Beschluss vom Bundessozialgericht (13. Senat) - B 13 R 170/15 B
Tenor
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 25. Februar 2015 wird als unzulässig verworfen.
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Die Beteiligten haben einander auch für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
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Das Thüringer LSG hat mit Urteil vom 25.2.2015 einen Anspruch der Klägerin auf Rente wegen Erwerbsminderung verneint.
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Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin beim BSG Beschwerde eingelegt. Sie beruft sich ausschließlich auf Verfahrensmängel.
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Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig. Ihre Beschwerdebegründung vom 29.6.2015 genügt den gesetzlichen Anforderungen nicht, weil sie den geltend gemachten Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht ordnungsgemäß bezeichnet hat (§ 160a Abs 2 S 3 SGG).
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1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde - wie vorliegend - darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
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a) Die Klägerin rügt zunächst eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör. Die mündliche Verhandlung vor dem LSG habe mit Verkündung und Begründung nur "ganze 30 Minuten" gedauert. In der mündlichen Verhandlung sei ihrer damaligen Prozessbevollmächtigten ein Schriftsatz der Beklagten vom 18.2.2015 überreicht worden, der "die nicht unwesentliche Mitteilung zum Ende des Vorliegens der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen ab Mai 2011" enthalten habe. Es sei ausweislich der Sitzungsniederschrift nur Gelegenheit zur Lektüre, nicht aber zur Stellungnahme gegeben worden. Der vorgenannte Schriftsatz der Beklagten sei auch maßgeblich in den Entscheidungsgründen des LSG-Urteils berücksichtigt worden. Dies sei aber "nicht richtig", weil die ua als Sachverständige gehörte Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. G. in ihrem Gutachten vom 25.11.2014 nicht vom Vorliegen eines "Leistungsfalls" nach Mai 2011 ausgehe, sondern bereits ab Rentenantragstellung (Juni 2006). Es sei ihrer damaligen Prozessvertreterin insofern nicht erkennbar gewesen, dass das Gericht aus dem vorgenannten Schriftsatz der Beklagten zu der Schlussfolgerung komme, dass die Einschätzung der Gutachterin Dr. G. nicht zur Anspruchsbegründung führe. Es sei aus dem angegriffenen Urteil und der Sitzungsniederschrift auch nicht ersichtlich, dass das LSG den Vortrag aus ihrem letzten Schriftsatz vom 5.2.2015, der erst am 23.2.2015 beim Gericht eingegangen sei, zur Kenntnis genommen habe.
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Mit diesem Vortrag hat die Klägerin einen Gehörsverstoß (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) nicht hinreichend bezeichnet. Soweit sie vorträgt, die mündliche Verhandlung habe lediglich 30 Minuten gedauert, hat die Klägerin nicht aufgezeigt, dass ihr vom LSG im Termin nicht ausreichend Zeit gewährt worden sei, ihren Rechtsstandpunkt mündlich vorzutragen (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 112 RdNr 7a).
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Auch mit der Rüge, das Berufungsgericht habe ihr erst in der mündlichen Verhandlung den Schriftsatz der Beklagten vom 18.2.2015 überreicht, in dem mitgeteilt worden sei, dass die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die begehrte Rente wegen Erwerbsminderung bei der Klägerin nur bei einem Eintritt des Versicherungsfalls bis (spätestens) Mai 2011 noch vorlägen, und ihrer damaligen Prozessbevollmächtigten lediglich Gelegenheit zur Lektüre dieses Schriftsatzes gegeben worden sei, hat sie keinen Verfahrensmangel in Gestalt eines Verstoßes gegen ihren Anspruch auf rechtliches Gehör bezeichnet. Denn aus ihrem Vorbringen ergibt sich nicht, dass ihre damalige Prozessbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung vom LSG gehindert worden oder nicht in der Lage gewesen wäre, nach der Lektüre dieses Schriftsatzes bei der anschließenden Erörterung des Sach- und Streitverhältnisses sich zu den Ausführungen der Beklagten zu äußern und diesbezügliche Einwände vorzutragen. Überdies hätte sich ihre damalige Prozessbevollmächtigte durch das Stellen eines Vertagungsantrags (§ 202 S 1 SGG iVm § 227 Abs 1 ZPO) die nach ihrem Dafürhalten notwendige Frist für eine entsprechende Stellungnahme verschaffen können (vgl BSG SozR 3-1500 § 128 Nr 14 S 28; Senatsbeschluss vom 5.5.2009 - B 13 R 535/08 B - Juris RdNr 9). Die Klägerin hat aber weder vorgetragen, einen solchen Antrag gestellt zu haben, noch dass das LSG sie bzw ihre damalige Prozessbevollmächtigte an der Wahrnehmung ihrer prozessualen Rechte gehindert hätte. Sofern die Klägerin meint, dass für die damalige Prozessbevollmächtigte ohne einen entsprechenden Hinweis des Berufungsgerichts im Hinblick auf das Gutachten der Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. G. keine Veranlassung für weitere Maßnahmen bestanden habe, verkennt sie, dass es keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz gibt, der das Gericht verpflichtet, vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern (stRspr, BSG Beschluss vom 9.2.2011 - B 11 AL 71/10 B - Juris RdNr 6 mwN; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 590). Die Pflicht zur Gehörsgewährung bedeutet nur, dass den Beteiligten die vom Gericht eingeholten Tatsachen und Beweisergebnisse bekannt sein müssen; nicht aber muss das Gericht ihnen auch mitteilen, welche Schlussfolgerungen es aus den Tatsachen oder Beweisergebnissen zieht bzw ziehen wird (BSG Beschluss vom 17.7.2007 - B 6 KA 14/07 B - BeckRS 2007, 46399 RdNr 7 mwN). Im Übrigen trägt die Klägerin selbst vor, dass die weiteren im Verfahren gehörten Gutachter (Nervenarzt Dr. K., Arzt für Orthopädie Dr. H., Arzt für Innere Medizin Dr. L. und Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. U.) der Klägerin - im Gegensatz zu Dr. G. noch ein Leistungsvermögen für zumindest leichte körperliche Arbeiten für arbeitstäglich sechs Stunden und mehr mit weiteren qualitativen Leistungseinschränkungen bescheinigt hätten. Auf dieser Grundlage ist aber nicht nachvollziehbar, weshalb ein gewissenhafter und kundiger Prozessbevollmächtigter nach dem bisherigen Prozessverlauf mit einer vom Gutachten der Dr. G. abweichenden Beweiswürdigung durch das LSG nicht habe rechnen müssen (vgl BVerfG
Beschluss vom 5.4.2012 - 2 BvR 2126/11 - BVerfGK 19, 377, 381) .
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Soweit die Klägerin schließlich eine Verletzung des rechtlichen Gehörs darin sieht, dass nicht ersichtlich sei, dass das LSG ihren Vortrag im Schriftsatz vom 5.2.2015 zur Kenntnis genommen habe, liegt auch hier keine schlüssige Verfahrensrüge vor. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Die Gerichte sind nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Die Klägerin hat auch keine besonderen Umstände dargelegt, die deutlich ergeben, dass tatsächliches Vorbringen von ihr entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (vgl nur BVerfGE 47, 182, 187 f; 54, 86, 91 f). Sie hat noch nicht einmal den Inhalt des vorgenannten Schriftsatzes mitgeteilt.
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b) Des Weiteren rügt die Klägerin eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) durch das LSG. Eine Gesamteinschätzung ihres positiven wie negativen Leistungsvermögens durch einen Sachverständigen, der hierfür die alleinige fachliche Verantwortung zu übernehmen habe, unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aller vier gehörten Fachdisziplinen sei nicht erfolgt. Indem das LSG diese Gesamtbeurteilung selbst vorgenommen habe, habe es die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung überschritten. Zudem beruhe die Entscheidung des LSG auf einer Fehlvorstellung von dem Inhalt des Gutachtens von Dr. G
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Eine eventuelle Verpflichtung zur weiteren Beweiserhebung kann im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde von vornherein nur dann erheblich sein, wenn das LSG im Berufungsverfahren einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 Teils 3 SGG). Die Anforderungen an eine solche Sachaufklärungsrüge (vgl hierzu allgemein BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN) erfüllt der Vortrag der Klägerin nicht. Insbesondere hat sie nicht aufgezeigt, dass sie einen entsprechenden prozessordnungsgemäßen Beweisantrag gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Teils 3 SGG auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens auf Gesamteinschätzung ihres positiven und negativen Leistungsprofils unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aller vier gehörten Fachdisziplinen gestellt und bis zuletzt vor dem Berufungsgericht aufrechterhalten habe. Ein im Berufungsverfahren anwaltlich vertretener Beteiligter - wie die Klägerin - kann aber nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag in seinem Urteil wiedergibt (stRspr, vgl zB BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Dass dies geschehen sei, behauptet die Klägerin aber nicht.
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Sofern die Klägern mit der Auswertung und Würdigung der vorliegenden Sachverständigengutachten durch das Berufungsgericht nicht einverstanden ist und zudem meint, die Entscheidung des LSG beruhe auf einer Fehlvorstellung vom Inhalt des Gutachtens von Dr. G., greift sie die Beweiswürdigung der Vorinstanz an. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut von § 160 Abs 2 Nr 3 Teils 2 SGG kann aber ein Verfahrensmangel im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde von vornherein nicht auf § 128 Abs 1 S 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) gestützt werden. Die Würdigung von Gutachtenergebnissen oder ärztlichen Auffassungen zur Leistungsfähigkeit des Versicherten gehört wie die Beurteilung anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst.
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Wenn die Klägerin zudem geltend macht, das LSG habe die Grenzen der Beweiswürdigung überschritten, kann dahingestellt bleiben, ob sie einen solchen Verfahrensmangel überhaupt schlüssig dargetan hat. Denn auch damit rügt sie lediglich einen im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unbeachtlichen Verstoß gegen § 128 Abs 1 S 1 SGG (vgl stRspr, zB BSG SozR 1500 § 160 Nr 26 S 21; Karmanski in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 160 RdNr 58 mit zahlreichen weiteren Rechtsprechungsnachweisen).
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2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
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3. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
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Referenzen
- SGG § 103 2x
- 2 BvR 2126/11 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 227 Terminsänderung 1x
- SGG § 62 1x
- 13 R 535/08 1x (nicht zugeordnet)
- SGG § 193 1x
- 11 AL 71/10 1x (nicht zugeordnet)
- 6 KA 14/07 1x (nicht zugeordnet)
- SGG § 160 2x