Beschluss vom Bundessozialgericht (8. Senat) - B 8 SO 15/16 B

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. Januar 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

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I. Im Streit ist die Verpflichtung der Beklagten, der Klägerin eine seniorengerechte, betreute Zweizimmerwohnung zu beschaffen bzw der Anmietung einer solchen Wohnung zuzustimmen. Die Klägerin wendet sich insoweit zuletzt gegen ein Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 27.1.2016), mit dem dieses ihre Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln (vom 28.4.2015) zurückgewiesen hat.

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Für die Klägerin war von Oktober 2015 bis April 2016 ein Betreuer mit dem Aufgabenkreis "Gesundheitsfürsorge, Vermögensangelegenheiten, Vertretung gegenüber Behörden und Sozialversicherungsträgern und Wohnungsangelegenheiten" bestellt; dabei hatte zuletzt im Dezember 2015 ein Betreuerwechsel stattgefunden (Beschluss des Amtsgerichts Köln vom 23.12.2015). Im Berufungsverfahren hat der Vorsitzende Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 27.1.2016 bestimmt und sowohl dem damaligen Betreuer als auch der Klägerin persönlich von diesem Termin Mitteilung gemacht (Ladungen vom 23.12.2015); das persönliche Erscheinen war nicht angeordnet. Nachdem dem LSG der Betreuerwechsel bekannt geworden war, hat es der neuen Betreuerin den Termin mitgeteilt. Diese hat angekündigt, sie werde nicht erscheinen (Schreiben vom 20.1.2016). Das LSG hat sodann in Anwesenheit der Klägerin und einem Vertreter der Beklagten mündlich verhandelt und die Berufung zurückgewiesen.

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Nachdem das AG die Betreuung aufgehoben hatte (Beschluss vom 13.4.2016), hat der Senat Rechtsanwältin L als besondere Vertreterin beigeordnet und Prozesskostenhilfe (PKH) bewilligt. Mit ihrer Beschwerde macht die Klägerin geltend, das LSG habe nicht beachtet, dass sie geschäftsunfähig und damit prozessunfähig sei. Sie sei ohne ihre Betreuerin zu dem Termin zur mündlichen Verhandlung geladen worden, obwohl deren Aufgabenbereich die gerichtliche Vertretung umfasst habe. Das LSG habe mündlich verhandelt, obwohl die Betreuerin ihre Verhinderung angezeigt habe; das verletze formelles Recht.

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II. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Der allein geltend gemachte Verfahrensverstoß (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz ), das LSG sei zu Unrecht von ihrer Prozessfähigkeit ausgegangen und sie sei deshalb im Verfahren nicht wirksam vertreten gewesen (vgl § 202 SGG iVm § 547 Nr 4 Zivilprozessordnung ), liegt nicht vor.

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Der Senat geht von (zumindest partieller) Prozessunfähigkeit der Klägerin aus. Ihr ist eine sachgerechte Prozessführung bezogen auf die vorliegend angegriffene Entscheidung der Beklagten nicht möglich. Prozessunfähig ist eine Person, die sich nicht durch Verträge verpflichten kann (vgl § 71 Abs 1 SGG), also ua eine solche, die nicht geschäftsfähig iS des § 104 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist, weil sie sich gemäß § 104 Nr 2 BGB in einem nicht nur vorübergehenden, die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet und deshalb nicht in der Lage ist, ihre Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen. Dabei können bestimmte Krankheitsbilder auch zu einer sog partiellen Prozessunfähigkeit führen, bei der die freie Willensbildung nur bezüglich bestimmter Prozessbereiche eingeschränkt ist. Soweit eine partielle Prozessunfähigkeit anzunehmen ist, erstreckt sie sich auf den gesamten Prozess (BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 32 S 65). Eine solche (partielle) Prozessunfähigkeit liegt und lag nach dem Ergebnis der Ermittlungen des Senats vor. Nach den Feststellungen des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie H in seinem für das AG Köln erstellten Gutachten vom 5.8.2015 leidet die Klägerin unter einer narzisstisch-schizoiden Persönlichkeitsstörung. Sie ist nach seinen Feststellungen aufgrund dieser Erkrankung nicht in der Lage, den Umgang mit Behörden adäquat selbst zu regeln und Prozesse sachgerecht selbst zu führen. Auf Rückfrage des Senats hat der Sachverständige wiederholt, dass es sich insoweit um einen Zustand handelt, bei dem eine Besserung nicht erwartet werden kann (Schreiben vom 21.9.2016).

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Die danach prozessunfähige Klägerin war aber während des Berufungsverfahrens von Oktober 2015 an durch die vom AG Köln bestellten Betreuer, von deren Aufgabenkreis die vorliegende Angelegenheit jeweils erfasst war, gesetzlich vertreten (vgl §§ 1896, 1902 BGB). Dem LSG war dies bekannt; es hat die Vertretung ua bei der Mitteilung über die Terminsbestimmung (vgl § 110 Abs 1 Satz 1 SGG) beachtet. Dass es zugleich auch der Klägerin von dem Termin Mitteilung gemacht hat, ist nicht zu beanstanden. Die anschließende Durchführung der mündlichen Verhandlung in Abwesenheit der Betreuerin, in der die Klägerin einen Verstoß gegen § 547 Nr 4 ZPO sieht, war für sich genommen ebenfalls nicht verfahrensfehlerhaft. Die Betreuerin hatte zwar mitgeteilt, sie werde nicht teilnehmen können; einen Antrag auf Aufhebung und Verlegung des Termins hatte sie dabei nicht gestellt. Die Betreuerin hat gegenüber dem Gericht auch nicht sinngemäß zum Ausdruck gebracht, an der mündlichen Verhandlung teilnehmen zu wollen; dies wird von der Klägerin auch nicht behauptet. Die mündliche Verhandlung durfte deshalb stattfinden und es durfte trotz des Ausbleibens der Betreuerin entschieden werden (sog einseitige mündliche Verhandlung; vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 126 RdNr 4). Die der Klägerin vom LSG eingeräumte Möglichkeit, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, verletzt für sich genommen die Vorschriften über eine notwendige Vertretung nicht.

7

Andere Tatsachen, die den geltend gemachten Revisionsgrund begründen könnten, hat die Klägerin nicht dargetan. Es handelt sich zwar um einen absoluten Revisionsgrund; dies macht indes allein Vortrag dazu entbehrlich, dass die Entscheidung auf der Verletzung des Rechts beruht. Aus dem Vortrag der Klägerin wird aber nicht deutlich, worin über das Verhandeln in Anwesenheit der Klägerin hinaus ein Verstoß gegen § 547 Nr 4 ZPO liegen soll. Andere Verfahrensmängel sind schließlich nicht behauptet.

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Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

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