., Beschl. v. 28.08.2020 - 3 MR 37/20 -; OVG NRW, Beschl. v. 27.08.2020 - 13 B 1220/20.NE - und v. 20.08.2020 - 13 B 1197/20.NE -; jeweils juris) und insbesondere auf einer ausreichenden, dem Parlamentsvorbehalt genügenden Rechtsgrundlage in § 32 Satz 1 und 2 i.V.m. § 28a Abs. 1 Nr. 2, § 28 Abs. 1 IfSG basiert (vgl. Senat, Beschl. v. 15.06.2021 – 1 S 1694/21 – m.w.N.; im Ergebnis ebenso zum dortigen Landesrecht OVG NRW, Beschl. v. 28.07.2021 – 13 B 1041/21.NE – juris Rn. 33).
35 
bb) Die in § 3 CoronaVO geregelte Pflicht zum Tragen einer medizinischen Maske – auch für Geimpfte – steht voraussichtlich mit Verfassungsrecht in Einklang. Verfassungswidrige Eingriffe in die jeweils in Betracht kommenden Grundrechte auf allgemeine Handlungsfreiheit (1), in das allgemeine Persönlichkeitsrecht (2) und das Recht auf körperliche Unversehrtheit (3) liegen aller Voraussicht nach nicht vor.
36 
(1) Ein verfassungswidriger Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 Satz 1 GG des Antragstellers liegt aller Voraussicht nach nicht vor. Der Schutzbereich dieses Grundrechts umfasst das Recht, das eigene äußere Erscheinungsbild nach eigenem Gutdünken selbstverantwortlich zu bestimmen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.01.1991 - 2 BvR 550/90 - NJW 1991, 1477; BVerwG, Urt. v. 02.03.2006 - 2 C 3.05 - BVerwGE 125, 85 m.w.N.). In diesen Schutzbereich greift die in § 3 CoronaVO geregelte Pflicht zum Tragen einer medizinischen Maske ein. Dieser Eingriff ist aber aller Voraussicht nach verfassungsrechtlich gerechtfertigt.
37 
(a) § 3 CoronaVO dient einem legitimen Zweck. Der Verordnungsgeber verfolgt damit das Ziel, das Leben und die körperliche Unversehrtheit einer potentiell sehr großen Zahl von Menschen zu schützen und damit den sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ergebenden staatlichen Schutzauftrag zu erfüllen, indem Neuinfektionen mit dem Coronavirus möglichst verhindert werden und die Verbreitung des Virus zumindest verlangsamt wird (vgl. nur Senat, Beschl. v. 23.04.2020, a.a.O., und v. 09.04.2020, a.a.O.; ausführlich auch Senat, Beschl v. 23.06.2021 – 1 S 1984/21, juris Rn. 72).
38 
(b) Zur Erreichung dieses Zieles ist das vom Verordnungsgeber in § 3 CoronaVO gewählte Mittel, das Tragen einer medizinischen Maske auch für geimpfte Personen vorzuschreiben, voraussichtlich geeignet.
39 
Ein Gesetz ist geeignet, wenn mit seiner Hilfe der erstrebte Erfolg gefördert werden kann, wobei dem Gesetzgeber bei der Beurteilung der Eignung ein Beurteilungsspielraum zusteht (st. Rspr., vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.06.1984 - 1 BvR 1494/78 - BVerfGE 67, 157, 173 ff.; Beschl. v. 09.03.1994 - 2 BvL 43/92 u.a. - BVerfGE 90, 145, 172 f.; je m.w.N.).
40 
Die grundsätzliche Eignung der Maskenpflicht zur Pandemiebekämpfung hat der Senat in ständiger Rechtsprechung bejaht, zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die oben (aa) zitierten Entscheidungen sowie die Ausführungen im Beschluss vom 15.06.2021 – 1 S 1694/21 – Bezug genommen.
41 
Soweit der Antragsteller davon ausgeht, dass eine Maskenpflicht für geimpfte Personen kein geeignetes Mittel zur Pandemiebekämpfung sei, weil von Geimpften keine Ansteckungsgefahren mehr ausgehen, dringt er hiermit nicht durch.
42 
Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand der Wissenschaft zeigt die Impfung zwar eine hohe Wirksamkeit gegen SARS-CoV-2-Infektionen, Krankheitslast und Sterbefälle, führt aber nicht zu einer sog. „sterilen Immunität“. Dies bedeutet, dass sich auch geimpfte Personen mit dem SARS-CoV-2-Virus infizieren, die Infektion weitergeben und auch an Covid-19 erkranken können.
43 
Das Robert Koch-Institut für hierzu aus:
44 
„Daten aus Zulassungsstudien wie auch aus Untersuchungen im Rahmen der breiten Anwendung (sog. Beobachtungsstudien) belegen, dass die in Deutschland zur Anwendung kommenden COVID-19-Impfstoffe SARS-CoV-2-Infektionen (symptomatisch und asymptomatisch) in einem erheblichen Maße verhindern. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person trotz vollständiger Impfung PCR-positiv wird, ist bereits niedrig, aber nicht Null. In welchem Maß die Impfung darüber hinaus die Übertragung des Virus weiter reduziert, kann derzeit nicht genau quantifiziert werden. Auf Basis der bisher vorliegenden Daten ist davon auszugehen, dass die Viruslast bei Personen, die trotz Impfung mit SARS-CoV-2 infiziert werden, stark reduziert und die Virusausscheidung verkürzt ist.
45 
In der Summe ist daher das Risiko einer Virusübertragung stark vermindert. Es muss jedoch davon ausgegangen werden, dass einige Menschen nach Kontakt mit SARS-CoV-2 trotz Impfung (asymptomatisch) PCR-positiv werden und dabei auch infektiöse Viren ausscheiden. Dieses Risiko muss durch das Einhalten der Infektionsschutzmaßnahmen zusätzlich reduziert werden. Daher empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) auch nach Impfung die allgemein empfohlenen Schutzmaßnahmen (Alltagsmasken, Hygieneregeln, Abstandhalten, Lüften) weiterhin einzuhalten. Das Ausmaß, in dem die Virusübertragung reduziert wird, variiert je nach Virusvariante. Bei allen derzeit dominierenden Virusvarianten ist das Risiko einer Virusübertragung stark vermindert, allerdings ist bei der Delta-Variante von einer reduzierten Wirksamkeit gegen SARS-CoV-2-Infektionen auszugehen (...).
46 
Aus Public-Health-Sicht erscheint durch die Impfung das Risiko einer Virusübertragung in dem Maß reduziert, dass Geimpfte bei der Epidemiologie der Erkrankung keine wesentliche Rolle mehr spielen.
47 
Diese Einschätzungen beruhen auf folgender Evidenz (...):
48 
- Die Impfung hat eine hohe Schutzwirkung (mindestens 80%) gegen schweres COVID-19, unabhängig vom verwendeten Impfstoff (Comirnaty von BioNTech/Pfizer, Spikevax von Moderna, Vaxzevria von AstraZeneca).
49 
- Die derzeitige Datenlage zeigt darüber hinaus, dass die Impfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff wie auch mit mRNA-Impfstoffen zu einer deutlichen Reduktion der SARS-CoV-2-Infektionen (symptomatisch + asymptomatisch) führt (Schutzwirkung etwa 80-90% nach der 2. Impfstoffdosis).
50 
- Weitere Daten belegen, dass selbst bei Menschen, die trotz Impfung PCR-positiv werden, die Viruslast signifikant reduziert wird (Ct Shift) und weniger lange anhält (verkürztes Shedding).
51 
(Quelle: RKI, FAQ Covid-19 und Impfen, „Können Personen, die vollständig geimpft sind, das Virus weiterhin übertragen?, abrufbar unter https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/COVID-Impfen/gesamt.html;jsessionid=4B3F9DB8144F156D847297077CCD9861.internet122, Stand: 14.07.2021)
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Diesen Analysen und Empfehlungen des hierzu berufenen Robert Koch-Institus (§ 4 Abs. 1 Satz 1 IfSG) liegen verschiedene wissenschaftliche Studien, z.B. über Impfdurchbrüche in Israel („Covid-19 Breakthrough Infektions in Vaccinated Health Care Workers“, New England Journal of Medicine v. 28.07.2021, https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa2109072), sowie die (etwas geringere) Wirksamkeit der zugelassenen Impfstoffe gegen die Delta-Variante („Effectiveness of Covid-19 Vaccines against the B.1.617.2 (Delta) Variant“, New England Journal of Medicine v. 21.07.2021, https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa2108891?query=recirc_mostViewed_railB_article) zugrunde. Auch in Deutschland ist es bereits zu zahlreichen bestätigten Infektionen vollständig Geimpfter gekommen. Ausweislich des Wochen-Lageberichts vom 05.08.2021 des RKI zu COVID-19 (abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Wochenbericht/Wochenbericht_2021-08-05.pdf?__blob=publicationFile) gab es seit dem 01.02.2021 bis zur Kalenderwoche 30 (2021) kumuliert über alle Altersgruppen 8.715 symptomatische und 6.879 asymptomatische Impfdurchbrüche. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt entspricht dies einer Quote von 3,53 % aller Geimpften, wobei das RKI von einer Untererfassung der geimpften COVID-19-Fälle ausgeht. Die Behauptung des Antragstellers, der Antragsgegner stütze sich zur Rechtfertigung der Maskenpflicht für Geimpfte alleine auf die Wiedergabe „journalistischer Inhalte“ und begründe Grundrechtseinschränkungen mit „bloßen Vermutungen“ geht mithin ins Leere. Nicht nachvollziehbar ist für den Senat in diesem Zusammenhang auch die von dem Antragsteller in Bezug genommene These des (rechtswissenschaftlichen) Gutachters …, dass von Geimpften „keine bzw. jedenfalls nur so geringe Risiken“ ausgingen, dass Freiheitseinschränkungen nicht mehr legitimierbar seien. Eine Auseinandersetzung mit virologischen und epidemiologischen Befunden fand im Rahmen dieser Bewertung nicht statt.
53 
Nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand ist somit davon auszugehen, dass auch vollständig geimpfte Personen das SARS-CoV-2-Virus aufnehmen, ausscheiden und somit andere Personen infizieren können. Auch wenn es sich hierbei in absoluten Zahlen nur um wenige Fälle handelt, besteht ein Restrisiko, welches vor dem Hintergrund der Tatsache, dass aktuell 45 % der deutschen Bevölkerung über keinen ausreichenden Impfschutz verfügen, nicht vernachlässigbar ist. Diese Personengruppe wäre der Infektiösität Geimpfter im Falle einer Maskendispens schutzlos ausgesetzt. Der Verordnungsgeber hat folglich den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum nicht offensichtlich überschritten, wenn er davon ausgeht, dass die Verpflichtung Geimpfter zum Tragen einer Maske geeignet ist, einen Beitrag zur Eindämmung des Pandemiegeschehens zu leisten.
54 
(c) Zur Erreichung des von dem Antragsgegner mit § 3 CoronaVO verfolgten Zieles (vgl. oben (a) ist das gewählte Mittel einer Maskenpflicht für Geimpfte voraussichtlich auch erforderlich.
55 
Ein Gesetz ist erforderlich, wenn der Gesetzgeber nicht ein anderes, gleich wirksames, aber das Grundrecht nicht oder weniger stark einschränkendes Mittel hätte wählen können, wobei dem Gesetzgeber auch insoweit ein Beurteilungsspielraum zusteht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.06.1984, a.a.O., und v. 09.03.1994, a.a.O., jeweils m.w.N.). Solche gleich wirksamen, aber weniger einschränkenden Mittel hat der Antragsteller nicht aufgezeigt und sind voraussichtlich auch sonst nicht erkennbar. Die vom Antragsteller in den Blick genommene Ausnahme Geimpfter von der Maskenpflicht stellt ersichtlich kein zur Zweckerreichung gleich geeignetes milderes Mittel dar, weil es hierdurch ungehindert zu Transmissionen und gegebenenfalls einem Anstieg der Infektionszahlen kommen kann.
56 
(d) Das von dem Verordnungsgeber zur Erreichung des genannten Zieles gewählte Mittel einer Maskenpflicht auch für Geimpfte stellt sich im Zeitpunkt der vorliegenden Senatsentscheidung auch als (noch) verhältnismäßig im engeren Sinne (angemessen) dar.
57 
Der Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit des Antragstellers ist von gewissem Gewicht. Er kann bestimmte öffentliche Bereiche nicht betreten, ohne eine medizinische Maske aufzusetzen und damit Teile seines Gesichts zu verdecken. Dadurch wird unter anderem sein Recht, das eigene äußere Erscheinungsbild nach eigenem Gutdünken selbstverantwortlich zu bestimmen, beeinträchtigt. Mit dieser Beeinträchtigung gehen Einschränkungen unter anderem in der Kommunikation und sozialen Interaktion aufgrund der Verdeckung des Gesichts und der Mimik sowie Erschwernisse bei der ungehinderten Atmung und damit unter Umständen dem Wohlbefinden einher.
58 
Bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen ist zu berücksichtigen, dass die Maskenpflicht bei dem gegenwärtigen moderaten Infektionsgeschehen eine der letzten verordneten Schutzmaßnahmen ist. Mit dem Rückgang der Infektionszahlen ab Mai 2021 haben weitgehende Öffnungen und Lockerungen in allen gesellschaftlichen Bereichen stattgefunden, die Anzahl der Kontakte und die Mobilität der Menschen haben sich wieder signifikant erhöht, was auf der anderen Seite ein wachsendes Infektionsrisiko birgt. Mit den fallenden Infektionszahlen wurde auch die Maskenpflicht z.B. im Schulumfeld sowie im Freien gelockert. Die angefochtene Maskenpflicht gem. § 3 CoronaVO gilt mithin nur noch für ausgewählte Bereiche, wie im öffentlichen Personennahverkehr, beim Aufenthalt in Senioren- und Pflegeeinrichtungen, beim Einkaufen, sowie bei Aufenthalten in geschlossenen nichtprivaten Räumlichkeiten, soweit Mindestabstände nicht eingehalten werden können oder keine spezifischen Ausnahmeregelungen einschlägig sind. Der Verordnungsheber hat die Maskenpflicht folglich auf bestimmte räumliche, zeitliche und soziale Situationen beschränkt, in denen entweder viele Personen aus verschiedenen Haushalten in geschlossenen Räumen aufeinandertreffen oder besonders vulnerable Personengruppen betroffen sind.
59 
Dieser verbleibenden Pflicht zum Tragen einer medizinischen Maske auch für Geimpfte steht der Schutz hochrangiger Rechtsgüter gegenüber. Der Verordnungsgeber bezweckt mit der Maskenpflicht die Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus zu verlangsamen. Aufgrund der trotz fortschreitender Impfkampagne hohen Anzahl ungeimpfter Personen birgt die (unbemerkte) Weitergabe des Coronavirus die Gefahr, dass dieses sich wieder exponentiell verbreitet, es zu der persönlichen Gefährdung ungeimpfter Personen und zu Überlastungen des Gesundheitswesens kommen kann.
60 
Hinzu kommt, dass die Infektionszahlen gegenwärtig wieder ansteigen. Das RKI führt in seiner aktuellen „Risikobewertung zu COVID-19“ hierzu unter anderem aus:
61 
„Es handelt sich weltweit, in Europa und in Deutschland um eine ernst zu nehmende Situation. Insgesamt entwickeln sich die Fallzahlen von Staat zu Staat unterschiedlich. In vielen Staaten wurde um die Jahreswende mit der Impfung der Bevölkerung begonnen. Meist wurden zunächst die höheren Altersgruppen geimpft, inzwischen werden vielerorts auch andere Gruppen miteinbezogen.
62 
Ziel der Anstrengungen in Deutschland ist es, einen nachhaltigen Rückgang der Fallzahlen, insbesondere der schweren Erkrankungen und Todesfälle zu erreichen. Nur bei einer niedrigen Zahl von neu Infizierten und einem hohen Anteil der vollständig Geimpften in der Bevölkerung können viele Menschen, nicht nur aus den Risikogruppen wie ältere Personen und Menschen mit Grunderkrankungen, zuverlässig vor schweren Krankheitsverläufen, intensivmedizinischer Behandlungsnotwendigkeit und Tod geschützt werden. Ein weiteres wichtiges Ziel ist die Vermeidung von Langzeitfolgen, die auch nach milden Krankheitsverläufen auftreten können.
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Nach einem Anstieg der Fälle im 1. Quartal 2021 und deutlichem Rückgang der 7-Tage-Inzidenzen und Fallzahlen im Bundesgebiet im 2. Quartal in allen Altersgruppen steigen nun die Fallzahlen wieder an.
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Die Zahl schwerer Erkrankungen an COVID-19, die im Krankenhaus evtl. auch intensivmedizinisch behandelt werden müssen und die Zahl der Todesfälle befinden sich derzeit auf niedrigem Niveau.
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Es lassen sich wieder mehr Infektionsketten nachvollziehen, aber Ausbrüche treten weiterhin auf. Neben der Fallfindung und der Nachverfolgung der Kontaktpersonen bleiben auch bei niedrigen Fallzahlen die individuellen infektionshygienischen Schutzmaßnahmen weiterhin von herausragender Bedeutung (Kontaktreduktion, AHA + L und bei Krankheitssymptomen zuhause bleiben).
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Häufungen werden momentan vor allem in Privathaushalten und in der Freizeit (z.B. Reisen) beobachtet. Die Zahl von COVID-19-bedingten Ausbrüchen in Alten- und Pflegeheimen und Krankenhäusern ist insbesondere aufgrund der fortschreitenden Durchimpfung deutlich zurückgegangen.
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Für die Senkung der Neuinfektionen, den Schutz der Risikogruppen und die Minimierung von schweren Erkrankungen ist die Impfung der Bevölkerung von zentraler Bedeutung. Effektive und sichere Impfstoffe sind seit Ende 2020 zugelassen. Da genügend Impfstoff zur Verfügung steht, konnte die Impfpriorisierung aufgehoben werden; es ist wichtig, dass barrierefreie und aufsuchende Impfangebote gemacht werden und möglichst viele Menschen dieses Impfangebot in Anspruch nehmen.
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Die Therapie schwerer Krankheitsverläufe ist komplex und erst wenige Therapieansätze haben sich in klinischen Studien als wirksam erwiesen.
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Die Dynamik der Verbreitung der Varianten von SARS-CoV-2 (aktuell B.1.1.7 (Alpha), B.1.351 (Beta), P.1 (Gamma) und B.1.617.2 (Delta)), die als besorgniserregende Varianten bezeichnet werden, wird in Deutschland systematisch analysiert. Besorgniserregende Varianten (VOC) werden in unterschiedlichem Ausmaß auch in Deutschland nachgewiesen: In den letzten Wochen ist es zu einem raschen Anstieg des Anteils von Infektionen mit der Delta-Variante gekommen, die inzwischen die dominierende Variante in Deutschland ist. Aufgrund der leichten Übertragbarkeit dieser Variante muss mit einem erneuten Anstieg der Infektionszahlen in den nächsten Wochen gerechnet werden. Hinzu kommen die Lockerungen der Kontaktbeschränkungen und die Reisetätigkeit, die eine erneute Ausbreitung von SARS-CoV-2 begünstigen.
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Alle Impfstoffe, die aktuell in Deutschland zur Verfügung stehen, schützen nach derzeitigen Erkenntnissen bei vollständiger Impfung auch vor einer Erkrankung durch die Variante B.1.617.2 (Delta). Hinsichtlich der Schutzwirkung der vollständigen Impfung vor schweren Krankheitsverläufen besteht nach derzeitiger Datenlage kein Unterschied zwischen B.1.617.2 (Delta) und B.1.1.7 (Alpha). V.a. bei Personen, die nur eine Impfstoffdosis erhalten hatten, zeigte sich gegen milde Krankheitsverläufe eine verringerte Schutzwirkung bei B.1.617.2 (Delta) im Vergleich zu B.1.1.7 (Alpha).
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Das Robert Koch-Institut schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der nicht oder nur einmal geimpften Bevölkerung in Deutschland daher insgesamt weiterhin als hoch ein. Für vollständig Geimpfte wird die Gefährdung als moderat eingeschätzt. Diese Einschätzung kann sich kurzfristig durch neue Erkenntnisse ändern.“
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(https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html;jsessionid=0B1C0F63E17C845598791F816D066E53.internet081?nn=2386228, Stand 02.08.2021, zuletzt abgerufen am 10.08.2021).
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Bei diesem Sachstand weist das mit § 3 CoronaVO verfolgte Ziel derzeit nach wie vor ein solches Gewicht und eine solche Dringlichkeit auf, dass sich die Auferlegung einer Maskenpflicht auch für Geimpfte gegenwärtig voraussichtlich als verhältnismäßig im engeren Sinne erweist.
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§ 3 CoronaVO ist außerdem bis zum 23.08.2021 befristet (vgl. § 22 Abs. 2 Satz 1 CoronaVO) und unterliegt als dauerhaft eingreifende Maßnahme der Verpflichtung der Landesregierung zur fortlaufenden Überprüfung, insbesondere, wie wirksam die Maßnahme im Hinblick auf eine Verlangsamung der Verbreitung des Coronavirus ist und wie sie sich für die Betroffenen auswirkt. Dass die Landesregierung dieser Verpflichtung – wie der Antragsteller meint – bisher nicht nachgekommen ist, ist vor dem Hintergrund der aktuellen Regelungssystematik der Coronaverordnung, die (noch) abgestufte Maßnahmen je nach Infektionsgeschehen sowie Impfstatus vorsieht und auch die Maskenpflicht in vielen Bereichen bereits gelockert hat, nicht ersichtlich. Der Verordnungsgeber konnte sich daher beim gegenwärtigen Stand des Pandemiegeschehens ohne Rechtsfehler dafür entscheiden, die Maskenpflicht als Infektionsschutzmaßnahme beizubehalten.
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(2) Ein verfassungswidriger Eingriff in das grundrechtlich geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht des Antragstellers (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) liegt aller Voraussicht nach nicht vor.
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Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt insbesondere das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen über die Darstellung des persönlichen Lebens- und Charakterbildes (BVerfG, Beschl. v. 14.01.2020 - 2 BvR 1333/17 - NJW 2020, 1049). Der Einzelne soll selbst darüber befinden dürfen, wie er sich gegenüber Dritten oder der Öffentlichkeit darstellen will und was seinen sozialen Geltungsanspruch ausmachen soll (BVerfG, Beschl. v. 14.01.2020, a.a.O., und v. 03.11.1999 - 2 BvR 2039/99 - NJW 2000, 1399). In diesen Schutzbereich greift der Antragsgegner mit § 3 CoronaVO ein. Denn der Antragsteller wird damit verpflichtet, in den gesetzlich definierten Situationen sein Gesicht teilweise hinter einer Maske zu verbergen. Damit wird seine als Ausdruck seiner persönlichen Identität zu respektierende Entscheidung, sein Gesicht in der Öffentlichkeit nicht zu verhüllen, beeinträchtigt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.01.2020, a.a.O., zum Tragen eines Kopftuchs). Dieser Eingriff ist aber aus den oben zum Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit genannten (1), insoweit entsprechend geltenden Gründen verfassungsrechtlich gerechtfertigt, insbesondere verhältnismäßig.
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(3) Ein verfassungswidriger Eingriff in das Grundrecht des Antragstellers auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) liegt voraussichtlich ebenfalls nicht vor. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die in § 3 CoronaVO angeordnete Maskenpflicht gesundheitliche Beeinträchtigungen bewirkt. Sofern das Tragen einer medizinischen Maske aus gesundheitlichen oder sonstigen zwingenden Gründen nicht möglich oder zumutbar ist, besteht ein entsprechender Befreiungstatbestand in § 3 Abs. 2 Nr. 4 CoronaVO.
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b) Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist auch nicht im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO geboten.
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Dies folgt bereits daraus, dass ein Normenkontrollantrag, wie gezeigt (oben 2.a)), voraussichtlich unbegründet ist. In einem solchen Fall ist - wie oben ausgeführt - der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Unbeschadet dessen ist eine erhebliche, die von dem Antragsgegner vorgebrachten Interessen des Schutzes von Leib und Leben überwiegende Beeinträchtigung der Belange des Antragstellers nicht ersichtlich. Die bestehenden Einschränkungen sind ihm im Rahmen der gebotenen Abwägung gegenwärtig zumutbar.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG. Für eine Halbierung des Auffangstreitwerts bestand im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wegen der weitgehenden Vorwegnahme der Hauptsache kein Anlass.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

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