Beschluss vom Bundesgerichtshof (2. Zivilsenat) - II ZB 29/14

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Beklagten und der Streithelferin gegen den Beschluss des 2. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 20. November 2014 wird auf Kosten des Beklagten als unzulässig verworfen. Die Streithelferin trägt die ihr durch die Nebenintervention entstandenen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens selbst.

Beschwerdewert: 250 €

Gründe

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I. Die Kläger sind die Erbeserben des am 11. September 1961 verstorbenen F.     B.      , der mit einem Anteil von 20,4 % als Kommanditist an der C.           KG mit Sitz in P.     beteiligt war. Nach Gründung der DDR wurde das Vermögen der Gesellschafter der C.           KG in Volkseigentum überführt. Auf Antrag der Streithelferin, deren Rechtsvorgängerin ebenfalls Gesellschafterin der C.            KG war, wurde nach der Wiedervereinigung und Inkrafttreten des Vermögensgesetzes ein Restitutionsverfahren durchgeführt. Als Berechtigter im Sinne des Vermögensgesetzes wurde die C.            KG als Liquidationsgesellschaft festgestellt und dieser Gesellschaft ein Entschädigungsanspruch zugesprochen. Der Beklagte wurde auf Antrag der Streithelferin zum Nachtragsliquidator bestellt.

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Die Kläger sind der Auffassung, sie seien als Rechtsnachfolger des früheren Gesellschafters F.     B.      Gesellschafter der nach dem Vermögensgesetz als Liquidationsgesellschaft mit dem Entschädigungsanspruch für das enteignete Vermögen als Vermögen wieder entstandenen C.           KG i.L., P.      . Sie nehmen den Beklagten als Nachtragsliquidator auf Vorlage einer Abschrift der Nachtragsliquidationseröffnungsbilanz der C.           KG i.L in Anspruch. Ferner verlangen sie vom Beklagten Auskunft, welche Jahresabschlüsse der C.           KG i.L. seit Eröffnung des Nachtragsliquidationsverfahrens vorliegen und ob eine Nachtragsliquidationsschlussbilanz erstellt wurde, sowie Vorlage von Abschriften der vorhandenen Abschlüsse und möchten zum Zwecke der Überprüfung der Richtigkeit der vorgelegten Abschlüsse und Bilanzen Einsicht in die Bücher und Schriften der C.          KG i.L. erhalten.

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Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Gegen dieses Urteil hat die Streithelferin des Beklagten Berufung eingelegt. Die Vorsitzende des Berufungssenats hat mit Verfügung vom 22. August 2014 den Beklagten und die Streithelferin darauf hingewiesen, dass der Wert des Beschwerdegegenstandes in erster Linie durch den voraussichtlichen Aufwand an Zeit und Kosten bestimmt werde, der mit der Auskunftserteilung, Übersendung der Abschriften und Einsichtsgewährung in die Bücher und Schriften verbunden sei und dieser gering sein dürfte. Der Streithelferin und dem Beklagten wurde aufgegeben, bis zum 15. September 2014 zur Zulässigkeit der Berufung im Hinblick auf den Wert des Beschwerdegegenstandes vorzutragen. Mit Beschluss vom 20. November 2014 hat das Berufungsgericht die Berufung gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig verworfen, da der Wert des Beschwerdegegenstandes den Betrag von 600 € nicht übersteige (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Der zeitliche Gesamtaufwand des Beklagten für die Erfüllung der den Klägern vom Landgericht zuerkannten Ansprüche betrage nach Schätzung des Senats allenfalls 10 Stunden. Der Beklagte als ehemaliger Rechtsanwalt benötige zur Erteilung der Auskünfte keinen rechtlichen Beistand. Ein eigenes Geheimhaltungsinteresse des Beklagten sei nicht ersichtlich, ein solches der Streithelferin sei unbeachtlich. Der eigene Zeitaufwand des Beklagten sei entsprechend den Regelungen des Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetzes (JVEG) für die Entschädigung des Verdienstausfalls von Zeugen mit 21 € je Stunde zu bewerten. Der Wert der Beschwer des Beklagten betrage somit 210 € zuzüglich Kopierkosten und liege deutlich unter 600 €. Ein Grund für die Zulassung der Berufung gemäß § 511 Abs. 4 Satz 1 ZPO sei nicht gegeben. Dies sei vom Berufungsgericht zu prüfen, da das erstinstanzliche Gericht, das von einer über 600 € liegenden Beschwer ausgegangen sei, für eine Entscheidung über die Zulassung der Berufung keinen Anlass gesehen habe. Den Streitwert für das Berufungsverfahren hat das Berufungsgericht auf bis zu 250 € festgesetzt.

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Gegen den Verwerfungsbeschluss richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten und seiner Streithelferin.

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II. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

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Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist aber nicht zulässig, weil die Rechtssache entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde keine Entscheidung des Senats zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) und dem Beklagten durch den Beschluss des Berufungsgerichts der Zugang zur Rechtsmittelinstanz auch nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise erschwert wird, der Beschluss ihn deshalb nicht in seinem Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt.

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1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bemisst sich der gemäß §§ 2, 3 ZPO nach freiem Ermessen festzusetzende Beschwerdewert für das Rechtsmittel der zur Auskunftserteilung verurteilten Person nach ihrem Interesse, die Auskunft nicht erteilen zu müssen. Dabei ist im Wesentlichen darauf abzustellen, welchen Aufwand an Zeit und Kosten die Erteilung der Auskunft erfordert und ob die verurteilte Person ein schützenswertes Interesse daran hat, bestimmte Tatsachen vor dem Gegner geheim zu halten (BGH, Beschluss vom 15. Juni 2011 - II ZB 20/10, NJW 2011, 2974 Rn. 3; Beschluss vom 24. September 2013 - II ZB 6/12, NZG 2013, 1258 Rn. 9; Beschluss vom 14. Juli 2015 - II ZB 1/15, juris Rn. 9, jeweils mwN). Diese zur Auskunftserteilung entwickelten Grundsätze gelten auch für die Verurteilung zur Einsichtsgewährung in Unterlagen (BGH, Beschluss vom 15. Juni 2011 - II ZB 20/10, NJW 2011, 2974 Rn. 3 mwN).

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Das Rechtsbeschwerdegericht kann die Bemessung der Beschwer nur darauf überprüfen, ob das Berufungsgericht von dem nach § 3 ZPO eingeräumten Ermessen rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht hat. Dies ist insbesondere dann nicht der Fall, wenn das Gericht bei der Bewertung des Beschwerdegegenstandes maßgebliche Tatsachen verfahrensfehlerhaft nicht berücksichtigt oder erhebliche Tatsachen unter Verstoß gegen seine Aufklärungspflicht (§ 139 ZPO) nicht festgestellt hat (st. Rspr., siehe nur BGH, Beschluss vom 17. November 2015 - II ZB 8/14, WM 2016, 96 Rn. 9; Beschluss vom 24. September 2013 - II ZB 6/12, NZG 2013, 1258 Rn. 10 mwN). Denn der Sinn des dem Berufungsgericht eingeräumten Ermessens würde verfehlt, wenn das Rechtsbeschwerdegericht berechtigt und verpflichtet wäre, ein vom Berufungsgericht fehlerfrei ausgeübtes Ermessen durch eine eigene Ermessensentscheidung zu ersetzen (Beschluss vom 24. September 2013 - II ZB 6/12, NZG 2013, 1258 Rn. 10).

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2. Gemessen hieran ist die Bewertung der Beschwer durch das Berufungsgericht nicht rechtsfehlerhaft.

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a) Das Berufungsgericht hat entgegen der Rüge der Rechtsbeschwerde den Inhalt der Verurteilung des Beklagten vollständig erfasst und bei der Bemessung der Beschwer berücksichtigt. Insbesondere hat es anders als von der Rechtsbeschwerde beanstandet nicht verkannt, dass der Beklagte vom Landgericht nicht nur verurteilt wurde, den Klägern Einsicht in die Buchhaltung („Bücher“) der C.           KG i.L., sondern auch in ihren sonstigen Schriftverkehr („Schriften“) zu ermöglichen. Daraus, dass das Berufungsgericht auf Seite 6 im vierten Absatz des angefochtenen Beschlusses nur noch den mit der Einsichtnahme in die „Bücher“ verbundenen Aufwand erwähnt, lässt sich nichts Gegenteiliges herleiten. Das Berufungsgericht hat an anderer Stelle des Beschlusses (Seiten 3, 4) ausdrücklich festgestellt, dass die Kläger den Beklagten unter anderem „auf Einsichtnahme in die Bücher und Schriften“ in Anspruch nehmen und das Landgericht den Beklagten antragsgemäß verurteilt hat. Es hat in dem Beschluss ferner auf die Verfügung der Vorsitzenden des Berufungssenats vom 22. August 2014 Bezug genommen, in der der Beklagte darauf hingewiesen wurde, dass sein Interesse, die Auskunft nicht erteilen zu müssen, in erster Linie durch den voraussichtlichen Aufwand an Zeit und Kosten bestimmt werde, der mit „… der Einsichtsgewährung in die Bücher und Schriften verbunden sei“. Das Berufungsgericht hat der Ermöglichung der Einsichtnahme in die Schriften der Gesellschaft für die Beschwer des Beklagten offensichtlich keine höhere Bedeutung beigemessen als der Einsichtnahme in ihre Bücher.

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b) Das Berufungsgericht hat ermessensfehlerfrei bei der Bewertung der Beschwer des Beklagten keine Kosten für die Hinzuziehung eines Steuerberaters oder Wirtschaftsprüfers berücksichtigt. Seine Auffassung, der Beklagte benötige für die Durchführung der Einsichtnahme in die Bücher und Schriften der Gesellschaft nicht den Beistand eines Steuerberaters, Wirtschaftsprüfers oder Fachanwalts für Steuerrecht mit Erfahrung im Gesellschaftsrecht, ist frei von Rechtsfehlern.

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aa) Kosten für die Hinzuziehung von sachkundigen Hilfspersonen können nur berücksichtigt werden, wenn sie zwangsläufig entstehen, weil der zur Auskunft und Gewährung der Einsichtnahme Verpflichtete zu einer sachgerechten Erfüllung des Anspruchs allein nicht in der Lage ist (vgl. BGH, Beschluss vom 24. September 2013 - II ZB 6/12, NZG 2013, 1258 Rn. 15 mwN). Einen solchen Ausnahmefall hat das Berufungsgericht unter Berücksichtigung der gegebenen Umstände und des glaubhaft gemachten Vortrags des Beklagten ohne Ermessensfehler verneint.

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bb) Allerdings macht die Rechtsbeschwerde im Ausgangspunkt zu Recht geltend, dass das Einsichtsrecht des Kommanditisten nach § 166 HGB durch den Zweck begrenzt ist, ihm eine sachgerechte Prüfung der Bilanz zu ermöglichen. Es geht nur so weit, als nach objektiven Maßstäben Einsicht in die Bücher und Papiere der Gesellschaft für eine sachgerechte Prüfung der Bilanz erforderlich ist (BGH, Urteil vom 8. Juli 1957 - II ZR 54/56, BGHZ 25, 115, 120). Auch wenn sich das Einsichtsrecht des Kommanditisten nach § 166 HGB grundsätzlich auf alle Geschäftsunterlagen der Gesellschaft erstreckt, ist die Gesellschaft berechtigt, die Einsichtsgewährung zu verweigern, wenn sich das Einsichtsverlangen als rechtsmissbräuchlich darstellt und sie die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtsmissbrauchs seitens des Gesellschafters dartut (BGH, Urteil vom 8. Juli 1957 - II ZR 54/56, BGHZ 25, 115, 122).

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cc) Dass unter diesem Gesichtspunkt zur Erfüllung des Anspruchs der Kläger auf Einsichtsgewährung in die Bücher und Schriften der Gesellschaft die Hinzuziehung eines Steuerberaters oder Wirtschaftsprüfers erforderlich ist, haben der Beklagte und die Streithelferin in der Berufungsinstanz schon nicht geltend gemacht. Erstmals die Rechtsbeschwerde hat vorgetragen, der Beklagte sei aufgrund seiner fachlichen Qualifikation als (ehemaliger) Rechtsanwalt nicht in der Lage, ein mögliches Einsichtsverlangen der Kläger in die Schriften der Gesellschaft auf seine Erheblichkeit für die Jahresabschlüsse und Bilanzen zu überprüfen. Mit diesem Vorbringen ist die Notwendigkeit der Anwesenheit eines Steuerberaters oder Wirtschaftsprüfers während der Einsichtnahme der Kläger in die Bücher und Schriften der Gesellschaft nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht.

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Es liegt auf der Hand und wird von der Rechtsbeschwerde auch nicht in Abrede gestellt, dass die Einsichtnahme in die Buchhaltung vom Zweck des Einsichtsrechts gedeckt ist. Die Rechtsbeschwerde meint lediglich, die Prüfung eines Einsichtsverlangens in Schriften der Gesellschaft erfordere eine genaue (Fach-)Kenntnis, ob die in ihnen dokumentierten einzelnen Vorfälle irgendeine Relevanz für die Buchhaltung des Unternehmens und die bilanziellen Ansätze der einzelnen Wertpositionen hätten. Derartige Kenntnisse seien von der zu erwartenden fachlichen Qualifikation eines ehemaligen Rechtsanwalts nicht mehr gedeckt. Der Beklagte müsse sich zur Durchführung der ihm auferlegten Einsichtsgewährung des durchgehenden und präsenten fachlichen Rats eines Steuerberaters und/oder Wirtschaftsprüfers vergewissern.

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Damit ist nicht glaubhaft gemacht, dass die Erfüllung der Verpflichtung des Beklagten zur Einsichtsgewährung in die Bücher und Schriften der C.          KG i.L. zwangsläufig mit Fremdkosten verbunden ist. Denn die Rechtsbeschwerde legt nicht dar, dass und in welchem Umfang überhaupt Schriftverkehr der Gesellschaft ohne offensichtlichen Bezug zu den Jahresabschlüssen und Bilanzen vorhanden ist, dessen Erheblichkeit für die Überprüfung der Richtigkeit der Abschlüsse und Bilanzen der Beklagte als ehemaliger Rechtsanwalt, der die Rolle des Nachtragsliquidators übernommen hat, nicht beurteilen können soll, und worum es sich hierbei handelt. Hinreichende Anhaltspunkte, dass die C.          KG i.L., P.      über solchen Schriftverkehr verfügt, in den die Kläger Einsicht verlangen könnten, sind auch nicht ersichtlich. Dies ist jedenfalls deshalb der Fall, weil es sich bei dieser Gesellschaft nicht um eine werbende Gesellschaft handelt, sondern um eine Gesellschaft im Stadium der Nachtragsliquidation, deren Vermögen in dem ihr im Restitutionsverfahren zuerkannten Entschädigungsanspruch besteht.

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Die abstrakte Möglichkeit, dass sich ein Einsichtsverlangen der Kläger im Einzelfall als rechtsmissbräuchlich darstellen und in diesem Fall vom Beklagten zurückgewiesen werden könnte, genügt nicht, um die Kosten für die Anwesenheit eines Steuerberaters oder Wirtschaftsprüfers während der Einsichtnahme der Kläger in die Buchhaltung und den vorhandenen Schriftverkehr als zwangsläufig entstehenden Aufwand zur Erfüllung des den Klägern durch das Landgericht zuerkannten Anspruchs auf Einsichtnahme in alle Unterlagen der C.           KG i.L. anzuerkennen.

Bergmann                             Strohn                      Reichart

                       Drescher                         Born

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