Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht (2. Senat) - 2 AV 2/15

Gründe

I

1

Der Antragsteller wendet sich im zugrunde liegenden Ausgangsverfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Besetzung der Stelle des Vizepräsidenten des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern mit dem vom Antragsgegner ausgewählten Beigeladenen. Der Rechtsstreit ist derzeit beim Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (erneut) im Beschwerdeverfahren anhängig, nachdem das Bundesverfassungsgericht einer Verfassungsbeschwerde des Antragstellers gegen den seinen Eilantrag zurückweisenden Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 23. Januar 2015 stattgegeben hat (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 23. Juni 2015 - 2 BvR 161/15 - IÖD 2015, 206).

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Mit Schriftsatz vom 21. Juli 2015 hat der Antragsteller beim Oberverwaltungsgericht ein Ablehnungsgesuch gegen die drei Richter angebracht, die an dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 23. Januar 2015 mitgewirkt haben. Zur Begründung der Besorgnis ihrer Befangenheit macht der Antragsteller in Bezug auf Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. X geltend, dass dieser das bisherige Verfahren durch extrem kurze Fristen betrieben habe, die auf eine verfahrensmäßige Benachteiligung des Antragstellers deuteten. In Bezug auf den zum Zwecke der Erprobung an das Oberverwaltungsgericht abgeordneten Richter am Verwaltungsgericht Y führt der Antragsteller an, dass sich dessen eigene Beförderungschancen bei einer Entscheidung zu Lasten des Antragsstellers verbesserten. Unter Einbeziehung von Richter am Oberverwaltungsgericht Z sieht der Antragsteller gegenüber allen drei abgelehnten Richtern die Besorgnis der Befangenheit weiter darin, dass sie ihm nicht in ausreichendem Umfang rechtliches Gehör gewährt hätten. Sie hätten in dem Beschluss vom 23. Januar 2015 auf allenfalls vom Antragsgegner in das Verfahren einzuführende Aspekte, nämlich auf Vorschriften des Geschäftsverteilungsplans in Verwaltungssachen des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern abgestellt, ohne dass der Antragsteller zuvor Gelegenheit gehabt habe, sich hierzu zu äußern. Außerdem beanstandet er eine von ihm als zynisch angesehene Formulierung in dem Beschluss vom 23. Januar 2015.

3

Mit Schreiben vom 18. August 2015 hat das Oberverwaltungsgericht die Akten dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II

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1. Das Bundesverwaltungsgericht ist als das nächsthöhere Gericht gemäß § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 45 Abs. 3 ZPO für die Entscheidung über die Ablehnungsgesuche zuständig. Das Oberverwaltungsgericht erreicht gegenwärtig nicht die für die Entscheidung über die Befangenheitsgesuche erforderliche Zahl von drei Richtern (§ 9 Abs. 3 Satz 1 VwGO, § 12 Abs. 2 des Gesetzes zur Ausführung der Gerichtsstruktur M-V). Nachdem zwei Richter des Gerichts von Gesetzes wegen (§ 54 Abs. 2 VwGO) und zwei weitere Richter aufgrund gerichtlichen Beschlusses (§ 54 Abs. 1 i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO) von der Mitwirkung am vorliegenden Verfahren ausgeschlossen sind und der Antragsteller mit Schriftsatz vom 21. Juli 2015 Ablehnungsgesuche gegen die drei angeführten Richter gestellt hat, verfügt das Oberverwaltungsgericht derzeit nur noch über zwei zur Entscheidung über die Ablehnungsgesuche berufene Richter.

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Das (Zwischen-)Verfahren nach § 54 Abs. 1 i.V.m. § 45 Abs. 3 ZPO dient dazu, die Beschlussunfähigkeit des für die Entscheidung über die Befangenheitsgesuche an sich zuständigen Gerichts zu überwinden. Diesem Zweck entspricht es, dass sich das nächsthöhere Gericht darauf beschränken kann, lediglich über so viele Ablehnungsgesuche zu befinden, wie erforderlich ist, damit die Beschlussfähigkeit des Ausgangsgerichts wieder hergestellt ist (BVerwG, Beschlüsse vom 3. April 1997 - 6 AV 1.97 - Buchholz 310 § 54 VwGO Nr. 55 S. 4 und vom 22. März 2012 - 2 AV 3.12 - juris Rn. 2, jeweils m.w.N.). Der Senat übt das ihm eingeräumte Ermessen, über welches von mehreren Ablehnungsgesuchen er befindet, sachangemessen dahingehend aus, dass er über das Ablehnungsgesuch entscheidet, das gegen Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. X als das nach dem Geschäftsverteilungsplan des Oberverwaltungsgerichts einzig verbleibende originäre Mitglied des für das Öffentliche Dienstrecht zuständigen 2. Senats des Oberverwaltungsgerichts gerichtet ist.

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Einer Entscheidung über den im Schriftsatz des Antragstellers vom 21. Juli 2015 an das Oberverwaltungsgericht weiter enthaltenen Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts (§ 53 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 VwGO) bedarf es nicht, wenn - wie hier - mit der eine Besorgnis der Befangenheit ablehnenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts das Oberverwaltungsgericht wieder in die Lage versetzt wird, selbst über die weiteren Befangenheitsgesuche zu entscheiden.

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2. Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen (§ 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO). Danach ist es nicht notwendig, dass der Richter tatsächlich befangen ist. Andererseits reicht die rein subjektive Vorstellung eines Beteiligten, der Richter werde seine Entscheidung an persönlichen Motiven orientieren, nicht aus, wenn bei objektiver Würdigung der Tatsachen vernünftigerweise kein Grund für die Befürchtung ersichtlich ist. Die Besorgnis der Befangenheit ist dann gerechtfertigt, wenn aus der Sicht des Beteiligten hinreichend objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass geben, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (BVerwG, Urteil vom 5. Dezember 1975 - 6 C 129.74 - BVerwGE 50, 36 <38 f.>; Beschluss vom 29. Januar 2014 - 7 C 13.13 - Buchholz 310 § 54 VwGO Nr. 76 Rn. 16).

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3. Solche Gründe sind dem Gesuch des Antragstellers vom 21. Juli 2105 mit Blick auf Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. X nicht zu entnehmen.

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a) Eine Besorgnis der Befangenheit des Richters kann nicht aus den von dem Richter verfügten kurzen Fristsetzungen im bisherigen Verfahren hergeleitet werden, die der Antragsteller beanstandet.

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Für die erste Fristsetzung vom 15. Januar 2015 folgt dies bereits daraus, dass diese auf Bitten der Prozessbevollmächtigten des Antragstellers antragsgemäß verlängert worden ist. Diese verlängerte Frist erscheint für ein Eilverfahren auch nicht unangemessen, weil es lediglich um eine anheimgegebene Stellungnahme nach einem bereits vorangegangenen Schriftsatzwechsel ging (Gelegenheit zur eventuellen Gegenäußerung auf die Replik des Antragsgegners zur ausführlichen Erwiderung des Antragstellers auf die Beschwerdebegründung des Antragsgegners). Im Übrigen hat der Antragsteller die nun als zu kurz beanstandete Fristsetzung seinerzeit nicht zum Anlass für einen Befangenheitsantrag genommen (Rechtsgedanke aus § 43 ZPO).

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Mit Blick auf die zweite vom Antragsteller beanstandete Fristsetzung vom 10. Juli 2015 kann dem Richter nicht vorgeworfen werden, er habe diese in Kenntnis der Urlaubsabwesenheit des Antragstellers und damit in bewusster Benachteiligung seiner Rechtsverfolgung verfügt, da der Richter ausweislich seiner - dem Antragsteller übermittelten und von ihm nicht in Zweifel gezogenen - dienstlichen Äußerung (§ 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 44 Abs. 3 ZPO) vom 23. Juli 2015 von diesem Umstand erst nach Absendung dieser Verfügung erfahren hat. Dass der Richter mit derselben Fristsetzung zugleich angekündigt hat, eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts werde nach Ablauf von weiteren zwei bis vier Wochen angestrebt, stellt mit Blick auf die in der richterlichen Verfügung zur Begründung dafür angeführten Urlaubszeit und eine für die gerichtliche Entscheidungsfindung selbst zu veranschlagenden Zeitspanne ebenfalls keinen zureichenden Grund für eine Besorgnis der Befangenheit dar.

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b) Eine Besorgnis der Befangenheit von Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. X ergibt sich auch nicht aus einer - vom Antragsteller geltend gemachten - Verletzung des rechtlichen Gehörs.

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Es ist schon zweifelhaft, ob bei unterstellter Gehörsverletzung Anlass bestünde, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. Nicht jeder Verfahrensfehler, der einem Richter unterläuft, kann die Annahme tragen, er werde auch weiterhin (zum Nachteil eines Beteiligten) das Verfahren fehlerhaft betreiben und sei deshalb befangen. Es müssten zunächst weitere Umstände hinzutreten, die diese Annahme rechtfertigten. Solche sind hier nicht erkennbar.

14

Im Übrigen kann das Abstellen auf einzelne Vorschriften des Geschäftsverteilungsplans in Verwaltungssachen des Oberverwaltungsgerichts im Beschluss vom 23. Januar 2015 nicht als Überraschungsentscheidung gewertet werden.

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Der insoweit im Zentrum des Rechtsstreits stehende Umstand, dass der Antragsteller mit der Präsidentin des Verwaltungsgerichts G. verheiratet ist und dass der Antragsgegner hieraus seine mangelnde persönliche Eignung für das Amt des Vizepräsidenten des Oberverwaltungsgerichts hergeleitet hat, ist mit Schriftsatz des Antragsgegners vom 12. Dezember 2014, dem sein Widerspruchsbescheid vom 11. Dezember 2014 beigefügt war, in das Verfahren eingeführt worden. In diesem Widerspruchsbescheid wurde auf die dem Vizepräsidenten des Oberverwaltungsgerichts durch den Verwaltungsgeschäftsverteilungsplan des Präsidenten zugewiesenen Justizverwaltungsaufgaben zur Begründung der Annahme fehlender Eignung abgestellt. Sodann hat auch der Antragsteller in seinem Schriftsatz vom 21. Januar 2015 (S. 19) darauf abgestellt, dass Interessenkonflikte durch die Geschäftsverteilung „sowohl in Rechtsprechung als auch in Verwaltungsangelegenheiten“ in der Vergangenheit hätten gelöst werden können.

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Vor diesem Hintergrund begründet es keinen Gehörsverstoß (und erst Recht nicht die Annahme der Befangenheit), wenn sich das Gericht in seiner Entscheidung auf einzelne Zuständigkeiten stützt, die sich aus dem von beiden Beteiligten angesprochenen Geschäftsverteilungsplan ergeben. Das "Thema" etwaiger Interessenkonflikte aufgrund der Zuständigkeiten des Vizepräsidenten des Oberverwaltungsgerichts in Justizverwaltungssachen war durch die erwähnten Schreiben des Antragsgegners in das Verfahren eingeführt, so dass ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf damit rechnen musste, dass dies in die Entscheidung des Gerichts Eingang finden könnte. Dies schließt die Annahme eines Gehörsverstoßes unter dem Gesichtspunkt einer Überraschungsentscheidung aus (stRspr, vgl. etwa BVerfG, Beschlüsse vom 29. Mai 1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188 <190> und vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <144 f.>).

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c) Auch aus der in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 23. Januar 2015 enthaltenen Passage (BA S. 9 unten)

„Die Nichteignung des Antragstellers ergibt sich daher nicht nur aus einer Fürsorgepflicht des Dienstherrn ihm gegenüber, sondern aus einer Gefährdung des Dienstbetriebs.“

ist eine Befangenheit des Richters ebenfalls nicht herzuleiten. Der Vorwurf des Antragstellers, diese Formulierung sei "zynisch" und lasse eine die Objektivität des Gerichts erschütternde Innentendenz hervortreten, ist unberechtigt. Es ist Sache des jeweils zur Entscheidung berufenen Richters, bei seiner durch Art. 97 Abs. 1 GG geschützten unabhängigen Ausübung der rechtsprechenden Tätigkeit diejenigen rechtlichen Standpunkte einzunehmen und diejenigen Formulierungen zu verwenden, die er für sachgerecht erachtet. Allenfalls dann, wenn der rechtliche Standpunkt von der Sache her unter keinen Umständen mehr als vertretbar oder die gewählte Formulierung als unangemessen anzusehen sind, kann dies Grundlage für die Annahme der Befangenheit sein. Dies ist hier aber nicht der Fall. Dass das Oberverwaltungsgericht bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Auswahlentscheidung für ein besonders hochrangiges Amt in der Justiz die Ehe eines Bewerbers mit der Inhaberin einer weiteren Spitzenstelle auch unter den Gesichtspunkten der Fürsorge für den Antragsteller und der Gefährdung des Dienstbetriebs berücksichtigt, erscheint - auch in Ansehung des Kammerbeschlusses des Bundesverfassungsgerichts im vorvorliegenden Verfahren - rechtlich jedenfalls nicht unvertretbar. Eine sprachliche Unangemessenheit der gewählten Formulierung ist ebenfalls nicht erkennbar.

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4. Ist damit das Befangenheitsgesuch gegen Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. X zurückzuweisen, verfügt das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern wieder über drei nicht ausgeschlossene Richter, die in der Folge über die weiteren Befangenheitsanträge entscheiden können. Eine weitergehende Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht hat zu unterbleiben, weil die Voraussetzungen des § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 45 Abs. 3 VwGO mit dem vorliegenden Beschluss nicht mehr vorliegen.

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Ungeachtet dessen ergibt sich aus den vorstehenden Ausführungen zu II 3 b) und c), die auch die alleinigen vom Antragsteller gesehenen Gründe für eine Befangenheit auch von Richter am Oberverwaltungsgericht Z betreffen, dass bei diesem Richter eine solche Besorgnis ebenfalls nicht vorliegen dürfte.

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Mit Blick auf den vom Antragsteller gegen Richter am Verwaltungsgericht Y (zusätzlich) angeführten Befangenheitsgrund weist der Senat ebenfalls vorsorglich darauf hin, dass die spekulative und mit mehreren notwendigen Tatsachenunterstellungen arbeitende Hypothese, die eigenen (künftigen) Beförderungschancen dieses Richters könnten sich mittelbar verbessern, wenn der Beigeladene auf die streitgegenständliche Stelle befördert würde und Folgebeförderungen anderer Bewerber nach sich zöge, derart vage ist, dass sie bei Anlegung eines objektiven Maßstabs die Annahme der Befangenheit nicht begründen kann.

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