Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht (10. Senat) - 10 B 4/17

Gründe

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Die Klägerin wendet sich gegen die Verpflichtung zur Auskehr des Erlöses aus der Veräußerung von 19 Grundstücksteilflächen, die aus den Alt-Flurstücken a, b und c der Flur A der Gemarkung "S." hervorgegangen sind. Die seinerzeit als Ackerflächen genutzten, im Eigentum des Landes Thüringen stehenden Alt-Flurstücke wurden spätestens 1952 unentgeltlich in Volkseigentum überführt. Nach mehrfacher Trennvermessung gingen sie jeweils mit Teilflächen in neue Flurstücke in der Rechtsträgerschaft der Klägerin ein. 1977 wurde für die betreffende Gemarkung ein Übersichtsplan zum "Komplexstandort Eigenheime, Arbeitersiedlung 'A.'" erstellt, der die Errichtung 117 typgleicher Einfamilien- und Doppelhäuser und eines Heizhauses sowie die Anlage eines Kinderspielplatzes und eines Parkplatzes vorsah. 1985 wurde für den "Standort S." eine Gesamtstädtische Planung des Neubaus von 350 Wohneinheiten im Zeitraum von 1986 bis 1990 vorgelegt. 1987 wurde ein Hauptfristenplan für die Vorbereitung des Wohnungsbaus auf Einzelstandorten des Kreises St. beschlossen, der für 1990 die Errichtung von 200 Wohneinheiten am "Komplexstandort A. und S." vorsah. Ende Juli 1990 wurde die Aufstellung eines Bebauungsplans beschlossen. Bis zum 3. Oktober 1990 wurden mehrere Einfamilienhäuser errichtet. Die jeweiligen Bauherren erwarben das Gebäudeeigentum; der Rat der Klägerin verlieh ihnen das Nutzungsrecht am Grundstück. In den 1990er Jahren wurden die neuen Flurstücke der Klägerin zugeordnet, ohne den Beigeladenen am Verfahren zu beteiligen. Die Klägerin veräußerte zahlreiche Flurstücke und vereinnahmte die Erlöse. 1995 beantragte der Beigeladene die Rückübertragung der aus den Alt-Flurstücken hervorgegangenen Teilflächen. Mit Bescheid vom 22. Januar 2015 übertrug das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen zwei unbebaute Teilflächen an den Beigeladenen zurück (Ziffer III. 1.) und lehnte die Rückübertragung einer weiteren Teilfläche ab, die zu einem bereits am 3. Oktober 1990 mit einem Eigenheim bebauten Grundstück gehörte (Ziffer III. 3.). Bezüglich weiterer 19 Teilflächen stellte es fest, deren Rückübertragung sei wegen rechtsgeschäftlicher Veräußerung ausgeschlossen. Die Klägerin sei zur Erlösauskehr oder - unter näher bestimmten Voraussetzungen - zur Zahlung eines dem höheren Verkehrswert entsprechenden Betrages an den Beigeladenen verpflichtet; Verbindlichkeiten gemäß §§ 1a und 11 Abs. 2 VZOG blieben unberührt (Ziffer III. 2.). Die Klägerin hat gegen Ziffer III. 2. des Bescheides Klage erhoben. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.

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Die dagegen erhobene Beschwerde, die sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO beruft und Verfahrensmängel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geltend macht, hat keinen Erfolg.

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1. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine bestimmte, höchstrichterlich noch ungeklärte und für die Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat (BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

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Die Frage:

"Steht der Umstand, dass auf Grundlage eines dinglichen Nutzungsrechtes errichtete Ein- und Zweifamilienhäuser in der DDR selbständig veräußerbar waren, der Anwendung des Rückgabeausschlusstatbestandes des § 11 Abs. 3 [richtig: Abs. 1] Satz 3 Nr. 1 [richtig: Nr. 2] VZOG - soweit es um 'komplexen Siedlungsbau' geht - entgegen?“

würde sich im angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen, weil das angegriffene Urteil diese Frage offen lässt. Es verneint einen Restitutionsausschluss unabhängig davon mit der Erwägung, die verfahrensgegenständlichen Teilflächen seien am Stichtag des 3. Oktober 1990 weder in einen bereits realisierten städtebaulichen Zusammenhang aus Wohnbauten und sonstiger, dem gemeinschaftlichen Wohnen dienender Grundstücksnutzung einbezogen gewesen, noch habe zu diesem Stichtag eine konkrete Ausführungsplanung vorgelegen, da eine verbindliche Investitionsentscheidung nicht belegbar sei.

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Die weitere Frage:

"Ist der Begriff der 'konkreten Ausführungsplanung' unter Berücksichtigung der Rechtslage und der Verhältnisse in der DDR für die Verwendung im 'komplexen Wohnungsbau' und für die Verwendung im 'komplexen Siedlungsbau' identisch auszulegen oder sind im Hinblick darauf, dass 'komplexe Wohnungsbauten' durch staatliche Stellen und dem 'komplexen Siedlungsbau' zuzuordnende Eigenheime durch die Bürger finanziert und errichtet wurden, unterschiedliche Anforderungen an das Tatbestandsmerkmal 'konkrete Ausführungsplanung' zu stellen?"

verleiht der Rechtssache ebenfalls keine grundsätzliche Bedeutung. Sie ist ohne weiteres anhand der üblichen Auslegungskriterien und unter Berücksichtigung der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung aus dem Gesetz zu beantworten, und zwar im Sinne einer einheitlichen Auslegung des Tatbestandsmerkmals der konkreten Ausführungsplanungen, gleich ob dieses komplexe Wohnungs- oder Siedlungsbauvorhaben betrifft.

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§ 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 Alt. 1 und 2 VZOG schließen eine Rückübertragung von Vermögensgegenständen aus, wenn diese am 3. Oktober 1990 im komplexen Wohnungsbau oder Siedlungsbau verwendet wurden oder wenn konkrete Ausführungsplanungen dafür vorlagen. Nach dem Wortlaut und der Systematik der Vorschrift gelten beide Tatbestandsalternativen für den (Geschoss-) Wohnungsbau wie für den (Ein- und Zweifamilienhaus-) Siedlungsbau gleichermaßen, ohne dass es auf Unterschiede in der Finanzierung und Ausführung der jeweiligen Wohngebäude ankäme. Auch die Gesetzesmaterialien enthalten keine Anhaltspunkte für eine Differenzierung nach diesen Kriterien. Vielmehr spricht die amtliche Begründung des Gesetzentwurfs vom 12. August 1993 zusammenfassend vom Siedlungs- und Wohnungsbau (BT-Drs. 12/5553 S. 170 zu Nr. 2). Eine einheitliche Auslegung entspricht auch dem Normzweck. § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 VZOG regelt einen Fall der Unmöglichkeit der Restitution wegen einer Änderung der Nutzung oder Zweckbestimmung des Vermögenswertes, die im öffentlichen Interesse aufrecht erhalten werden soll (BVerwG, Urteil vom 30. September 1999 - 3 C 35.98 - Buchholz 428.2 § 11 VZOG Nr. 24 S. 9 f.). Ebenso wie § 5 Abs. 1 Buchst. c VermG setzen § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 Alt. 1 und 2 VZOG eine Einbeziehung des Vermögenswertes in eine planerische und städtebauliche Einheit voraus, die nicht durch das Herauslösen des Grundstücks oder Gebäudes gefährdet oder zerstört werden soll (vgl. BT-Drs. 12/5553 S. 169; Eckwert Nr. 3 Buchst. a der Gemeinsamen Erklärung der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zur Regelung offener Vermögensfragen vom 15. Juni 1990, Anlage lII zum Einigungsvertrag vom 31. August 1990, BGBl. I S. 889 <1237>). Eine solche Einheit liegt im Siedlungs- wie im Wohnungsbau nur vor, wenn ein über die gemeinsame Planung, Errichtung und Erschließung hinausgehender, das Ende der Baumaßnahmen überdauernder gesteigerter städtebaulicher Zusammenhang aus Wohnbauten und sonstiger, dem gemeinschaftlichen Wohnen dienender Grundstücksnutzung besteht, der vernünftigerweise nicht trennbar ist (BVerwG, Urteil vom 10. Juni 1998 - BVerwG 7 C 27.97 - Buchholz 428 § 5 VermG Nr. 16 S. 42 f.; Beschluss vom 28. Februar 2006 - 8 B 89.05 - Buchholz 428 § 5 VermG Nr. 46 Rn. 7).

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Der Verwendung des Vermögenswertes im komplexen Wohnungs- oder Siedlungsbau (§ 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 Alt. 1 VZOG) stellt die zweite Tatbestandsalternative das Vorliegen einer konkreten Ausführungsplanung für eine solche Verwendung gleich. Dies soll die kontinuierliche Fortführung und Realisierung von Vorhaben ermöglichen, deren Verwirklichung nach dem Recht der DDR nichts mehr entgegenstand. Von einer konkreten Ausführungsplanung kann deshalb erst gesprochen werden, wenn die zur Verwirklichung erforderlichen Entscheidungen einschließlich der Investitionsentscheidungen bereits verbindlich getroffen worden waren (BVerwG, Urteil vom 10. Juni 1998 - 7 C 27.97 - a.a.O.; Beschluss vom 11. September 2001 - 3 B 75.01 - Buchholz 111 Art. 22 EV Nr. 32 S. 8 f.). Das gilt nicht nur für den komplexen Wohnungsbau, sondern ebenso für den komplexen Siedlungsbau. Selbst bei privater Gebäudefinanzierung waren Investitionsentscheidungen dort jedenfalls zur Errichtung der Gemeinschaftseinrichtungen und gemeinsam zu nutzenden Anlagen erforderlich, deren gesteigerter städtebaulicher Zusammenhang mit den Wohnbauten den Restitutionsausschluss erst begründet.

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Die dritte Frage:

"Lässt der Beginn der Errichtung von Eigenheimen durch die Bürger den zwingenden Rückschluss auf das Vorhandensein konkreter Ausführungsplanung 'komplexer Siedlungsbau' im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 VZOG zu?“

ist auf der Grundlage der dargestellten Rechtsprechung zu § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 VZOG ohne weiteres zu verneinen. Der Beginn des Eigenheimbaus kann allenfalls Rückschlüsse auf die Gebäudefinanzierung zulassen, zwingt jedoch nicht zu der Schlussfolgerung, die für die konkrete Ausführungsplanung erforderliche verbindliche Investitionsentscheidung bezüglich der Gemeinschaftseinrichtungen oder gemeinsam zu nutzenden Anlagen liege bereits vor.

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2. Die Verfahrensrüge gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision.

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a) Das angegriffene Urteil verletzt nicht das Recht der Klägerin auf rechtliches Gehör. Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO verpflichten das Gericht, aus seiner Sicht entscheidungserhebliches Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, nicht jedoch dazu, sich deren Rechtsauffassung anzuschließen (stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. Juni 1987 - 1 BvR 313/85 - BVerfGE 75, 369 <381 f.>; BVerwG, Beschluss vom 30. September 2009 - 7 C 15.09 - juris Rn. 2). Das Verwaltungsgericht hat den Vortrag der Klägerin, es handele sich um die Verwirklichung eines Komplexstandortes in zwei Bauabschnitten mit Gemeinschaftsanlagen in nur einem Bauabschnitt, ebenso zur Kenntnis genommen und erwogen wie deren Vorbringen zum Beginn des Eigenheimbaus vor dem 3. Oktober 1990. Das zeigen die Urteilserwägungen zum "Komplexstandort A./S.“, der das gesamte Areal umfasse, und zur sukzessiven Bebauung des Geländes. Nach der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts ergab sich aus diesen Umständen jedoch weder ein gesteigerter städtebaulicher Zusammenhang noch das Vorliegen einer entsprechenden konkreten Ausführungsplanung zum maßgeblichen Stichtag. Der gesteigerte städtebauliche Zusammenhang erforderte seines Erachtens eine besondere Zuordnung von Gemeinschaftseinrichtungen zu den bereits mit Eigenheimen bebauten Parzellen; eine solche Zuordnung verneinte das Verwaltungsgericht. Außerdem nahm es an, eine konkrete Ausführungsplanung setze eine verbindliche Investitionsentscheidung voraus. Deren Vorliegen hielt es für nicht erwiesen.

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b) Die dagegen erhobene Rüge einer Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes ist nicht hinreichend substantiiert (§ 108 Abs. 1 VwGO, § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Die Kritik der Klägerin an der Auslegung und Anwendung des Tatbestandsmerkmals der konkreten Ausführungsplanung richtet sich gegen materiell-rechtliche Urteilserwägungen, die nicht mit der Verfahrensrüge angegriffen werden können. Der Einwand, eine verbindliche Investitionsentscheidung sei dem Hauptfristenplan 1987 zu entnehmen oder jedenfalls aus dem Beginn des Eigenheimbaus zu schließen, betrifft die vorinstanzliche Sachverhalts- und Beweiswürdigung, die grundsätzlich ebenfalls dem materiellen Recht zuzuordnen ist. Als Verfahrensfehler in Betracht kommende, denkgesetzwidrige tatsächliche Schlussfolgerungen zeigt die Klägerin nicht auf. Es ist weder denklogisch ausgeschlossen noch sonst willkürlich, aus dem Hinweis des Hauptfristenplans 1987, die staatlichen Wohnungsbaumaßnahmen - auch - am Komplexstandort "A." seien "materiell und finanziell zu untersetzen", auf das Ausstehen einer verbindlichen Investitionsentscheidung zu schließen.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 i.V.m. § 162 Abs. 3 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 6 Abs. 3 Satz 1 VZOG nicht erhoben.

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