Beschluss vom Bundesgerichtshof (10. Zivilsenat) - X ZR 76/18

Tenor

Der Antrag der Beklagten, die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 28. Februar 2018 in Verbindung mit dem Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Mannheim vom 12. Januar 2016 insoweit anzuordnen, als der Beklagten hinsichtlich der Mitteilung der gewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger kein Wirtschaftsprüfervorbehalt eingeräumt worden ist, wird zurückgewiesen.

Gründe

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I. Das Landgericht hat die Beklagte wegen Verletzung des einen Werkzeuggriff betreffenden europäischen Patents 888 204 (Klagepatents) zu Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Vernichtung und Rückruf verurteilt sowie ihre Verpflichtung zum Schadensersatz festgestellt. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten mit Rücksicht auf den Ablauf des Klagepatents mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Unterlassungsanspruch erledigt ist und die weiteren Ansprüche auf Handlungen im Zeitraum bis zum 13. März 2017 begrenzt worden sind. Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen. Dagegen hat die Beklagte Beschwerde erhoben, die sie damit begründet, dass in dem Verfahren X ZR 81/17 die Nichtigerklärung des Klagepatents zu erwarten sei; in diesem Verfahren wendet sich die Beklagte mit der Berufung gegen das Urteil des Bundespatentgerichts, das ihre Patentnichtigkeitsklage abgewiesen hat. Die Beklagte beantragt, die Zwangsvollstreckung insoweit einstweilen einzustellen, als sie ohne Einräumung eines Wirtschaftsprüfervorbehalts zur Rechnungslegung verurteilt ist.

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II. Der zulässige Antrag ist nicht begründet. Die Voraussetzungen für eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 719 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

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1. Wird Beschwerde dagegen eingelegt, dass in einem für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteil die Revision nicht zugelassen worden ist, ordnet das Revisionsgericht nach § 719 Abs. 2 ZPO die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung an, wenn die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde und kein überwiegendes Interesse des Gläubigers entgegensteht. Die Einstellung der Zwangsvollstreckung durch das Revisionsgericht kommt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs allerdings grundsätzlich nicht in Betracht, wenn der Schuldner es versäumt hat, im Berufungsrechtszug einen Vollstreckungsschutzantrag nach § 712 Abs. 1 ZPO zu stellen (BGH, Beschluss vom 4. Juni 2008 - XII ZR 55/08, NJW-RR 2008, 1038 Rn. 5; Beschluss vom 20. März 2012 - V ZR 275/11, NJW 2012, 1292 Rn. 5; Beschluss vom 8. Juli 2014 - X ZR 61/13, GRUR 2014, 1028 Rn. 3). Einen solchen Antrag hat die Beklagte nicht gestellt.

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In der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung des auf Seiten der Beklagten mitwirkenden Patentanwalts heißt es zwar, dass er die mündliche Verhandlung geführt habe und von ihm persönlich der Antrag gestellt worden sei, die Einstellung der Zwangsvollstreckung zu verfügen, bis über die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Bundespatentgerichts entschieden sei, da der Beklagten durch die Mitteilung der Abnehmer ein nicht wiedergutzumachender Schaden entstehen würde. Dies reicht aber selbst dann nicht aus, wenn ein von dem mitwirkenden Patentanwalt formulierter Antrag als Antrag des Prozessbevollmächtigten gewertet wird. Denn der Antrag nach § 712 Abs. 1 ZPO muss im Berufungsurteil oder in der Niederschrift über die mündliche Verhandlung ausgewiesen sein. Es handelt sich bei diesem Antrag um einen Sachantrag, der gemäß § 297 ZPO ebenso wie die Berufungsanträge - von einem postulationsfähigen Rechtsanwalt - in der mündlichen Verhandlung gestellt werden muss (BGH, Beschluss vom 2. Oktober 2002 - XII ZR 173/02, FamRZ 2003, 598; BGH, NJW 2012, 1292 Rn. 7); nach § 714 Abs. 2 ZPO sind ferner die tatsächlichen Voraussetzungen glaubhaft zu machen. Da der Tatbestand des Berufungsurteils nach § 314 ZPO Beweis für das mündliche Vorbringen der Parteien liefert, welcher nur durch das Sitzungsprotokoll entkräftet werden kann, steht, wenn beide Urkunden hierzu schweigen, fest, dass der Beklagte einen Antrag nach § 712 ZPO nicht gestellt hat (BGH, FamRZ 2003, 598). Wäre im Streitfall ein solcher Antrag gestellt worden, hätte die Beklagte im Übrigen fristgebunden eine Ergänzung des Urteils beantragen müssen, da das Berufungsgericht über einen solchen Antrag nicht entschieden hat (vgl. BGH, FamRZ 2003, 598).

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2. Der Einstellung der Zwangsvollstreckung steht im Übrigen auch ein überwiegendes Interesse der Klägerin als Gläubigerin entgegen. Im Anwendungsbereich des § 140b PatG, der den Verletzer zur Auskunft über Herkunft und Vertriebsweg patentverletzender Erzeugnisse verpflichtet, kommt ein Wirtschaftsprüfervorbehalt grundsätzlich nicht in Betracht, da das Gesetz dem Interesse des Verletzten an der Aufdeckung der Lieferwege, das gegebenenfalls sogar im Wege der einstweiligen Verfügung durchgesetzt werden kann (§ 140b Abs. 7 PatG) und der Verfolgung seiner Ansprüche gegen an den Verletzungshandlungen Beteiligte Vorrang einräumt (BGH, Urteil vom 20. Dezember 1994 - X ZR 56/93, BGHZ 128, 220, 227 f. [zu III 2 b] - Kleiderbügel). Ist die Inanspruchnahme nicht im Einzelfall unverhältnismäßig im Sinne des § 140b Abs. 4 PatG, sind die mit der Auskunft und der Offenbarung seiner Abnehmer gegenüber dem Gläubiger verbundenen Nachteile für den Schuldner daher regelmäßig wegen des vom Gesetz höher gewichteten Gläubigerinteresses ungeachtet des Umstands hinzunehmen, dass sie regelmäßig nicht zu ersetzen sind, sollte das Berufungsurteil aufgehoben werden.

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Der Umstand, dass das Klagepatent abgelaufen ist und in die Zukunft gerichtete Ansprüche gegen die Abnehmer somit ausscheiden, rechtfertigt für sich genommen ebenso wenig eine andere Bewertung der gegenläufigen Interessen wie der Umstand, dass die Abnehmer von der Beklagten auch mit einer Vielzahl anderer Erzeugnisse beliefert worden sind, denn dies lässt die Abnehmerauskunft noch nicht als unverhältnismäßig im Sinne des § 140b Abs. 4 PatG erscheinen und kann bei der Rechnungslegung die Einräumung eines Wirtschaftsprüfervorbehalts in der Regel nicht rechtfertigen. Dementsprechend können diese Umstände regelmäßig auch im Rahmen des § 719 Abs. 2 ZPO nicht dazu führen, ein überwiegendes Interesse des Gläubigers an der Durchsetzung der Rechnungslegung zu verneinen.

Meier-Beck     

        

Gröning     

        

Bacher

        

Deichfuß      

        

Marx      

        

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