Beschluss vom Bundessozialgericht (10. Senat) - B 10 ÜG 22/15 B
Tenor
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 24. September 2015 wird als unzulässig verworfen.
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Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
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Der Streitwert wird auf 1400 Euro festgesetzt.
Gründe
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I. Die Klägerin begehrt eine höhere Entschädigung für die unangemessene Dauer eines Gerichtsverfahrens beim SG Schwerin.
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Die Klägerin erhob am 1.7.2010 nach erfolglosem Widerspruchsverfahren Klage beim SG Schwerin, weil die Bundesagentur für Arbeit ihr Arbeitslosengeld mit einer 7-tägigen Verspätung ausgezahlt habe. Das Verfahren endete mit einem klagabweisenden Urteil des SG, der Klägerin zugestellt am 18.6.2014.
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Auf die Entschädigungsklage der Klägerin hat das LSG mit dem angefochtenen Urteil vom 24.9.2015 eine überlange Verfahrensdauer von 20 Monaten festgestellt, den Beklagten zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 1200 Euro nebst Zinsen verpflichtet und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Verfahrensdauer habe die äußerste Grenze des Angemessenen um 20 Monate überschritten und deshalb das Recht der Klägerin auf Rechtsschutz in angemessener Zeit verletzt. Allerdings sei ein niedrigerer Entschädigungsbetrag als 100 Euro pro Monat festzusetzen, weil das Ausgangsverfahren von geringer Schwierigkeit und von unterdurchschnittlicher Bedeutung gewesen sei. Zudem habe die Klägerin mit dem Rechtsstreit keinen hohen wirtschaftlichen Wert verfolgt und schon frühzeitig kein begründbares Vertrauen in den Erfolg ihrer Klage ausbilden können.
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Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt, mit der sie rügt, das LSG habe das Verfahrensrecht verletzt, sei von der Rechtsprechung des BSG abgewichen und habe die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt.
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II. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde wie im Fall der Klägerin darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Eine Ausnahme für nicht vertretene Kläger sieht das Gesetz nicht vor. Will die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§ 103 SGG), so muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist. Daran fehlt es hier. Mit ihrer Kritik an angeblich fehlenden Feststellungen des LSG etwa zur Bedürftigkeit der Klägerin oder zu einzelnen ihrer Verfahrenshandlungen kann die Beschwerde deshalb von vornherein nicht durchdringen.
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Ebenso wenig kann sie sich mit Erfolg auf die gerügte Verletzung von § 128 Abs 1 SGG stützen, weil § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG die Beweiswürdigung der Beurteilung durch das Revisionsgericht vollständig entzieht. Kraft der darin enthaltenen ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung kann die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts mit der Nichtzulassungsbeschwerde weder unmittelbar noch mittelbar angegriffen werden (Karmanski in: Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 160 RdNr 58 mwN). Der Vorwurf der Beschwerde, das LSG habe unter anderem Bedeutung und Schwierigkeitsgrad des Rechtsstreits falsch bewertet, zeigt daher keinen Verfahrensmangel auf.
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Auch eine Abweichung des LSG von der Rechtsprechung des BSG hat die Beschwerde nicht substantiiert dargelegt. Eine solche Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Wer eine Rechtsprechungsdivergenz entsprechend den gesetzlichen Anforderungen darlegen will, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen (vgl zB BSG Beschluss vom 28.7.2009 - B 1 KR 31/09 B - RdNr 4; BSG Beschluss vom 28.6.2010 - B 1 KR 26/10 B - RdNr 4; BSG Beschluss vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - Juris RdNr 4 mwN). Erforderlich ist, dass das LSG bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt hat und nicht etwa lediglich fehlerhaft das Recht angewendet hat (vgl zB BSG Beschluss vom 15.1.2007 - B 1 KR 149/06 B - RdNr 4; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44 f mwN).
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Diese Voraussetzungen hat die Beschwerde nicht dargelegt. Sie hat schon keinen abstrakten Rechtssatz herausgearbeitet, mit dem sich das LSG in Gegensatz zur Rechtsprechung des Senats gesetzt hätte. Soweit die Beschwerde dem LSG vorwirft, es sei durch seine unterlassenen Feststellungen zur Bedürftigkeit der Klägerin von der Rechtsprechung des BSG abgewichen, liegt darin ebenfalls keine zulässige Divergenzrüge. Eine Divergenz kann nicht auf einen anderen als den vom LSG festgestellten Sachverhalt gestützt werden, an den der Senat mangels zulässiger Verfahrensrügen hier nach § 163 SGG gebunden ist.
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Soweit die Beschwerde ausführt, das LSG habe zu Unrecht auf die Erfolgsaussichten der Klage abgestellt und deshalb eine unterdurchschnittliche Bedeutung des Rechtsstreits angenommen, hat sie nicht substantiiert dargelegt, warum das LSG damit der Rechtsprechung des Senats widersprechen sollte. Danach verbietet es der Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit zumindest dann, im Nachhinein das Ergebnis des Verfahrens als von vornherein feststehend und daher seine Bedeutung für den Kläger als gering anzusehen, wenn das Ergebnis des Rechtsstreits von tatsächlichen Grundlagen abhängt, die nicht schon zu Beginn des Verfahrens objektiv völlig außer Zweifel standen (Senatsurteil vom 12.2.2015 - B 10 ÜG 7/14 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 10 RdNr 31). Die Beschwerde hat aber nicht dargelegt, inwieweit der nach den Feststellungen des LSG tatsächlich einfach gelagerte Fall der Klägerin sich unter die zitierte Senatsrechtsprechung fassen lässt. Diese bezog sich - im Unterschied zum hiesigen Verfahren - auf einen auch tatsächlich umstrittenen Sachverhalt aus dem Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung (angebliche Lärmschwerhörigkeit). Unabhängig davon zeigt die Beschwerde ohnehin keine Divergenz im Grundsätzlichen auf, sondern rügt die Rechtsanwendung durch das LSG im Einzelfall. Diese ist aber nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).
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Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).
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Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.
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Die Streitwertentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 52 Abs 3 S 1, § 47 Abs 1 S 2, Abs 3 GKG, weil die Klägerin in der genannten Höhe durch das LSG-Urteil beschwert ist.
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Referenzen
- 1 KR 100/10 1x (nicht zugeordnet)
- SGG § 103 2x
- 1 KR 26/10 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- 1 KR 149/06 1x (nicht zugeordnet)
- SGG § 169 1x
- SGG § 128 1x
- 1 KR 31/09 1x (nicht zugeordnet)
- SGG § 163 1x
- SGG § 160 1x