Beschluss vom Bundessozialgericht (8. Senat) - B 8 SO 77/17 B

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 30. März 2017 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Im Streit ist die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII).

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Der Kläger bezog vom Beklagten unter anderem in der Zeit vom 1.1. bis zum 30.6.2015 Grundsicherungsleistungen (Bewilligungsbescheid vom 8.1.2015). Nachdem dem Beklagten von der Polizei mitgeteilt worden war, dass bei einer Hausdurchsuchung ein Bargeldbetrag von 11 400 Euro gefunden worden sei, der dem Kläger belassen worden sei, hob der Beklagte die Bewilligung mit Wirkung ab dem 1.3.2015 unter Hinweis auf das vorrangig zu verbrauchende Vermögen auf (Bescheid vom 11.3.2015; Widerspruchsbescheid vom 25.3.2015). Im hiergegen gerichteten Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) Karlsruhe im Termin zur mündlichen Verhandlung zwei Zeugen zu der Frage vernommen, welcher Geldbetrag in der Wohnung vorgefunden worden sei; der Kläger, dessen persönliches Erscheinen angeordnet war, hat an dem Termin unter Hinweis auf eine Erkrankung nicht teilgenommen. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 24.11.2015). Im Berufungsverfahren hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg die Beteiligten zur beabsichtigten Entscheidung durch Beschluss angehört (Schreiben vom 10.2.2017); der Kläger hat daraufhin mitgeteilt, er widerspreche einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung und stelle "Beweisanträge, die Zeugen (andere) zu den Umständen zu befragen" (Schreiben vom 27.2.2017). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen (Beschluss vom 30.3.2017). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, es habe durch Beschluss entschieden werden können, weil der Kläger zum Termin vor dem SG nicht erschienen sei, ohne die Vertagung zu beantragen. Weiterer Aufklärungsbedarf sei ebenfalls nicht erkennbar; denn durch eine weitere Zeugenvernehmung sei kein zusätzlicher Erkenntnisgewinn zu erwarten gewesen. Einen ausreichend konkretisierten Beweisantrag habe der Kläger ohnehin nicht gestellt. In der Sache stehe für das Gericht fest, dass der Kläger am 8.1.2015 über Vermögen in Höhe von 11 400 Euro verfügt habe, dessen Besitz er aber verschwiegen habe. Der Bescheid sei bereits bei seinem Erlass rechtswidrig gewesen und der Kläger habe auch Kenntnis von der Rechtswidrigkeit gehabt (§ 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - ). Der Beklagte habe zwar kein Ermessen ausgeübt. Es liege aber ein Fall vor, in dem dies unschädlich sei, weil auch bei Ausübung von Ermessen jeder Verwaltungsakt mit einem anderen Regelungsgehalt rechtswidrig gewesen sei. Der Kläger habe wahrheitswidrig einen anderen Sachverhalt behauptet, selbst aber ermessensrelevante Gesichtspunkt nie vorgetragen.

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Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im bezeichneten Beschluss und macht geltend, das LSG habe das ihm eingeräumte Ermessen, über die Sache nach § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss zu entscheiden, überschritten und willkürlich von der Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung mit ehrenamtlichen Richtern abgesehen. Darin liege zugleich ein absoluter Revisionsgrund, weil das Berufungsgericht fehlerhaft besetzt gewesen sei.

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II. Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Bezeichnung eines Verfahrensfehlers.

5

Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 36). Diesen Anforderungen genügt das Vorbingen des Klägers zur Verletzung des § 153 Abs 4 Satz 2 SGG nicht.

6

Nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG kann das LSG, außer in den Fällen, in denen das SG durch Gerichtsbescheid (§ 105 Abs 2 Satz 1 SGG) entschieden hat, die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Damit ist dem Berufungsgericht Ermessen eingeräumt, durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden. Die Ermessensentscheidung für eine Entscheidung im Beschlusswege kann vom Revisionsgericht lediglich darauf geprüft werden, ob das Berufungsgericht von seinem Ermessen unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe erkennbar fehlerhaften Gebrauch gemacht hat, etwa wenn der Beurteilung sachfremde Erwägungen oder eine grobe Fehleinschätzung zugrunde liegen (vgl nur BSG, Beschluss vom 9.9.2003 - B 9 VS 2/03 B; BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 13 S 35, 38 mwN; zum Ganzen auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 153 RdNr 15b).

7

Das Vorliegen einer solchen Ermessensüberschreitung hat der Kläger nicht ordnungsgemäß dargelegt. Er macht als Grund dafür, dass das LSG auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht habe verzichten dürfen, allein geltend, dass der nicht rechtskundig vertreten gewesene Kläger aus krankheitsbedingten Gründen seine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung vor dem SG abgesagt hatte. Damit hat er aber keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass die Versäumung der mündlichen Verhandlung vor dem SG nicht infolge einer Verletzung eigener Sorgfaltspflichten erfolgt ist. Er behauptet weder, einen Antrag auf Vertagung gestellt zu haben, noch legt er dar, welche krankheitsbedingten Gründe im Einzelnen vorgelegen haben und dem SG mitgeteilt worden sein sollten, die eine Vertagung von Amts wegen notwendig gemacht hätten. Dazu hätte in jedem Fall Anlass bestanden; denn aussagekräftige Atteste liegen in der Akte nicht vor. Nur in einem solchen Fall käme aber eine Pflicht des LSG in Betracht, wegen einer krankheitsbedingten Abwesenheit des Klägers in der Verhandlung vor dem SG eine mündliche Verhandlung zu wiederholen. Zu weiteren Gründen, die vorliegend zu einem Verstoß gegen § 153 Abs 4 SGG geführt haben könnten, insbesondere weil das LSG die Frage nach dem Vorliegen von Ermessensgesichtspunkten (anders als der Beklagte und das SG) als entscheidungserheblich angesehen, den Beteiligten aber mangels erforderlichen Hinweises die Möglichkeit genommen hat, ihren Standpunkt dazu vorzutragen, trägt der Kläger nichts vor.

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Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

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