Beschluss vom Amtsgericht Worms - 1 Ds 3200 Js 28464/16
Tenor
1. Die Eröffnung des Hauptverfahrens wird aus tatsächlichen Gründen abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Angeschuldigten trägt die Staatskasse.
Gründe
I.
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Dem Angeschuldigten wird mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Mainz vom 17.10.2016 zur Last gelegt, am 09.07.2016 in Worms einen versuchten Ladendiebstahl begangen zu haben. Konkret soll der Angeschuldigte in dem D. eine Packung des Parfums Chanel Coco Mademoiselle im Wert von 205,90 € in der Absicht aus dem dafür vorgesehenen Regal entnommen haben, dieses Parfum zu entwenden. Anschließend soll sich der Angeschuldigte in einen weiteren Gang begeben und die Verpackung der Parfumflasche entfernt haben. Als der Angeschuldigte bemerkt habe, dass ihn ein Ladendetektiv, der Zeuge R., beobachtete, habe er die Parfumflasche in ein Regal zurückgestellt. Im weiteren Verlauf sei er von dem Zeugen R. angesprochen und die Polizei verständigt worden.
II.
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Gemäß den §§ 203, 204 StPO war das Hauptverfahren gegen den Angeschuldigten aus tatsächlichen Gründen nicht zu eröffnen.
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Hinreichender Tatverdacht nach § 203 StPO ist anzunehmen, wenn die vorläufige Tatbewertung ergibt, dass die Verurteilung des Angeschuldigten wahrscheinlich ist (BGHSt 23, 304, 306; OLG Koblenz NJW 1994, 1887; OLG Hamburg StV 1996, 418; KG NJW 1997, 69; KK/Tolksdorf, StPO, 7. Aufl., § 203 Rn. 2; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 203 Rn. 2). Die Wahrscheinlichkeit muss so groß sein, dass es einer Entscheidung durch das erkennende Gericht in der Hauptverhandlung bedarf, um festzustellen, ob noch bestehende Zweifel gerechtfertigt sind (KK/Tolksdorf, a. a. O., § 203 Rn. 4).
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Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor. Nach der vorzunehmenden Gesamtwürdigung des vorhandenen Akteninhalts ist nach Auffassung des Gerichts eine Verurteilung des Angeschuldigten R. wegen der ihm im Rahmen der Anklageschrift vom 17.10.2016 vorgeworfenen Tat in Form eines versuchten Diebstahls nicht wahrscheinlich.
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Der Angeschuldigte hat in seiner Vernehmung vom 10.08.2016 ausgeführt, er habe das Parfum nicht stehlen wollen. Vielmehr habe er die Flasche aus der Verpackung genommen, um sie sich anzuschauen und dann, weil er nicht die Absicht gehabt habe sie zu kaufen, in ein Regal zurück gestellt. Diese Angaben des Angeschuldigten werden sich in einer Hauptverhandlung nicht widerlegen lassen. Die Angaben des Zeugen R. und die bei den Akten befindliche Videoaufzeichnung bestätigen lediglich den äußeren Ablauf, der von dem Angeschuldigten nicht bestritten wird. Sie belegen jedoch für sich nicht ohne Weiteres einen etwaigen Tatentschluss des Angeschuldigten, einen Diebstahl zu begehen und damit den Straftatbestand des § 242 Abs. 1 StGB durch ein unmittelbares Ansetzen erfüllen zu wollen.
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Voraussetzung für eine wahrscheinliche Verurteilung des Angeschuldigten R. wäre vorliegend, dass er zu dem Zeitpunkt des unmittelbaren Ansetzens, namentlich als er die Parfumflasche aus dem Regal entnahm, Tatentschluss dazu hatte, den an der Parfumflasche bestehenden fremden Gewahrsam des Ladeninhabers zu brechen und eigenen Gewahrsam zu begründen. Da es sich bei dem Gewahrsam um ein tatsächliches Sachherrschaftsverhältnis handelt, sind die Anschauungen des täglichen Lebens und vor allem die Umstände des Einzelfalles maßgebend (vgl. bspw. BGHSt 16, 271, 273 ; 23, 254, 255; 41, 198, 205). Zwar kommt ein unmittelbares Ansetzen in Betracht, wenn der Täter die Sache in die Hand nimmt, um sie wegzunehmen (BeckOK StGB/Wittig, Ed. 32, § 242 Rn. 42.1 unter Bezugnahme auf RGSt 55, 244). Allerdings sind an die Feststellung, der Täter habe die Ware entwenden wollen, bei im Geschäftsbereich offen getragenen kleineren Gegenständen erhöhte Anforderungen zu stellen (BayObLG NJW 1997, 3226, 3227). Bei offen im Bereich der Geschäftsfläche eines Selbstbedienungsladens mitgeführten Waren kann nämlich nicht ohne weiteres angenommen werden, der Kunde wolle sich diese Ware ohne Bezahlung zueignen. Es handelt sich nämlich um ein - wie die Videoaufzeichnung plastisch dokumentiert - grundsätzlich sozial übliches und von dem Ladeninhaber toleriertes Verhalten, das durch eine Vielzahl weiterer Besucher an den Tag gelegt wird.
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Selbst wenn man jedoch zu der Annahme gelangen würde, dass der Angeschuldigte durch die Entnahme der Parfumflasche aus dem Regal zu einer Tatbestandsverwirklichung des § 242 Abs. 1 StGB unmittelbar angesetzt haben sollte, wäre er hier nach § 24 Abs. 1 StGB von einem offensichtlich unbeendeten Versuch strafbefreiend zurück getreten, weil eine etwaige Angst vor Entdeckung die Freiwilligkeit nicht auszuschließen vermag (Fischer, StGB, 63. Aufl., § 24 Rn. 19b).
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Aufgrund der vorstehenden Erwägungen gelangt das Gericht nach nochmaliger Abwägung sämtlicher Umstände mithin zu dem Ergebnis, dass aufgrund der vorhandenen Beweissituation nach der derzeitigen Aktenlage, bei der maßgebliche Veränderungen nicht zu erwarten stehen, in einer Hauptverhandlung nach dem Grundsatz „In dubio pro reo“ ein Freispruch zu Gunsten des Angeklagten wahrscheinlich ist. Zwar ist der Grundsatz „In dubio pro reo“ auf das Wahrscheinlichkeitsurteil nicht anwendbar (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 203 Rn 2; KK/Tolksdorf, a.a.O., § 203 Rn 4; KG NJW 1997, 69). Jedoch kann hinreichender Tatverdacht mit der Begründung verneint werden, dass in einer Hauptverhandlung nach dieser Regel wahrscheinlich Freispruch ergehen würde (OLG Köln StraFo 1998, 230; OLG Karlsruhe 1974, 806; OLG Bamberg NStZ 1991, 252; Meyer-Goßner/Schmit, a.a.O., § 203 Rn 2; KK/Tolksdorf, a.a.O., § 203 Rn 4). So liegt es hier.
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Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten folgt aus §§ 464 Abs. 1, 467 Abs. 1 StPO.
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