Beschluss vom Bundesfinanzhof (3. Senat) - III B 204/09

Tatbestand

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I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) und seine Ehefrau wurden auf jeweiligen Antrag für das Streitjahr (2000) getrennt zur Einkommensteuer veranlagt. Die Einkommensteuer des Klägers betrug 0 €, den verbleibenden Verlustvortrag zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 2000 stellte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) betreffend die Einkünfte des Klägers aus selbständiger Arbeit auf rd. 160.000 DM fest. Die Ehefrau legte gegen ihre Einkommensteuerfestsetzung auf rd. 28.000 € Einspruch ein und beantragte die Zusammenveranlagung. Durch --nach Zurückweisung der Berufung rechtskräftiges-- Urteil des Landgerichts (LG) wurde der Kläger verurteilt, für das Streitjahr die Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer zu beantragen. Das FA setzte mit Bescheid vom 14. Juli 2005 im Wege der Zusammenveranlagung die Einkommensteuer auf 0 € fest, mit Bescheid gleichen Datums stellte es für den Kläger den verbleibenden Verlustvortrag zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 2000 betreffend die Einkünfte aus selbständiger Arbeit auf nur noch … DM fest. Mit seinem Einspruch vom 19. Juli 2005 gegen die Zusammenveranlagung und die geänderte Verlustfeststellung machte der Kläger --ohne Erfolg-- geltend, die Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung hätten aufgrund dauernden Getrenntlebens nicht vorgelegen. Auf die Einspruchsentscheidung vom 14. Juli 2006 wegen Einkommensteuer 2000 erhob der Kläger auch wegen Verlustfeststellung auf den 31. Dezember 2000 Klage. Diese wies das Finanzgericht (FG) als zumindest unbegründet ab.

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Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision macht der Kläger die Erforderlichkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts sowie Verfahrensmängel geltend (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 und Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Entscheidungsgründe

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II. 1. Die Beschwerde ist begründet, soweit sie die Nichtzulassung der Revision gegen das klageabweisende Urteil des FG wegen gesonderter Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 2000 betrifft. Sie führt insoweit gemäß § 116 Abs. 6 FGO zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.

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a) Das angefochtene Urteil beruht, soweit es aufgehoben wird, auf einem Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Zwar hatte das FG im Verfahren der Verlustfeststellung nicht --wie der Kläger meint-- die Ehefrau nach § 60 Abs. 3 FGO notwendig beizuladen. Das FG hat jedoch bei seiner Entscheidung über die insoweit zulässige Klage --der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vom 29. September 2009 die Untätigkeit des FA auf den Einspruch wegen Verlustfeststellung auf den 31. Dezember 2000 gerügt-- nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens berücksichtigt.

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Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO hat das FG seine Überzeugung nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens zu bilden, also den gesamten konkretisierten Prozessstoff zugrunde zu legen. Insbesondere muss es den Inhalt der vorgelegten Akten und das Vorbringen der Beteiligten (quantitativ) vollständig und (qualitativ) einwandfrei berücksichtigen (BFH-Beschluss vom 15. Oktober 2009 IV B 123/08, BFH/NV 2010, 625). Im Streitfall aber ist das FG dem Vortrag des Klägers, er und seine Ehefrau hätten im Streitjahr dauernd getrennt gelebt, nicht nachgegangen mit der Begründung, das FA sei aufgrund der Zivilurteile verpflichtet gewesen, die Ehegatten zur Einkommensteuer zusammen zu veranlagen.

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Dabei ging das FG offenbar davon aus, dass es aufgrund der Zivilurteile von einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts abzusehen habe. Diese Auffassung wird jedoch dem Wesen der Amtsermittlung (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO), die dem Zivilprozess fremd ist, nicht gerecht. Vielmehr hätte das FG tatsächlichen Zweifeln nachzugehen gehabt, die sich ihm nach dem Vortrag des Klägers hätten aufdrängen müssen (vgl. Senatsurteil vom 18. Juli 1996 III R 90/95, BFH/NV 1997, 139). Wie das LG in den Entscheidungsgründen ausgeführt hat, sind Feststellungen eines Zivilgerichts für die steuerliche Beurteilung durch das FA nicht bindend. Im Übrigen sehen die Zivilgerichte einen Ehegatten --bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des Anspruchs auf Zustimmung-- selbst dann als verpflichtet an, einer Zusammenveranlagung zuzustimmen, wenn es zweifelhaft erscheint, ob die Wahlmöglichkeit nach § 26 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) überhaupt besteht (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Februar 2005 III B 101/04, BFH/NV 2005, 1083; Urteil des Bundesgerichtshofs vom 3. November 2004 XII ZR 128/02, Die Information über Steuer und Wirtschaft 2005, 13). Anderenfalls wäre dem die Zusammenveranlagung begehrenden Ehegatten eine solche bereits im Vorfeld verwehrt, ohne dass er eine Klärung streitiger Fragen durch eine Entscheidung der Finanzbehörden bzw. der FG erreichen könnte.

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b) Liegt wie im Streitfall ein die Zulassung der Revision rechtfertigender Verfahrensmangel vor, kann der BFH statt der Zulassung der Revision das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen (§ 116 Abs. 6 FGO). Die Zurückverweisung ist ermessensgerecht, wenn auch im Falle der Zulassung das Revisionsverfahren voraussichtlich zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG führt (Senatsbeschluss vom 9. November 2009 III B 188/08, BFH/NV 2010, 667).

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So verhält es sich hier. Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des FG könnte der Senat im Falle der Zulassung der Revision über die Frage, ob bei der für den Kläger durchzuführenden Verlustfeststellung auf den 31. Dezember 2000 die von der Ehefrau im Streitjahr erzielten Einkünfte als Feststellungsgrundlagen zu berücksichtigen sind, nicht abschließend entscheiden und müsste die Sache an das FG zurückverweisen.

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2. Die Beschwerde ist unbegründet und daher zurückzuweisen, soweit sie die Nichtzulassung der Revision gegen das klageabweisende Urteil des FG wegen Festsetzung der Einkommensteuer betrifft.

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Für die Klage gegen einen auf 0 € lautenden Einkommensteuerbescheid fehlt es grundsätzlich an der nach § 40 Abs. 2 FGO erforderlichen Beschwer. Über einen höheren Verlustabzug kann nur im Verfahren über die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags entschieden werden (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 14. Juni 2000 XI R 4/00, BFH/NV 2000, 1465, m.w.N.). Das Verfahren der gesonderten Feststellung nach § 10d Abs. 4 EStG ist gegenüber dem Festsetzungsverfahren selbständig (BFH-Urteile vom 2. August 2006 XI R 65/05, BFHE 214, 492, BStBl II 2007, 921; vom 14. Juli 2009 IX R 52/08, BFHE 225, 453).

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Ein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers für eine Anfechtung des auf 0 € lautenden Einkommensteuerbescheides ergibt sich auch nicht ausnahmsweise daraus, dass er --soweit die Voraussetzungen für die Ausübung des Wahlrechts nach § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG überhaupt erfüllt sind-- die getrennte Veranlagung begehrt, und nach Eintritt der Bestandskraft des in Frage stehenden Steuerbescheides eine bereits getroffene Wahl der Veranlagungsart nicht mehr widerrufen werden könnte (vgl. BFH-Urteil vom 27. September 1988 VIII R 432/83, BFHE 155, 83, BStBl II 1989, 225). Wie das FG für den Senat bindend festgestellt hat (§ 118 Abs. 2 FGO), wurde der Kläger rechtskräftig verurteilt, für das Streitjahr die Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer zu beantragen. Kraft gesetzlicher Fiktion (§ 894 Satz 1 der Zivilprozessordnung) gilt diese Willenserklärung als abgegeben. Hieran muss sich der Kläger festhalten lassen (vgl. auch BFH-Urteil vom 25. Oktober 1988 IX R 53/84, BFHE 155, 99, BStBl II 1989, 192).

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