Beschluss vom Bundesgerichtshof (1. Zivilsenat) - I ZB 112/16

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des 25. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 22. November 2016 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die sofortige Beschwerde des Klägers über einen Betrag von 2.048,80 € hinaus zurückgewiesen worden ist.

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Dortmund vom 26. April 2016 abgeändert. Die von dem Antragsteller der Antragsgegnerin zu erstattenden Kosten werden auf 2.048,80 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Februar 2016 aus 1.415 € und seit dem 31. März 2016 aus weiteren 633,80 € festgesetzt.

Die Kosten der Rechtsmittel trägt die Antragsgegnerin.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 279 € festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Antragsgegnerin verlangt im Kostenfestsetzungsverfahren Erstattung ihrer Anwaltskosten.

2

In dem vorausgegangenen Verfügungsverfahren nahm der Antragsteller die Antragsgegnerin auf Unterlassung in Anspruch. Das Landgericht wies den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück. Dagegen legte der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers Berufung ein. Nachdem der Berichterstatter den Verfahrensbevollmächtigten beider Parteien am 10. März 2016 die vorläufige Einschätzung, das Rechtsmittel habe keine Aussicht auf Erfolg, telefonisch mitgeteilt hatte, nahm der Antragsteller am 16. März 2016 die Berufung zurück. Am selben Tag - jedoch nach Eingang der Rücknahmeerklärung - gingen der Zurückweisungsantrag und die Berufungserwiderung der Antragsgegnerin beim Oberlandesgericht ein. Mit Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 17. März 2016 wurden dem Antragsteller die Kosten des Verfahrens auferlegt.

3

Dem Antrag der Antragsgegnerin, für das Berufungsverfahren eine 1,6-fache Verfahrensgebühr nach §§ 2, 13 RVG in Verbindung mit Nr. 3200 VV RVG aus einem Streitwert bis 10.000 € nebst einer Pauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG gegen den Antragsteller festzusetzen, hat das Landgericht entsprochen. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Antragstellers hat das Beschwerdegericht zurückgewiesen. Mit seiner zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren auf Zurückweisung des Kostenfestsetzungsantrags der Antragsgegnerin weiter, soweit damit die Festsetzung der 1,6-fachen Verfahrensgebühr anstatt der ermäßigten 1,1-fachen Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren beantragt worden ist.

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II. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

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Das Beschwerdegericht hat einen Anspruch der Antragsgegnerin auf Erstattung von Rechtsanwaltskosten in Höhe einer 1,6-fachen Verfahrensgebühr gem. Nr. 3200 VV RVG zu Unrecht bejaht.

6

1. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Beschwerdegericht ausgeführt, mit Einreichung des Schriftsatzes vom 16. März 2016 sei für die Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin die volle Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV RVG angefallen. Wie sich aus Nr. 3201 Nr. 1 VV RVG ergebe, erhalte der Rechtsanwalt die volle Verfahrensgebühr, wenn er einen Schriftsatz einreiche, der einen Sachantrag oder Sachvortrag enthalte. Die den Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin zustehende 1,6-fache Verfahrensgebühr sei auch erstattungsfähig. Dass der Antragsteller seine Berufung ebenfalls am 16. März 2016 und vor Einreichung der Berufungserwiderung zurückgenommen habe, stehe dem nicht entgegen. Von der Rücknahme des Rechtsmittels habe die Antragsgegnerin zum Zeitpunkt der Einreichung ihres Antrags keine Kenntnis gehabt. Nach der Rechtsprechung des Beschwerdegerichts und anderer Oberlandesgerichte seien die Kosten des Rechtsmittelgegners auch dann erstattungsfähig, wenn weder ihm noch seinem Prozessbevollmächtigten im Zeitpunkt der die Gebühr auslösenden Tätigkeit die Rücknahme des Rechtsmittels bekannt gewesen sei oder hätte bekannt sein müssen.

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2. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

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a) Die vom Landgericht antragsgemäß festgesetzte 1,6-fache Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV RVG gehört nicht zu den erstattungsfähigen Kosten des Gegners im Sinne des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, da der Antrag auf Zurückweisung der Berufung erst nach Rücknahme des Rechtsmittels eingegangen ist.

9

aa) Nach dieser Vorschrift hat die unterliegende Partei oder im Fall der Berufungsrücknahme der Berufungskläger (§ 516 Abs. 3 ZPO) dem Gegner die diesem erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendig waren. Notwendig im Sinne des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO sind nur Kosten für solche Maßnahmen, die im Zeitpunkt ihrer Vornahme objektiv erforderlich und geeignet zur Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung erscheinen. Das ist vom Standpunkt einer verständigen und wirtschaftlich vernünftigen Partei aus zu beurteilen, wobei grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Vornahme der kostenverursachenden Handlung abzustellen ist (BGH, Beschluss vom 26. Januar 2006 - III ZB 63/05, BGHZ 166, 117 Rn. 20; Beschluss vom 30. September 2014 - XI ZB 21/13, JurBüro 2015, 90 Rn. 10; Beschluss vom 25. Februar 2016 - III ZB 66/15, BGHZ 209, 120 Rn. 8).

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bb) Die Frage, ob im Berufungsverfahren die Kosten für die Einreichung eines Schriftsatzes, mit dem die Zurückweisung des Rechtsmittels beantragt wird, auch dann erstattungsfähig sind, wenn dieser erst nach der Rücknahme der Berufung bei Gericht eingeht, ist bereits Gegenstand von Entscheidungen des Bundesgerichtshofs gewesen. Danach stellt die Einreichung einer Berufungserwiderung nach Rücknahme des Rechtsmittels keine zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO erforderliche Maßnahme dar. Auf die (verschuldete oder unverschuldete) Unkenntnis des Rechtsmittelbeklagten von der Berufungsrücknahme kommt es nicht an. Die subjektive Unkenntnis des Rechtsmittelgegners ist nicht geeignet, die Erstattungsfähigkeit der Kosten für eine objektiv nicht erforderliche Handlung zu begründen (BGH, Beschluss vom 23. November 2006 - I ZB 39/06, GRUR 2007, 727 Rn. 16 f. = WRP 2007, 786 - Kosten der Schutzschrift II; BGHZ 209, 120 Rn. 10).

11

b) Dieser rechtlichen Beurteilung steht auch nicht die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25. Januar 2017 (XII ZB 447/16, MDR 2017, 365) entgegen. Diese Entscheidung ist auf der Grundlage von § 80 Satz 1 FamFG ergangen. Den Kostenbestimmungen der §§ 80 ff. FamFG liegt ein anderes Regelungskonzept als den §§ 91 ff. ZPO zugrunde, welches in viel stärkerem Maße den Einzelfall und dabei subjektive Elemente der schuldhaften Kostenverursachung im Blick hat (BGH, MDR 2017, 365 Rn. 24).

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3. Die Antragsgegnerin kann danach gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1, § 516 Abs. 3 ZPO nur die Erstattung einer 1,1-fachen Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 VV RVG nebst Auslagen (Nr. 7002 VV RVG) in Höhe von insgesamt 633,80 € verlangen.

13

Wenn - wie hier - der Auftrag des Rechtsanwalts durch Rücknahme des Rechtsmittels endigt, bevor ein Schriftsatz, der Sachanträge oder Sachvortrag enthält, eingereicht worden ist, kommt eine Erstattung einer ermäßigten Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 VV RVG in Betracht. Dies setzt voraus, dass der Prozessbevollmächtigte des Rechtsmittelgegners auf Grund eines ihm erteilten Auftrags schon vor der Rücknahme des Rechtsmittels das Geschäft im Sinn von Teil 3 Vorbemerkung 3 Abs. 2 VV RVG betrieben hat. Hierfür kann schon die Entgegennahme des Auftrags sowie erster Informationen genügen (BGHZ 209, 120 Rn. 14). Diese Voraussetzungen sind nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Beschwerdegerichts gegeben. Der Auftrag, den die Antragsgegnerin ihren Verfahrensbevollmächtigten für das Berufungsverfahren erteilt hat, steht zwischen den Parteien außer Streit.

14

4. Hinsichtlich der Erstattung der Kosten für die erste Instanz bleibt es bei der antragsgemäßen Festsetzung in Höhe von 1.415 €. Hiergegen wendet sich die Rechtsbeschwerde auch nicht.

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5. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO.

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