Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 1 S 435/22

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 28. Januar 2022 - 7 K 2670/21 - geändert und der Verwaltungsrechtsweg für zulässig erklärt.

Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht wird nicht zugelassen.

Gründe

 
I.
Der (minderjährige) Kläger wendet sich in der Hauptsache gegen ein befristetes Haus- und Badeverbot in allen „städtischen Mineral-, Hallen und Freibäder[n]“ der Beklagten.
Die Beklagte betreibt ihre 17 Bäder als Eigenbetriebe. Die für das Nutzungsverhältnis geltende „Haus- und Badeordnung“ wurde 2019 neu erstellt. Gemäß deren § 1 Abs. (2) Satz 3 ist die Haus- und Badeordnung privatrechtlicher Natur.
Mit Schreiben der Beklagten vom 04.09.2020 wurde dem Kläger vorgeworfen, am 06.08.2020 gegen 17.30 Uhr mehrfach gegen die Haus- und Badeordnung des Höhenfreibads ... verstoßen zu haben. Er sei mehrfach seitlich vom 1-m-Sprungbrett in das Becken gesprungen und sodann im Wasser geblieben, anstatt anderen Schwimmern Platz zu machen. Mehrfachen Aufforderungen des Personals, dies zu unterlassen, sei er nicht nachgekommen. Außerdem sei er vorsätzlich entgegengesetzt zur vorgegebenen Schwimmrichtung geschwommen. Schließlich habe er sich der Aufforderung des Badpersonals, das Bad zu verlassen, widersetzt, so dass die die Polizei habe hinzugezogen werden müssen. In der Folge wurde dem Kläger ein bis zum 30.09.2021 befristetes Haus- und Badeverbot (mit Ausnahme für den lehrplanmäßigen Schwimmunterricht) für alle städtischen Mineral-, Hallen- und Freibäder erteilt. Das Schreiben enthielt keine Rechtsbehelfsbelehrung.
Am 29.09.2020 wandte sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers an die Beklagte und forderte diese zur Rücknahme des Haus- und Badeverbots auf.
Mit Schreiben vom 01.02.2021, das ebenfalls keine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt, lehnte die Beklagte eine Rücknahme des Haus- und Badeverbots ab.
Am 17.05.2021 hat der Kläger Klage vor dem Verwaltungsgericht erhoben und diese im Wesentlichen damit begründet, dass er nicht gegen die Haus- und Badeordnung verstoßen habe und die Maßnahme dessen ungeachtet völlig ermessensfehlerhaft sei. Er hat beantragt,
den Bescheid der Landeshauptstadt Stuttgart, Bäderbetriebe Stuttgart vom 04.09.2020 „Höhenfreibad ... - Haus- und Badeverbot für ...“ und den Widerspruchsbescheid der Landeshauptstadt Stuttgart, Bäderbetriebe Stuttgart, vom 01.02.2021 aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Sie hält die Klage mangels Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs bereits für unzulässig. Da die Haus- und Badeordnung privatrechtlicher Natur sei, sei auch die Rechtsnatur des bestimmungsgemäßen Gebrauchs privatrechtlich.
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Mit Schriftsatz vom 26.10.2021 hat der Kläger aufgrund der Erledigung des Haus- und Badeverbots durch Zeitablauf seinen Antrag geändert und beantragt nunmehr,
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festzustellen, dass der Bescheid der Landeshauptstadt Stuttgart, Bäderbetriebe Stuttgart vom 04.09.2020 „Höhenfreibad ... - Haus- und Badeverbot für …“ und der Widerspruchsbescheid der Landeshauptstadt Stuttgart, Bäderbetriebe Stuttgart, vom 01.02.2021 rechtswidrig waren.
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Auch insoweit hat die Beklagte Klageabweisung beantragt.
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Mit Verfügung vom 12.01.2022 hat der Berichterstatter die Beteiligten zu der Absicht, den Rechtsstreit mangels Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs an das zuständige Amtsgericht Stuttgart zu verweisen, angehört. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers ist der Rechtsauffassung entgegengetreten.
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Mit Beschluss vom 28.01.2022 (zugestellt am 03.02.2022) hat das Verwaltungsgericht den Rechtsstreit gem. § 173 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs – das Amtsgericht Stuttgart – verwiesen. Zur Begründung hat es angeführt, bei dem Hausverbot handle es sich um ein privatrechtliches Verbot, da es auf der ebenfalls privatrechtlichen Haus- und Badeordnung der Beklagten beruhe. Das Haus- und Badeverbot sei hingegen nicht damit begründet worden, dass der Kläger die Voraussetzungen des § 10 Abs. 2 Satz 2 GemO nicht erfülle und deshalb zur Benutzung der städtischen Einrichtung nicht zugelassen sei. Es handle sich daher um einen Streit im Rahmen des Benutzungsverhältnisses und nicht um einen solchen über die grundsätzliche Zugangsberechtigung zu einer gemeindlichen Einrichtung.
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Am 04.02.2022 hat der Kläger hiergegen Beschwerde eingelegt und sinngemäß beantragt, den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 28.01.2022 aufzuheben und das Verfahren fortzusetzen.
II.
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Die zulässige Beschwerde (§ 17a Abs. 4 Satz 3 GVG i.V.m. §§ 146 ff. VwGO) ist begründet.
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Das Verwaltungsgericht hat den Rechtsstreit zu Unrecht an das Amtsgericht Stuttgart verwiesen. Der von dem Kläger beschrittene Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten ist nach § 40 Abs.1 Satz 1 VwGO zulässig, da es sich bei der von dem Kläger erhobenen Klage um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art handelt.
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Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Ob eine Streitigkeit öffentlich- oder bürgerlich-rechtlich ist, richtet sich, wenn - wie hier - eine ausdrückliche gesetzliche Rechtswegzuweisung fehlt, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der geltend gemachte Anspruch hergeleitet wird. Der Charakter des zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses bemisst sich nach dem erkennbaren Ziel des Rechtsschutzbegehrens und des zu seiner Begründung vorgetragenen Sachverhalts. Maßgeblich ist allein die tatsächliche Natur des Rechtsverhältnisses, nicht dagegen die rechtliche Einordnung des geltend gemachten Anspruchs durch den Kläger selbst. Für die Annahme einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit genügt es, dass für das Rechtsschutzbegehren eine Anspruchsgrundlage in Betracht kommt, die im Verwaltungsrechtsweg zu verfolgen ist (BVerwG, Beschl. v. 15.12.1992 - 5 B 144.91 - Buchholz 300 § 17a GVG Nr. 5; Senat, Beschl. v. 24.04.2018 - 1 S 2403/17 - NJW 2018, 2583 und v. 07.11.2016 - 1 S 1386/16 - VBlBW 2017, 170).
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An diesen Maßstäben gemessen ist die vorliegende Streitigkeit öffentlich-rechtlicher Natur und der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.
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Der Kläger begehrt die Feststellung, dass das ihm gegenüber verhängte Haus- und Badeverbot für alle von der Beklagten betriebenen Bäder in Stuttgart vom 04.09.2020 bis zum 30.09.2021 rechtswidrig war.
22 
Die von der Beklagten in Stuttgart als Eigenbetriebe betriebenen 17 Bäder sind unstreitig öffentliche Einrichtungen gem. § 10 Abs. 2 GemO, da diese zur unmittelbaren und gleichen Nutzung der Einwohner sowie der Allgemeinheit zur Verfügung stehen (vgl. VGH Bad-Württ., Urt. v. 01.03.1982 - 1 S 1179/81 - VBlBW 1983, 35; Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, § 10 Rn. 15).
23 
Nach der sog. Zwei-Stufen-Lehre sind Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Bürger und der Gemeinde über den Zugang zu einer öffentlichen Einrichtung (das „Ob“) unabhängig von deren Rechtsform regelmäßig als öffentlich-rechtliche Streitigkeit vor den Verwaltungsgerichten auszutragen (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 18.07.1969 - 7 C 56.68 - BVerwGE 32, 333; vom 24.10.1969 - 7 C 27.69 - juris; vgl. ferner Beschlüsse vom 15.02.1980 - 7 B 18.80 - juris, vom 21.07.1989 - 7 B 184.88 - juris Rn. 6 und vom 29.05.1990 - 7 B 30/90 - juris). Dabei ist es den Gemeinden kraft ihres Organisationsermessens grundsätzlich freigestellt, das Benutzungsverhältnis ihrer öffentlichen Einrichtungen, mithin die Stufe des „Wie“ der Nutzung, privatrechtlich auszugestalten, soweit sie nicht kraft Gesetzes auf eine öffentlich-rechtliche Regelungsform festgelegt sind (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 30.11.1988 - 2 S 1140/87 - NVwZ-RR 1989, 267 ff.; Beschl. v. 15.03.2018 - 12 S 1644/18 - juris Rn. 58 ff.; OVG Bln.-Bbg., Beschl. v. 20.05.2015 - OVG 6 L 34.15 - juris Rn. 5). Im Rahmen einer privatrechtlichen Ausgestaltung des Nutzungsverhältnisses können die Gemeinden beispielsweise die Höhe und Abwicklung des Nutzungsentgeltes, die Nutzungszeiten, Kapazitätsgrenzen und auch den Ordnungsdienst festlegen (OVG Nds., Beschl. v. 18.06.2018 - 10 ME 207/18 - juris Rn. 35 mwN), Streitigkeiten in diesen Bereichen sind daher vor den Zivilgerichten auszutragen.
24 
Abgrenzungsprobleme können entstehen, wenn - wie hier - der Nutzungsanspruch aufgrund eines Verstoßes gegen die privatrechtliche Haus- und Badeordnung in Frage steht.
25 
Die zu dieser Fragestellung ergangene Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ist uneinheitlich. Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nur dann vorliegt, wenn die grundsätzliche Zulassungsentscheidung nach den kommunalrechtlichen Vorschriften (in Baden-Württemberg nach § 10 Abs. 2 Satz 2 GemO) in Frage steht, nicht jedoch, wenn eine Maßnahme auf die reine Störung des privatrechtlichen Nutzungsverhältnisses gegründet ist (vgl. BayVGH, Beschl. v. 05.05.1993 - 4 CE 93.464 - juris Rn. 9; OVG Bln.-Bbg., Beschl. v. 20.05.2015 - OVG 6 L 34.15 - juris Rn. 5). Andere hingegen sehen auch auf privatrechtlicher Rechtsgrundlage beruhende Ausschlüsse von der Nutzung als „Kehrseite“ des kommunalrechtlichen Zugangsanspruchs und unterwerfen sie öffentlich-rechtlicher Prüfung durch die Verwaltungsgerichte (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 30.10.1986 - 1 S 2497/86 - NVWZ 1987, 701; Beschl. v. 30.11.1988 - 2 S 1140/87 - NVwZ-RR 1989, 267; Beschl. v. 15.03.2018 - 12 S 1644/18 - juris Rn. 58; BayVGH, Beschl. v. 10.10.2012 - 12 CE 12.2170 - juris Rn. 36; OVG NRW, Urt. v. 14.10.1988 - 15 A 188/86 - juris Rn. 5; VG Neustadt, Beschl. v. 10.02.2010 - 4 L 81/10 - juris Rn. 3).
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Der Senat schließt sich letztgenannter Auffassung an, wonach die Frage der Rechtmäßigkeit eines dauerhaften Ausschlusses von dem Zugang zu einer öffentlichen Einrichtung als Kehrseite zu deren Zulassung und damit nach öffentlichem Recht zu beurteilen ist. Denn ein öffentlich-rechtlicher Zulassungsanspruch kann nicht durch ein privatrechtliches Benutzungsverbot umgangen werden (vgl. OVG NRW, Urt. v. 14.10.1988 - 15 A 188/86 - juris Rn. 4; BayVGH, Beschl. v. 10.10.2012 - 12 CE 12.2170 - juris Rn. 36; VG Neustadt, Beschl. v. 10.02.2010 - 4 L 81/10 - juris RN. 3; Ehlers/Schneider, in: Schoch/Schneider, 41. EL, VWGO § 40 Rn. 330; Wöckel, in: Eyermann VwGO, 16. Aufl., § 40 Rn. 66; Helge Sodan, in: Sodan/Ziekow, VWGO, 5. Aufl., § 40 Rn. 344). Hieraus folgt, dass die „Kündigung“ eines privatrechtlichen Nutzungsverhältnisses und damit analog auch ein auf privatrechtliche Grundlagen gestütztes Hausverbot den grundsätzlich öffentlich-rechtlichen Zulassungsanspruch unberührt lässt.
27 
Letztlich bleibt es jedoch immer eine Frage der Einzelfallbetrachtung, ob sanktionierte Verstöße gegen eine privatrechtliche Haus- und Benutzungsordnung in ihrer Intensität den aus der Gemeindeordnung folgenden generellen Zulassungsanspruch zu der öffentlichen Einrichtung berühren. Als maßgebliche Kriterien können hierfür die generelle Zumutbarkeit der Nutzungsbedingungen (OVG Nds., Beschl. v. 18.06.2018 - 10 ME 207/18 - juris Rn. 35) oder die zeitliche Dauer einer „Sanktion“ herangezogen werden. Die Grenze bildet dabei die vollständige Versagung des Nutzungs- und Zugangsanspruchs. Kurzfristige Maßnahmen, wie z.B. der kurzzeitige Verweis aus einer öffentlichen Einrichtung bei Verstoß gegen die Haus- oder Benutzungsordnung als Ausfluss der Ausübung des allgemeinen Hausrechts, berühren den generellen Zulassungsanspruch daher nicht. Steht jedoch wie hier ein Haus- und Badeverbot für einen Zeitraum von über einem Jahr für alle öffentlichen Bäder in der Wohnsitzgemeinde in Rede, so stellt sich die Maßnahme unzweifelhaft als actus contrarius zur Zulassungsentscheidung gemäß § 10 Abs. 2 Satz 2 GemO dar, der nach öffentlichem Recht zu beurteilen ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (vgl. § 17 a Abs. 4 Satz 5 GVG) liegen nicht vor. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 17a Abs. 4 Satz 4 GVG i. V. m. § 152 Abs. 1 VwGO).

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