Beschluss vom Bundesgerichtshof (7. Zivilsenat) - VII ZB 60/14

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des 22. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 13. Oktober 2014 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gegenstandswert: 15.921,43 €

Gründe

I.

1

Der Kläger hat nach Beendigung des mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten zu 1 geschlossenen Handelsvertretervertrags eine Stufenklage gegen die Beklagten erhoben, um nach Erteilung eines Buchauszuges noch offene Provisionsansprüche und einen Ausgleichsanspruch geltend zu machen. Die Beklagten zu 2 und 3 waren persönlich haftende Gesellschafter der Rechtsvorgängerin der Beklagten zu 1.

2

Das Landgericht hat die Beklagten als Gesamtschuldner mit Teilurteil vom 10. März 2010 zur Erteilung eines Buchauszuges verurteilt. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten ist im Wesentlichen ohne Erfolg geblieben. Nach Erteilung des Buchauszuges hat der Kläger die Zahlung rückständiger Provisionen im Umfang von zuletzt 85.885,87 € zuzüglich Zinsen gefordert.

3

Mit Schlussurteil vom 9. Mai 2014 hat das Landgericht die Beklagten als Gesamtschuldner unter Abweisung der Klage im Übrigen zur Zahlung eines Betrags in Höhe von 15.921,43 € zuzüglich Zinsen verurteilt. Gegen das am 12. Mai 2014 zugestellte Urteil haben die Beklagten mit am 11. Juni 2014 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 7. Juli 2014 haben die Prozessbevollmächtigten der Beklagten beantragt, die Frist für die Berufungsbegründung um einen Monat bis zum 14. August 2014 zu verlängern. Mit Verfügung des stellvertretenden Vorsitzenden vom 8. Juli 2014 ist die Berufungsbegründungsfrist "auf insgesamt drei Monate" verlängert worden unter Hinweis darauf, dass der Zeitpunkt der Zustellung des angegriffenen Urteils, die Zulässigkeit der Berufung, die Rechtzeitigkeit des Verlängerungsantrags sowie die Zulässigkeit der Verlängerung nicht geprüft werden könnten, weil die Akten noch nicht vorlägen. Den Prozessbevollmächtigten der Beklagten ist eine beglaubigte Abschrift dieser Verfügung zugeleitet worden. Nachdem eine Berufungsbegründung der Beklagten nicht eingegangen war, sind die Prozessbevollmächtigten mit gerichtlichem Schreiben vom 19. August 2014 darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass die Berufungsbegründungsfrist am 12. August 2014 abgelaufen sei und das Gericht mangels fristgerechten Eingangs der Berufungsbegründung beabsichtige, die Berufung als unzulässig zu verwerfen.

4

Mit Schriftsatz vom 5. September 2014, der am gleichen Tage bei Gericht eingegangen ist, haben die Beklagten die Berufung begründet und beantragt, ihnen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags haben sie vorgetragen, dass sämtliche Post, gleich ob auf dem Postwege oder per Telefax übermittelt, der zuständigen Büroangestellten ihrer Prozessbevollmächtigten, der Rechtsfachwirtin B., übergeben werde. Diese sei allgemein angewiesen, sämtliche sich aus der Post ergebenden Fristen, gleich welcher Art, in einem eigens hierfür vorhandenen Fristenkalender zu notieren, der in Papierform und parallel hierzu auch auf elektronischem Wege geführt werde. Der Büroangestellten B. sei die Verfügung des Berufungsgerichts vom 8. Juli 2014 am 14. Juli 2014 zur Fristennotierung vorgelegt worden. Sie habe die mit der gerichtlichen Verfügung genehmigte Verlängerung der Frist "auf insgesamt drei Monate" sowohl in den in Papierform gehaltenen Fristenkalender als auch in den elektronischen Kalender auf den 14./15. September 2014 eingetragen. Dabei sei sie irrtümlich davon ausgegangen, dass der Fristlauf mit dem Ablauf der Berufungseinlegungsfrist beginne. Dem mit der Sachbearbeitung betrauten Rechtsanwalt sei die Akte erst wieder am 25. August 2014 mit Eingang des gerichtlichen Schreibens vom 19. August 2014 vorgelegt worden, mit dem auf die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist hingewiesen worden sei.

5

Bei der Büroangestellten B. handele es sich um eine geschulte und zuverlässige Bürokraft, die, wie regelmäßige Kontrollen ergeben hätten, den Kalender seit Mai 2014 sorgfältig und fehlerlos geführt habe. Bereits seit Januar 2013 habe sie diesen vertretungsweise in Urlaubs- und sonstigen Verhinderungszeiten derjenigen Büroangestellten, der die Führung des Kalenders zum damaligen Zeitpunkt übertragen gewesen sei, in gleicher Weise sorgfältig und fehlerfrei geführt. Sie habe im Jahr 2008 die Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellten und im Jahr 2011 die Ausbildung zur Rechtsfachwirtin erfolgreich abgeschlossen. Seit Beginn ihrer Ausbildung im September 2005 sei sie ununterbrochen in ihrem Beruf tätig gewesen. Zur Glaubhaftmachung haben die Beklagten eine eidesstattliche Versicherung der Büroangestellten B. und eine anwaltliche Versicherung des mit der Bearbeitung der Sache befassten Rechtsanwalts Dr. L. vorgelegt, die sich auf diejenigen Vorgänge beschränkt, die seiner unmittelbaren Wahrnehmung unterliegen.

6

Das Berufungsgericht hat den Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen. Die Berufung der Beklagten gegen das Schlussurteil des Landgerichts vom 9. Mai 2014 hat es als unzulässig verworfen. Hiergegen wenden sich die Beklagten mit der Rechtsbeschwerde.

II.

7

Die Rechtsbeschwerde der Beklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

8

1. Die gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert, § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO. Das Berufungsgericht hat den Beklagten mit fehlerhafter Begründung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist verwehrt. Die darauf beruhende Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt die Beklagten in ihren Verfahrensgrundrechten auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG und auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. BVerfG, NJW-RR 2002, 1004; NJW 1989, 1147).

9

2. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann den Beklagten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nicht versagt werden.

10

a) Die Beklagten haben zwar die am 12. August 2014 endende Berufungsbegründungsfrist versäumt. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann ein Verschulden der Prozessbevollmächtigten der Beklagten, welches die Beklagten sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müssten, nicht daraus abgeleitet werden, dass der mit der Sache befasste Rechtsanwalt bei Stellung eines Antrags auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist zugleich eine besondere Vorfrist hätte notieren müssen, um sicherzustellen, dass ihm die Akte noch rechtzeitig vor Antritt seines Jahresurlaubs, der am 31. Juli 2014 begann, zur Anfertigung einer Rechtsmittelbegründung vorgelegt werden würde, weil er in diesem Fall die fehlerhafte Eintragung des Fristendes der Berufungsbegründungsfrist noch rechtzeitig hätte bemerken müssen. Die Notierung einer solchen - von der üblichen Vorfrist unabhängigen - weiteren Frist zur Sicherstellung der Bearbeitung der Sache durch den mit der Sachbearbeitung betrauten Rechtsanwalt ist nicht geboten, wenn es sich wie hier um eine Rechtsanwaltssozietät mit mehreren Mitgliedern handelt. Da der sachbearbeitende Rechtsanwalt durch die anderen Sozietätsmitglieder vertreten werden kann, ist in einem solchen Fall die allgemeine Anweisung über die Eintragung einer üblichen Vorfrist bei Eintragung des für die Berufungsbegründungsfrist maßgeblichen Fristendes ausreichend. Eine Verletzung dieser Pflicht steht indes nicht in Rede.

11

b) Die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beruht vielmehr darauf, dass die mit der Fristenkontrolle betraute Büroangestellte B. das Fristende der Berufungsbegründungsfrist falsch in den Fristenkalender eingetragen hat. Ob den Prozessbevollmächtigten der Beklagten insoweit ein den Beklagten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Organisationsverschulden trifft, hat das Berufungsgericht nicht geprüft.

12

aa) Ein Rechtsanwalt kann die Berechnung einfacher und in seinem Büro geläufiger Fristen und die Fristenkontrolle einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Büroangestellten in eigener Verantwortung übertragen, soweit nicht besondere Gründe gegen deren Zuverlässigkeit sprechen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 13. Januar 2011 - VII ZB 95/08, NJW 2011, 1080 Rn. 9; Beschluss vom 5. Februar 2003 - VIII ZB 115/02, NJW 2003, 1815, 1816 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO glaubhaft zu machen.

13

bb) Die Beklagten haben zwar hinreichend dargelegt, dass es sich bei der Büroangestellten B. um eine gut ausgebildete und seit knapp zwei Jahren im Büro ihrer Prozessbevollmächtigten tätigen Mitarbeiterin gehandelt hat, die sich in der Vergangenheit bei entsprechenden Kontrollen als zuverlässig erwiesen und den Fristenkalender bislang fehlerfrei geführt hat. Dieses Vorbringen haben die Beklagten jedoch durch die eidesstattliche Versicherung der Büroangestellten B. und die anwaltliche Versicherung des mit der Sachbearbeitung betrauten Rechtsanwalts Dr. L. nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Der eidesstattlichen Versicherung der Büroangestellten B. lässt sich nicht entnehmen, dass sie in der Vergangenheit den Fristenkalender ohne Beanstandungen geführt hat. Hierzu hat die Büroangestellte B. keine Erklärung abgegeben. Die anwaltliche Versicherung des mit der Sache betrauten Rechtsanwalts Dr. L. bezieht sich lediglich auf Vorgänge, die seiner eigenen Wahrnehmung unterlagen. Aufgrund seiner anwaltlichen Versicherung ergibt sich jedoch nicht, dass sich die Büroangestellte B. auch in der Zusammenarbeit mit den übrigen Mitgliedern der Sozietät in der Vergangenheit als zuverlässig und sorgfältig arbeitend erwiesen hatte. Gegen ihre Zuverlässigkeit könnte sprechen, dass sie die Berechnung der verlängerten Berufungsbegründungsfrist nach eigenem Bekunden des Prozessbevollmächtigten der Beklagten dergestalt vorgenommen hat, dass sie den Beginn der verlängerten Berufungsbegründungsfrist mit dem Ablauf der Berufungseinlegungsfrist gleichgesetzt hat (Bl. 715 d.A.).

14

3. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Da den Beklagten nach § 236 Abs. 2 Satz 1 2. Halbs. ZPO Gelegenheit zu geben sein kann, die erforderliche Glaubhaftmachung der von ihnen behaupteten Tatsachen noch im Verfahren über die Wiedereinsetzung zu ergänzen, kann der Senat in der Sache nicht selbst entscheiden, § 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO. Der angefochtene Beschluss ist vielmehr aufzuheben und die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Eick                            Halfmeier                            Kartzke

             Graßnack                               Sacher

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