Urteil vom Bundesverwaltungsgericht (9. Senat) - 9 C 4/16
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich als betroffener Grundeigentümer gegen den Beschluss des Beklagten zur Einleitung des Flurbereinigungsverfahrens Südtangente Cloppenburg.
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Dem Einleitungsbeschluss liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
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Die Regierungsvertretung Oldenburg beantragte als zuständige Enteignungsbehörde bei dem Beklagten als der zuständigen Flurbereinigungsbehörde mit Schreiben vom 14. April 2010 die Einleitung eines Unternehmensflurbereinigungsverfahrens nach § 87 Abs. 1 FlurbG. Dabei ging es um den von der Stadt Cloppenburg geplanten Neubau der innerstädtischen Entlastungsstraße (Südtangente) Cloppenburg von der Bundesstraße B 213 (Europastraße E 233) im Westen bis zur Landesstraße L 836 im Osten. Zur Begründung hieß es im Wesentlichen: Der Landkreis Cloppenburg habe als zuständige Raumordnungsbehörde die Südtangente mit ihrem geplanten Trassenverlauf bereits in sein regionales Raumordnungsprogramm aufgenommen. Die Einleitung eines Planfeststellungsverfahrens solle ausweislich des Schreibens der Stadt Cloppenburg vom 2. März 2010 alsbald beim Landkreis Cloppenburg als der zuständigen Planfeststellungsbehörde beantragt werden. Die ca. 6,5 km lange Trasse solle im südlichen Bereich der Stadt Cloppenburg sowie im nördlichen Teil der Gemeinde Cappeln verlaufen. Das Vorliegen der enteignungsrechtlichen Voraussetzungen sei von ihr - der Enteignungsbehörde - in eigener Zuständigkeit zu prüfen. Vorliegend ergebe sich die Zulässigkeit der Enteignung aus § 42 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 38 NStrG. Die Stadt Cloppenburg als Straßenbaulastträgerin plane den Bau der Südtangente Cloppenburg gemeinsam mit der südlich angrenzenden Gemeinde Cappeln, es handele sich somit um ein gemeindliches Vorhaben. Der Feststellung der Zulässigkeit stehe nicht entgegen, dass ein Planfeststellungsbeschluss für die Südtangente noch nicht ergangen sei. Die Erforderlichkeit einer verkehrlichen Entlastung des derzeit bereits erheblich belasteten innerstädtischen Straßensystems erscheine plausibel. Dies wird näher ausgeführt.
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Im Oktober 2011 leitete der Landkreis Cloppenburg das Planfeststellungsverfahren zur Südtangente Cloppenburg ein. Daraufhin erließ der Beklagte am 21. August 2012 den streitgegenständlichen Beschluss, in dem zur Begründung auf das Antragsschreiben der Enteignungsbehörde und die inzwischen erfolgte Einleitung des Planfeststellungsverfahrens hingewiesen wird.
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Der Kläger erhob nach erfolglosem Widerspruchsverfahren Klage. Er trug im Wesentlichen vor, die Stadt Cloppenburg sei nicht für den geplanten Bau der Südtangente zuständig. Die geplante Straße sei keine Gemeinde- oder Gemeindeverbindungsstraße. Nach Ausbaustandard und Funktion habe sie vielmehr überregionalen Charakter, der zumindest einer Landesstraße entspreche. Zudem solle die Straße teilweise außerhalb des Gemeindegebiets der Stadt Cloppenburg verlaufen.
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Der Beklagte erwiderte, dass die Frage der Zuständigkeit des Unternehmensträgers nicht Gegenstand der Prüfung der Rechtmäßigkeit des Einleitungsbeschlusses sei, sondern dem Planfeststellungsverfahren vorbehalten bleibe.
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Mit Urteil vom 20. Oktober 2015 hat das niedersächsische Oberverwaltungsgericht - Flurbereinigungsgericht - die Klage abgewiesen: Die Voraussetzungen für die Anordnung der Unternehmensflurbereinigung seien in formeller und materieller Hinsicht gegeben, insbesondere sei die Enteignung aus besonderem Anlass zulässig. Mit dem Einwand der fehlenden Zuständigkeit der Stadt Cloppenburg mache der Kläger einen Fehler der Planfeststellung geltend, dessen Prüfung dem dafür vorgesehenen Planfeststellungsverfahren und gegebenenfalls der Anfechtung des Planfeststellungsbeschlusses vorbehalten bleibe. Die Flurbereinigungsbehörde sei hierfür nicht kompetent. Gleiches gelte für die Frage, ob die Zuständigkeit der Stadt Cloppenburg dadurch entfalle, dass die geplante Straße teilweise außerhalb ihres Gemeindegebiets verlaufe. Selbst wenn die Zulässigkeit der Enteignung im Hinblick auf die enteignungsrechtlichen Vorwirkungen des Einleitungsbeschlusses zumindest eine Evidenzprüfung durch die Flurbereinigungsbehörde erfordern würde, wären offenkundige tatsächlich oder rechtlich unausräumbare Hindernisse hier nicht erkennbar. Dies gelte umso mehr, als dasselbe Vorhaben auch auf eine andere Rechtsgrundlage gestützt oder auf einen anderen Träger umgestellt werden könnte. Eine Enteignung für das Vorhaben Südtangente Cloppenburg wäre bei einem anderen möglichen Träger nicht von vornherein unzulässig.
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Der Kläger hält mit seiner vom erkennenden Senat zugelassenen Revision an seiner Rechtsauffassung fest, dass die materiellen Voraussetzungen für die Anordnung der Unternehmensflurbereinigung nicht vorlägen. Eine bloße Evidenzprüfung sei nicht ausreichend. Vielmehr sei eine eingehendere inhaltliche Überprüfung notwendig. Die geplante Straße könne schlechterdings nicht als Gemeindestraße qualifiziert und dementsprechend nicht mit einem Planfeststellungsverfahren für eine Gemeindestraße geplant werden.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts - Flurbereinigungsgericht - vom 20. Oktober 2015 zu ändern und den Beschluss des Landesamtes für Geoinformation und Landentwicklung Niedersachsen über die Einleitung des Flurbereinigungsverfahrens Südtangente Cloppenburg vom 21. August 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31. Oktober 2013, berichtigt durch Bescheid vom 16. Januar 2014, aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Revision zurückzuweisen.
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Er verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Das Berufungsurteil steht nicht in jeder Hinsicht mit Bundesrecht in Einklang (§ 137 Abs. 1 VwGO) und erweist sich insoweit auch nicht im Ergebnis als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Da ergänzende Feststellungen getroffen werden müssen, ist das Urteil gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.
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Nach § 87 Abs. 1 Satz 1 FlurbG kann ein Unternehmensflurbereinigungsverfahren auf Antrag der Enteignungsbehörde eingeleitet werden, wenn aus besonderem Anlass eine Enteignung zulässig ist, durch die ländliche Grundstücke in großem Umfang in Anspruch genommen würden, und wenn der den Betroffenen entstehende Landverlust auf einen größeren Kreis von Eigentümern verteilt oder Nachteile für die allgemeine Landeskultur, die durch das Unternehmen entstehen, vermieden werden sollen. Dabei kann das Verfahren nach § 87 Abs. 2 Satz 1 FlurbG bereits angeordnet werden, wenn das Planfeststellungsverfahren oder ein entsprechendes Verfahren für das Unternehmen, zu dessen Gunsten die Enteignung durchgeführt werden soll, eingeleitet ist.
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Bei der Überprüfung des Einleitungsbeschlusses des Beklagten ist das Oberverwaltungsgericht von dem zutreffenden maßgeblichen Zeitpunkt ausgegangen (1), auch hat es zu Recht das Vorliegen eines ordnungsgemäßen Antrags der Enteignungsbehörde angenommen (2); hinsichtlich der weiteren materiellen Voraussetzung - der Zulässigkeit der Enteignung aus besonderem Anlass - (3) ist es aber von einem unvollständigen Prüfungsmaßstab ausgegangen (4).
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1. Das Oberverwaltungsgericht stellt als maßgeblichen Zeitpunkt für die rechtliche Überprüfung des Einleitungsbeschlusses nach § 87 Abs. 1 FlurbG zu Recht auf die letzte Behördenentscheidung ab. Da das materielle Recht besondere Regelungen für spätere Änderungen enthält, etwa eine Anpassung des Gebiets nach § 8 FlurbG, eine Einstellung des Verfahrens nach § 9 FlurbG infolge nachträglich eingetretener Umstände oder eine Fortführung des Verfahrens nach Maßgabe der §§ 1 und 37 oder des § 86 FlurbG, kommt es bei Anfechtungsklagen gegen die Einleitung eines Flurbereinigungsverfahrens auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses der letzten Behördenentscheidung an (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. März 1985 - 5 C 130.83 - BVerwGE 71, 108 <135>, insoweit nicht durch BVerfG, Urteil vom 24. März 1987 - 1 BvR 1046/85 - BVerfGE 74, 264 beanstandet, sowie OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28. Juni 2012 - 70 A 5.09 - juris Rn. 45).
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2. Das Oberverwaltungsgericht geht ebenfalls zutreffend davon aus, dass der Rechtmäßigkeit des Einleitungsbeschlusses nicht entgegen steht, dass die Enteignungsbehörde ihren Antrag auf Einleitung des Flurbereinigungsverfahrens bereits am 14. April 2010 und damit vor der Einleitung des Planfeststellungsverfahrens gestellt hat.
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Nach § 87 Abs. 2 Satz 1 FlurbG kann ein Unternehmensflurbereinigungsverfahrens bereits angeordnet werden, wenn das Planfeststellungsverfahren lediglich eingeleitet ist. Diese Voraussetzung lag hier vor, denn der Einleitungsbeschluss wurde am 21. August 2012 erlassen, nachdem das Planfeststellungsverfahren am 10. Oktober 2011 eingeleitet worden war. Der für den Einleitungsbeschluss nach § 87 Abs. 1 Satz 1 FlurbG erforderliche Antrag der Enteignungsbehörde lag ebenfalls vor. Dass dieser schon vor der Einleitung des Planfeststellungsverfahrens gestellt worden ist, ist rechtlich unbedenklich.
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Der Wortlaut des § 87 Abs. 2 Satz 1 FlurbG ist insoweit eindeutig. Er macht nur die Anordnung des Flurbereinigungsverfahrens, nicht jedoch die Antragstellung durch die Enteignungsbehörde von der Einleitung des Planfeststellungsverfahrens abhängig. Die Regelung soll es ermöglichen, den Zeitraum zwischen der Einleitung der Planfeststellung und ihrer Unanfechtbarkeit für die Flurbereinigung zu nutzen. Dem Gesetzgeber kam es darauf an, den Ablauf des Flurbereinigungsverfahrens mit dem des Unternehmens so abstimmen zu können, dass die Flurbereinigungsbehörde bei ihren Maßnahmen mit der Verwirklichung des Unternehmens Schritt halten kann (vgl. BT-Drs. 7/3020 S. 30). Den schutzwürdigen Interessen der Betroffenen wird durch § 87 Abs. 2 Satz 2 FlurbG Rechnung getragen. Danach dürfen die Bekanntgabe des Flurbereinigungsplans (§ 59 FlurbG) und die vorläufige Einweisung der Beteiligten in den Besitz der neuen Grundstücke (§ 65 FlurbG) erst vorgenommen werden, nachdem die Planfeststellung für das Unternehmen oder der entsprechende Verwaltungsakt unanfechtbar geworden oder für vollziehbar erklärt worden ist.
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In Anbetracht des beschriebenen Beschleunigungsgedankens und des Umstandes, dass Rechtsfolgen mit Außenwirkung, insbesondere die Veränderungssperre nach § 34 FlurbG, erst durch die Einleitung der Unternehmensflurbereinigung, nicht aber schon durch den Antrag auf Einleitung eines solchen Verfahrens ausgelöst werden, kann der Antrag auch schon vor Einleitung des Planfeststellungsverfahrens gestellt werden. Von diesem Verständnis geht auch der niedersächsische Durchführungserlass zum Flurbereinigungsgesetz in der hier anwendbaren Fassung vom 8. Februar 2007 (Az.: 306-61141 - Nds. MBl. 2007, 165, künftig niedersächsischer Durchführungserlass) aus. Denn dort heißt es in Nr. 1.3, der Antrag der Flurbereinigungsbehörde sei "rechtzeitig an die (...) Flurbereinigungsbehörde zu richten, damit das Flurbereinigungsverfahren unmittelbar nach Einleitung des vorhabensrechtlichen Planfeststellungsverfahrens angeordnet werden kann."
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3. Ein Rechtsverstoß ist dem Oberverwaltungsgericht aber hinsichtlich der weiteren materiellen Voraussetzung des § 87 Abs. 1 Satz 1 FlurbG (Zulässigkeit der Enteignung aus besonderem Anlass) unterlaufen. Dieses Tatbestandsmerkmal erfordert eine auf den Einzelfall bezogene Prüfung (a), die zunächst von der Enteignungsbehörde vorgenommen wird und im Falle eines Straßenprojekts die Prüfung der Zuständigkeit des Straßenbaulastträgers einschließt (b). Da aber erst dem Einleitungsbeschluss der Flurbereinigungsbehörde Außenwirkung zukommt, muss sie das Vorliegen der Enteignungsvoraussetzungen nach außen verantworten (c).
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a) Die Einleitung der Unternehmensflurbereinigung setzt nach § 87 Abs. 1 Satz 1 FlurbG voraus, dass aus besonderem Anlass eine Enteignung zulässig ist. Das ist keine grundstücksbezogene Prüfung. Eine solche Prüfung wäre im Rahmen der Einleitung des Unternehmensflurbereinigungsverfahrens weder möglich noch erforderlich, da es zu einer auf bestimmte einzelne Grundstücke bezogenen Enteignung (hier gemäß § 42 Abs. 1, 4 NStrG i.V.m. dem Niedersächsischen Enteignungsgesetz) im Rahmen der Unternehmensflurbereinigung gerade nicht kommt. Zwar entfaltet der Beschluss über die Einleitung der Unternehmensflurbereinigung seinerseits eine enteignungsrechtliche Vorwirkung, weil er abschließend und für das weitere Verfahren verbindlich über die Verwirklichung des Vorhabens unter Inanspruchnahme fremden Eigentums entscheidet (BVerfG, Urteil vom 24. März 1987 - 1 BvR 1046/85 - BVerfGE 74, 264 <279 ff., 282>; BVerwG, Urteil vom 29. Januar 2009 - 9 C 3.08 - BVerwGE 133, 118 Rn. 16 ff., 20 ff.; Wingerter/Mayr, FlurbG, 9. Aufl. 2013, Vorb. zu §§ 87-90 Rn. 2 ff.). Er dient aber der Vermeidung konkret projektbezogener Enteignungen durch ein Verfahren, in dem der Landverlust durch das Unternehmen auf einen größeren Kreis von Eigentümern verteilt werden soll (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. März 1985 - 5 C 130.83 - BVerwGE 71, 108 <123> insoweit nicht durch BVerfG a.a.O. beanstandet; BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1989 - 5 C 51.87 - BVerwGE 82, 205 <209 f.>; vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17. September 2003 - 8 D 35/01.G - juris Rn. 48).
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Wenngleich die Prüfung der Enteignungszulässigkeit nicht grundstücksbezogen erfolgt, so darf sie sich dennoch nicht darauf beschränken, ob der Zugriff auf die durch das Unternehmen betroffenen land- oder forstwirtschaftlichen Grundstücke außerhalb des Flurbereinigungsverfahrens im Wege der Enteignung abstrakt zulässig wäre. Eine derart eingeschränkte, nur auf das generelle Vorliegen eines gesetzlichen Enteignungstatbestandes abstellende Prüfung ließe den notwendigen konkreten Bezug zu den für das Vorhaben insgesamt benötigten Flächen vermissen und würde dem durch Art. 14 GG gewährleisteten Eigentumsschutz nicht gerecht. Erforderlich, aber auch ausreichend ist deshalb die Prüfung, ob für die im Einzelfall in Aussicht genommene Maßnahme außerhalb des Flurbereinigungsverfahrens eine Enteignung dem Grunde nach zulässig wäre (BVerwG, Urteil vom 14. März 1985 - 5 C 130.83 - BVerwGE 71, 108 <122 f.>).
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b) Ob die Enteignungsvoraussetzungen vorliegen, hat die Enteignungsbehörde zunächst in eigener Zuständigkeit zu prüfen (einhellige Meinung, vgl. nur Wingerter/Mayr, FlurbG, 9. Aufl. 2013, § 87 Rn. 4 m.w.N.). Dies erfasst auch und gerade die Frage, ob der Vorhabenträger für das von ihm konkret beantragte Vorhaben zuständig ist. Auch dem niedersächsischen Durchführungserlass liegt diese Annahme zugrunde (vgl. Nr. 1.1). Danach hat die Enteignungsbehörde zu prüfen, "für wen die Enteignung zulässig ist, denn nur der Träger der Maßnahme ist antragsberechtigt". Handelt es sich - wie im vorliegenden Fall - um ein Straßenprojekt, so erstreckt sich die Prüfung auf die Bestimmung des zuständigen Straßenbaulastträgers.
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Von diesem Verständnis ist die hier für die Prüfung zuständige Enteignungsbehörde in ihrem an die Flurbereinigungsbehörde gerichteten Einleitungsantrag ausgegangen. Sie hat ihre Entscheidung insoweit auf § 42 Abs. 1 und 2 NStrG gestützt. Danach ist eine Enteignung zugunsten des Trägers der Straßenbaulast der Landes- und Kreis- sowie Gemeindestraßen zulässig, soweit sie zur Durchführung eines nach § 38 NStrG festgestellten Plans notwendig ist. Zur Begründung der konkret angenommenen Zuständigkeit hat sich die Enteignungsbehörde im Wesentlichen auf die Feststellung beschränkt, die Stadt Cloppenburg plane als Straßenbaulastträgerin den Bau der Südtangente, es handele sich somit um ein gemeindliches Vorhaben.
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c) Die Feststellung der Zulässigkeit der Enteignung durch die Enteignungsbehörde hat indes nur interne Wirkung. Erst durch den Einleitungsbeschluss der Flurbereinigungsbehörde nach § 87 FlurbG ergeht eine anfechtbare Behördenentscheidung mit Außenwirkung, die eine inzidente Überprüfung dieser Feststellung ermöglicht (ebenso Wingerter/Mayr, FlurbG, 9. Aufl. 2013, § 87 Rn. 4). Dies bedeutet, dass die Flurbereinigungsbehörde das Vorliegen der Enteignungsvoraussetzung nach außen verantworten muss. Soweit der früheren Rechtsprechung eine andere Annahme zugrunde gelegen haben sollte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Juli 1982 - 5 B 34.81 - RzF Nr. 87 I S. 77 = elektronische Ausgabe RzF - 31 - zu § 87 Abs. 1 FlurbG), wird daran nicht festgehalten.
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Hat somit (auch) die Flurbereinigungsbehörde die Zulässigkeit der Enteignung zu überprüfen, kann sie sich doch im Regelfall an der begründeten Einschätzung der fachkundigen Enteignungsbehörde orientieren. Eine nachvollziehende Kontrolle ist regelmäßig ausreichend, allerdings auch geboten im Hinblick auf die oben bereits erwähnte enteignungsrechtliche Vorwirkung des Beschlusses über die Einleitung des Unternehmensflurbereinigungsverfahrens.
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Besonderes gilt in diesem Zusammenhang für die Zuständigkeit des Straßenbaulastträgers, dem (nur) zur Erfüllung seiner eigenen Aufgaben das Enteignungsrecht zusteht (§ 42 Abs. 1 Satz 1 NStrG). Einwendungen gegen die Baulastträgerschaft betreffen, wie vom Oberverwaltungsgericht zutreffend ausgeführt, in erster Linie die Planfeststellung; ihnen haben die Planfeststellungsbehörde und gegebenenfalls das Gericht im Rahmen der Anfechtung des Planfeststellungsbeschlusses nachzugehen. Insofern ist auch derjenige durch den Planfeststellungsbeschluss in seinem Eigentumsrecht betroffen, dessen Grundstück zwar nicht durch das geplante Vorhaben selbst in Anspruch genommen werden soll, aber in die Unternehmensflurbereinigung einbezogen worden ist (Wingerter/Mayr, FlurbG, 9. Aufl. 2013, § 87 Rn. 4 a.E. im Anschluss an VGH Mannheim, Urteil vom 16. Juli 1980 - 5 S 1004/80 - DÖV 1981, 925; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 29. Januar 2009 - 9 C 3.08 - BVerwGE 133, 118 Rn. 23). Eine diesbezügliche zusätzliche Vollkontrolle durch die Flurbereinigungsbehörde - und gegebenenfalls nachfolgend das Flurbereinigungsgericht - wäre von daher überschießend. Sie wäre mit dem Beschleunigungszweck des § 87 FlurbG nicht vereinbar und würde die Gefahr von Doppelprüfungen mit unterschiedlichen Ergebnissen hervorrufen. Gegen eine Vollkontrolle spricht darüber hinaus, dass die Einleitung des Flurbereinigungsverfahrens, wie oben dargelegt, bereits zu einem Zeitpunkt zulässig ist, in dem noch zahlreiche Veränderungen des Vorhabens möglich sind (vgl. § 87 Abs. 2 Satz 1 FlurbG). Auf der anderen Seite darf die Flurbereinigungsbehörde allerdings offenkundige Umstände, die schwerwiegende Zweifel an der Zuständigkeit des Straßenbaulastträgers begründen, nicht unberücksichtigt lassen. Andernfalls könnte die mit dem Einleitungsbeschluss verbundene Veränderungssperre (§ 34 FlurbG) unverhältnismäßig in das Eigentumsrecht der Betroffenen eingreifen.
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4. Dies zugrunde gelegt, sind dem Oberverwaltungsgericht bei der Prüfung der Zulässigkeit der Enteignung aus besonderem Anlass im Sinne des § 87 Abs. 1 Satz 1 FlurbG zwei Fehler unterlaufen, die zu einem Bundesrechtsverstoß führen.
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a) Es hat zum einen die Frage der Einstufung einer Straße und die hiermit verbundene Frage der Zuständigkeit des Vorhabenträgers von vornherein aus der Prüfungskompetenz der Flurbereinigungsbehörde ausgeklammert, obwohl ernstzunehmende Anhaltspunkte gegen das Vorliegen einer Gemeindestraße und damit gegen die Zulässigkeit der Enteignung aus besonderem Anlass im Sinne des § 87 Abs. 1 Satz 1 FlurbG vorlagen.
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Das Flurbereinigungsgericht ist bei seiner Prüfung von § 3 Abs. 1 NStrG, der die öffentlichen Straßen nach ihrer Verkehrsbedeutung in verschiedene Straßengruppen einteilt, und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg ausgegangen (Urteil vom 22. Februar 2012 - 7 LC 83/10 - NdsVBl. 2012, 212 f.; Beschluss vom 21. Dezember 2016 - 7 LB 70/14 - juris Rn. 59). Danach kommt es im Fall einer - wie hier - neu zu bauenden Straße vor allem darauf an, welchen Charakter der Verkehr aufweist, der sie voraussichtlich nutzen wird, daneben aber auch auf die Zweckbestimmung der Straße. Die subjektive Zielsetzung der planenden Behörde ist nur dann entscheidend, wenn sie in Einklang mit den objektiven Gegebenheiten steht. Hiervon ausgehend sprachen zum maßgeblichen Zeitpunkt eine Reihe von Gründen dagegen, dass es sich um eine Gemeindestraße handelt, für die die Stadt Cloppenburg Trägerin der Straßenbaulast ist (vgl. §§ 47, 48 NStrG); diesen Bedenken hätte die Flurbereinigungsbehörde bzw. - im Wege tatrichterlicher Würdigung bei der Anwendung von Landesrecht - das Flurbereinigungsgericht nachgehen müssen.
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So entsprechen die Ausbauparameter der geplanten Südtangente, die sich aus dem Erläuterungsbericht zur Planfeststellung ergeben, denen einer Landstraße mit regionaler Verbindungsfunktion entsprechend der Straßenkategorie LS III gem. RIN 2008. Ihrer Zweckbestimmung nach wird die Straße im Regionalen Raumordnungsprogramm 2005 (RROP) textlich und zeichnerisch als "regional bedeutsame Straße" dargestellt. Dabei besteht das Netz der vorhandenen regional bedeutsamen Straßen offenbar ausschließlich aus Landes- und Kreisstraßen (vgl. RROP S. 66). Schließlich ist auf die beabsichtigte Aufstufung zur Kreisstraße hinzuweisen, die bereits in derjenigen Fassung des Erläuterungsberichts zur Planfeststellung, die dem angefochtenen Einleitungsbeschluss zugrunde liegt, unter 6.1. (Kostenträger) erklärt wird.
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Auch wenn sich die (versäumte) Prüfung auf die Zuordnung zu einzelnen Straßenkategorien nach § 3 NStrG, also auf Landesrecht bezieht, liegt in dem fehlerhaften Verständnis des § 87 FlurbG - hier: in Bezug auf den Umfang der Prüfungspflicht der Flurbereinigungsbehörde - ein Bundesrechtsverstoß.
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b) Zum anderen ist das Oberverwaltungsgericht bei der von ihm hilfsweise vorgenommenen Evidenzprüfung zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Frage der Zuständigkeit des Vorhabenträgers ohne Weiteres ein ausräumbares Hindernis sei. Dies ist nicht der Fall. Nach dem hier einschlägigen niedersächsischen Landesstraßenrecht ist die zutreffende Klassifizierung einer geplanten Straße derart zwingend, dass der in einer Fehleinordnung liegende Planungsfehler grundsätzlich nicht nur zur Rechtswidrigkeit mit Heilungsmöglichkeit im ergänzenden Verfahren (§ 75 Abs. 1a VwVfG), sondern zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses führt (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 22. Februar 2012 - 7 LC 83/10 - NdsVBl. 2012, 212 <215>; Beschluss vom 21. Dezember 2016 - 7 LB 70/14 - juris Rn. 81 ff.). Sollte das Oberverwaltungsgericht bei erneuter Prüfung zu dem Ergebnis kommen, dass die Stadt Cloppenburg als Straßenbaulastträgerin (offensichtlich) unzuständig ist, wäre die bloß abstrakte Möglichkeit, ihr die Baulast irgendwann im Laufe des Verfahrens durch Vereinbarung zu übertragen (§ 45 Abs. 1, § 48 Satz 2 NStrG), für sich genommen zur Überwindung des Mangels nicht ausreichend. Ob konkrete Anhaltspunkte für den Abschluss einer gegebenenfalls erforderlichen - und nach Maßgabe des Landesrechts rechtmäßigen - Baulastvereinbarung bestehen, hat das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt.
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c) Da nach dem Vorstehenden noch entscheidungserhebliche Feststellungen fehlen, ist die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.
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5. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens ist der Schlussentscheidung vorzubehalten.
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Referenzen
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