Urteil vom Arbeitsgericht Halle (1. Kammer) - 1 Ca 1421/12
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Der Streitwert wird auf 12.468,71 € festgesetzt.
Tatbestand
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Die Parteien streiten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis durch einen Betriebsübergang kraft Gesetzes begründet oder durch eine Individualvereinbarung neu begründet worden ist, sowie über aus einem Betriebsübergang folgende Zahlungsansprüche des Klägers.
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Der Kläger wurde am 01.06.2011 auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages und den TVöD-V als Rettungssanitäter für den … tätig.
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Bis zum 31.05.2011 sicherte der … den Rettungsdienst für den beklagten Landkreis, der im Zuge der Gebietsreform 2007 entstanden war, im Altkreis D-Stadt ab. Es wurden die Rettungswachen „D-Stadt“, …, … und … betrieben. Der Verein beschäftigte 41 Arbeitnehmer, darunter seit 02.01.1999 auch den Kläger zu den Bedingungen der Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland (AVR) in der jeweils gültigen Fassung. Seit dem 01.06.2011 nimmt der beklagte Landkreis die Aufgaben des Rettungsdienstes selbst wahr. Zu diesem Zweck war bereits zum 01.01.2011 die Betriebssatzung für den Eigenbetrieb Rettungsdienst des … neu gefasst worden. Außerdem erfolgten Stellenausschreibungen für die Organisation des Rettungsdienstes. Von den ca. 70 Bewerbern wurden mehr als 50 zum 01.06.2011 eingestellt, darunter alle zuvor bei dem … für den Rettungsdienst im Altkreis D-Stadt beschäftigten Mitarbeiter. Die Rettungsleitstelle wurde – wie bereits zuvor – durch den … weiter betrieben. Der territoriale Zuschnitt für den Rettungsdienst (Altkreis D-Stadt) blieb unverändert, außerdem wurden die eingerichteten Rettungswachen an den jeweiligen Standorten weiter genutzt. Das Inventar wurde im Juni 2011 von dem … zum Preis von insgesamt 10.000,00 € käuflich erworben. Im Januar und Februar 2011 hatte der … den Auftrag für die Lieferung und den Ausbau von Neufahrzeugen, nämlich 5 Rettungstransportwagen, 1 Krankentransportwagen und 1 Notarztfahrzeug erteilt. Hierüber wurden im Mai 2011 Rechnungen gelegt. Die Fahrzeuge kamen ab dem 01.06.2011 zum Einsatz. Der … betrieb den Rettungsdienst bis zum 31.05.2011 mit im Jahr 2006 beschafften Fahrzeugen, nämlich 5 Rettungstransportwagen, 1 Krankentransportwagen, 1 Notarzteinsatzfahrzeug. Bis zur vollständigen Auslieferung der neuen Bekleidung für den Rettungsdienst im Juni 2011 versahen die ehemaligen …-Mitarbeiter ihren Dienst in der Bekleidung des ….
- 4
Der Kläger vertritt die Auffassung, sein zuvor mit dem … begründetes Arbeitsverhältnis bestehe mit dem … wegen eines Betriebsüberganges „Rettungsdienst“ unverändert fort.
- 5
Der … habe den Betrieb des … durch eine Vielzahl von Rechtsgeschäften übernommen. Im Wege der Rekommunalisierung führe der Beklagte den Rettungsdienst in eigener Zuständigkeit fort. Er nutze hierfür dieselben Rettungswachen mit dem erworbenen Inventar und setze alle ehemaligen Mitarbeiter des … zeitweise noch in ihrer alten Bekleidung ein.
- 6
Dem Betriebsübergang stehe nicht die fehlende Übernahme der Fahrzeugflotte entgegen. Auch der … hätte bei Fortführung des Rettungsdienstes neue Fahrzeuge beschafft, weil die Krankenkasse diese nach einer Abnutzung und damit verbundenen Abschreibung über einen Zeitraum von 5 Jahren neu finanziert hätte. Diesem Betriebsmittel komme deshalb keine prägende und damit entscheidende Bedeutung mehr zu.
- 7
Infolgedessen stehe ihm weiterhin eine Vergütung auf der Grundlage der AVR zu. Damit ergäben sich nachfolgende Differenzansprüche:
- 8
Juni 2011
684,24 €
Juli 2011
524,95 €
August 2011
237,51 €
September 2011
452,99 €
Oktober 2011
363,81 €
November 2011
(einschließlich 1. Hälfte
Jahressonderzahlung)893,64 €
Dezember 2011
393,09 €
Januar 2012
471,46 €
Februar 2012
243,40 €
März 2012
401,64 €
April 2012
308,11 €
Mai 2012
515,39 €
Juni 2012
(einschließlich 2. Hälfte
Jahressonderzahlung1.812,56 €
Juli 2012
237,18 €
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Außerdem habe der … zu seinen Gunsten Beiträge in Höhe von 714,04 € für die Monate Juni – Dezember 2011 an die Direktversicherung abzuführen, die der ... zu seinen Gunsten abgeschlossen habe.
- 10
Der Kläger beantragt,
- 11
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis mit dem … zum 01.06.2011 im Wege des Betriebsübergangs nach § 613 a BGB auf den Beklagten übergegangen ist.
- 12
2. den Beklagten zu verurteilen, an ihn für Juni 2011 684,24 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2011 zu zahlen.
- 13
3. den Beklagten zu verurteilen, an ihn für Juli 2011 524,95 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.08.2011 zu zahlen.
- 14
4. den Beklagten zu verurteilen, an ihn für August 2011 237,51 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.09.2011 zu zahlen.
- 15
5. den Beklagten zu verurteilen, an ihn für September 2011 452,99 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.10.2011 zu zahlen.
- 16
6. den Beklagten zu verurteilen, an ihn für Oktober 2011 363,81 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.11.2011 zu zahlen.
- 17
7. den Beklagten zu verurteilen, an ihn für November 2011 893,64 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2011 zu zahlen.
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8. den Beklagten zu verurteilen, an die Allianz-Lebensversicherung AG zur Versicherungsschein-Nr. 6/813332/6610, den Versicherungsbeitrag für den 01.06. - 31.12.2011 in Höhe von 714,04 € zu zahlen.
- 19
9. den Beklagten zu verurteilen, an ihn für Dezember 2011 393,09 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2012 zu zahlen
- 20
10. den Beklagten zu verurteilen, an ihn für Januar 2012 471,46 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2012 zu zahlen.
- 21
11. den Beklagten zu verurteilen, an ihn für Februar 2012 243,40 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.03.2012 zu zahlen.
- 22
12. den Beklagten zu verurteilen, an ihn für März 2012 401,64 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2012 zu zahlen.
- 23
13. den Beklagten zu verurteilen, an ihn für April 2012 308,11 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.05.2012 zu zahlen.
- 24
14. den Beklagten zu verurteilen, an ihn für Mai 2012 515,39 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.06.2012 zu zahlen.
- 25
15. den Beklagten zu verurteilen, an ihn für Juni 2012 1.812,56 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2012 zu zahlen.
- 26
16. den Beklagten zu verurteilen, an ihn für Juli 2012 237,18 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.08.2012 zu zahlen.
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Der beklagte Landkreis beantragt,
- 28
die Klage abzuweisen.
- 29
Der … vertritt die Rechtsansicht, der Rettungsdienst werde durch ihn im Wege der Funktionsnachfolge wahrgenommen.
- 30
Auch spreche eine grundverschiedene Arbeitsorganisation gegen den Übergang einer wirtschaftlichen Einheit. Das frühere Personal sei nicht übernommen sondern im Wege der Ausschreibung aus einer Vielzahl von Bewerbern ausgewählt worden. Bei den käuflich erworbenen Inventargegenständen der Rettungswachen handele es sich nicht um wesentliche Betriebsmittel. Prägendes Betriebsmittel des Rettungsdienstes sei allein die Fahrzeugflotte. Diese habe er selbst neu beschafft und seinen Vorstellungen entsprechend technisch neu ausstatten lassen. Mangels Übernahme der alten Rettungsfahrzeuge des … schieden ein Betriebsübergang und daraus folgende Zahlungsansprüche aus.
Entscheidungsgründe
- 31
Die Klage hat keinen Erfolg.
A.
- 32
Die Klage ist zwar zulässig.
- 33
Auch der von dem Kläger gestellte Feststellungsantrag (Antrag zu 1.) ist nach § 256 Abs. 1 ZPO zulässig, da das in jeder Lage des Verfahrens als Sachurteilsvoraussetzung zu prüfende besondere Feststellungsinteresse (BAG, Urteil vom 05. Juni 2003 – 6 AZR 277/02 – in: AP Nr. 81 zu § 256 ZPO 1977) insoweit besteht, als der Antrag auf die Feststellung der inhaltlichen Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses gerichtet ist. Hierbei handelt es sich um einzelne Rechte, Pflichten und Folgen aus einer Rechtsbeziehung, die von dem Tatbestandsmerkmal des Rechtsverhältnisses im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO erfasst werden (Zöller-Greger in: Geimer, Greger, Herget, Heßler, Lückemann, Stöber, Vollkommer, Feskorn, Lorenz, ZPO, Zivilprozessordnung, 29. Auflage, Verlag: Dr. Otto Schmidt, Köln 2012, § 256 Rdnr. 3 m. w. N.). An der begehrten Feststellung hat der Kläger ein gegenwärtiges Interesse, weil der … die von ihm in Anspruch genommene inhaltliche Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses in Abrede stellt.
B.
I.
- 34
Der Feststellungsantrag ist indessen nicht begründet.
- 35
Ein Übergang des Betriebes oder Betriebsteils „Rettungsdienst“ von dem ... auf den … hat nicht stattgefunden.
- 36
1. Die Vorschrift des § 613a Abs. 1 BGB setzt den rechtsgeschäftlichen Übergang eines Betriebs oder Betriebsteils auf einen anderen Inhaber voraus. Erforderlich ist die Wahrung der Identität der betreffenden wirtschaftlichen Einheit. Der Begriff wirtschaftliche Einheit bezieht sich auf eine organisatorische Gesamtheit von Personen und/oder Sachen zur auf Dauer angelegten Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung. Bei der Prüfung, ob eine solche Einheit übergegangen ist, müssen sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen berücksichtigt werden. Dazu gehören als Teilaspekte der Gesamtwürdigung namentlich die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebs, der etwaige Übergang der materiellen Betriebsmittel wie Gebäude oder bewegliche Güter, der Wert der immateriellen Aktiva im Zeitpunkt des Übergangs, die etwaige Übernahme der Hauptbelegschaft, der etwaige Übergang der Kundschaft sowie der Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeit. Die Identität der Einheit kann sich auch aus anderen Merkmalen wie ihrem Personal, ihren Führungskräften, ihrer Arbeitsorganisation, ihren Betriebsmethoden und gegebenenfalls den ihr zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln ergeben. Den für das Vorliegen eines Übergangs maßgeblichen Kriterien kommt je nach der ausgeübten Tätigkeit und je nach den Produktions- und Betriebsmethoden unterschiedliches Gewicht zu (BAG, Urteil vom 15.02.2007 – 8 AZR 431/06 - im Anschluss an EuGH 11. März 1997 - C-13/95 - [Ayse Süzen] EuGHE I 1997, 1259 = AP Nr. 14 zu EWG-Richtlinie Nr. 77/187; zuletzt 15. Dezember 2005 - C-232/04 und C-233/04 - [Güney-Görres] EzA BGB 2002 § 613a Nr. 41 in: www.juris-web.de Rdnr. 17 m. w. zahlreichen Nachweisen). In Branchen, in denen es im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, kann auch eine Gesamtheit von Arbeitnehmern, die durch eine gemeinsame Tätigkeit dauerhaft verbunden ist, eine wirtschaftliche Einheit darstellen. Die Wahrung der Identität der wirtschaftlichen Einheit ist in diesem Fall anzunehmen, wenn der neue Betriebsinhaber nicht nur die betreffende Tätigkeit weiterführt, sondern auch einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernimmt, das sein Vorgänger gezielt bei dieser Tätigkeit eingesetzt hatte. Hingegen stellt die bloße Fortführung der Tätigkeit durch einen anderen Auftragnehmer (Funktionsnachfolge) ebenso wenig einen Betriebsübergang dar wie die reine Auftragsnachfolge (BAG, Urteil vom 18. März 1999 - 8 AZR 196/98 – in: AP Nr. 190 zu § 613 a BGB). In betriebsmittelgeprägten Betrieben kann ein Betriebsübergang auch ohne Übernahme von Personal vorliegen (so zuletzt EuGH 20. November 2003 - C-340/01 - [Carlito Abler] EuGHE I 2003, 14023 = AP Nr. 34 zu Nr. 77/187 EWG-Richtlinie; vgl. auch BAG 22. Juli 2004 - 8 AZR 350/03 - BAGE 111, 283, 292 = a. a. O.). Sächliche Betriebsmittel sind im Rahmen einer Auftragsneuvergabe wesentlich, wenn bei wertender Betrachtungsweise ihr Einsatz den eigentlichen Kern des zur Wertschöpfung erforderlichen Funktionszusammenhangs ausmacht (BAG, Urteil vom 6. April 2006 - 8 AZR 222/04 - in: AP Nr. 299 zu § 613 a BGB).
- 37
Kriterien hierfür können sein, dass die Betriebsmittel unverzichtbar zur auftragsgemäßen Verrichtung der Tätigkeiten sind (BAG, Urteil vom 13. Juni 2006 – 8 AZR 271/05 – Rdnr. 24 in: AP Nr. 305 zu § 613 a BGB), auf dem freien Markt nicht erhältlich sind oder ihr Gebrauch vom Auftraggeber zwingend vorgeschrieben ist.
- 38
2. In Anwendung dieser Grundsätze hat ein Betriebsübergang auf den … nicht stattgefunden, weil er die wirtschaftliche Einheit nicht unter Wahrung ihrer Identität fortführt.
- 39
a.) Der von dem … durchgeführte „Rettungsdienst“ ist ein Betrieb im Sinne von § 613 a Abs. 1 BGB, weil eine organisatorische Gesamtheit von Personen und/oder Sachen zur auf Dauer angelegten Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung war.
- 40
Um die Leistungen der Notfallrettung und des Krankentransportes zu erbringen, hat der … eine Gesamtheit von Arbeitnehmern an 4 Standorten eingesetzt. Sie wurden ausschließlich zur Durchführung des bodengebundenen Rettungsdienstes in dem von dem … gemäß § 3 Abs. 2, § 11 Rettungsdienstgesetz Sachsen-Anhalt (Rett DG LSA) zuvor genehmigten Umfang eingesetzt.
- 41
b.) Dieser Betrieb „Rettungsdienst“ ist nicht unter Wahrung seiner Identität auf den … übergegangen, weil er gerade die maßgeblichen, die wirtschaftliche Einheit in ihrer Identität prägenden, materiellen Betriebsmittel des Rettungsdienstes nicht übernommen hat.
- 42
aa) Dass es sich bei der Durchführung des Rettungsdienstes um eine Aufgabe der Daseinsvorsorge handelt, steht der Annahme eines Betriebsübergangs zwar grundsätzlich nicht entgegen. § 613a BGB findet auch Anwendung, wenn die öffentliche Hand einen privaten Betrieb übernimmt oder ein Betriebsinhaberwechsel zwischen öffentlich-rechtlichen Körperschaften stattfindet (vgl. BAG, Urteil vom 25. September 2003 – 8 AZR 421/02 – zu II 1 c der Gründe m. w. N. in: AP Nr. 261 zu § 613 a BGB).
- 43
Art. 1 Abs. 1c der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 nimmt zwar die Übertragung von Aufgaben im Zuge einer Umstrukturierung von Verwaltungsbehörden oder bei der Übertragung von Verwaltungsaufgaben von einer Behörde auf eine andere von der Anwendung der Betriebsübergangsrichtlinie aus. Eine solche Aufgabenübertragung innerhalb der Verwaltung liegt nicht vor, wenn die Durchführung des Rettungsdienstes durch einen öffentlich-rechtlichen Vertrag auf eine private Hilfsorganisation übertragen oder rückübertragen wird und es in diesem Zusammenhang zu einem Übergang der wirtschaftlichen Einheit unter Wahrung ihrer Identität kommt (vgl. Iwers LKV 2010, 8, 13). Entscheidend ist, dass es sich bei der Übertragung um eine wirtschaftliche Tätigkeit handelt (vgl. EuGH 26. September 2000 – C-175/99 – [Mayeur] Rdnr. 41, Slg. 2000, I-7755 = AP Nr. 30 zu EWG Richtlinie Nr. 77/187). Hierbei ist die Anwendbarkeit der Betriebsübergangsrichtlinie nicht davon abhängig, dass die wirtschaftliche Tätigkeit auf Gewinnerzielungsabsicht ausgerichtet ist (vgl. EuGH 14. September 2000 – C-343/98 – [Collino und Chiappero] Rdnr. 30, Slg. 2000, I-6659 = AP Nr. 29 zu EWG Richtlinie Nr. 77/187).
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bb) Die Übertragung von Dienstleistungen, die im öffentlichen Interesse sind, schließt die Anwendung der Richtlinie dann nicht aus, wenn die betreffende Tätigkeit keine hoheitliche Tätigkeit darstellt (vgl. EuGH 26. September 2000 – C-175/99 – [Mayeur] Rdnr. 39 f., Slg. 2000, I-7755 = AP Nr. 30 zu EWG Richtlinie Nr. 77/187, 10. Dezember 1998 – C-173/96 – [Hidalgo u.a.] Rdnr. 24, Slg. 1998, I-8237 = EzA BGB § 613 a Nr. 173). Die Vergabe von Aufträgen zur Durchführung öffentlicher Krankentransportleistungen betrifft keine hoheitliche Tätigkeit (EuGH 29. April 2010 – C-160/08 – Slg. 2010 – I-3713). Hoheitliche Tätigkeit setzt hinreichend qualifizierte Ausübung von Sonderrechten, Hoheitsprivilegien oder Zwangsbefugnissen voraus, die bei der Durchführung von Krankentransportleistungen nicht vorliegt. Die Einsatzkennzeichnung durch Blaulicht und Einsatzhorn bei höchster Eile, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden (§ 38 Abs. 1 StVO) ist keine unmittelbare und spezifische Teilhabe an der Ausübung öffentlicher Gewalt. Die Leistungserbringer des Rettungsdienstes sind nicht mit besonderen Vorrechten oder Zwangsbefugnissen ausgestattet, um die Einhaltung des allgemeinen Rechts zu gewährleisten. Auch die Zusammenarbeit beim Rettungsdienst mit öffentlichen Stellen die, wie z. B. die Polizei, mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattet sind, führt nicht dazu, dass solche Dienstleistungen mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden wären (vgl. BAG, Urteil vom 10.05.2012 – 8 AZR 434/11 – in: www.juris-web.de, Rdnr. 35 m. w. N.). Die Übertragung von Rettungsdienstleistungen an Leistungserbringer nach § 11 Rett DG LSA stellt ein Vergabeverfahren nach § 97 Abs. 1 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) dar (BGH, Urteil vom 01. Dezember 2008 – X ZB 31/08 – in: BGHZ 179, 84). Dies steht der Anwendung der Betriebsübergangsrichtlinie und von § 613 a BGB nicht entgegen (vgl. BAG, Urteil vom 02. März 2006 – 8 AZR 147/05 – C-172/99 – [Liikenne] Slg. 2001, I-745).
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c.) Die fehlende Übernahme der Rettungsfahrzeuge des … durch den … schließt indessen die Annahme eines Betriebsübergangs aus.
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Bei der Durchführung des Rettungsdienstes handelt es sich nicht um eine reine Dienstleistung, sondern vielmehr um einen betriebsmittelgeprägten Betrieb, bei dem der Einsatz der sächlichen Betriebsmittel bei wertender Betrachtung den eigentlichen Kern des zur Wertschöpfung erforderlichen Funktionszusammenhanges ausmacht (Sächsisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 24.09.2010 – 3 Sa 79/10 - in: www.juris-web.de, Rdnr. 56). Sie sind unverzichtbar für die auftragsgemäße Verrichtung der Tätigkeit (BAG, Urteil vom 10.05.2012 – 8 AZR 434/11 - a. a. O Rdnr. 36 m. w. N.).
- 47
aa) Identitätsprägend sind vor allem die zur Durchführung der Notfallrettung und des Krankentransports eingesetzten Rettungsmittel. Hierbei handelt es sich nicht um einfache Hilfsmittel, die neben der menschlichen Arbeitskraft nur eine untergeordnete Rolle für die wirtschaftliche Wertschöpfung spielen, sondern vielmehr um Betriebsmittel von erheblichem Wert, die für den Betrieb des Rettungsdienstes unverzichtbar sind. Es handelt sich um Spezialfahrzeuge mit speziellen Ein- und Aufbauten, die speziellen gesetzlichen Anforderungen entsprechen müssen (§ 9 Nr. 3 Rett DG LSA).
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bb Das Einsatzpersonal im Rettungsdienst (Rettungshelfer, Rettungssanitäter, Rettungsassistenten, Notärzte) ist zwar hochqualifiziert und umfassend für die jeweiligen Aufgaben bei der Durchführung der Notfallrettung und des Krankentransportes ausgebildet. Gleichwohl ist eine Übernahme oder Nichtübernahme rechtlich nicht von entscheidender Bedeutung für die Beurteilung, ob ein Betriebsübergang vorliegt. Nur in betriebsmittelarmen Betrieben ist das Personal identitätsprägend. In allen anderen Betrieben ist die Übernahme der Belegschaft nur ein Kriterium unter anderem für die Annahme eines Betriebsüberganges (BAG, Urteil vom 10.05.2012 – 8 AZR 434/11 – a. a. O. Rdnr. 38).
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d.) Dieser wertenden Betrachtung steht nicht entgegen, dass der … bei eigener Fortführung des Rettungsdienstes ebenfalls neue Rettungsfahrzeuge angeschafft hätte, weil seine Fahrzeugflotte nach 5 Jahren „abgeschrieben“ war.
- 50
Die „alte“ Fahrzeugflotte der Rettungswagen hat damit ihren identitätsprägenden Charakter nicht verloren. Vielmehr wurden die Fahrzeuge bis zum letzten Tag der Wahrnehmung des Rettungsdienstes durch den … genutzt. Ob die (weitere) Nutzung steuerlich oder wirtschaftlich sinnvoll war, ist in diesem rechtlichen Zusammenhang hingegen unerheblich.
- 51
Nach Überzeugung der erkennenden Kammer ist für die Beurteilung eines Überganges von betriebsmittelgeprägten Betrieben allein entscheidend, ob die identitätsprägenden Betriebsmittel tatsächlich übernommen werden. Die Feststellung, ob die betriebsmittelprägenden Gegenstände ihre Eigenschaft etwa aus steuerlichen Gründen verloren haben, ist hierbei nicht zu treffen. Maßgeblich ist ausschließlich die Übernahme an sich, ohne dass eine weitere wertende Betrachtung durch Dritte oder das Gericht zu erfolgen hat.
- 52
Dementsprechend schließt der Umstand, dass die von dem neuen Unternehmer übernommenen Betriebsmittel nicht seinem Vorgänger gehörten, sondern vom Auftraggeber zur Verfügung gestellt wurden, den Betriebsübergang nicht aus (EuGH 15. Dezember 2005, - C- 232/04 und C-233/04 – [Güney-Görres] a. a. O.; BAG, Urteil vom 15.02.2007 – 8 AZR 431/06 – a. a. O., Rdnr. 17 m. w. zahlreichen Nachweisen).
- 53
Auch bei dieser Fallgestaltung kommt es entscheidungserheblich nur auf den äußeren Tatbestand an.
- 54
e.) Fehlt es damit an der Übernahme der identitätsprägenden Rettungsfahrzeuge, kommt der Fortführung des Rettungsbetriebes in den „alten“ Rettungswachen des … und dem Kauf des dazugehörigen Inventars ebenso wenig entscheidungserhebliche Bedeutung zu wie die Neueinstellung des Einsatzpersonals im Rettungsdienst, die zunächst ihren Einsatz in der Dienstbekleidung des … versehen haben.
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Hierbei handelt es sich lediglich um Hilfstatsachen, die für die Beurteilung eines Betriebsüberganges mit herangezogen werden können. Sie ersetzen aber nicht das Fehlen der vor allem identitätsprägenden Rettungsfahrzeuge, ohne die ein bodengebundener Rettungsdienst denknotwendig nicht möglich ist.
II.
- 56
Die weiteren Anträge zu 2.) – 16.) sind ebenfalls nicht begründet.
- 57
Diese streitgegenständlichen Ansprüche, die der Kläger aus dem Arbeitsvertrag mit dem … herleitet, stehen ihm gegen den … nicht zu. Der … ist gerade nicht gemäß § 613 a Abs. 1 BGB in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Überganges bestehenden Arbeitsverträgen eingetreten, weil der Betrieb „Rettungsdienst“ nicht auf ihn übergegangen ist.
C.
- 58
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
- 59
Danach trägt der Kläger als unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits.
D.
- 60
Der Streitwert ist gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzen.
- 61
Er beruht auf entsprechender Anwendung des §§ 42 Abs. 1 Satz 1, 48 Abs. 1 GKG, § 3 ZPO.
- 62
Der Feststellungsantrag wurde mit dem zweifachen Wert des aktuellen Bruttomonatsverdienstes des Klägers bemessen. Die Zahlungsanträge entsprechen in der Wertfestsetzung ihrer Bezifferung. Eine wirtschaftliche Identität eines Teils der Zahlungsanträge mit dem Feststellungsantrag wurde von dem Gericht nicht angenommen. Mit dem Feststellungsantrag sind maßgeblich die Fragen nach dem Kündigungsschutz, der Länge der Kündigungsfristen, der Probezeit und weitere statusrechtliche Belange bewertet worden. Die rein wirtschaftliche Betrachtung blieb deshalb den Zahlungsanträgen vorbehalten.
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