Beschluss vom Bundesgerichtshof (5. Strafsenat) - 5 StR 70/15

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 31. Juli 2014 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern sowie der Neben- und Adhäsionsklägerin durch seine Revision entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen schwerer Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf Verfahrensrügen und die ausgeführte Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel bleibt erfolglos.

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Der Erörterung bedarf nur die Rüge vorschriftswidriger Besetzung der Schwurgerichtskammer (§ 338 Nr. 1 StPO i.V.m. § 21e Abs. 3 GVG).

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1. Im Wesentlichen liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

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Am 22. Januar 2014 beschloss das Präsidium des Landgerichts Hamburg, dass die bis zum 28. Februar 2014 bei der Großen Strafkammer 21 (im Folgenden „GS 21") eingehenden Schwurgerichtssachen, in denen eine Untersuchungshaft oder eine einstweilige Unterbringung vollzogen werde oder Überhaft bestehe und in denen die Frist des § 121 StPO vor dem 2. Juni 2014 ablaufe, in die Zuständigkeit der neu gebildeten Großen Strafkammer 21a (Hilfsstrafkammer, Schwurgericht) gelangen sollten. Vorausgegangen war eine auf Nachfrage der Präsidialrichterin noch präzisierte Anzeige des Vorsitzenden der GS 21, wonach aufgrund zweier umfänglicher neu eingegangener Verfahren (eines mit prognostizierter Dauer von mindestens 25 bis 30 Verhandlungstagen, eines mit voraussichtlich mindestens 15 Verhandlungstagen, „wahrscheinlich aber mehr") in Verbindung mit sonstigen Belastungen (unter anderem Absetzung größerer Urteile, Vertretungslasten der Beisitzerinnen in anderen Strafkammern, Urlaubszeiten) neu eingehende Haftsachen frühestens etwa ab Mitte Juli 2014 terminiert werden könnten.

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Von dieser Regelung erfasst wurde das vorliegende Verfahren. Darin wurde am 7. Februar 2014 Anklage erhoben, der Eröffnungsbeschluss der Hilfsstrafkammer 21a erging am 18. März 2014. Am Hauptverhandlungstag vom 14. April 2014 erhob der Angeklagte form- und fristgerecht den Besetzungseinwand (§ 222b StPO), weil die Bildung der Hilfsstrafkammer wegen nicht hinreichend dargetaner Überlastung der GS 21 fehlerhaft gewesen sei. In ihrer Stellungnahme zur Besetzungsrüge führte die Präsidentin des Landgerichts aus, dass es nicht möglich gewesen sei, die Überlastung im Wege der Vertretung aufzufangen, weil die Vertreterkammer ihrerseits habe entlastet werden müssen. Ferner wurden die Belastungssituation der Beisitzerinnen der GS 21 im Einzelnen aufgeschlüsselt, die Terminssituation näher erläutert und der Stand der bei der GS 21 anhängigen Verfahren mitgeteilt.

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Der Besetzungseinwand ist vom Landgericht mit Beschluss vom 22. April 2014 zurückgewiesen worden. Wie der Schriftverkehr zwischen dem Vorsitzenden der GS 21 und der Verwaltung sowie die Stellungnahme der Präsidentin des Landgerichts zeige, habe dem Beschleunigungsgrundsatz nur durch Bildung der Hilfsstrafkammer Rechnung getragen werden können.

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2. Bei dieser Sachlage erweist sich die nicht nach § 338 Nr. 1 lit. b StPO präkludierte und den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügende (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 9. April 2009 - 3 StR 376/08, BGHSt 53, 268, 281) Rüge als unbegründet.

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a) Gemäß § 21e Abs. 3 Satz 1 GVG darf das Präsidium die nach Absatz 1 Satz 1 dieser Bestimmung getroffenen Anordnungen im Laufe des Geschäftsjahres ändern, wenn dies wegen Überlastung eines Spruchkörpers nötig wird. Eine Überlastung liegt vor, wenn über einen längeren Zeitraum ein erheblicher Überhang der Eingänge über die Erledigungen zu verzeichnen ist, so dass mit einer Bearbeitung der Sachen innerhalb eines angemessenen Zeitraums nicht zu rechnen ist. Von Verfassungs wegen kann eine nachträgliche Änderung der Geschäftsverteilung sogar geboten sein, wenn nur auf diese Weise eine hinreichend zügige Behandlung von Strafsachen erreicht werden kann. Das Gebot zügiger Verfahrensgestaltung lässt jedoch das Recht auf den gesetzlichen Richter nicht vollständig zurücktreten. Vielmehr besteht Anspruch auf eine zügige Entscheidung gerade durch ihn. Daher muss in derartigen Fällen das Recht des Angeklagten auf den gesetzlichen Richter mit dem rechtsstaatlichen Gebot einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege und dem verfassungsrechtlichen Grundsatz zügiger Verfahrensgestaltung in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden (vgl. zum Ganzen BGH, Urteil vom 9. April 2009 - 3 StR 376/08, aaO, S. 270 ff. mwN; Beschluss vom 7. Januar 2014 - 5 StR 613/13, NStZ 2014, 287 Rn. 7).

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Zu den grundsätzlich zulässigen Maßnahmen im Sinne des § 21e Abs. 3 GVG zählt die Einrichtung einer Hilfsstrafkammer für eine begrenzte Zeit. Die Regelung der mit der Errichtung einer Hilfsstrafkammer verbundenen Übertragung von Aufgaben der ordentlichen Strafkammer hat dabei denselben Grundsätzen zu folgen wie sonstige Änderungen im Sinne von § 21e Abs. 3 GVG. Insbesondere ist das Abstraktionsprinzip zu beachten. Danach ist die Zuweisung bestimmter einzelner Verfahren regelmäßig unzulässig. Hingegen steht Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG einer Änderung der (funktionellen) Zuständigkeit selbst für bereits anhängige Verfahren dann nicht grundsätzlich entgegen, wenn die Neuregelung generell gilt, also etwa außer mehreren anhängigen Verfahren auch eine unbestimmte Vielzahl künftiger, gleichartiger Fälle erfasst, und nicht aus sachwidrigen Gründen erfolgt.

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Für Umverteilungen, die im Zeitpunkt des Präsidiumsbeschlusses bereits anhängige Verfahren betreffen, ist nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine umfassende Dokumentation auch dann erforderlich, wenn künftig eingehende Verfahren mit umfasst sind (vgl. BGH, Urteil vom 9. April 2009 - 3 StR 376/08, aaO, S. 273; Beschluss vom 7. Januar 2014 - 5 StR 613/13, aaO Rn. 9). Im Blick auf die mit jeder Umverteilung verbundene (abstrakte) Gefahrenlage für die verfassungsrechtlich gebotene Gewährleistung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) müssen die Dokumentationspflichten jedoch ebenfalls gelten, wenn - wie hier - ausschließlich künftig eingehende Verfahren betroffen sind (vgl. Sowada, HRRS 2015, 16, 19 mwN). Dass die Risiken in Bezug auf den gesetzlichen Richter bei rein in die Zukunft gerichteten, bereits anhängige Verfahren also nicht tangierenden Maßnahmen als vergleichsweise geringer eingestuft werden können, vermag daran nichts zu ändern.

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b) Der Präsidiumsbeschluss vom 22. Januar 2014 hält diesen Maßstäben stand.

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aa) Dass der Beschluss nicht - wie grundsätzlich geboten (eingehend BGH, Urteil vom 9. April 2009 - 3 StR 376/08, aaO, S. 276 ff.) - selbständig mit einer Begründung versehen war, führt nicht zur Annahme eines durchgreifenden Rechtsfehlers. Denn die Änderungsgründe ergeben sich aus der Überlastungsanzeige des Vorsitzenden der GS 21, die ausweislich des Protokolls der Präsidiumssitzung vom 22. Januar 2014 Grundlage des dann gefassten Beschlusses war. Diese Unterlagen ermöglichen in Verbindung mit der Stellungnahme der Präsidentin des Landgerichts zu dem erhobenen Besetzungseinwand sowohl dem Revisionsgericht als auch der Verteidigung die Prüfung der Rechtmäßigkeit des Präsidiumsbeschlusses nach den durch das Bundesverfassungsgericht entwickelten verfassungsrechtlichen Kriterien (vgl. BVerfG, NJW 2005, 2689, 2690; zum maßgebenden Zeitpunkt BGH, Urteil vom 9. April 2009 - 3 StR 376/08, aaO, S. 276, 278).

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bb) Hieran gemessen ist eine die Maßnahme rechtfertigende vorübergehende Überlastung der GS 21 noch hinreichend belegt. Nach der Prognose des Vorsitzenden war die Spruchtätigkeit der GS 21 mit der im März 2014 zu beginnenden Hauptverhandlung im Umfangsverfahren 621 Ks 1/14 (drei Angeklagte, acht Tatvorwürfe) für mehrere Monate ausgelastet. Hinzu kam das im Zeitpunkt der Überlastungsanzeige noch nicht terminierte Verfahren 621 Ks 2/14, dessen Beginn an sich für Mai 2014 geplant war und für das der Vorsitzende - im Rahmen der vorzunehmenden Prognose entgegen der Auffassung der Revision unbedenklich - auch wegen der Person der beiden Verteidiger mit einer Dauer von nicht unter 15 Verhandlungstagen rechnete. Dargelegt wurde weiter, dass eine parallele Verhandlung beider Sachen an dann vier Wochentagen in der gesetzlich angeordneten Dreierbesetzung neben den sonstigen Dienstgeschäften nicht zu leisten sei. Für die Monate Juli und August sei ferner zu berücksichtigen, dass alle Beisitzerinnen ihren Jahresurlaub antreten würden.

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Bei dieser Sachlage war im Zeitpunkt des Präsidiumsbeschlusses zu besorgen, dass weiter eingehende Haftsachen nicht in angemessener Zeit würden bearbeitet werden können. In Haftsachen muss dem verfassungs- und konventionsrechtlichen Zügigkeitsgebot in besonderem Maße (s. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) Rechnung getragen werden (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 1998 - 5 StR 574/97, BGHSt 44, 161, 165 ff.). Insoweit hat der Bundesgerichtshof freilich ausgesprochen, dass die Haftprüfungsfrist des § 121 Abs. 1 StPO keinen starren, für alle Verfahren gleichermaßen geltenden Zeitpunkt festlegt, wann mit der Hauptverhandlung einer Sache nach Inhaftierung oder Anklageerhebung zu beginnen ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 2013 - 2 StR 116/13, NStZ 2014, 226 Rn. 20 f.; vom 7. Januar 2014 - 5 StR 613/13, aaO Rn. 13; krit. Sowada, aaO, S. 21 f.; Grube, StraFo 2014, 123, 124). Demgemäß rechtfertigt allein der befürchtete Ablauf der Frist oder gar eine besonders geartete Rechtsprechungspraxis des jeweiligen Oberlandesgerichts (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2013 - 2 StR 116/13, aaO Rn. 21 f.) grundsätzlich keine Umverteilung eines oder mehrerer bereits anhängiger Verfahren. Gleiches gilt hinsichtlich der Übertragung womöglich eines einzelnen anhängigen Verfahrens (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Januar 2014 - 5 StR 613/13, aaO). Das bedeutet jedoch naturgemäß nicht, dass die Haftprüfungsfrist bei der durch das Präsidium vorzunehmenden Würdigung völlig ausgeblendet werden müsste oder auch nur könnte. Dies versteht sich schon daraus, dass die Frist die verfassungsrechtlich gebotene Zügigkeit in Haftsachen gewährleisten soll, die unter Umständen zu frühzeitigem Eingreifen der Gerichtsorganisation sogar zwingen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juli 1991 - AK 29/91, BGHSt 38, 43, 46; vgl. auch Urteil vom 8. Dezember 1999 - 3 StR 267/99, NJW 2000, 1580, 1582).

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Vorliegend stand in wesentlicher Abweichung von den den zitierten Entscheidungen zugrundeliegenden Sachen eine rein zukunftsgerichtete Änderungsmaßnahme und damit eine vergleichsweise weniger problematische Konstellation in Frage. Aufgrund der Belastung der GS 21 war mit einer Terminierung „frühestens im Juli" zu rechnen. Die Unwägbarkeiten des Verlaufs der genannten anderen (Umfangs-) Verfahren ließen demnach, was in dem zwischen dem Vorsitzenden und dem Präsidium geführten Schriftverkehr zum Ausdruck gekommen war, auch eine viel spätere Terminierung und damit eine nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung des in Haftsachen geltenden besonderen Zügigkeitsgebots befürchten. Wenn das Präsidium unter diesen Vorzeichen eingegriffen hat, so ist dies rechtlich nicht zu beanstanden.

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cc) Unter dem Blickwinkel der Stetigkeit ergeben sich vorliegend keine erhöhten Anforderungen an den Grad der Bedrängnislage und die Begründung der Maßnahme. Zwar war der Beschluss nur kurze Zeit nach Inkrafttreten des Geschäftsverteilungsplans des Landgerichts Hamburg für das Jahr 2014 gefasst worden (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 7. Januar 2014 - 5 StR 613/13, aaO Rn. 12). Jedoch sind die beiden für die Überlastungsanzeige maßgebenden Verfahren (621 Ks 1/14 und 621 Ks 2/14) erst nach der Beschlussfassung des Präsidiums über den Geschäftsverteilungsplan 2014 bei der GS 21 anhängig geworden. Es ist nicht erkennbar, dass dies bereits bei Beschlussfassung durch das Präsidium hätte vorausgesehen werden können.

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dd) Sonstige Gründe, die zur Rechtsfehlerhaftigkeit des Präsidiumsbeschlusses führen könnten, liegen nicht vor. Namentlich sind das Abstraktions- und das Bestimmtheitsgebot gewahrt. Anhaltspunkte dafür, dass die Maßnahme verdeckt auf eine unzulässige Einzelzuweisung gerichtet gewesen sein könnte, sind nicht vorhanden. Dass der Überlastung nicht auf andere Weise als durch Einrichtung einer Hilfsstrafkammer Rechnung getragen werden konnte, ist in der Stellungnahme der Präsidentin des Landgerichts nachvollziehbar dargelegt. Zudem wäre auch mit anderen Entlastungsmaßnahmen eine Veränderung des gesetzlichen Richters verbunden gewesen. Die Umverteilung war schließlich geeignet, die Effizienz des Geschäftsablaufs zu erhalten oder wiederherzustellen (vgl. BGH, Urteil vom 9. April 2009 - 3 StR 376/08, aaO S. 271 f. mwN).

Sander                           Schneider                           König

                  Berger                               Bellay

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