Urteil vom Amtsgericht Halle (Saale) - 120 C 1501/17

Tenor

1. Der Beschluss der Wohnungseigentümerversammlung der Wohnungseigentümergemeinschaft C. vom 08.05.2017 zu TOP 18 (Rückbaufrist) wird für ungültig erklärt.

2. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

3. Der Kläger zu 2 trägt 30 % der Gerichtskosten und der notwendigen Auslagen der Beklagten. Die Klägerin zu 1 trägt 58 % der Gerichtskosten und der notwendigen Auslagen der Beklagten.

Die Streithelferin trägt 82 % der durch die Streitverkündung verursachten Kosten.

Die Beklagten tragen jeweils 1 % der Gerichtskosten und jeweils 1,5 % der notwendigen Auslagen der Klägerin zu 1 sowie der durch die Streitverkündung verursachten Kosten.

4. Das Urteil ist im Kostenausspruch vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckung darf abgewendet werden durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages, wenn nicht die vollstreckende Seite vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 5000 € festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Klägerin zu 1 und die Beklagten bilden gemeinsam die Wohnungseigentümergemeinschaft C.. Die Klägerin ist Sondereigentümerin der Wohneinheit 04.

2

Die Streithelferin ist die ehemalige Verwalterin des Objekts. Die aktuelle Verwalterin ist Beigeladene.

3

Das Gebäude verfügt über einen aufgemauerten Schacht, der ursprünglich als Schornstein verwendet worden war. In dieser Funktion wird er zur Zeit nicht mehr benutzt. 2016/2017 wurden drei - andere - Schornsteinköpfe zurückgebaut und verschlossen. Der betroffene Schornstein weist mehrere Züge auf. Er ist einer von verbliebenen drei aktiven Schornsteinen. In einem Zug des jetzigen Schornsteins verläuft ein Abgasrohr zum Anschluss eines Kaminofens. Der betroffene Schornsteinzug grenzt an vier Wohnungen an (Dachaufsicht Zeichnung Bl. 94 i.V.m. Bl. 87 der Akte). In diesen Schacht hinein ließ die Klägerin Anfang 2017 - wegen Verlegung der Küche innerhalb ihrer Wohnung, Bl. 99 Bd. 1 der Akte - Kalt- und Abwasserleitungen verlegen. Dazu waren Durchbrüche in und aus dem Schornsteinschacht erforderlich. Die Leitung reicht über eine Länge von 15 m von der Wohnung bis in den Keller. Sie führt im Keller durch tragende Wände (Fotos Bl. 101-104 der Akte). Die Abwasserleitung liegt zudem direkt vor einer elektrischen Verteilung, die dadurch unzugänglich gemacht worden ist (Bl. 118 Bd. 1 der Akte).

4

Die weiteren vertikalen Versorgungsleitungen in dem Haus verlaufen in Versorgungsschächten. Die Schächte sind in den einzelnen Geschossen mit Gipskartonplatten verkleidet und nach Entfernung des Trockenbaus zugänglich.

5

Am 05.07.2017 fand eine Wohnungseigentümerversammlung statt. Von 8 stimmberechtigten Wohnungseigentümern waren 7 anwesend (Bl. 15 Bd. 1 der Akte).

6

Auf Antrag der Klägerin wurde unter TOP 16 folgender Beschlussantrag zur Abstimmung gestellt:

7

„Die Wohnungseigentümergemeinschaft genehmigt nachträglich die Verlegung der Kalt- und Abwasserleitungen von der Wohneinheit 04 (Eigentümer H) durch das gemeinschaftliche Eigentum“ (Protokoll Bl. 20 Bd. 1 der Akte).

8

Für diesen Beschluss wurde eine Ablehnung mit 2 zu 5 Stimmen festgestellt.

9

Unter TOP 18 wurde folgender Beschlussantrag zur Abstimmung gestellt:

10

„Die Wohnungseigentümergemeinschaft setzt für den Rückbau der im gemeinschaftlichen Eigentum verlegten Kalt- und Abwasserleitungen eine Frist bis zum 05.07.2017“ (Protokoll Bl. 21 Bd. 1 der Akte).

11

Für diesen Beschluss wurde eine Annahme mit 5 zu 2 Stimmen festgestellt.

12

Die Klägerin ist der Auffassung, durch die Nutzung des Schornsteinschachtes entstünden den anderen Wohnungseigentümern keine Nachteile. In dem fraglichen Schornsteinzug seien ohnehin bereits Elektroleitungen verlegt. Damit könne er ohnehin nicht mehr als Abzug für Rauchgase genutzt werden (Bl. 152 der Akte). Die anderen Wohnungseigentümer seien daher verpflichtet, der gegenwärtigen tatsächlich vorgenommenen Nutzung zuzustimmen. Der ablehnende und der fristensetzende Beschluss seien im Übrigen zu unbestimmt.

13

Nach Klagerücknahme des Klägers zu 2 (Bl. 25 Bd. 1 der Akte) sowie einer Klageänderung (Bl. 155 Bd. 1 der Akte) beantragt nunmehr allein noch die Klägerin zu 1,

14

1. den Beschluss zu TOP 16,

15

Ablehnung des Beschlusses: „Die Wohnungseigentümergemeinschaft genehmigt nachträglich die Verlegung der Kalt- und Abwasserleitungen von der Wohneinheit 04 (Eigentümer Hahn) durch das gemeinschaftliche Eigentum“

16

für unwirksam, hilfsweise für ungültig zu erklären,

17

und die Zustimmung der Wohnungseigentümergemeinschaft zu ersetzen;

18

2. den Beschluss zu TOP 18:

19

„Die Wohnungseigentümergemeinschaft setzt für den Rückbau der im gemeinschaftlichen Eigentum verlegten Kalt- und Abwasserleitungen eine Frist bis zum 05.07.2017“

20

für unwirksam, hilfsweise für ungültig zu erklären.

21

Die Beklagten zu 1 und 2, zu 5-8 und zu 10-12 beantragen,

22

die Klage abzuweisen.

23

Der Beklagte zu 12. meint, den an dem Schornsteinzug liegenden Wohnungseigentümern werde die Wahlmöglichkeit genommen, einen offenen Kamin anzuschließen. Er behauptet, die Kaltwasserleitung sei an die Steigleitung angeschlossen worden, die für die Versorgung des so genannten „C-Flügels“ des Anwesens vorgesehen sei (wozu die klägerische Wohnung nicht gehöre). Insgesamt handele sich um eine zustimmungsbedürftige bauliche Maßnahme. Die Beschlüsse seien auch bestimmt genug, da vor der Beschlussfassung hinreichend über die fraglichen Leitungen gesprochen und geschrieben worden sei.

24

Die Klägerin (Bl. 9 Bd. 1 der Akte) und die Beklagten H. (Bl. 80 Bd. 1 der Akte) haben der Verwalterin des Objekts den Streit erklärt. Die Verwalterin ist dem Rechtstreit auf Klägerseite beigetreten (Bl. 135 Bd. 1 der Akte).

25

Für den Zustimmungsantrag hat die Klägerin zu 1 bezüglich der Beklagten zu 3 und 4 sowie 9 den Erlass eines Versäumnisurteils beantragt.

26

Ergänzend werden für den Sachvortrag der Parteien und Beteiligten die wechselseitig einreichen Schriftsätzen und Anlagen im Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

27

1. Die Klage ist zulässig (§§ 43 Nr. 2 und 4 WEG). Bezüglich der Anfechtungsklagen ist die Monatsfrist (des § 46 Abs. 1 S. 2 WEG) mit der am 07.06.2017 eingegangenen Klageschrift eingehalten.

28

2. Der Klageantrag, den Beschluss zu TOP 16 (Ablehnung des Genehmigungsbeschlusses) für unwirksam zu erklären, ist unbegründet.

29

Konstitutive Entscheidungen des Wohnungseigentumsgerichts sind nach der gesetzlichen Regelung (§ 23 Abs. 4 S. 2 WEG) darauf gerichtet, Beschlüsse für ungültig zu erklären. In Ausnahmefällen (wie der Überschreitung der Beschlusskompetenz) besteht die Möglichkeit, (deklaratorisch) die Unwirksamkeit festzustellen. Für einen derart eklatanten Verstoß gegen die Regelung des WEG (oder sonstige Rechtsnormen) ist hier indes nichts ersichtlich. Das gilt auch unter dem Aspekt einer hinreichend konkreten Regelung. Selbst ein Eigentümerbeschluss, der - wie hier - eine Baumaßnahme bloß wenig detailliert beschreibt, ist regelmäßig nur anfechtbar (§ 23 Abs. 4 WEG). Als nichtig sind dagegen - nur - Beschlüsse anzusehen, die - anders als vorliegend - eine durchführbare Regelung nicht mehr erkennen lassen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02. November 2004 - I-3 Wx 234/04 -, Rn. 37, juris).

30

3. Der hilfsweise Klageantrag, den Beschluss zu TOP 16 (Ablehnung des Genehmigungsbeschlusses) für ungültig zu erklären, ist ebenfalls unbegründet.

31

Maßstab für die Korrektheit der in den Händen der Wohnungseigentümer liegenden Beschlussfassungen zum gemeinschaftlichen Eigentum ist die Ordnungsgemäßheit der Verwaltung (§ 21 Abs. 4 WEG). Hier entsprach es dem Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer, den zur Abstimmung gestellten Beschluss - wie geschehen - abzulehnen.

32

Das folgt zum einen bereits aus seiner unzureichenden Bestimmtheit. Ein Beschluss der Wohnungseigentümerversammlung hat aus sich heraus verständlich zu sein. Er muss einen konkreten Regelungsgehalt aufweisen. Denn Beschlüsse der Wohnungseigentümer gelten auch für Sondernachfolger. Sie wirken auch ohne Eintragung in das Grundbuch wie Grundbucherklärungen für und gegen sie (§ 10 Abs. 3, Abs. 4 WEG). Es besteht daher wie bei der Gemeinschaftsordnung ein Interesse des Rechtsverkehrs, die durch die Beschlussfassung eingetretenen Rechtswirkungen der Beschlussformulierung entnehmen zu können. Die Beschlüsse sind deshalb - objektiv und normativ - auszulegen. Umstände außerhalb des protokollierten Beschlusses dürfen nur herangezogen werden, wenn sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles für jedermann ohne weiteres erkennbar sind, z.B. weil sie sich aus dem - übrigen - Versammlungsprotokoll ergeben (BGH, Beschluss vom 10. September 1998 - V ZB 11/98 -, BGHZ 139, 288-299, Rn. 16).

33

Diesen Anforderungen wird die seinerzeit zur Abstimmung gestellte Beschlussfassung nicht gerecht. Die Formulierung „die Verlegung der Kalt- und Abwasserleitungen von der Wohneinheit 04 (Eigentümer Hahn) durch das gemeinschaftliche Eigentum“ lässt für einen unbeteiligten Dritten offen, welchen Verlauf, Länge und Dimension dieser Ein- und Umbauten einnehmen. Das gilt umso mehr, als die Leitungen (speziell im Schornsteinzug) verdeckt verlegt sind. Für einen an den mündlichen Diskussionen Unbeteiligten wäre es anhand der Beschlussfassung auch nicht möglich, die bisherigen Leitungen von womöglich weiteren und/oder späteren Einbauten zu unterscheiden. Aus dem weiteren Protokollinhalt ergeben sich ebenso wenig handfeste Anhaltspunkte.

34

Die zur Abstimmung gestellte Beschlussfassung hält zudem auch inhaltlich nicht die Voraussetzungen für die Entscheidungen über bauliche Veränderungen ein (§ 23 Abs. 1 S. 1 WEG). Nach dieser Vorschrift ist dafür die Zustimmung aller Wohnungseigentümer erforderlich, deren Rechte durch die Maßnahmen über das erforderliche Maß hinaus beeinträchtigt werden. Hier nimmt die Klägerin zu 1 durch die Verlegung der Leitungen das gemeinschaftliche Eigentum exklusiv für sich in einem Maße in Anspruch, das die Duldungspflichten der übrigen Wohnungseigentümer (nach § 14 WEG) deutlich überschreitet. Nicht nur wurden an zwei Stellen tragende Wände durchbrochen. Darüber hinaus wird dem in Rede stehenden Schornsteinzug eine Funktion zugewiesen, die er bislang nicht hatte und die wegen der besonderen Schwierigkeiten bei Havarien an Wasserleitungen im einen wie hier relativ unzugänglichen Bereich besondere Risiken aufwirft. Das gilt umso mehr, wenn - wie die Klägerin zu 1 selbst hervorhebt - in demselben Schornsteinzug sich bereits Elektroleitungen befinden.

35

4. Aus den unter vorstehend zu 2 und 3 aufgeführten Gründen ergibt sich, dass auch der Antrag auf Verurteilung der Beklagten, der begehrten Beschlussfassung zuzustimmen, unbegründet ist. Dies war auch gegenüber den nicht im Termin vertretenen Beklagten auszusprechen (§ 330 ZPO).

36

5. Keinen Erfolg hat weiter der Klageantrag, die Unwirksamkeit des Beschlusses zu TOP 18 (Fristsetzung) festzustellen. Ein derart gravierender Mangel, aus dem sich die Nichtigkeit jenes Beschlusses ergäbe, liegt nicht vor. Wohl liegt es außerhalb der Beschlusskompetenz einer Wohnungseigentümerversammlung, im Beschlusswege einem Mitglied der Wohnungseigentümergemeinschaft Pflichten aufzuerlegen, die nicht bereits aus anderen Rechtsgründen bestehen. Es steht den Wohnungseigentümern aber frei, einen Miteigentümer auf eine solche bestehende Pflicht hinzuweisen sowie eine Frist dafür zu setzen, nach deren Ablauf rechtliche Schritte zur Durchsetzung jeder Pflicht angekündigt werden. In diesem Sinne versteht das Gericht den fraglichen Fristbeschluss.

37

6. Begründet ist indes der Antrag, den Beschluss zu TOP 18 (Fristsetzung) für ungültig zu erklären. Er hält sich nicht im Rahmen ordnungsgemäßer Verwaltung (§ 21 Abs. 4 WEG). Denn er ist nicht hinreichend bestimmt. Für die Einzelheiten werden die diesbezüglichen Ausführungen unter vorstehend Nr. 3 in Bezug genommen, die hier entsprechend gelten.

38

7. Die Kostentscheidung beruht auf § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO, soweit es die Klagerücknahme des Klägers zu 1 betrifft. Bei der Kostenquote hat das Gericht berücksichtigt, dass die Klagerücknahme (kostensparend) vor der mündlichen Verhandlung erfolgt ist.

39

Soweit noch in der Sache zu entscheiden war, hat die Kostenentscheidung bezüglich Klägerin zu 1 und Beklagten ihre Grundlage in §§ 92 Abs. 1 S. 1,100 Abs. 1 ZPO. Hier hat das Gericht für die Quote in Ansatz gebracht, dass das sachliche und wirtschaftliche Schwergewicht auf der Beurteilung des inhaltlichen Beschlusses (TOP 16; Genehmigung der Leitungen) liegt, während dem Beschluss TOP 18 (Fristsetzung) nur ein begleitender Charakter zukommt.

40

Die Kostenentscheidung hinsichtlich der Streithelferin ergibt sich aus §§ 74 Abs. 1, 101 Abs. 1 ZPO.

41

8. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat seine Grundlage in §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

42

9. Den Streitwert hat das Gericht nach § 49a GKG festgesetzt. Dabei hat es das klägerische Interesse (nach der Anhörung im mündlichen Termin) mit Blick auf den möglichen Rückbau und die Neuverlegung von Leitungen auf 6000 € geschätzt (§ 287 ZPO) und dasjenige der Beklagten wegen möglicher Wertminderungen der Wohneigentumseinheiten auf 4000 €. 50 % des Gesamtbetrages sind die festgesetzten 5000 €.


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