Beschluss vom Amtsgericht Magdeburg - 61 AR 22/17

Tenor

Auf die Anzeige der Richterin am Amtsgericht M. gemäß § 30 StPO wird die Richterin wegen Besorgnis der Befangenheit von den im Dezernat 23 anhängigen Verfahren - 23 Ls 89/17, 23 Ls 114/17 und 23 Ls 148/17 - gegen den Angeklagten ausgeschlossen.

Gründe

I.

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Gegen den im Rubrum Genannten werden unter den im Tenor dieser Entscheidung genannten Aktenzeichen Strafverfahren geführt. Mit Datum vom 09.11.2017 hat die zuständige Richterin folgenden Sachverhalt mitgeteilt:

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Am 09.11.2017 wurde der Angeklagte in dem Verfahren 23 Ls 89/17 zur Verkündung eines Haftbefehls gemäß § 230 Abs. 2 StPO der Richterin im Saal 18 des Justizzentrums Magdeburg vorgeführt. Nachdem die Richterin verschiedene Ermittlungen angestellt hatte, verkündete sie, dass er nunmehr in die Jugendanstalt Raßnitz verbracht werden würde. Daraufhin rastete der Angeklagte völlig aus und schob zunächst den vor ihm stehenden Tisch vor sich her, bis dieser gegen den Zeugentisch traf und dadurch der Tisch des Angeklagten umkippte. Der Angeklagte nahm nun das Tischbein löste es gewaltsam von der Tischplatte und ging damit auf die anwesende Frau H. von der Jugendgerichtshilfe, Herrn S. (Protokollführer) und die Richterin los. Die beiden vorführenden Polizeibeamten konnten Schlimmeres verhindern und versuchten, ihn dann zu fixieren. Der Angeklagte hatte übernatürliche Kräfte und wand sich, drehte sich und versuchte auch an die Waffe des Polizeibeamten zu gelangen und rief dabei immer wieder die Worte: "Geb mir die Waffe". Die Richterin drückte dann den Notruf und rief anschließend den Rettungsdienst über die Tel.-Nr. 112, da sie vermutete, dass ärztliche Hilfe vonnöten ist, um den Angeklagten zu beruhigen. Der Notarzt traf ein und stellte fest, dass der Angeklagte in die Jugendanstalt verbracht werden kann.

3

Mit schriftlicher Stellungnahme vom 14.11.2017 teilte die Richterin dem für die Entscheidung über Ablehnungsgesuche zuständigen Unterzeichner folgendes mit:

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"Nach dem Vorfall am 09.11.2017 sehe ich mich nicht in der Lage, das Verfahren gegen den Angeklagten unvoreingenommen und mit dem gebotenen Abstand zu Ende zu bringen. Der Angeklagte hat durch sein Verhalten bei mir Todesangst ausgelöst, die mich bis heute stark beeinträchtigt. Ein Urteil - ohne Ansehen der Person - ist in diesem Fall für mich nicht möglich. Die Polizeibeamten wussten, dass der Angeklagte den ganzen Nachmittag und Abend des 08.11.2017 randaliert hat, sich und andere drohte umzubringen und haben uns nicht vorgewarnt. Der Angeklagte zertrümmerte mit großem Geschrei Möbel und stürmte mit erhobenem Tischbein auf die Unterzeichnerin, die Jugendgerichtshelferin H. und den Justizsekretäranwärter S. los. Als er versuchte, dem Polizeibeamten die Waffe zu entreißen, gipfelte die Auseinandersetzung. Wir hatten keine Möglichkeit, den Raum verlassen zu können und mussten auf die Hilfe durch unsere Wachtmeister warten. Ich bitte, diesen Vorfall auch mit der Polizei auszuwerten, da dies sicher kein Einzelfall bleiben kann."

5

Die Stellungnahme der Richterin wurde der Verteidigerin des Angeklagten mit Gelegenheit zur Stellungnahme übersandt. Die Verteidigerin teilte mit Schreiben vom 24.11.2017 nach fernmündlicher Rücksprache mit Ihrem Mandanten mit, dass dieser nach Kenntnis der Stellungnahme überaus bestürzt gewesen sei. Er habe durch sein Verhalten auf keinen Fall eine Angst bei der Richterin geschweige denn eine Todesangst auslösen wollen. Es sei ihm einzig und allein um seine Person gegangen. In dem Moment der Haftbefehlsverkündung sei er völlig überfordert gewesen. Er habe zu keiner Zeit die Intention gehabt, die anwesenden Personen in irgendeiner Art und Weise zu schädigen. Er sei sich sicher, dass die Richterin das Verfahren, so wie die bisherigen Verfahren gegen ihn auch, fair und ohne Ansehen seiner Person führen könne und werde. Er widerspreche ausdrücklich nicht der Weiterführung des Verfahrens durch die Richterin.

II.

6

Die Richterin ist aufgrund des von ihr angezeigten Sachverhaltes wegen Besorgnis der Befangenheit von den in ihrem Dezernat zum Zeitpunkt dieser Entscheidung anhängigen Strafverfahren gegen den Angeklagten ausgeschlossen.

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Die Selbstablehnung eines Richters gemäß § 30 StPO setzt voraus, dass ein Grund im Sinne von § 24 StPO vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Hierfür kommen nur objektive Gründe in Betracht, die vom Standpunkt eines Betroffenen aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber. Rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen eines Betroffenen scheiden aus. Nicht erforderlich ist, dass der Richter tatsächlich befangen ist. Ebenso ist es unerheblich ob sich der Richter selbst für befangen hält. Es kommt vielmehr nur darauf an, ob aus Sicht eines Betroffenen genügend objektive Gründe vorliegen, die nach der Meinung einer sachlich und vernünftig denkenden Partei Anlass geben, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (vgl. Meyer-Goßner StPO, § 24, Rz. 8 m.w.N.).

8

Nach diesen Grundsätzen geben die von der Richterin angezeigten Umstände Anlass, an ihrer Unvoreingenommenheit zu zweifeln. Der Angeklagte hat anlässlich der Verkündung eines Haftbefehls durch die Richterin Straftaten begangen, indem er zunächst das Mobiliar des Sitzungssaales beschädigte und mit einem Tischbein als Waffe auf die Richterin und weitere anwesende Personen im Raum losging. Schließlich versuchte er noch, einem der anwesenden Polizeibeamten die Dienstwaffe zu entreißen. Dieser Sachverhalt ist Anlass für eine noch zu stellende Strafanzeige/ einen noch zu stellenden Strafantrag gegen den Angeklagten durch den Dienstvorgesetzten der Richterin gemäß § 230 Abs. 2 StGB. Die Stellung einer Strafanzeige oder eines Strafantrages auch durch den Dienstvorgesetzten versetzt die Richterin der Sache nach in eine Parteirolle, welche sich in dem einzuleitenden Verfahren auch verwirklichen kann. Wenn die Richterin einerseits Opfer einer Straftat des Angeklagten von nicht unerheblichem Gewicht geworden ist und diesbezüglich ein Ermittlungsverfahren und ein gerichtliches Verfahren durchgeführt wird, gerät die Richterin bei vernünftiger Betrachtung damit zwangsläufig in die Gefahr, ihre Unbefangenheit zu verlieren (vgl. BGH, Beschl.v. 14.02.1992, 2 StR 254/91, zit. nach beckonline).

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Das erkennende Gericht verkennt dabei nicht, dass nicht jede gegen einen Richter gerichtete Provokation, Ehrverletzung oder Drohung geeignet ist, die Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen. Selbst die Stellung eines Strafantrages durch den Richter gegen einen Angeklagten führt nicht zwangsläufig zu dessen Ablehnung. In Einzelfällen kann jedoch aus dem objektiven Gewicht eines Rechtsgutangriffs Anlass zu der Annahme entstehen, der Richter könne auch bei erheblichem Bemühen, die ihm obliegende berufliche Distanz nicht mehr aufbringen (vgl. KK-StPO/ Scheuten, 7.Aufl. 2013, § 24, Rz.6).

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Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem objektiv schwerwiegenden Rechtsgutangriff gegen Leib und Leben der Richterin durch den Angeklagten Anlass zu der Annahme, dass die Richterin trotz eines entsprechenden Bemühens die ihr obliegende berufliche Distanz zu dem Angeklagten nicht mehr aufbringen können wird. Die Richterin hat nachvollziehbar ausgeführt, dass sie aufgrund des Angriffs des Angeklagten Todesangst erlitten habe, die sie noch immer stark beeinträchtige. Die Stellungnahme der Verteidigerin des Angeklagten, dass dieser nicht beabsichtigt habe, Angst bei der Richterin auszulösen, geschweige denn Todesangst steht dieser Beurteilung nicht entgegen.

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Die Richterin war daher auf ihre Anzeige gemäß § 30 StPO nach Anhörung der Verfahrensbeteiligten von den in ihrem Dezernat anhängigen Erkenntnisverfahren gegen den Angeklagten auszuschließen.


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