Urteil vom Bundesfinanzhof (2. Senat) - II R 34/09

Tatbestand

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I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist der Neffe der 1913 geborenen und im April 2004 verstorbenen Erblasserin (E). In den Testamenten vom 18. April 1986 und vom 25. Januar 1997 hatte sie jeweils den Kläger als Alleinerben eingesetzt und Vermächtnisse zugunsten anderer Personen verfügt. Am 16. Juni 2002 verfasste sie ein weiteres eigenhändiges Testament, in dem sie ihr Sparguthaben an ihre Freundin (N) bzw. deren Tochter (K) vermachte. N war zum Zeitpunkt des Ablebens der E bereits vorverstorben.

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Der Kläger beantragte beim zuständigen Amtsgericht (AG) die Erteilung eines Erbscheins, der ihn als Alleinerben nach E ausweist. Er war der Auffassung, das Testament vom 16. Juni 2002 sei unwirksam, weil E wegen Altersdemenz nicht mehr testierfähig gewesen sei. Das AG wies den Antrag mit Beschluss vom 29. Juni 2005 13 VI 224/04 zurück. Zur Begründung führte es aus, E habe das zugunsten des Klägers im Jahr 1997 errichtete Testament durch das spätere Testament vom 16. Juni 2002 wirksam widerrufen. E sei zu diesem Zeitpunkt noch testierfähig gewesen. Die Beweisaufnahme habe nicht ergeben, dass sie bereits im Juni 2002 an Altersdemenz gelitten habe. Das Sparguthaben sei ihr wesentliches Vermögen gewesen, so dass in dem Testament vom 16. Juni 2002 eine Erbeinsetzung zu Gunsten der N und der K zu sehen sei.

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Der vor dem Landgericht fortgeführte Rechtsstreit zwischen dem Kläger und K endete mit einem Vergleich. K verpflichtete sich, an den Kläger 45.000 € zu zahlen. Im Gegenzug nahm der Kläger seine Beschwerde gegen die Entscheidung des AG zurück und verpflichtete sich seinerseits, keinen neuen Erbscheinsantrag zu stellen sowie keine Einwände gegen die Wirksamkeit des Testaments vom 16. Juni 2002 und die sich daraus ergebende Erbenstellung der K zu erheben.

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Am 21. November 2006 wurde der K ein Erbschein erteilt, der sie als Alleinerbin auswies.

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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erfasste die Abfindungszahlung als erbschaftsteuerpflichtigen Erwerb und setzte gegen den Kläger zuletzt mit Bescheid vom 30. April 2007 Erbschaftsteuer in Höhe von 7.155 € fest.

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Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ging davon aus, dass der Kläger die Abfindung durch Erbanfall i.S. des § 3 Abs. 1 Nr. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes vor 2009 (ErbStG) erworben habe. Diese Vorschrift nenne zwar nicht ausdrücklich die Abfindungszahlung an einen weichenden potentiellen Erben. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei jedoch ein Erbvergleich der Besteuerung zugrunde zu legen (vgl. BFH-Urteile vom 1. Februar 1961 II 269/58 U, BFHE 72, 358, BStBl III 1961, 133, und vom 6. Dezember 2000 II R 28/98, BFH/NV 2001, 601). Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 1479 veröffentlicht.

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Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Mit der Abfindung sei ein Lebenssachverhalt der Besteuerung unterworfen worden, für den es keinen gesetzlichen Tatbestand gebe. Er --der Kläger-- sei nicht Erbe oder Miterbe der E geworden. Die Abfindung beruhe auch nicht auf einem Vermächtnis der E oder auf einem Pflichtteilsanspruch. Sie sei vielmehr eine Gegenleistung für seinen Verzicht auf das eingelegte Rechtsmittel und auf die Weiterführung eines aus Sicht der Erbin lästigen Prozesses.

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Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung sowie die Erbschaftsteuerbescheide vom 30. März 2007, 23. April 2007 und 30. April 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5. Juni 2007 aufzuheben.

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Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

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II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und der Erbschaftsteuerbescheide in Gestalt der Einspruchsentscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Abfindung des Klägers unterliegt entgegen der Auffassung des FG nicht der Erbschaftsteuer. Hat ein Erblasser mehrere Testamente errichtet, in denen er jeweils verschiedene Personen als Alleinerben eingesetzt hat, und ist die Wirksamkeit des zuletzt errichteten Testaments wegen behaupteter Testierunfähigkeit des Erblassers zwischen den potentiellen Erben streitig, ist die Abfindung, die der Nichterbe aufgrund eines Prozessvergleichs vom zuletzt eingesetzten Alleinerben dafür erhält, dass er die Erbenstellung des Alleinerben nicht mehr bestreitet, kein Erwerb von Todes wegen.

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1. Der Erbschaftsteuer unterliegt der Erwerb von Todes wegen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG gilt als Erwerb von Todes wegen der Erwerb durch Erbanfall (§ 1922 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--), durch Vermächtnis (§§ 2147 ff. BGB) oder aufgrund eines geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs (§§ 2303 ff. BGB). Weitere Tatbestände sind in § 3 Abs. 1 Nr. 2 bis Nr. 4 und Abs. 2 ErbStG geregelt.

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a) Die Vorgänge, die als Erwerb von Todes wegen in Betracht kommen, sind in § 3 ErbStG abschließend aufgezählt (vgl. BFH-Urteil vom 6. März 1991 II R 69/87, BFHE 163, 394, BStBl II 1991, 412; zustimmend Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 3 Rz 4; Meincke, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 15. Aufl., § 3 Rz 6; Wälzholz in Viskorf/Knobel/ Schuck, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Bewertungsgesetz, 3. Aufl., § 3 ErbStG Rz 1; Fischer in Fischer/ Jüptner/Pahlke/Wachter, ErbStG, 2. Aufl., § 3 Rz 2 ff.). Nicht im Katalog des § 3 ErbStG genannte Erwerbsgründe unterliegen nicht der Erbschaftsteuer. Für die Annahme eines Erwerbs von Todes wegen reicht es auch nicht aus, dass der Erwerb lediglich im Zusammenhang mit einem Erbfall steht.

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b) Der Erwerb i.S. von § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG durch Erbanfall ist allein der durch Erbfolge eingetretene (dingliche) Vermögenszuwachs (vgl. BFH-Urteil vom 1. April 1992 II R 21/89, BFHE 167, 562, BStBl II 1992, 669). Der Erwerb "aufgrund" eines Erbfalles wird durch § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG nicht erfasst (vgl. BFH-Urteil in BFHE 163, 394, BStBl II 1991, 412).

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c) Danach ist die Abfindung, die der Kläger aufgrund des mit der Alleinerbin K geschlossenen Vergleichs zur Beendigung des Rechtsstreits erhalten hat, kein Erwerb des Klägers von Todes wegen. Der Kläger hat die Abfindung nicht durch Erbanfall i.S. des § 1922 BGB erworben. Denn er ist weder gesetzlicher noch testamentarisch eingesetzter Erbe der E geworden. In ihrem zuletzt errichteten Testament vom 16. Juni 2002 hat die E verfügt, dass ihr Sparguthaben, das ihr wesentliches Vermögen war, N bzw. K zukommen solle. Die Wirksamkeit dieses Testaments wird nach Abschluss des Prozessvergleichs weder vom Kläger noch vom FA bestritten. Damit scheidet eine Erbenstellung des Klägers aus.

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Die Abfindung beruht auch nicht auf einem Vermächtnis der E nach § 2147 BGB. Denn E hatte im Testament vom 16. Juni 2002 nicht bestimmt, dass der Kläger von ihrem Sparguthaben 45.000 € erhalten soll. Die weiteren Tatbestände des § 3 ErbStG sind ebenfalls nicht erfüllt.

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2. Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum Erbvergleich können eine Steuerbarkeit der Abfindung als Erwerb von Todes wegen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG nicht begründen.

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a) Nach einer schon vom Reichsfinanzhof (RFH) begründeten und vom BFH übernommenen höchstrichterlichen Rechtsprechung ist das Ergebnis eines ernsthaft gemeinten Vergleichs, der die gütliche Regelung streitiger Erbverhältnisse zum Ziel hat, der Erbschaftsbesteuerung zugrunde zu legen (vgl. BFH-Urteile vom 24. Juli 1972 II R 35/70, BFHE 106, 555, BStBl II 1972, 886; vom 22. November 1995 II R 89/93, BFHE 179, 436, BStBl II 1996, 242; BFH-Beschluss vom 19. September 2000 II B 10/00, BFH/NV 2001, 163). Ein Erbvergleich in diesem Sinne ist auch die einvernehmliche Beseitigung etwa bestehender Ungewissheiten über einzelne Erbteile oder über die den Erben zufallenden Beträge. Zwar sind die Bedachten grundsätzlich nicht berechtigt, nach dem Erbfall durch freie Vereinbarung die Bestimmung des Steuerpflichtigen und des Umfangs der steuerpflichtigen Bereicherung zu beeinflussen. Dies gilt aber dann nicht, wenn bei Streit oder Ungewissheit darüber, ob und in welchem Umfang ein Erwerb oder ein Erbfall vorliegt, die Bedachten einen ernstgemeinten Erbvergleich schließen (BFH-Beschluss vom 25. August 1998 II B 45/98, BFH/NV 1999, 313).

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Die erbschaftsteuerrechtliche Anerkennung des sog. Erbvergleichs stellt eine nicht weiter verallgemeinerungsfähige Ausnahme von dem Grundsatz dar, dass weder die Miterben noch sonst am Nachlass beteiligte Personen berechtigt sind, den Kreis der steuerpflichtigen Personen oder den Umfang der steuerpflichtigen Bereicherung nach dem Erbfall durch freie Vereinbarung eigenmächtig neu zu bestimmen (vgl. BFH-Urteil vom 1. Juli 2008 II R 71/06, BFHE 222, 63, BStBl II 2008, 874, m.w.N.). Der Vergleich i.S. des § 779 BGB ist nur schuldrechtlicher Natur, so dass durch ihn ein Erbrecht mit dinglicher Wirkung nicht begründet werden kann (vgl. Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch/Habersack, 5. Aufl., § 779 Rz 7; Crezelius, Finanz-Rundschau --FR-- 2007, 613; v. Proff, Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge 2010, 348). Ein solcher Vergleich kann nur insoweit Verbindlichkeit im Besteuerungsverfahren beanspruchen, als er seinen letzten Rechtsgrund noch im Erbrecht findet (vgl. BFH-Urteil in BFHE 222, 63, BStBl II 2008, 874). Aufgrund des Erbvergleichs ist erbschaftsteuerrechtlich so zu verfahren, als ob der Erblasser durch Verfügung von Todes wegen eine entsprechende Regelung getroffen hätte.

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Dadurch werden zugleich die Grenzen der Besteuerung des Erwerbs aufgrund eines Erbvergleichs deutlich. Kann dieser Erwerb tatsächlich nicht auf einen erbrechtlichen Rechtsgrund (Erbanfall nach § 1922 BGB, Vermächtnis nach §§ 2147 ff. BGB, geltend gemachter Pflichtteilsanspruch nach §§ 2303 ff. BGB) zurückgeführt werden, so unterliegt er nicht nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG der Erbschaftsteuer. Dementsprechend ist eine Abfindung, die der in einem widerrufenen Testament als Alleinerbe eingesetzte Erbprätendent aufgrund eines Prozessvergleichs vom rechtswirksam eingesetzten Alleinerben dafür bekommt, dass er dessen Erbenstellung nicht mehr bestreitet, nicht als Erwerb von Todes wegen der Erbschaftsteuer zu unterwerfen (vgl. Benne, FR 2004, 1102, unter C.; Billig, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht 2010, 253, unter II.1.).

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b) Soweit der BFH (vgl. Urteil in BFHE 72, 358, BStBl III 1961, 133) und der RFH (vgl. Urteil vom 30. Januar 1919 II A 14/18, RFHE 1, 1) zu mit dem Streitfall vergleichbaren Sachverhalten entschieden haben, die Abfindung aufgrund des Erbvergleichs unterliege als Erwerb von Todes wegen der Erbschaftsteuer, wird daran nicht mehr festgehalten. Der RFH ist davon ausgegangen, die Abfindungssumme sei mit Rücksicht auf ein behauptetes Erbrecht gefordert und zugestanden und die Anerkennung des Alleinerben nur unter der Voraussetzung der materiellen Befriedigung des behaupteten (gesetzlichen) Erbanspruchs ausgesprochen worden. Die Abfindungssumme sei also von den Beteiligten als eine Bereicherung aus dem Nachlass gedacht und gewollt gewesen. Die Abfindung könne nur als Vermächtnis angesehen werden und sei daher als solches zu versteuern.

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Die Annahme eines Vermächtnisses zugunsten des verzichtenden Erbprätendenten ist aber nur dann möglich, wenn sich hierfür Anhaltspunkte in der letztwilligen Verfügung des Erblassers finden lassen oder anderweitig ein entsprechender Erblasserwille feststellbar ist, der von den Beteiligten vollzogen wird. Hat der Erblasser jedoch in mehreren Testamenten jeweils verschiedene Personen als Alleinerben eingesetzt und beanspruchen deshalb beide für sich das Alleinerbrecht, so kann die in einem Prozessvergleich vereinbarte Abfindung des weichenden Erbprätendenten, die er dafür erhält, dass er die Erbenstellung des anderen Erbprätendenten als Alleinerben nicht mehr bestreitet, nicht als ein vom Erblasser stammendes Vermächtnis angesehen werden. Denn der Erblasser hatte in seinen Testamenten jeweils verschiedene Personen als Alleinerben eingesetzt, ohne den Nachlass auf einen Erben und einen Vermächtnisnehmer "aufzuteilen". Der Erbvergleich zwischen den Erbprätendenten kann den insoweit fehlenden Erblasserwillen, ein Vermächtnis zu verfügen bzw. gleichzeitig Verfügungen zugunsten mehrerer Personen zu treffen, nicht ersetzen. Die Abfindung des weichenden Erbprätendenten ist damit nicht ein Erwerb vom Erblasser, sondern ein Erwerb vom Alleinerben.

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c) Im Streitfall kann die Abfindung des Klägers nicht als Vermächtnis der E angesehen werden. Denn die E hatte in ihren Testamenten vom 18. April 1986 und vom 25. Januar 1997 zunächst den Kläger jeweils als Alleinerben eingesetzt. Diese Erbeinsetzung war zum Zeitpunkt des Ablebens der E jedoch nicht mehr wirksam (vgl. § 2258 BGB), weil E in dem zuletzt errichteten Testament vom 16. Juni 2002 bestimmt hatte, dass ihr wesentliches Vermögen, das Sparguthaben, an N bzw. K fallen solle. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass E dem Kläger einen Teil ihres Sparguthabens zuwenden wollte. Die aufgrund des Vergleichs erhaltene Abfindung ist daher kein Erwerb von Todes wegen.

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3. Eine analoge Anwendung des § 3 ErbStG auf Abfindungen, die aufgrund eines Vergleichs für den Verzicht auf die Geltendmachung eines streitigen erbrechtlichen Anspruchs gewährt werden, scheidet aus. Der gesetzliche Tatbestand ist nicht lückenhaft. Im Gesetz kommt durch die Aufzählung der Erwerbe von Todes wegen klar zum Ausdruck, dass die Regelung des § 3 ErbStG abschließend ist. Andere als die dort im Einzelnen genannten Erwerbe sollen nicht als Erwerb von Todes wegen erfasst werden. Dies schließt es zugleich aus, den Regelungsbereich des § 3 ErbStG im Wege der Rechtsanalogie zu erweitern.

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4. Da das FG von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, ist die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Erbschaftsteuerbescheide und die Einspruchsentscheidung sind ebenfalls aufzuheben. Die Abfindung des Klägers ist kein der Erbschaftsteuer unterliegender Erwerb von Todes wegen. Die in den Erbschaftsteuerbescheiden weiter erfassten Gegenstände (Teppiche und Schmuck) im Wert von 3.000 € führen für sich genommen nicht zu einem steuerpflichtigen Erwerb.

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