Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 12 S 1594/21

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 15. April 2021 - 2 K 5586/20 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

Die zulässige Beschwerde des Klägers vom 05.05.2021 gegen den seinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren des ersten Rechtszugs und Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts bleibt ohne Erfolg. Der Kläger ist im maßgebenden Zeitpunkt der Entscheidung des Senats bereits nicht bedürftig im Sinne des Prozesskostenhilferechts.
Gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu gewähren. Erforderlich ist zudem, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Unter den gleichen Voraussetzungen erfolgt nach Maßgabe des § 121 Abs. 2 ZPO die Beiordnung eines Rechtsanwalts.
Ob ein Kläger nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung aufbringen kann, ist nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Entscheidung des (Beschwerde-)Gerichts zu beurteilen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 26.10.2006 - 13 S 1799/06 -, juris Rn. 3; Bayerischer VGH, Beschluss vom 20.06.2012 - 8 C 12.653 -, juris Rn. 8; OVG Hamburg, Beschluss vom 06.08.2003 - 4 So 3/02 -, juris Rn. 9; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16.06.1992 - 18 E 275/91.A -, juris Rn. 4 ff.; Happ in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 166 Rn. 41; Neumann/Schaks in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 166 Rn. 132; Bader in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 8. Aufl. 2021, § 166 Rn. 36; W.-R. Schenke in: Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 166 Rn. 14a, 20; Dürbeck/Gottschalk, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 9. Aufl. 2020, Rn. 1083; auf den Zeitpunkt der Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts abstellend: Hessischer VGH, Beschluss vom 08.11.1988 - 12 TP 1096/88 -, juris Rn. 3; differenzierend: OLG München, Beschluss vom 09.12.1994 - 15 W 2611/94 -, juris Rn. 3 ff.).
Der Kläger hat mit Schreiben vom 28.12.2021 mitgeteilt, keine Leistungen der Grundsicherung mehr zu beziehen und zwischenzeitlich nicht mehr prozesskostenhilfeberechtigt zu sein. Eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe scheidet aus diesem Grund im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung aus.
Soweit der Prozessbevollmächtigte des Klägers hieraufhin weiter vorbringt, es gehe in dem vorliegenden Verfahren um die Beurteilung der Erfolgsaussichten seiner erstinstanzlich erhobenen Klage, da bei einer rückwirkenden Bewilligung von Prozesskostenhilfe keine Gerichtskosten zu bezahlen seien, stellt er entgegen der herrschenden Ansicht in Literatur und Rechtsprechung (s.o.) letztlich auch für die Beurteilung der Bedürftigkeit auf den Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs ab. Dass es zur Beurteilung der Bedürftigkeit des Rechtsschutzsuchenden aufgrund seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse - anders als für die Beurteilung der Erfolgsaussichten - auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag bzw. über die Beschwerde ankommt, und daher eine Verbesserung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse nach Stellung des Antrags auf Prozesskostenhilfe bzw. nach der Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts zulasten des Klägers - unabhängig von den Erfolgsaussichten in der Sache - zu berücksichtigen ist, legt zum einen bereits der Wortlaut des § 115 Abs. 1 Satz 4 ZPO nahe. Danach sind für das prozesskostenrechtlich einzusetzende Einkommen die Beträge maßgeblich, die zum Zeitpunkt der Bewilligung der Prozesskostenhilfe und damit zum Zeitpunkt der Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch gelten. Hierfür spricht zum anderen aber auch der Zweck der Prozesskostenhilfe. Als Sozialleistung (vgl. Art. 20 Abs. 1 GG) will die Prozesskostenhilfe einer gegenwärtigen Notlage abhelfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.03.1990 - 2 BvR 94/88 -, juris Rn. 23 ff.). Verfügt der Rechtsschutzsuchende im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts über hinreichend eigenes Einkommen oder Vermögen, droht die beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht mehr an seiner Mittellosigkeit zu scheitern. Gesetzessystematisch wird dieses Ergebnis zudem durch die Regelung des § 120a Abs. 1 Satz 1 ZPO unterstrichen. Danach soll das Gericht nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe die Entscheidung über die zu leistenden Zahlungen ändern, wenn sich die für die Prozesskostenhilfe maßgeblichen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich - zu Gunsten oder zu Lasten des Rechtsschutzsuchenden (Letzteres nur, wenn seit der Beendigung des Verfahrens weniger als vier Jahre vergangen sind, vgl. § 120a Abs. 1 Satz 4 ZPO) - verändert haben. Die Vorschriften ermöglichen nicht nur eine Änderung der Ratenhöhe, sondern auch die Beendigung von Ratenzahlungen und ihre erstmalige Anordnung sowie die Nachzahlung aller bereits fälliger Kosten (vgl. Riese in: Schoch/Schneider, VwGO, § 166 Rn. 135 ff. ). Dem entspricht es, wenn das Gericht solche Änderungen berücksichtigt, die vor seiner Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch eingetreten sind. Dies gebietet nicht zuletzt auch die Prozessökonomie, da der Rechtsschutzsuchende ansonsten auf ein anschließendes Änderungsverfahren zu verweisen wäre; eine vom Kläger angedeutete zeitabschnittsweise Betrachtung erfolgt in diesem Verfahren nicht. Schließlich würde eine gleichwohl gewährte Prozesskostenhilfe ihrem Zweck zuwider lediglich einen Ausgleich dafür bilden, dass das Gericht nicht schon früher über den Prozesskostenhilfeantrag entschieden hat, und zwar in dem Zeitpunkt in dem die Bewilligungsvoraussetzungen noch vorlagen. Dafür besteht allerdings - mit Blick auf die differenzierenden Regelungen des Prozesskostenhilferechts - weder aus Vertrauensschutzgesichtspunkten noch aus sonstigen Billigkeitserwägungen Raum. Mangels stattgebender Entscheidung hat der Kläger zu keinem Zeitpunkt eine schutzwürdige Vertrauensposition erlangt und auch Billigkeitsgesichtspunkte können an dem gesetzlich vorgesehenen Bedürftigkeitserfordernis nichts ändern.
Danach kann auch für die Vergangenheit Prozesskostenhilfe nicht aufgrund der bisher vorgelegten - bzgl. des Leistungsbezugs - überholten Erklärung, die im Übrigen bereits zum Zeitpunkt ihrer Vorlage formal nicht vollständig war (vgl. dazu die Ausführungen des Verwaltungsgerichts, BA S. 4), gewährt werden, sondern es bedarf einer aktuellen Bedürftigkeit, die durch eine - vom Kläger nicht innerhalb der gesetzten Frist vorgelegte - aktuelle Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nachzuweisen ist (vgl. § 117 Abs. 2 bis 4 ZPO). Auf eine Beurteilung der Erfolgsaussichten der von ihm erhobenen Klage kommt es daher nicht mehr an. Im Lichte des von dem Kläger nun vorgetragenen fehlenden Leistungsbezugs könnte sich insoweit eine Änderung zu dem Beschluss des Verwaltungsgerichts ergeben haben, in dem maßgeblich auf eine fehlende Lebensunterhaltssicherung (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) abgestellt worden ist.
Eine Streitwertfestsetzung ist entbehrlich, da infolge der Zurückweisung der Beschwerde nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz eine Festgebühr anfällt. Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nach § 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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