| |
| Die Berufung ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde form- und fristgemäß beim Verwaltungsgerichtshof eingereicht (vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 1 und 2 VwGO) und entspricht auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (bestimmter Antrag, ausreichende Begründung; vgl. § 124 a Abs. 6 Satz 3, Abs. 3 Satz 4 VwGO). |
|
| Die Berufung der Klägerin ist auch begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist zu ändern. Es ist festzustellen, dass II. A. Ziffer 1 und 2 des Bescheids der Beklagten vom 28.02.2019 rechtswidrig waren. |
|
| Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Klage ist zulässig und begründet. |
|
| I. Die Klage ist zulässig. |
|
| 1. Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft (st. Rspr.; vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.2010 - 6 C 16.09 - juris Rn. 26; Senat, Urt. v. 27.01.2015 - 1 S 257/13 -, juris Rn. 23), nachdem sich die angefochtene Auflage sowie die Androhung unmittelbaren Zwangs mangels eines Bescheids über etwaige Vollstreckungskosten (vgl. hierzu: Senat, Urt. v. 03.05.2021 - 1 S 512/19 -, juris Rn. 56) vor Klageerhebung durch Zeitablauf erledigt haben. |
|
| 2. Die Klägerin hat als Anmelderin und Leiterin der Versammlung ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Auflage unter II. A. Ziffer 1 und 2 des Bescheids der Beklagten vom 28.02.2019. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist nur zulässig, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungsakts (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO) hat. Hier kann die Klägerin ein berechtigtes Feststellungsinteresse auf die grundgesetzliche Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) stützen. |
|
| Das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1GG) verlangt, ein berechtigtes Feststellungsinteresse über die einfach-rechtlichen Konkretisierungen hinaus anzuerkennen, wenn ein tiefgreifender Eingriff in die Grundrechte sich typischerweise so kurzfristig erledigt, dass gerichtlicher Rechtsschutz in einem Hauptsachverfahren regelmäßig nicht erlangt werden kann (st. Rspr.; vgl. nur BVerwG, Beschl. v. 20.12.2017 - 6 B 14.17 -, juris Rn. 13; Beschl. v. 25.06.2019 - 6 B 154.18 u.a. -, juris Rn. 5; Urt. v. 12.11.2020 - 2 C 5.19 -, juris Rn. 15; Senat, Urt. v. 14.04.2005 - 1 S 2362/04 -, juris Rn. 25; Urt. v. 18.11.2021 - 1 S 803/19 -, juris Rn. 33). Verfassungsrecht gebietet, eine drohende Rechtsschutzlücke zu schließen, wenn es sich bei der angegriffenen Maßnahme um einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff handelt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 07.12.1998 - 1 BvR 831/89 -, juris Rn. 25 f.; Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 -, juris Rn. 28, 36; Beschl. v. 04.02.2005 - 2 BvR 308/04 -, juris Rn. 19; BVerwG, Beschl. v. 30.04.1999 - 1 B 36.99 -, juris Rn. 9; Beschl. v. 20.12.2017 - 6 B 14.17 -, juris Rn. 13; s.a. SächsOVG, Beschl. v. 17.11.2015 - 3 A 440/15 -, juris Rn. 8; OVG Rh.-Pf., Urt. v. 27.03.2014 - 7 A 11202/13 -, juris Rn. 26). |
|
| Dabei ist, wie es das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat, ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse zu bejahen, wenn eine Versammlung zwar nicht verboten wird, aber infolge von versammlungsbehördlichen Auflagen gemäߧ 15 Abs. 1 VersG nur in einer Weise durchgeführt werden kann, die ihren spezifischen Charakter verändert, insbesondere die Verwirklichung ihres kommunikativen Anliegens wesentlich erschwert hat (vgl. BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 -, juris). |
|
| Diese Voraussetzungen werden hier von der mit Bescheid der Beklagten vom 28.02.2019 angeordneten zeitlichen und örtlichen Beschränkung der Versammlung erfüllt. Zwar kann sich die Klägerin als kroatische Staatsangehörige nicht direkt auf die Versammlungsfreiheit berufen, weil Art. 8 Abs. 1 GGnach seinem eindeutigen Wortlaut nur für Deutsche gilt. Eine unionsrechtskonforme Auslegung - ungeachtet einer ebenfalls in Betracht zu ziehenden Nichtanwendbarkeit der Beschränkung des Grundrechts auf Deutsche - des Art. 8 Abs. 1 GG könnte zu einer Auslegung contra legem führen. Denn es würde die Wortlautgrenze übersteigen, wollte man das Deutschengrundrecht des Art. 8 Abs. 1 GG auch auf Unionsbürger anderer Mitgliedstaaten ausweiten. Im Anwendungsbereich des Unionsrechts verstieße eine unterschiedliche Behandlung von inländischen und ausländischen Personen jedoch gegen das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art. 18 Abs. 1 AEUV. Es reicht daher nicht aus, dass Unionsbürger anderer Mitgliedstaaten Deutschen einfachgesetzlich gleichgestellt sind.Vielmehr muss diesen jedenfalls im Wege einer unionsrechtskonformen Auslegung des Art. 2 Abs. 1 GG derselbe Schutz gewährleistet werden, der Deutschen durch Art. 8 Abs. 1 GG zukommt. Mit dem offenen Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 GG ist das vereinbar (vgl. BVerfG Beschl. v. 04.11.2015 - 2 BvR 282/13, 2 BvQ 56712 -, juris Rn. 11). Da sich die Klägerin als Unionsbürgerin auf Art. 2 Abs. 1 GG mit der Schutzgewähr des Art. 8 Abs. 1 GG berufen kann, die genannte Auflage schwerwiegend in die derart geschützte Versammlungsfreiheit der Klägerin eingreift und dieser Eingriff typischerweise nur von so kurzer Dauer ist, dass gerichtlicher Rechtsschutz in einem Hauptsacheverfahren nicht rechtzeitig erreicht werden kann, sind die zuvor genannten Voraussetzungen erfüllt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 -, juris Rn. 37; OVG NRW, Beschl. v. 19.03.2018 - 15 A 943/17 -, juris Rn. 11). Denn es kam den Veranstaltern der Versammlung gerade auf den Ort der Versammlung in der Nähe der Beratungsstelle ... an. Eine Verlegung der Versammlung außerhalb der Sichtweite der Beratungsstelle hätte daher den spezifischen Charakter der Versammlung verändert. Da durch die Androhung unmittelbaren Zwangs die Durchsetzung der versammlungsrechtlichen Auflage erreicht werden sollte, ist aus denselben Gesichtspunkten auch diesbezüglich ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse anzuerkennen. |
|
| Das Verwaltungsgericht ist des Weiteren zu Recht davon ausgegangen, dass auch eine Wiederholungsgefahr gegeben ist. Denn das Erfordernis der Wiederholungsgefahr setzt zum einen die Möglichkeit einer erneuten Durchführung einer vergleichbaren Versammlung durch den Kläger voraus sowie zum anderen, dass die Behörde voraussichtlich auch zukünftig an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 -, juris). |
|
| Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, weil es als durchaus möglich erscheint, dass die Klägerin eine vergleichbare Versammlung erneut durchführen wird. Die Beklagte hat in diesem Verfahren zu erkennen gegeben, dass sie auch zukünftig an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird. |
|
| II. Die Klage ist begründet. |
|
| Die versammlungsrechtliche Auflage unter II. A. Ziffer 1 (1.) und die Androhung unmittelbaren Zwanges unter II. A. Ziffer 2 (2.) des Bescheids der Beklagten vom 28.02.2019 waren rechtswidrig und verletzten die Klägerin in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO). |
|
| 1. Rechtsgrundlage der angefochtenen Auflage unter II. A. Ziffer 1 des Bescheids der Beklagten vom 28.02.2019 ist § 15 Abs. 1 VersG. Danach kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. |
|
| Diese Voraussetzungen lagen hier im maßgeblichen Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung nicht vor. Zwar ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass es sich bei der Veranstaltung der Klägerin um eine Versammlung handelte (a). Allerdings hat die Beklagte zu Unrecht eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bei Durchführung der Versammlung angenommen (b). |
|
| a) Bei der Veranstaltung der Klägerin handelte es sich um eine Versammlung. Eine Versammlung wird dadurch charakterisiert, dass eine Personenmehrheit durch einen gemeinsamen Zweck inhaltlich verbunden ist. Dass die Versammlungsfreiheit für Unionsbürger schützende Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG sowie § 15 Abs. 1 VersG schützen die Freiheit der Versammlung als Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung. Der besondere Schutz der Versammlungsfreiheit beruht auf ihrer Bedeutung für den Prozess der öffentlichen Meinungsbildung in der freiheitlich-demokratischen Ordnung des Grundgesetzes. Für die Eröffnung des Schutzbereichs der Versammlungsfreiheit sowie des Anwendungsbereichs von § 15 Abs. 1 VersG reicht es wegen des Bezugs auf den Prozess öffentlicher Meinungsbildung nicht aus, dass die Teilnehmer bei ihrer kommunikativen Entfaltung durch einen beliebigen Zweck verbunden sind. Vorausgesetzt ist vielmehr zusätzlich, dass die Zusammenkunft auf die Teilnahme an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet ist. Versammlungen sind demnach örtliche Zusammenkünfte mehrerer Personen zu gemeinschaftlicher, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 u.a. -, BVerfGE 104, 92 <104>; BVerfG [Kammer], Beschl. v. 12.07.2001 - 1 BvQ 28 und 30/01 -, NJW 2001, 2459 <2460>; Senatsurteil vom 12.06.2010 - 1 S 349/10 -, juris). Diese Voraussetzungen werden von der Klägerin erfüllt, weil sie beabsichtigte, mit mehreren Personen eine stille Gebetsmahnwache durchzuführen und sich hiermit nach ihrem Verständnis aus christlicher Sicht gegen Abtreibungen zu wenden. |
|
| b) Die übrigen tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersG waren jedoch nicht erfüllt. Es fehlte an einer von der Versammlung ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit. |
|
| aa) Die öffentliche Sicherheit umfasst den Schutz gewichtiger Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.06.2008 - 6 C 21.07 -, juris Rn. 13; BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233/81 -, juris Rn. 77; Senat, Beschl. v. 05.06.2021 - 1 S 1849/21 -, juris Rn. 5). Eine unmittelbare Gefährdung ist bei einer Sachlage gegeben, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für ein Schutzgut der öffentlichen Sicherheit führt (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.06.2008 - 6 C 21.07 -, juris Rn. 14; Senat, Beschl. v. 05.06.2021 - 1 S 1849/21 -, juris Rn. 6). Mit Blick auf die grundlegende Bedeutung der verfassungsrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit sind keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose zu stellen (vgl.BVerwG, Beschl. v. 24.08.2020 - 6 B 18.20 -, juris Rn. 6; BVerfG, Beschl. v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 -, juris Rn. 17; Senat, Urt. v. 06.11.2013 - 1 S 1640/12 -, juris Rn. 49; Beschl. v. 16.05.2020 - 1 S 1541/20 -, juris Rn. 3). Dies setzt konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte voraus; bloße Vermutungen genügen nicht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 24.08.2020 - 6 B 18.20 -, juris Rn. 6; BVerfG, Beschl. v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 -, juris Rn. 17; Senat, Beschl. v. 05.06.2021 - 1 S 1849/21 -, juris Rn. 6;). |
|
| Für die Gefahrenprognose können Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen als Indizien herangezogen werden, soweit sie bezüglich des Mottos, des Ortes, des Datums sowie des Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplanten Versammlung aufweisen (vgl. Senat, Beschl. v. 05.06.2021 - 1 S 1849/21 -, juris Rn. 7; BVerfG, Beschl. v. 12.05.2010 - 1 BvR 2636/04 -, juris, Rn. 17; Beschl. v. 21.11.2020 - 1 BvQ 135/20 -, juris Rn. 11; OVG NRW, Beschl. v. 24.05.2020 - 15 B 755/20 -, juris Rn. 9; BayVGH, Beschl. v. 14.05.2021 - 10 CS 21.1385 -, juris Rn. 18). Haben sich bei Veranstaltungen an anderen Orten mit anderen Beteiligten Gefahren verwirklicht, so müssen besondere, von der Behörde bezeichnete Umstände die Annahme rechtfertigen, dass ihre Verwirklichung ebenfalls bei der nunmehr geplanten Versammlung zu befürchten sei (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.09.2009 - 1 BvR 2147/09 -, juris, Rn. 13). |
|
| Die Darlegungs- und Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen für ein Verbot oder eine Auflage liegt bei der Behörde (vgl. BVerwG, Beschl. v. 05.03.2020 - 6 B 1.20 -, juris Rn. 11; BVerfG, v. 12.05.2010 - 1 BvR 2636/04 -juris Rn. 17; v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 -, juris Rn. 17; Beschl. v. 11.09.2015 - 1 BvR 2211/15 -, juris Rn. 3; Senat, Beschl. v. 16.04.2021 - 1 S 1304/21 -, juris Rn. 10). |
|
| bb) Anders als das Verwaltungsgericht vermag der Senat im konkret vorliegenden Fall eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgehend von der Versammlung der Klägerin nicht zu erkennen. |
|
| aaa) Eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der schwangeren Frauen durch die Versammlung der Klägerin drohte nicht. |
|
| Das in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verankerte allgemeine Persönlichkeitsrecht dient dem Schutz der engeren persönlichen Lebenssphäre und der Erhaltung ihrer Grundbedingungen, die sich durch die traditionellen konkreten Freiheitsgarantien nicht abschließend erfassen lassen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.11.1998 -1 BvR 1531/96 -; Beschl. v. 25.10.2005 - 1 BvR 1696/98 -; Urt. v. 27.02.2008 - 1 BvR 370/07, 1 BvR 595/07 -, alle juris). Im Sinne eines Schutzes vor Indiskretion hat hiernach jedermann grundsätzlich das Recht ungestört zu bleiben. Dem Einzelnen wird ein Innenbereich freier Persönlichkeitsentfaltung garantiert, in dem er „sich selbst besitzt“ und in den er sich frei von jeder staatlichen Kontrolle und sonstiger Beeinträchtigung zurückziehen kann (BVerfG, Beschl. v. 16.07.1969 - 1 BvL 19/63 -, juris Rn. 21). Diese Privatsphäre umfasst zum einen Rückzugsräume im Wortsinne, aber auch Themen der engeren Lebensführung, deren öffentliche Erörterung als peinlich oder zumindest unschicklich empfunden wird. |
|
| Die Grundrechte sind zwar primär Abwehrrechte gegenüber dem Staat. Sie konstituieren jedoch gleichzeitig eine Werteordnung, die auch die Rechtsverhältnisse zwischen Privaten mittelbar prägt, indem sie bei der Auslegung des einfachen Rechts - hier § 15 Abs. 1 VersG - zu beachten ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.07.2015 - 1 BvQ 25/15 -, juris Rn. 6). |
|
| Dabei kann das allgemeine Persönlichkeitsrecht der eine Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle aufsuchenden Frauen durch eine Versammlung von Abtreibungsgegnern betroffen sein. Nicht erst eine sogenannte „Gehsteigbelästigung“ durch aktives Zugehen und Ansprechen von Frauen kann das allgemeine Persönlichkeitsrecht berühren (vgl. hierzu: Senat, Urt. v. 11.10.2012 - 1 S 36/12 -, juris). Ein derartiges körperliches Element ist nicht erforderlich. Auch psychischer Druck, der durch optische und akustische Wahrnehmung vermittelt wird, kann einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht darstellen. Hierbei ist bei der Wirkung der Versammlung auf ratsuchende Frauen zu berücksichtigen, dass sie sich durch die ungewollte Schwangerschaft in einer besonderen psychischen Belastungssituation befinden. Insbesondere in der Frühphase der Schwangerschaft befinden sich die meisten Frauen in einer besonderen seelischen Lage, in der es in Einzelfällen zu schweren Konfliktsituationen kommt. Diesen Schwangerschaftskonflikt erlebt die Frau als höchstpersönlichen Konflikt. Die Umstände erheblichen Gewichts, die einer Frau das Austragen eines Kindes bis zur Unzumutbarkeit erschweren können, bestimmen sich nicht nur nach objektiven Komponenten, sondern auch nach ihren physischen und psychischen Befindlichkeiten und Eigenschaften (BVerfG, Urt. v. 28.05.1993 - 2 BvF 2/90 u.a. -, juris). Hinzu kommt in der Frühschwangerschaft das durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützte Geheimhaltungsinteresse hinsichtlich der bestehenden Frühschwangerschaft und des in Erwägung gezogenen Schwangerschaftsabbruchs. |
|
| Allerdings führt nicht jeder Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der schwangeren Frauen zugleich zu einer Verletzung desselben. Vielmehr können gegenläufige Grundrechtspositionen - hier die Versammlungs-, Meinungs-, und Religionsfreiheit der Versammlungsteilnehmer - im Rahmen der Bildung praktischer Konkordanz zu einer Rechtfertigung von Eingriffen führen. Dabei ist die besondere Bedeutung der für Unionsbürger in Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Versammlungsfreiheit zu beachten, die als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugutekommt, für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend ist und insbesondere das Selbstbestimmungsrecht über die Durchführung der Versammlung als Aufzug, die Auswahl des Ortes und die Bestimmung der sonstigen Modalitäten der Versammlung umfasst (vgl. zu Art. 8 Abs. 1 GG: BVerfG, Beschl. v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 -, juris, und näher dazu Senat, Beschl. v. 16.05.2020 - 1 S 1541/20 -, juris m.w.N.). |
|
| Bei der Herstellung praktischer Konkordanz zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der schwangeren Frauen, die die Beratungsstelle ... aufsuchen, und der durch die Meinungs- und Religionsfreiheit unterstützten Versammlungsfreiheit kann nicht abstrakt festgestellt werden, dass jede Form der Versammlung zulässig oder unzulässig wäre. Es kommt darauf an, in welcher Art und Weise die Versammlung im Einzelfall stattfinden soll. Dabei ist davon auszugehen, dass eine Versammlung so lange zulässig ist, als sie den die Beratungsstelle aufsuchenden Frauen nicht die eigene Meinung aufdrängt und zu einem physischen oder psychischen Spießrutenlauf für sie führt (vgl. BVerfG Beschl. v. 08.06.2010 - 1 BvR 1745/06 -, juris Rn. 23). Dies wäre der Fall, wenn die die Beratungsstelle aufsuchenden Frauen durch die Versammlung in eine unausweichliche Situation geraten, in der sie sich direkt und unmittelbar angesprochen sehen müssen. Eine derartige unausweichliche Situation ist gegeben, wenn die Versammlung so nahe an dem Eingang der Beratungsstelle stattfindet, dass die Versammlungsteilnehmer den Frauen direkt ins Gesicht sehen könnten und die Frauen dem Anblick der als vorwurfsvoll empfundenen Plakate sowie Parolen und dem Anhören der Gebete und Gesänge aus nächster Nähe ausgesetzt sind (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 18.03.2022 - 2 B 375/22 -, juris Rn. 29; siehe auch VG Regensburg, Beschl. v. 14.10.2020 - RN 4 E 20.2426 - und VG Frankfurt, Urt. v. 02.12.2021 - 5 K 403/21.F -, beide juris). |
|
| Nach den genannten Maßstäben drohte im vorliegenden Fall keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der die Beratungsstelle ... aufsuchenden schwangeren Frauen durch die Versammlung der Klägerin. Zwar hätte ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der schwangeren Frauen, die die Beratungsstelle hätten aufsuchen wollen, vorgelegen, weil sie von den Versammlungsteilnehmern beim Betreten der Beratungsstelle hätten gesehen werden können und hierdurch sowie durch die Versammlung an sichpsychischer Druck auf die Frauen ausgeübt worden wäre. Dieser Eingriff wäre jedoch durch die gegenläufigen Grundrechtspositionen der Versammlungsteilnehmer im Rahmen der Herstellung praktischer Konkordanz gerechtfertigt gewesen. Denn eine unausweichliche Situation in dem zuvor beschriebenen Sinne wäre für die betroffenen schwangeren Frauen im vorliegenden Fall nicht entstanden. Nach der Versammlungsanmeldung sollte die Versammlung im Zeitraum vom 06.03. bis zum 14.04.2019 täglich von 09:00 bis 13:00 Uhr gegenüber der Beratungsstelle stattfinden. Dabei wäre die Beratungsstelle von der Versammlung durch eine 17 Meter breite, vierspurige und viel befahrene Straße getrennt. Die nach den Angaben der Klägerin in der Anmeldung bis zu 20 Teilnehmer der Versammlung sollten sich zu stillen Gebeten zusammenfinden, wobei zum Teil kleine Plakate mitgeführt werden würden. Anders als bei der sogenannten Gehsteigberatung (vgl. hierzu: Senat, Urt. v. 11.10.2012 - 1 S 36/12 -, juris) sollte es nicht zu einer aktiven Ansprache sowie zur Weitergabe von Informationsmaterial kommen. Hierdurch wären die die Beratungsstelle aufsuchenden Frauen nicht in die beschriebene unausweichliche Situation geraten, weil sich zwischen der Versammlung und der Beratungsstelle die beschriebene Straße befunden hätte. Damit hätten Frauen, die die Beratungsstelle aufsuchen wollten, der Versammlung und ihren Wirkungen durch ein Abwenden des Blickes entkommen können. Eine blockadeartige Versammlung in unmittelbarer Nähe zum Eingang der Beratungsstelle hätte diese Versammlung nicht dargestellt. Denn allein aus der bloßen Dauer einer Versammlung und der Anzahl der Versammlungsteilnehmer lässt sich eine Blockadewirkung in der Regel nicht ableiten. Des Weiteren kann für die Begründung einer blockadeartigen Versammlung auch nicht auf die Erfahrungen mit der Versammlung vom 14.02.2018 bis zum 25.03.2018 abgestellt werden, weil sich diese Versammlung direkt vor der Beratungsstelle und nicht auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand. |
|
| Unabhängig hiervon konnte die Beklagte auch nicht substantiiert darlegen, dass es bei den vorangegangenen Versammlungen zu Beschwerden von betroffenen Schwangeren über Störungen, Einschüchterungen oder Belästigungen durch die Versammlungsteilnehmer gekommen ist. Die Gefahrenprognose setzt konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte voraus. Bloße Vermutungen genügen, wie gezeigt, nicht. Der Beklagten lagen im vorliegenden Verfahren keine Anzeigen oder Angaben von Frauen, die sich durch die vorherigen Versammlungen beschwert gefühlt hatten, selbst vor, sondern lediglich Berichte Dritter - namentlich von ... - über solche Beschwerden. Diese Berichte von Dritten beschränkten sich zudem auf wenige Angaben. Hier oblag es der Beklagten als Versammlungsbehörde, durch Nachfrage bei den Dritten - was auch unter Wahrung der Anonymität der Betroffenen möglich gewesen wäre - zumindest Zeit, Ort und genauen Inhalt der behaupteten Beschwerden zu ermitteln, um die für eine Gefahrenprognose in Betracht kommenden Tatsachen zu konkretisieren und im Bedarfsfall verifizieren zu können. Ohne dahingehende Ermittlungen zum Sachverhalt ist eine Versammlungsbehörde - wie hier die Beklagte - in einem Gerichtsverfahren auch nicht in der Lage, ihrer Darlegungsobliegenheit zum Sachverhaltsvortrag zu genügen und das Gericht in die Lage zu versetzen, die behaupteten Tatsachen, die Grundlage für die Gefahrenprognose sein sollen, seinerseits zu überprüfen. Diesen Amtsermittlungspflichten und Darlegungsobliegenheiten ist die Beklagte im vorliegenden Verfahren mit ihrem insoweit vagen Vortrag, der die angestellte Gefahrenprognose schon deshalb nicht tragen kann, nicht gerecht geworden. |
|
| Durch die Versammlung drohte auch keine Beeinträchtigung des Beratungskonzepts des Schwangerschaftskonfliktgesetzes. Denn die Beklagte konnte nicht nachvollziehbar darlegen, weswegen es durch die Versammlungen zu einer Beeinträchtigung des Beratungskonzepts kommen sollte. Sofern vorgetragen wird, dass schwangere Frauen durch die Versammlung von der Beratung abgeschreckt werden könnten, bleibt es wiederum bei der bloßen Behauptung. Konkrete Vorfälle konnten hierzu nicht angegeben werden. Unabhängig hiervon würden durch die Versammlung weder der Inhalt der Beratung gemäß § 5 SchKG noch das Verfahren der Beratung nach § 6 SchKG beeinträchtigt. Insbesondere konnte durch die Versammlung auch die Anonymität der die Beratungsstelle aufsuchenden Frau gemäß § 6 Abs. 2 SchKG nicht gefährdet werden. Denn zum einen besteht das Recht auf Anonymität gemäß § 6 Abs. 2 SchKG nicht gegenüber jedem beliebigen Dritten, sondern nur gegenüber der die Schwangere beratenden Person. Überdies hätten die an der Versammlung teilnehmenden Personen die die Beratungsstelle aufsuchende Person zwar sehen können. Jedoch geht dieser flüchtige Anblick, der zudem über einen Abstand von 17 Metern erfolgt, nicht über das hinaus, was jeder Teilnehmer am Straßenverkehr sehen kann. Die Identität der jeweiligen Frau könnte somit nur dann offengelegt werden, wenn die Frau einem Teilnehmer der Versammlung zufällig bekannt wäre. Da die Versammlungsteilnehmer jedoch nicht beabsichtigt haben, die Identitäten der die Beratungsstelle aufsuchenden Frauen den beratenden Personen gegenüber offenzulegen, würde § 6 Abs. 2 SchKG selbst in diesem Fall nicht beeinträchtigt werden. Des Weiteren könnten die Versammlungsteilnehmer nicht bei jeder Frau, die die Beratungsstelle ... aufsucht, davon ausgehen, dass die jeweilige Frau schwanger ist, weil der Beratungsstelle neben der Schwangerschaftskonfliktberatung auch noch anderweitige Aufgaben zukommen. |
|
| Ein Verstoß gegen die Frauenrechtskonvention ist - unabhängig von der Frage der Auswirkungen eines Verstoßes gegen die Konvention durch eine Versammlung und insbesondere der subjektiv-rechtlichen Relevanz der Konventionsbestimmungen zumal in mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen - durch die Versammlung ebenfalls nicht zu befürchten gewesen. Denn die von der Beklagten angesprochene Empfehlung des Ausschusses für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau in CEDAW/C/DEU/CO/7-8, Ziff. 38 lit. b bezieht sich darauf, die verpflichtende Beratung vor einer Abtreibung vollkommen abzuschaffen, und nicht auf einen ungehinderten Zugang schwangerer Frauen zu den Beratungsstellen. Selbst wenn aus Art. 16 Abs. 1 Buchst. e) der Konvention, nach dem eine Frau das gleiches Recht auf eine freie und verantwortungsbewusste Entscheidung über Anzahl und Altersunterschied ihrer Kinder haben soll, das Recht schwangerer Frauen auf einen ungehinderten Zugang zu den Beratungsstellen und die Chance auf eine unbeeinflusste, selbstverantwortliche Entscheidung abgeleitet werden könnte, so wäre dieses Recht durch die Versammlung nicht beeinträchtigt worden. Denn die Worte „freie Entscheidung“ in Art. 16 Abs. 1 Buchst. e) der Konvention beziehen sich in diesem Zusammenhang nicht auf eine vollkommene Freiheit von in der Gesellschaft vorhandenen gegensätzliche Auffassungen, sondern eine Freiheit von etwaigen staatlichen Zwängen. Die geplante Versammlung hätte in ihrer konkreten Ausgestaltung jedoch nicht die Möglichkeit gehabt, den die Beratungsstellen aufsuchenden Frauen ihre gegensätzliche Meinung aufzuzwingen. Vielmehr hätten sich die Frauen der Versammlung und den dort geäußerten Auffassungen durch einen Wechsel der Straßenseite und ein Abwenden des Blickes in beachtlichem Umfang entziehen können. |
|
| Da II. A. Ziffer 1 des Bescheids der Beklagten vom 28.02.2019 schon mangels einer von der Versammlung ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit rechtwidrig gewesen ist, kommt es nicht mehr entscheidungserheblich auf die Fragen an, ob die Beklagte oder einzelne Mitarbeiter der Beklagten bei der Fertigung der Auflage gegen den Neutralitätsgrundsatz oder §§ 20, 21 LVwVfG verstoßen haben und welche Folgen derartige Verstöße gegebenenfalls nach sich ziehen würden. |
|
| 2. Die unter II. A. Ziffer 2 des Bescheids der Beklagten vom 28.02.2019 angeordnete Androhung unmittelbaren Zwanges war ebenfalls rechtswidrig und verletzte die Klägerin in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO). |
|
| Dies folgt daraus, dass die der Androhung zugrundeliegende Grundverfügung, nämlich II. A. Ziffer 1 des Bescheids der Beklagten vom 28.02.2019 rechtswidrig war und ex tunc als unwirksam anzusehen ist (vgl. zum Fall einer nicht erledigten Grundverfügung: Senat, Urt. v. 03.05.2021 - 1 S 512/19 -, juris Rn. 56). |
|
| a) Voraussetzung für Fortsetzungsfeststellungsurteile nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ist, dass sich der Verwaltungsakt vorher, also vor der gerichtlichen Entscheidung, erledigt hat. In Fällen dieser Art lässt § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO anstelle der Aufhebung durch Urteil nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO die Feststellung durch Urteil genügen, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, um dem Bürger funktionsgleichen Rechtsschutz gegenüber einer Inanspruchnahme aus einem rechtswidrigen Verwaltungsakt zu gewähren, wie er ihn mit einem Aufhebungsurteil nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO erreichen könnte. Daraus ergibt sich, dass der Verwaltungsakt, soweit das Gericht nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO dessen Rechtswidrigkeit festgestellt hat, keine Wirkung entfaltet und folglich nicht in Bestandskraft erwachsen kann. Kraft der gerichtlichen Entscheidung nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ist nicht mehr der Regelungsgehalt des Verwaltungsakts rechtlich maßgeblich, sondern die Rechtslage, die ohne Geltung des gerichtlich als rechtswidrig festgestellten Verwaltungsaktes besteht (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.11.1997 - 5 C 1.96 -, juris Rn. 11, und Urt. v. 31.01.2002 - 2 C 7.01 -, juris Rn. 17 ff.) |
|
| b) Ohne die vom Senat vorliegend für rechtswidrig befundeneGrundverfügung, nämlich II. A. Ziffer 1 des Bescheids der Beklagten vom 28.2.2019, ist dieAndrohung unmittelbaren Zwangs schon deshalb rechtswidrig, weil es an der gemäß § 2 LVwVG notwendigen wirksamen Grundverfügung für das Vollstreckungsverfahren fehlt, zu dem die Androhung unmittelbaren Zwangs gehört. |
|
| |
| IV. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt. |
|
| Beschluss vom 25. August 2022 |
|
| Der Streitwert wird unter Änderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts gemäß § 63 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, § 47 Abs. 1 Satz 1 und § 52 Abs. 2 GKG für beide Rechtszüge auf jeweils 5.000,- EUR festgesetzt (vgl. Senat, Beschl. v. 07.07.2022 - 1 S 1113/22 -, juris). Die Androhung unmittelbaren Zwanges bleibt bei der Streitwertbemessung nach Ziffer 1.7.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit außer Betracht. |
|
| |