Urteil vom Anwaltsgerichtshof NRW - 1 AGH 18/21
Tenor
- 1.
Die Klage wird abgewiesen.
- 2.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
- 3.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
- 4.
Der Streitwert wird auf 12.500,00 € festgesetzt.
1
Tatbestand
2Der im Jahre 1940 geborene Kläger ist seit 1972 als Rechtsanwalt zugelassen. Spätestens ab dem Jahr 2005 ist er berechtigt, die Bezeichnung Fachanwalt für Steuerrecht zu führen.
3In den Folgejahren reichte der Kläger die Fortbildungsnachweise stets verspätet, meist Anfang Januar des Folgejahres, ein. Aufgrund dessen wurde er jedes Jahr von der Beklagten daran erinnert, die Nachweise bis spätestens 31.12. des jeweiligen Jahres vorzulegen.
4Im Jahre 2018 wurde der Kläger darüber hinaus aufgrund eines Erinnerungsschreibens der Beklagten vom 09.02.2018 daran erinnert, dass der Bundesgerichtshof in der Entscheidung vom 05.04.2014 (AnwZ (BrfG) 76/13) festgestellt hat, dass bei einem Unterbleiben der kalenderjährlichen Fortbildung nach § 15 FAO diese nicht im Folgejahr nachgeholt werden kann.
5Mit Schreiben vom 28.01.2021 erinnerte die Beklagte den Kläger an die Einreichung der Fortbildungsnachweise für das Jahr 2020 und setzte insoweit eine Frist bis zum 28.02.2021. Mit weiterem Schreiben vom 01.03.2021 setzte die Beklagte eine erneute Frist bis zum 15.03.2021 und wies darauf hin, dass nach Ablauf dieser Frist von der Möglichkeit des Widerrufs der ihm erteilen Befugnis zur Führung der Fachanwaltsbezeichnung Gebrauch gemacht wird. Dieses Schreiben ist dem Kläger elektronisch übermittelt worden und am 01.03.2021 um 11:23 Uhr zugegangen. Der Kläger reichte keine Fortbildungsnachweise ein.
6Mit Bescheid vom 19.04.2021 widerrief die Beklagte die dem Kläger erteilte Berechtigung zur Führung der Fachanwaltsbezeichnung im Steuerrecht.
7Hiergegen erhob der Kläger Klage mit Schreiben vom 03.05.2021, das den Eingangsstempel des Gerichts per 07.05.2021 trägt. Er beantragt sinngemäß,
8den Bescheid der Beklagten vom 19.04.2021 aufzuheben.
9Dazu trägt er vor, dass er aufgrund seines kritischen Alters davon Abstand genommen hat, an der sonst für ihn üblichen Präsenzveranstaltung, dem Bielefelder Fachlehrgang Steuerrecht, der auch im November 2020 als Hybrid-Veranstaltung angeboten wurde, teilzunehmen. Er sei irrtümlich davon ausgegangen, dass wegen der Corona-Pandemie eine Verschiebung des Fachlehrgangs 2020 in das nächste Jahr 2021 als selbstverständlich akzeptiert werde.
10Die Anhörungsschreiben vom 28.01.2021 und 01.03.2021 habe er nicht erhalten. Dies offenbar, weil er der Verpflichtung zur Erstregistrierung des elektronischen Postfaches nicht nachgekommen ist.
11Die Beklagte beantragt,
12die Klage abzuweisen und die Kosten des Verfahrens dem Kläger aufzuerlegen.
13Sie hält den Widerruf der Berechtigung zur Führung des Titels Fachanwalt für Steuerrecht für rechtmäßig.
14Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 17.09.2021 erklärt der Kläger, dass er Fortbildungen im Sinne des § 15 FAO im Zeitumfang von 30 noch zu absolvierenden Zeitstunden bis zum 31.12.2021 (eingehend bei der Beklagten) nachweist. Die Beklagte verpflichtet sich hinsichtlich des bei ihr eingehenden Konvolutes bis zum 31.01.2022 darüber zu entscheiden, ob sie den angefochtenen Bescheid aufrechterhält. Beide Parteien erklären sich sodann mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
15In einem Übersendungszettel vom 27.11.2021 überreichte der Kläger der Beklagten drei Fortbildungsnachweise und zwar über 15 Zeitstunden bei den Bielefelder Fachlehrgängen, die von der Beklagten akzeptiert werden.
16Des Weiteren übersandte er eine Buchungsbestätigung und Rechnung der A GmbH vom 10.11.2021, wonach er sich zu einem Seminar am 10.11.2021 des Steuerberater-Arbeitskreises in Bielefeld angemeldet hat. Dieserhalb übersandte er das Deckblatt von Tagungsunterlagen der A, die den handschriftlichen Hinweis enthält, RA B 10.11.2021 v. 15:30 – 19:00 h Teilnahme bestätigt C, StB. Das Ganze ist nur mit einem nichtlesbaren Handzeichen versehen. Letztendlich übersandte er eine Teilnehmerbestätigung der D Steuerberatungsgesellschaft vom 15.11.2021, die dem Kläger bestätigen, dass er in den Kanzleiräumen in dieser Kanzlei in 2021 an insgesamt 7 Online-Seminaren Steuerupdate des Steuerberaterverbandes Niedersachsen (Referent: C) mit einer Gesamtdauer von 12,5 Stunden teilgenommen hat. Auf Nachfrage der Beklagten führt der Kläger aus, dass er an sieben Online-Seminaren in der Weise teilgenommen hat, dass er in den Räumen der Steuerberatungsgesellschaft D gespeicherte Live-Seminare zusammen mit dem Steuerberater E angeschaut hat, der in diesem Zusammenhang auch sein Ansprechpartner war und begleitende Fragen beantwortet hat.
17Die Beklagte erklärt darauf hin, dass Sie den erteilten Widerrufsbescheid nicht abändern werde, wobei es dahinstehen könne, ob über die 3,25 Zeitstunden ein ausreichender Fortbildungsnachweis geführt sei, da jedenfalls über die weiteren ausstehenden Zeitstunden ein Fortbildungsnachweis nicht vorliege.
18Entscheidungsgründe
19Die zulässige Klage ist unbegründet.
20Die Klage ist zulässig, da der Kläger als Adressat eines belastenden Verwaltungsaktes klagebefugt ist und die Klagefrist eingehalten hat.
21Die Klage ist aber unbegründet, da der angefochtene Bescheid rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§§ 113 Abs. 1 VwGO, 112 c Abs. 1 BRAO).
22Der angefochtene Bescheid ist formell ordnungsgemäß ergangen.
23Die Beklagte ist die für den Kläger zuständige Rechtsanwaltskammer und damit für den Widerruf einer Fachanwaltsbezeichnung zuständig.
24Der Kläger ist auch vor Erlass des Verwaltungsaktes angehört worden.
25Die Anhörungsschreiben sind ihm zugegangen. Die Zustellungszertifikate nach beA liegen vor. Ob der Kläger von diesen Schreiben tatsächliche Kenntnis genommen hat oder ob er das nicht konnte, weil er seiner Verpflichtung zur Erstregistrierung des beA-Postfaches nicht nachgekommen ist, spielt dabei keine Rolle.
26Der angefochtene Bescheid ist auch materiell rechtmäßig.
27Nach § 43 c Abs. 4 S. 2 BRAO kann die Erlaubnis zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen werden, wenn eine in der Berufsordnung vorgeschriebene Fortbildung unterlassen wird.
28Nach § 15 Abs. 1 FAO muss derjenige, der eine Fachanwaltsbezeichnung führt, sich kalenderjährlich auf diesem Gebiet fortbilden, entweder hörend oder dozierend. Die hörende Teilnahme setzt eine anwaltsorientierte oder interdisziplinäre Veranstaltung voraus. Die Gesamtdauer der Fortbildung darf je Fachgebiet 15 Zeitstunden nicht unterschreiten.
29Bei Fortbildungsveranstaltung, die nicht in Präsenzform durchgeführt werden, müssen die Möglichkeiten der Interaktion des Referenten mit den Teilnehmern sowie der Teilnehmer untereinander während der Dauer der Fortbildungsveranstaltung sichergestellt und ein Nachweis der durchgängigen Teilnahme erbracht werden (§ 15 Abs. 2 FAO).
30Diese Voraussetzungen liegen im Fall der 12,5 Zeitstunden nicht vor, da der Kläger nur abgespeicherte Videos von Fortbildungsveranstaltungen sich angeschaut hat und demzufolge es keine Interaktion mehr, weder mit Referenten, noch den anderen Teilnehmern möglich war. Dass der zusammen mit ihm das Video anschauende Steuerberater E ihm begleitende Fragen beantwortet hat, erfüllt nicht die Voraussetzung des § 15 Abs. 2 FAO, da der Steuerberater E nicht der Referent der Veranstaltung war und die Möglichkeit der Interaktion mit den übrigen Teilnehmern auch dadurch nicht ermöglicht wurde.
31Damit hat der Beklagte den Nachweis der 30 Zeitstunden als Fortbildung im Sinne des§ 15 FAO nicht erbracht.
32Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 112 c BRAO, 154 VwGO und §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 7011 ZPO. Die Festsetzung des Geschäftswertes beruht auf § 194 Abs. 2 BRAO.
33Ein Anlass, die Berufung nach §§ 112 c BRAO, 124 VwGO zuzulassen, besteht nicht. Weder weist die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf, noch hat die Rechtssache grundsätzlich Bedeutung (§§ 124 a Abs. 1 S. 1, 124 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO); die entscheidungserheblichen Fragen sind in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes geklärt. Ein Falle der Divergenz nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ist ebenfalls nicht gegeben, weil das Urteil des Senats in den tragenden Gründen nicht von der Rechtsprechung anderer Anwaltsgerichtshöfe, des Bundesgerichtshofes und des Bundesverfassungsgerichts abweicht.
34Rechtsmittelbelehrung
35Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils die Zulassung der Berufung beantragt werden. Der Antrag ist beim Anwaltsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen, Heßlerstr. 53, 59065 Hamm, zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist.
36Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, beim Bundesgerichtshof, Herrenstr. 45 a, 76133 Karlsruhe, einzureichen. Die Berufung ist nur zuzulassen,
371. wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
382. wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
393. wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
404. wenn das Urteil von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senates der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf diese Abweichung beruht oder
415. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts vorliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf den die Entscheidung beruhen kann.
42Vor dem Anwaltsgerichtshof und dem Bundesgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Das gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte und Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, zugelassen. Ferner sind die in § 67 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 bis 7 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) bezeichneten Personen und Organisationen als Bevollmächtigte zugelassen. Ein nach dem Vorstehenden Vertretungsberechtigter kann sich selbst vertreten; es sei denn, dass die sofortige Vollziehung einer Widerrufsverfügung angeordnet und die aufschiebende Wirkung weder ganz noch teilweise wiederhergestellt worden ist. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
43Die Festsetzung des Streitwertes ist unanfechtbar.
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Referenzen
- BRAO § 113 Ahndung einer Pflichtverletzung 1x
- VwGO § 124 3x
- ZPO § 167 Rückwirkung der Zustellung 1x
- § 15 Abs. 1 FAO 1x (nicht zugeordnet)
- BRAO § 194 Streitwert 1x
- VwGO § 124a 1x
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 7011 ZPO 1x (nicht zugeordnet)
- § 15 FAO 3x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- BRAO § 43c Fachanwaltschaft 1x
- VwGO § 3 1x
- § 15 Abs. 2 FAO 2x (nicht zugeordnet)
- BRAO § 112c Anwendung der Verwaltungsgerichtsordnung 3x