Beschluss vom Bundesgerichtshof (5. Zivilsenat) - V ZB 4/17

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde wird der Beschluss der 15. Zivilkammer des Landgerichts Aachen vom 30. November 2016 aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Aachen vom 18. Januar 2016 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Städteregion Aachen auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Gründe

I.

1

Der Betroffene, ein marokkanischer Staatsangehöriger, reiste am 16. Juni 2012 ohne das erforderliche Visum in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 26. Juni 2012 einen Asylantrag, der mit bestandskräftigem Bescheid vom 15. Februar 2013 als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde. Zugleich wurde dem Betroffenen die Abschiebung angedroht. Das Aufenthalts- und Einreiseverbot wurde mit Bescheid vom 23. Dezember 2015 auf drei Jahre befristet.

2

Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht am 18. Januar 2016 Haft zur Sicherung der Abschiebung des Betroffenen bis zum 21. März 2016 angeordnet. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat der Betroffene nach seiner Abschiebung mit dem Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft fortgeführt. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 30. November 2016 unter Aufhebung der Haftanordnung des Amtsgerichts die Erledigung der Sache festgestellt und den Feststellungsantrag zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung die beteiligte Behörde beantragt, verfolgt er den Feststellungsantrag weiter.

II.

3

Das Beschwerdegericht meint, die Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungshaft hätten vorgelegen. Insbesondere habe der Haftanordnung ein zulässiger Haftantrag zugrunde gelegen. Die beantragte Haftdauer von zehn Wochen ergebe sich unproblematisch aus dem Umstand, dass die Zentralstelle für Flugabschiebungen in Bielefeld die Vorbereitungsdauer von acht Wochen für die Organisation eines Fluges mit Sicherheitsbegleitung als Mindestfrist bezeichnet habe und insoweit ein gewisser, hier auch noch vertretbarer Zuschlag von zwei Wochen erforderlich gewesen sei.

III.

4

Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG mit dem Feststellungsantrag nach § 62 FamFG statthafte und auch im Übrigen (§ 71 FamFG) zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

5

1. Es fehlt an einem zulässigen Haftantrag.

6

a) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., vgl. Senat, Beschluss vom 20. September 2017 - V ZB 74/17, juris Rn. 6 mwN).

7

b) Diesen Anforderungen wird der Haftantrag nicht gerecht.

8

aa) Zur Dauer der beantragten Haft führt die beteiligte Behörde in ihrem Antrag aus, dass die Passersatzpapierbeschaffung und Abschiebung des Betroffenen nach Auskunft der Zentralen Ausländerbehörde Köln innerhalb von zwei Wochen möglich sei. Die Flugbuchung und Organisation der Sicherheitsbegleitung als solche bedürfe jedoch einer Bearbeitungszeit von acht Wochen. Dies habe die telefonische Auskunft der Zentralstelle für Flugabschiebungen in Bielefeld ergeben.

9

bb) Zwar ist der angesetzte Zeitraum von zwei Wochen für die Abstimmung mit den marokkanischen Behörden auch unter Berücksichtigung von Art. 3 Abs. 5 Satz 2 des deutsch-marokkanischen Protokolls über die Identifizierung und Ausstellung von Heimreisedokumenten vom 6. Mai 1998 (BGBl. II 1998, 1148) nicht zu beanstanden. Nach dieser Vorschrift haben die marokkanischen Behörden bei Vorhandensein eines abgelaufenen Heimreisedokuments „baldmöglichst und ohne weitere Formalitäten“ ein gültiges neues Dokument auszustellen. Die Auskunft der Zentralen Ausländerbehörde ist dahingehend zu verstehen, dass der hierfür benötigte Zeitraum üblicherweise mit zwei Wochen zu bemessen ist.

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cc) Nur pauschaler Natur ist aber der Hinweis darauf, dass die Organisation des Fluges und der Sicherungsbegleitung einen Zeitraum von acht Wochen benötigt.

11

(1) In einem Antrag auf Anordnung von Sicherungshaft ist allerdings eine nähere Erläuterung des für die Buchung eines Fluges mit Sicherheitsbegleitung erforderlichen Zeitaufwandes in aller Regel dann nicht geboten, wenn sich die Behörde auf eine Auskunft der zuständigen Stelle beruft, wonach dieser Zeitraum bis zu sechs Wochen beträgt. In diesen Fällen erschließt sich grundsätzlich ohne weiteres, dass der organisatorische Aufwand eine solche Zeit in Anspruch nimmt, da erst die für die Begleitung in Betracht kommenden Personen ermittelt und innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeitfenster die Flüge für den Betroffenen und die Begleitpersonen gebucht werden müssen. Im Hinblick auf die beschränkten Personalressourcen wird zwangsläufig ein zeitlicher Vorlauf benötigt, der bis zu sechs Wochen in Anspruch nehmen und als angemessen angesehen werden kann, sofern nicht besondere Umstände eine andere Beurteilung rechtfertigen. Ist ein längerer Zeitraum für die Organisation der Rückführung des Betroffenen erforderlich, bedarf es einer auf den konkreten Fall bezogenen Begründung, die dies nachvollziehbar erklärt (etwa Art des Fluges, Buchungslage der in Betracht kommenden Fluggesellschaften, Anzahl der Begleitpersonen, Personalsituation).

12

(2) Daran fehlt es hier. Abgesehen davon, dass der für die Organisation der Sicherungsbegleitung und Flugbuchung erforderliche Zeitraum entgegen den Ausführungen des Beschwerdegerichts in dem Haftantrag nicht als Mindestfrist bezeichnet worden ist - die entsprechende Ergänzung hat die beteiligte Behörde vielmehr erst mit ihrem Schriftsatz vom 16. März 2016 vorgenommen -, handelt es sich lediglich um allgemein gehaltene Ausführungen, denen eine Begründung für die benötigte Zeitdauer von acht Wochen im konkreten Fall nicht entnommen werden kann. Im Hinblick darauf, dass die Haft auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist (§ 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG; näher Senat, Beschluss vom 10. Mai 2012 - V ZB 246/11, FGPrax 2012, 225 Rn. 10; vgl. auch Beschluss vom 10. Oktober 2013 - V ZB 67/13, juris Rn. 9), sind die Ausführungen im Haftantrag insoweit unzureichend (vgl. Senat, Beschluss vom 20. September 2017 - V ZB 74/17, juris Rn. 9 mwN).

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2. Dieser Fehler ist nicht geheilt worden.

14

a) Mängel des Haftantrages können behoben werden, indem die Behörde von sich aus oder auf richterlichen Hinweis ihre Darlegungen ergänzt und dadurch die Lücken in ihrem Haftantrag schließt oder indem der Haftrichter selbst die Voraussetzungen zur Durchführbarkeit der Ab- oder Zurückschiebung des Ausländers und zu der dafür erforderlichen Haftdauer in seiner Entscheidung feststellt (vgl. Senat, Beschluss vom 16. Juli 2014 - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rn. 21 ff.). Zwingende weitere Voraussetzung für eine Heilung ist in einem solchen Fall, dass der Betroffene zu den ergänzenden Angaben persönlich angehört wird (st. Rspr., vgl. nur Senat, Beschluss vom 25. Januar 2018 - V ZB 201/17, juris Rn. 8).

15

b) Vorliegend hat die beteiligte Behörde zwar im Beschwerdeverfahren ergänzend vorgetragen, dass die Abschiebung für den 15. März 2016 vorgesehen und für diesen Tag ein Flug gebucht sei. Diese Angaben waren auch grundsätzlich ausreichend, um die Erforderlichkeit der verbleibenden Haftzeit zu belegen (vgl. Senat, Beschluss vom 17. November 2016 - V ZB 90/16, juris Rn. 9; Beschluss vom 20. September 2017 - V ZB 74/17, juris Rn. 12). Der Betroffene wurde hierzu aber durch das Beschwerdegericht nicht persönlich angehört.

16

3. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (§ 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG). Da die angeordnete Haftzeit bereits abgelaufen ist, hätte eine Nachholung der unterlassenen Anhörung des Betroffenen durch das Beschwerdegericht auf die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung keine Auswirkung. Denn eine Heilung könnte nur mit Wirkung für die Zukunft erfolgen.

17

4. Von einer weiteren Begründung wird nach § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.

Stresemann     

      

Schmidt-Räntsch     

      

Kazele

      

Haberkamp     

      

Hamdorf     

      

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