Urteil vom Amtsgericht Köln - 127 C 37/19
Tenor
Das Urteil vom 21.06.2019 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger jeweils einen Betrag in Höhe von 70,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.12.2018 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, die Kläger von den außergerichtlich entstandenen Kosten für die anwaltliche Rechtsverfolgung in Höhe von 413,64 € freizustellen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
1
Ohne Tatbestand (gemäß § 313a Abs. 1 ZPO).
2Entscheidungsgründe:
3Die Klage hat ganz überwiegend Erfolg.
4I.
5Den Klägern steht gegen die Beklagte gemäß Art. 5 Abs. 1 b) i. V. m. Art. 9 Abs. 1 a) der VO (EG) Nr. 261/2004 (sog. Fluggastrechteverordnung) ein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von jeweils 70,00 EUR wegen unterbliebener Unterstützungsleistungen zu.
6Der von der Beklagten durchzuführende Flug XX 000 von New York (JFK) nach Frankfurt (FEA) musste in Boston notlanden. Die Kläger erreichten ihr Endziel Frankfurt mit einer Verspätung von 2,5 Tagen.
7Die Beklagte wäre deswegen gemäß Art. 9 Abs. 1 a) der VO verpflichtet gewesen, den Klägern Mahlzeiten und Erfrischungen in angemessenem Verhältnis zur Wartezeit anzubieten. Dieser Verpflichtung ist die Beklagte unstreitig nicht nachgekommen.
8In der Folge steht den Klägern ein Schadensersatzanspruch in Höhe von je 70,00 € zu. Dabei folgt der Anspruch auf Schadensersatz bei Verstoß gegen Art. 9 direkt aus dieser Norm. Erstattungsfähig sind jedoch nur Aufwendungen des Fluggastes, die sich in Anbetracht der dem jeweiligen Fall eigenen Umstände als notwendig, angemessen und zumutbar erweisen, um den Ausfall der Betreuung des Fluggasts durch das Luftfahrtunternehmen auszugleichen (vgl. hierzu: EuGH (3. Kammer), Urt. v. 13. 10. 2011 − C-83/10 (Aurora Sousa Rodríguez u. a./Air France SA); BeckOGK/Steinrötter, 1.6.2019, Fluggastrechte-VO Art. 9 Rn. 33). In Anbetracht der Umstände erachtet das Gericht Verpflegungskosten in Höhe von 70,00 € für 2,5 Tage pro Person sowohl für notwendig, als auch angemessen.
9Zwischen den Parteien ist umstritten, ob Verpflegungskosten in dieser Größenordnung während des Aufenthalts in Boston angefallen sind. Belege hierfür können die Kläger nicht vorlegen. Gleichwohl sind die Verpflegungskosten der Höhe nach der gerichtlichen Schätzung nach § 287 ZPO zugänglich. Jedenfalls nach dem weiteren Vortrag der Kläger mit Schriftsatz vom 15.07.2019 bestehen auch hinreichende, von den Klägern vorgetragene Anhaltspunkte für die Schätzung. Die Kläger legen dar, dass sie sich über einen Zeitraum von 2,5 Tagen hinweg selbst verpflegen mussten. Es wurden ihnen keinerlei Mahlzeiten zur Verfügung gestellt, auch Getränke mussten selbst beschaffen. Dies hat die Beklagte nicht qualifiziert bestritten, sodass vom klägerischen Vortrag auszugehen ist. Angesichts dessen erscheinen Verpflegungskosten von jedenfalls 10,00 EUR pro Person und Mahlzeit notwendig und auch angemessen, um sich in der Metropole Boston zu verpflegen – zumal die Kläger auf Grund des Hotelaufenthaltes gezwungen waren, in Restaurants oder Cafés einzukehren.
10Auf die Frage einer fiktiven Berechnung der Verpflegungskosten kommt es nach alledem nicht an.
11Der Zinsanspruch folgt insoweit aus §§ 280 Abs. 1, 2, 286, 288 BGB.
12II.
13Den Klägern steht gegen die Beklagte gemäß § 280 Abs. 1, 249 BGB i. V. m. Art. 14 Abs. 2 der VO auch ein Anspruch auf Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 413,64 EUR zu.
14Die Beklagte hat ihre aus Art. 14 VO folgenden Hinweis- und Informationspflichten verletzt. Nach Art. 14 Abs. 1 der VO hat das ausführende Luftfahrtunternehmen sicherzustellen, dass bei der Abfertigung ein klar lesbarer Hinweis auf die Fluggastrechte für die Fluggäste deutlich sichtbar angebracht wird. Gemäß Art. 14 Abs. 2 VO händigt ein Fluggastunternehmen, das einen Flug annulliert, jedem betroffenen Fluggast einen schriftlichen Hinweis aus, in dem die Regeln für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen gemäß der Fluggastrechteverordnung dargelegt werden. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte diesen Pflichten nachgekommen wäre.
15Zwischen den Parteien ist umstritten, ob die Beklagte die Kläger über die Fluggastrechte aufklärte und sie informierte. Mit dem Schriftsatz vom 15.07.2019 haben die Kläger ihren Vortrag – entgegen dem Vorbringen in der Replik - dahingehend klargestellt, dass sie das Hotel in Boston selbst buchten und sich insgesamt selbst um den Aufenthalt dort kümmerten. Dies ist unstreitig geblieben. Die Kläger bestreiten auch ausdrücklich, Handzettel erhalten zu haben. Vor diesem Hintergrund genügt das pauschale Vorbringen der Beklagten, die Fluggäste seien mündlich und schriftlich informiert worden, nicht. Zwar obliegt es grundsätzlich den Klägern als Fluggästen, die negative Tatsache – fehlende Aufklärung und Information - darzulegen und zu beweisen. Die Beklagte trifft aber zumindest die Pflicht qualifiziert zu bestreiten und darzulegen wann und wie sie die Fluggäste gleichwohl informierte. Hierzu trägt die Beklagte nichts vor, sodass von dem Vortrag der Kläger auszugehen ist.
16In der Folge steht den Klägern ein Anspruch auf Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren von insgesamt 413, 64 € zu.
17Dieser berechnet sich der Höhe nach aus einem Gegenstandswert von bis 4.000,00 EUR. Entgegen der Ansicht der Beklagten hat sie den Klägern die Geschäftsgebühr und nicht lediglich eine Beratungsgebühr zu ersetzen. Denn es geht um die Realisierung der Ansprüche auf Ausgleichszahlung und Erstattung des Flugpreises, deren Geltendmachung durch den Fluggast selbst gegenüber dem ausführenden Luftfahrtunternehmen durch die nach Art. 14 Abs. 2 Fluggastrechteverordnung zu erteilende Information ermöglicht werden soll. Wird diese Information wie hier nicht erteilt, sind die Kosten eines mit der erstmaligen Geltendmachung der Ansprüche beauftragten Rechtsanwalts erstattungsfähig. Die Beauftragung des Rechtsanwalts mit der Durchsetzung ihrer Ansprüche war aus Sicht der Kläger in diesem Fall erforderlich und zweckmäßig (vgl. hierzu LG Köln (11. Zivilkammer), Urteil vom 04.09.2018 - 11 S 265/17).
18Die Geschäftsgebühr ist auch entstanden. Aus der vorgelegten Vollmacht kann nicht auf einen unbedingt erteilten Klageauftrag geschlossen werden. Die Vollmacht betrifft nur das rechtliche Dürfen des Rechtsanwalts, sie sagt nichts über dessen Beauftragung aus.
19Ein Zinsanspruch besteht bezogen auf die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten jedoch nicht, da nur Geldschulden zu verzinsen sind, § 288 BGB. Der Anspruch ist jedoch auf Freistellung gerichtet.
20atzLinks">III.
lass="absatzRechts">21Nachdem die Parteien den Rechtsstreit in Höhe von 4 x 2,50 € für die Parkkosten teilweise übereinstimmend für erledigt erklärt haben, hat das Gericht nach billigem Ermessen gemäß § 91a ZPO über die Kosten dieses Teils des Rechtsstreits zu entscheiden. Die Kosten dieses Teils des Rechtsstreits trägt die Beklagte. Sie hat sich erst nach Rechtshängigkeit auf die Anrechnung nach Art. 12 der VO berufen.
22Die Kostenentscheidung folgt im Übrigen aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.
23Auf eine erneute Stellungnahme der Beklagten zu dem Schriftsatz vom 21.08.2019 kam es nach alledem nicht an, da dieser keinen neuen erheblichen Tatsachenvortrag enthielt.
24Der Streitwert wird auf 290,00 EUR festgesetzt.
lass="absatzRechts">25Rechtsbehelfsbelehrung:
26A) Da mit dieser Entscheidung für keine Partei die zur Eröffnung der Berufung führende Beschwer von über 600,00 EUR erreicht ist, hat das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen die Zulassung der Berufung zu prüfen, § 511 Abs. 4 ZPO. Die Berufung ist danach nicht zuzulassen gewesen, weil die Rechtssache ihre Entscheidung allein aus den Umständen des vorliegenden Falles gefunden hat und somit weder grundsätzliche Bedeutung besitzt oder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern, § 511 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. Abs. 4 Nr. 1 ZPO.
27Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht zulässig, weil keine der Parteien durch dieses Urteil hinsichtlich eines Werts von über 600,00 EUR beschwert ist und das Gericht die Berufung auch nicht zugelassen hat, § 511 Abs. 2 Nr. 1 , 2 ZPO.
28B) Gegen die Streitwertfestsetzung ist die Beschwerde an das Amtsgericht Köln statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR übersteigt oder das Amtsgericht die Beschwerde zugelassen hat. Die Beschwerde ist spätestens innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Amtsgericht Köln, Luxemburger Str. 101, 50939 Köln, schriftlich in deutscher Sprache oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerde kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichtes abgegeben werden.
29Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
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Referenzen
- BGB § 280 Schadensersatz wegen Pflichtverletzung 2x
- BGB § 2 Eintritt der Volljährigkeit 1x
- BGB § 286 Verzug des Schuldners 1x
- BGB § 288 Verzugszinsen und sonstiger Verzugsschaden 2x
- ZPO § 287 Schadensermittlung; Höhe der Forderung 1x
- ZPO § 91a Kosten bei Erledigung der Hauptsache 1x
- ZPO § 92 Kosten bei teilweisem Obsiegen 1x
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- ZPO § 511 Statthaftigkeit der Berufung 3x
- 11 S 265/17 1x (nicht zugeordnet)