Urteil vom Bundesgerichtshof (10. Zivilsenat) - X ZR 32/14
Tenor
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Die Revision gegen das am 20. Februar 2014 verkündete Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
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Von Rechts wegen
Tatbestand
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Die Klägerin wurde in einem von der Straßenbaubehörde des beklagten Landes durchgeführten Vergabeverfahren mit Straßenbauarbeiten an der L 200 beauftragt und erbrachte die entsprechenden Leistungen. Ihre daraus resultierende Werklohnforderung, von der sie im vorliegenden Rechtsstreit restliche 164.567,29 € einklagt, ist nach Grund und Höhe unstreitig. Die Parteien streiten allein darum, ob die Klageforderung durch Aufrechnung der Beklagten mit einer Gegenforderung erloschen ist. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde.
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Die Beklagte hatte auch Bauarbeiten zur Fahrbahnerneuerung an der L 341 ausgeschrieben und die Klägerin dort mit einer Angebotssumme von 455.052,29 € das weitaus günstigste Angebot abgegeben. Nach dem Eröffnungstermin teilte sie der Vergabestelle mit, sie habe in der Position 00.02.0009 des Leistungsverzeichnisses einen falschen Mengenansatz für den Asphaltbinder gewählt. Statt der geforderten Abrechnungseinheit "Tonne" (Menge: 4.125) sei die Abrechnungseinheit "m2" und als Massenansatz 150 kg/m2 zugrunde gelegt worden. Der korrekte Einheitspreis müsse auf 59,59 €/t lauten. Die Klägerin bat, ihr Angebot wegen dieses Irrtums aus der Wertung zu nehmen. Dem entsprach die Vergabestelle nicht, sondern erteilte der Klägerin nach weiterer Korrespondenz den Zuschlag. Nachdem diese zum Ausdruck gebracht hatte, dass sie den Auftrag nicht ausführen werde, erklärte die Vergabestelle den Rücktritt vom Vertrag und beauftragte einen anderen Bieter. Dieser rechnete für die Ausführung einen Betrag ab, der um 175.559,14 € über dem Angebotspreis der Klägerin lag.
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Die Klage auf restlichen Werklohn aus dem Bauvorhaben L 200 hatte in beiden Vorinstanzen Erfolg. Land- und Oberlandesgericht haben eine aufrechenbare Gegenforderung des Landes verneint. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgt das Land seinen Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
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I. Das Berufungsgericht hat in Übereinstimmung mit dem Landgericht verneint, dass die Klägerin berechtigt gewesen sei, ihr Vertragsangebot betreffend die Arbeiten an der L 341 wegen (Erklärungs-)Irrtums (§ 119 Abs. 1 BGB) anzufechten. Die Annahme des Vertragsangebots durch das beklagte Land stelle jedoch eine unzulässige Rechtsausübung dar. Das Berufungsgericht hat hierzu erwogen, ob die für das Land handelnde Vergabestelle verpflichtet gewesen sein könnte, das Angebot der Klägerin auf Plausibilität und Richtigkeit zu überprüfen, weil es in Anbetracht der Angebotssumme und der Preisstruktur aller Angebote einen "Ausreißer nach unten" dargestellt habe. Dies hat es mit Blick darauf dahinstehen lassen, dass die Klägerin die Vergabestelle vor Vertragsschluss auf ihren Irrtum hingewiesen habe. Aufgrund der gemachten Angaben habe diese den Kalkulationsfehler ohne Weiteres nachvollziehen können. Die Prüfrechnung zur Schlussrechnung des Unternehmens, welches den Auftrag schließlich ausgeführt habe, weise einen Positionspreis von 55,29 €/t aus gegenüber 9,60 €/m2 im Angebot der Klägerin. Dem habe das Land sich ebenso wenig verschließen dürfen, wie es das Loskommen der Klägerin von ihrem Angebot nicht von dem Nachweis habe abhängig machen können, dass das Angebot deutlich unauskömmlich sei und die Auftragsausführung sie in erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten bringe und eine Insolvenz zu erwarten sei oder dass vergleichbar schwerwiegende Gründe gegen die Zuschlagserteilung sprächen. Die Unzumutbarkeit der Auftragsausführung habe sich vielmehr bereits aus den dem Land bekannten Umständen ergeben. Unzumutbarkeit müsse nicht mit dem ausführenden Unternehmen, seiner Größe und seiner Leistungsfähigkeit zusammenhängen, sondern liege bereits vor, wenn die Ausführung des Auftrags infolge der Unangemessenheit des verlangten Preises erkennbar unauskömmlich sei. Davon sei jedenfalls dann auszugehen, wenn der Kalkulationsfehler so massiv sei wie hier, wo bei der betreffenden Position ein Sechstel des üblichen Preises angeboten worden und der Endpreis mit 27 % besonders auffällig niedriger gewesen sei als der Preis, den der nächstgünstigste Bieter als auskömmlich angeboten habe. Trete die Unzumutbarkeit so offen zutage, handle der Auftraggeber rechtsmissbräuchlich, wenn er den Zuschlag erteile, um einen in keiner Weise marktkonform günstigen Vertragspreis mit der Folge einer deutlichen wirtschaftlichen Schädigung des Vertragspartners zu erzielen.
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II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben im Ergebnis keinen Erfolg.
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1. Das Berufungsgericht ist bei seiner Beurteilung von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Behandlung von Kalkulationsirrtümern ausgegangen, wonach der öffentliche Auftraggeber aufgrund des mit der Ausschreibung und der Abgabe von Angeboten entstehenden, Vertrauensschutz begründenden Rechtsverhältnisses unter dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluss verpflichtet sein konnte, den Bieter auf einen von ihm, dem Auftraggeber, erkannten Kalkulationsfehler hinzuweisen (BGH, Urteil vom 7. Juli 1998 - X ZR 17/97, BGHZ 139, 177 = NJW 1998, 3192; Urteil vom 19. Dezember 1985 - VII ZR 188/84, NJW-RR 1986, 569; Urteil vom 4. Oktober 1979 - VII ZR 11/79, NJW 1980, 180). Darüber hinaus konnte es eine unzulässige Rechtsausübung (§ 242 BGB) darstellen, wenn der Empfänger eines Vertragsangebots dieses annimmt und auf der Durchführung des Vertrages besteht, obwohl er erkannt hat oder sich treuwidrig der Erkenntnis verschloss, dass es auf einem (erheblichen) Kalkulationsirrtum des Anbieters beruht (BGHZ 139, 177, 184 unter 2 b mwN).
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2. Die für den Beklagten handelnde Vergabestelle hat mit der Erteilung des Zuschlags an die Klägerin gegen § 241 Abs. 2 BGB verstoßen.
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a) Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Schadensersatzanspruch wegen Fehlverhaltens in Vergabeverfahren nicht mehr an in Anspruch genommenes und enttäuschtes Vertrauen in die Rechtmäßigkeit des vergabebezogenen Handelns geknüpft, sondern an die Verletzung der in § 241 Abs. 2 BGB konstituierten Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils (BGH, Urteil vom 9. Juni 2011 - X ZR 143/10, BGHZ 190, 89 ff. - Rettungsdienstleistungen II). Diese Pflichten hat die Vergabestelle verletzt, als sie den Zuschlag auf das Angebot der Klägerin erteilte, obwohl ihr bekannt war, dass dieses von einem erheblichen Kalkulationsirrtum beeinflusst war. Der Schutz aus § 241 Abs. 2 BGB ist nicht auf Einhaltung der spezifisch vergaberechtlichen, den Schutz der Gegenseite bezweckenden Bestimmungen über das Vergabeverfahren im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, der Vergabeverordnung und den Vergabe- und Vertragsordnungen begrenzt, sondern schließt das gesamte vorvertragliche Verhalten im Vergabeverfahren ein. Da die Herbeiführung des Vertragsschlusses im Streitfall gegen § 241 Abs. 2 BGB verstieß, kann der Beklagte aus der Nichterfüllung des Vertrages durch die Klägerin keine Ansprüche herleiten und keine vermeintlichen Mehrkosten aus der Ausführung des Auftrags zur Aufrechnung gegen die Werklohnforderung der Klägerin stellen.
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b) Die Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB verpflichtet den öffentlichen Auftraggeber allerdings nicht, bei jeglichem noch so geringen Kalkulationsirrtum von der Annahme des Angebots abzusehen. Die Regelung ist kein Korrektiv, durch das Unternehmen sich bei Ausübung ihrer gewerblichen Tätigkeit von jeder Verantwortung für ihr eigenes geschäftliches Handeln freizeichnen könnten. Sie dient vielmehr als Ausprägung des Gedankens von Treu und Glauben dem Schutz eines redlichen Geschäftsverkehrs. Dieser setzt die prinzipielle Bindung an das eigene geschäftliche Handeln gerade da voraus, wo beim Leistungsaustausch die andere Seite gleichermaßen auf ihren Vorteil bedacht sein darf. Das ist auch in Vergabeverfahren der Fall, wo öffentliche Auftraggeber Waren oder Bau- und Dienstleistungen im Wettbewerb beschaffen (vgl. § 97 Abs. 1 GWB), um die ihnen zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel effektiv einzusetzen.
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Die Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB darf Bietern auch keinen Vorwand liefern, sich im Nachhinein unter Berufung auf einen vermeintlichen Kalkulationsirrtum von einem in Wirklichkeit mit Bedacht sehr günstig gestalteten Angebot zu lösen, wenn sie die diese besonders günstige Kalkulation nach Angebotsabgabe reut.
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c) Die Schwelle zum Pflichtenverstoß durch Erteilung des Zuschlags zu einem kalkulationsirrtumsbehafteten Preis ist im Bereich der Vergabe öffentlicher Aufträge aber dann überschritten, wenn dem Bieter aus Sicht eines verständigen öffentlichen Auftraggebers bei wirtschaftlicher Betrachtung schlechterdings nicht mehr angesonnen werden kann, sich mit dem irrig kalkulierten Preis als einer auch nur annähernd äquivalenten Gegenleistung für die zu erbringende Bau-, Liefer- oder Dienstleistung zu begnügen. Verhält es sich so und führt der Auftraggeber gleichwohl den Vertragsschluss herbei, kann der Bieter vertraglichen Erfüllungs- oder Schadensersatzansprüchen ein Leistungsverweigerungsrecht entgegensetzen.
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3. Steht der Kalkulationsirrtum, wie hier, im Zeitpunkt der Entscheidung über die Zuschlagserteilung außer Streit, hängt die Entscheidung nur noch davon ab, ob der Auftraggeber im Hinblick auf die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des betroffenen Bieters (§ 241 Abs. 2 BGB) von der Zuschlagserteilung hätte absehen müssen (vorstehend II 2 c). Das hat das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht bejaht.
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a) Im Streitfall, kommt es nicht darauf an, unter welchen indiziellen Voraussetzungen anzunehmen ist, die Vergabestelle habe sich treuwidrig der Erkenntnis verschlossen, dass ein Angebot von einem ganz erheblichen Kalkulationsirrtum beeinflusst sein muss. Denn die Klägerin hatte der Vergabestelle ihren Irrtum noch vor Vertragsschluss schriftlich hinreichend erläutert. Der im Leistungsverzeichnis angegebene Einheitspreis von 9,60 €/m2 ergab nach dem Mengenansatz des Leistungsverzeichnisses (4.125) den im Angebot angegebenen Gesamtpreis von 39.600 €. Soweit der Preis, den die Klägerin eigentlich ansetzen wollte, einmal auf 59,59 €/t und einmal auf 64 €/t beziffert ist, hängt dies ersichtlich damit zusammen, dass sie ihren Berechnungen einmal die eigenen, aus der Übersicht "Herstellkosten" (Anlage K9) ersichtlichen Kosten von 8,94 €, und einmal ihren im Leistungsverzeichnis geforderten Preis von 9,60 € zugrunde gelegt hat. Die Vergabestelle hat dementsprechend auch nicht infrage gestellt, dass das Angebot der Klägerin überhaupt von einem Kalkulationsirrtum beeinflusst war, sondern lediglich die Ansicht vertreten, dieser habe kein hinreichend gravierendes Ausmaß.
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In diesem wesentlichen Punkt unterscheidet sich der Streitfall von der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 7. Juli 1998 (BGHZ 139, 177 ff.). Nach den dort tatrichterlich getroffenen Feststellungen hatte der öffentliche Auftraggeber im maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses keine Kenntnis der einen Kalkulationsirrtum und eine Unzumutbarkeit der Vertragsdurchführung begründenden Tatsachen. Aus dem Angebot des dort beklagten Bieters war nicht zu entnehmen, dass die Transport- und Montagekosten, deren Nichtberücksichtigung dieser Bieter als Kalkulationsirrtum geltend gemacht hatte, nicht in die Einheitspreise der einzelnen Leistungspositionen eingerechnet waren, und der vermeintliche Kalkulationsirrtum war auch sonst nicht hinreichend substantiiert worden (BGHZ 139, 177, 185 ff.). Deshalb kam es für die dortige Entscheidung darauf an, ob anzunehmen war, dass sich der Auftraggeber nach den gesamten Umständen treuwidrig der Kenntnis vom Kalkulationsirrtum verschlossen hatte. In diesem Zusammenhang ist die Struktur der angebotenen Preise von Bedeutung. Auf einen Kalkulationsirrtum kann hindeuten, wenn allein der Abstand zum nächsthöheren Angebotspreis besonders groß ist (BGHZ 139, 177, 189). So verhält es sich vorliegend, denn das dem Preis der Klägerin von 455.052,29 € nächstkommende Angebot belief sich bereits auf 621.054,68 €. Der indizielle Wert der Angebotsstruktur kann demgegenüber ganz anders zu bewerten sein, wenn die Angebotssummen ohne signifikanten Abstand zwischen dem günstigsten und den folgenden Angeboten breit gestreut sind, wie in dem vom Bundesgerichtshof am 7. Juli 1998 entschiedenen Fall, wo Preise von 305.812,60 DM, 312.094,70 DM, 349.014,10 DM, 403.344,10 DM, 405.202,50 DM und 476.209,83 DM angeboten worden waren (vgl. BGH NJW 1998, 3192, insoweit nicht in BGHZ 139, 177 ff. abgedruckt). Von indiziellem Wert kann überdies je nach Fall auch sein, ob der geltend gemachte Kalkulationsirrtum nur eine einzige oder allenfalls vereinzelte Positionen betrifft oder ob noch weitere Teile des Angebots davon beeinflusst sein sollen.
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b) Aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist die Annahme des Berufungsgerichts, dass die Rücksichtnahmepflichten der Vergabestelle aus § 241 Abs. 2 BGB nicht erst dann einsetzen, wenn dem betroffenen Bieter bei Durchführung des Auftrags zum Angebotspreis in absehbarer Zeit Insolvenz oder vergleichbar prekäre wirtschaftliche Schwierigkeiten drohen, wie die Vergabestelle in dem vom Berufungsgericht erwähnten Schreiben vom 7. Oktober 2011 gemeint hat. Die Verpflichtung, aus Rücksicht auf die Interessen des Bieters von der Zuschlagserteilung abzusehen, greift nicht erst ein, wenn dessen wirtschaftliche Existenz auf dem Spiel steht. Wie die Vergabestelle in dem genannten Schreiben selbst zutreffend erwogen hat, ist ein einzelner nicht auskömmlicher Auftrag dafür normalerweise nicht ausreichend. Es wäre unbillig, das Eingreifen von Rücksichtnahmepflichten aus § 241 Abs. 2 BGB gleichwohl davon abhängig zu machen, dass eine existenzielle Bedrohung des anderen Teils im Raum steht. Dafür ist vielmehr darauf abzustellen, ob zwischen dem Wert der für den Auftraggeber erbrachten Leistung und dessen Gegenleistung eine unbillige Diskrepanz herrscht (oben II 2 c).
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c) Raum dafür, im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe vom Vertragsschluss nach § 241 Abs. 2 BGB abzusehen, wenn der Auftraggeber den irrig kalkulierten Preis billigerweise nicht mehr als auch nur im Ansatz äquivalentes Entgelt für die erbrachte Leistung auffassen kann, bietet im Übrigen der in den Vergabe- und Vertragsordnungen seit jeher verankerte Appell, öffentliche Aufträge zu angemessenen Preisen zu erteilen (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A, § 2 Abs. 1 VOL/A). Dieser darf zwar nicht als Handhabe dafür missverstanden werden, die Preisbildung in einem funktionierenden Vergabewettbewerb infrage zu stellen. Die Regelung rechtfertigt aber, eine unmäßige Übervorteilung eines Bieters abzuwenden, die diesem aus der Bindung an einen Preis droht, der von einem erheblichen Kalkulationsirrtum beeinflusst ist.
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d) Hinsichtlich des erforderlichen Gewichts der Umstände, unter denen der Bieter den Vertrag nicht erfüllen muss, ergibt sich, wie das Berufungsgericht ebenfalls richtig erkannt hat, aus der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nichts Gegenteiliges. In der Entscheidung vom 7. Juli 1998 (BGHZ 139, 177 ff.) wird die Unzumutbarkeit der Auftragsausführung ganz allgemein und beispielhaft damit in Verbindung gebracht, dass der Bieter in erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät, wenn er den Auftrag zu dem irrig kalkulierten Preis ausführen müsste (BGHZ 139, 177, 185). Nähere Vorgaben zur Ausfüllung des Begriffs der erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten enthält die Entscheidung nicht, und zwar ersichtlich deshalb nicht, weil es für die Entscheidung darauf nicht ankam, nachdem der Auftraggeber bereits keine zurechenbare Kenntnis von dem geltend gemachten Kalkulationsirrtum erlangt hatte.
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4. Wann diese Voraussetzung als erfüllt anzusehen ist, lässt sich nicht allgemeinverbindlich festlegen, sondern bedarf einer alle erheblichen Umstände des Einzelfalls berücksichtigenden Bewertung. Das Ergebnis, zu dem das Berufungsgericht in tatrichterlicher Würdigung im Streitfall gelangt ist, kann im Revisionsverfahren nur eingeschränkt darauf überprüft werden, ob dabei gegen Denkgesetze oder allgemein anerkannte Erfahrungssätze verstoßen wurde oder das Vorbringen der Parteien verfahrensfehlerhaft widersprüchlich oder unvollständig gewürdigt worden ist. Solche Rechtsfehler deckt die Revision nicht auf.
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a) Das Berufungsgericht hat zum einen auf die Massivität des Irrtums abgestellt, der zu einem Positionspreis in Höhe von etwa einem Sechstel des üblichen Preises geführt habe und zum anderen darauf, dass der Endpreis des Angebots der Klägerin mit 27 % in besonders auffälligem Maß unter dem Preis gelegen habe, den der nächstgünstige Mitbewerber als auskömmlich angeboten habe. Das steht grundsätzlich in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die dem Ausmaß des Irrtums im Rahmen der Frage, ob die Umstände für den Auftraggeber einen erheblichen Kalkulationsirrtum nahelegen, wesentliche Bedeutung zumisst (BGHZ 139, 177, 185), und lässt auch in der Anwendung auf den vorliegenden Streitfall keinen Rechtsfehler erkennen. Es ist lediglich darauf hinzuweisen, dass der Wert von 27 % nicht als allgemeinverbindliches, in jedem Beschaffungsvorgang bei jedem beliebigen Auftragsvolumen erforderliches, aber auch hinreichendes Maß für den die Unzumutbarkeit der Auftragsausführung begründenden Abstand zum nächstgünstigen Angebot zu verstehen ist. Wie bereits ausgeführt, müssen stets die Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden. Dabei kann insbesondere auch das jeweilige Auftragsvolumen von Bedeutung sein. Stehen beispielsweise die Folgen eines Kalkulationsirrtums bei einem Auftragsvolumen in Rede, welches dasjenige des Streitfalls um ein Vielfaches übersteigt, muss das nicht heißen, dass der Bieter auch in einem solchen Fall erst bei Erreichen einer gleichhohen Quote aus Gründen der Rücksichtnahme auf seine Interessen nicht am irrtumsbedingten Preis festgehalten werden kann. Umgekehrt muss die bei einem besonders großen Auftragsvolumen zugrunde gelegte Abweichung nicht auch für deutlich geringere Volumina maßgeblich sein.
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b) Soweit die Revision nähere Feststellungen des Berufungsgerichts zu den der Klägerin bei Vertragsdurchführung drohenden Nachteilen und zu ihrer Gewinnspanne vermisst, ist ihr zuzugeben, dass die Gewinnspanne für die Prüfung, ob die Auftragsausführung zu einem falsch kalkulierten Preis unzumutbar ist, grundsätzlich eine gewisse indizielle Bedeutung haben kann. Aber selbst eine überdurchschnittliche Gewinnspanne - die das Berufungsgericht in Bezug auf das Angebot der Klägerin unangegriffen nicht festgestellt hat - verliert bei wirtschaftlicher Betrachtung umso mehr an Bedeutung, je größer die Preisabweichung als solche ist. Das Berufungsgericht konnte die Abweichung vom nächstgünstigen Bieter nach den gesamten Umständen auch ohne genaue Kenntnis der Gewinnspanne der Klägerin als tragfähiges Indiz dafür bewerten, dass ihr Angebotspreis für sie äußerst nachteilig war. Das legt schon der Vergleich des tatsächlich verlangten und des irrtumsbereinigten Preises nahe. Letzterer übersteigt nach den vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Feststellungen des Landgerichts den tatsächlichen Angebotspreis der Klägerin von 455.052,29 € um mehr als 224.400 €.
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c) Die Klägerin handelte entgegen der Auffassung der Revision jedenfalls nicht treuwidrig, als sie den modifizierten Vergleichsvorschlag der Vergabestelle ablehnte, den Auftrag zum Angebotspreis auszuführen, gleichzeitig gerichtlich feststellen zu lassen, ob ein Anfechtungsrecht besteht und nur in diesem Fall eine weitere Vergütung bis zur Höhe eines von ihr, der Klägerin selbst vergleichsweise vorgeschlagenen Preises für die Position 00.02.0009 zu erhalten. Mit dem von der Revision herangezogenen, vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall (BGH, Urteil vom 19. Dezember 1985 - VII ZR 188/84, NJW-RR 1986, 569) ist der Streitfall nicht vergleichbar. Dort ging es nicht um die Vergütung einer Position bis zur Höhe eines nachträglich vergleichsweise vorgeschlagenen Betrags, sondern darum, ob der dort geschlossene Vertrag dahin auszulegen war, dass eine bestimmte Teilleistung einbezogen war oder nicht.
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d) Die Revision möchte der Klägerin schließlich in Analogie zu den Regeln für die Behandlung von Angeboten mit unangemessen niedrigen Preisen (vgl. § 16 Abs. 6 Nr. 1 und 2 VOB/A) die Berufung auf die Unzumutbarkeit der Vertragsausführung versagt wissen. Eine entsprechende Anwendung der dafür geltenden Regelungen kommt jedoch nicht in Betracht, weil sie anderen Schutzzwecken dienen. Sie schützen nach ständiger Rechtsprechung in erster Linie die öffentlichen Auftraggeber und sind kein Instrument dafür, dem einzelnen Bieter die Folgen seines eigenen unauskömmlichen Angebots zu ersparen (vgl. BGH, Beschluss vom 31. August 1994 - 2 StR 256/94, NJW 1995, 737; BGH NJW 1980, 180). Vielmehr sollen die öffentlichen Auftraggeber davor bewahrt werden, dass der Unternehmer die geschuldete Leistung infolge der Unauskömmlichkeit der Vergütung mangelhaft oder nicht vollständig erbringt. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen dem Auftragnehmer die Vertragsdurchführung nicht mehr zugemutet werden kann, betrifft gänzlich anders gelagerte Interessen, was einem Rückgriff auf die für die Behandlung von Unterkostenangeboten geltenden Grundsätze entgegensteht. Auch aus der von der Revision herangezogenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu spekulativen Positionspreisen, die bei Mehrmengen ein wucherähnliches Missverhältnis zwischen Preis und Bauleistung nach sich ziehen können (BGH, Urteil vom 14. März 2013, BGHZ 196, 355), lassen sich keine tragfähigen Parallelen für die Bindung an kalkulationsirrtumsbehaftete Angebotspreise ziehen.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Meier-Beck Gröning Bacher
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Schuster Kober-Dehm
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Referenzen
- BGB § 119 Anfechtbarkeit wegen Irrtums 1x
- GWB § 97 Grundsätze der Vergabe 1x
- X ZR 143/10 1x (nicht zugeordnet)
- VII ZR 11/79 1x (nicht zugeordnet)
- VII ZR 188/84 2x (nicht zugeordnet)
- 2 StR 256/94 1x (nicht zugeordnet)
- X ZR 17/97 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 241 Pflichten aus dem Schuldverhältnis 10x
- BGB § 242 Leistung nach Treu und Glauben 1x
- ZPO § 97 Rechtsmittelkosten 1x