Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht (7. Senat) - 7 B 3/17
Gründe
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I
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Die Klägerin, eine Gemeinde, wendet sich gegen eine abfallrechtliche Verfügung, mit der ihr aufgegeben wurde, von ihr im Bereich zweier Waldwege aufgebrachten Bauschutt aus einem Gebäudeabbruch und Asphaltfräsgut, das bei Straßenbauarbeiten angefallen ist, aufzunehmen und anschließend zu entsorgen. Das Verwaltungsgericht wies die Klage als unbegründet ab, soweit sich die Verfügung auf den einen Weg bezieht. Soweit der andere Weg betroffen war, stellte es das Verfahren nach übereinstimmender Erledigungserklärung ein und hob die Kosten insoweit gegeneinander auf. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Sie sei unzulässig, soweit die Klägerin sich gegen die Kostenentscheidung hinsichtlich des übereinstimmend für erledigt erklärten Teils wende; in diesem Umfang sei die Kostenentscheidung unanfechtbar. Soweit zulässig, sei die Berufung unbegründet. Der Beklagte habe zu Recht die Klägerin, die das Material vermischt und auf den Weg aufgebracht habe, als Abfallerzeugerin herangezogen. Es sei demgegenüber nicht mehr nachvollziehbar, ob die Klägerin belastetes Fräsgut, das bei Straßenbauarbeiten des beigeladenen Landes angefallen sei, verbaut habe.
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Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.
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II
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Die auf alle Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
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1. Mit der Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) dringt die Klägerin nicht durch.
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a) Zu Unrecht rügt die Klägerin, das Oberverwaltungsgericht habe den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verletzt, indem es unter Verstoß gegen seine richterliche Hinweispflicht (§ 86 Abs. 3 VwGO) eine unzulässige Überraschungsentscheidung getroffen habe.
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Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs soll sicherstellen, dass ein Verfahrensbeteiligter Einfluss auf den Gang des gerichtlichen Verfahrens und dessen Ausgang nehmen kann. Zu diesem Zweck muss er Gelegenheit erhalten, sich zu allen Tatsachen und Rechtsfragen zu äußern, die für die Entscheidung erheblich sein können. Zwar korrespondiert mit diesem Äußerungsrecht keine umfassende Frage- und Hinweispflicht des Gerichts. Vielmehr kann regelmäßig erwartet werden, dass die Beteiligten von sich aus erkennen, welche rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte Bedeutung für den Fortgang des Verfahrens und die abschließende Sachentscheidung des Gerichts erlangen können, und entsprechend vortragen. Der Schutz vor einer Überraschungsentscheidung verbietet es aber, dass das Gericht auf einen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens und unter Berücksichtigung der Vielfalt der vertretenen Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 15. November 2012 - 7 C 1.12 - [insoweit in Buchholz 404 IFG Nr. 10 nicht abgedruckt] juris Rn. 16, 18 und vom 31. Juli 2013 - 6 C 9.12 - Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 180 Rn. 38 jeweils m.w.N.). Die Garantie des rechtlichen Gehörs kann deshalb auch dann verletzt sein, wenn das Gericht im Laufe des Verfahrens seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs in hinreichend eindeutiger Weise zu erkennen gegeben hat und dann - ohne vorherigen Hinweis - von dieser wieder abrückt, so dass den Prozessbeteiligten ein Vortrag zur geänderten Auffassung nicht mehr möglich ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Juli 2016 - 7 B 26.15 - AbfallR 2016, 250
m.w.N.).
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Hiernach ist eine Überraschungsentscheidung nicht dargetan. Das Oberverwaltungsgericht war vor Erlass des angegriffenen Urteils nicht gehalten, ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass es sich hinsichtlich der Frage, ob der Beigeladene Erzeuger des von der Klägerin zum Wegebau gegebenenfalls benutzten kontaminierten Straßenabbruchmaterials sei, noch keine - jedenfalls vorläufige - Überzeugung gebildet habe. Das Oberverwaltungsgericht hat zuvor nicht zu erkennen gegeben, dass es in dieser Hinsicht bereits festgelegt sei und die Urheberschaft des Beigeladenen nicht in Zweifel ziehen werde.
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Der Zulassungsbeschluss gibt hierfür nichts her. Er sieht zwar ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils wegen der dortigen Ausführungen zur Störerauswahl. Diese gehen davon aus, dass der Beigeladene Abfallerzeuger sei. Eine Bindung an die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts gibt es im Berufungsverfahren aber nicht (§ 128 VwGO). Unbeachtlich ist des Weiteren, dass die Klägerin und der Beklagte in einem ersten Erörterungstermin vor der Berichterstatterin des Oberverwaltungsgerichts am 16. Juni 2015 übereinstimmend davon ausgegangen sind, das mitverbaute Asphaltfräsgut stammte aus Straßenbaumaßnahmen des Beigeladenen und sei kontaminiert gewesen. Denn die Beteiligten können nicht über die dem Gericht vorbehaltene Sachverhaltswürdigung disponieren. Darüber hinaus ist auch das faktische Gewicht einer solchen gemeinsamen Sichtweise für die Bewertung des Prozessstoffs durch das Gericht jedenfalls dann merklich gemindert, wenn sich die übereinstimmende Würdigung des Sachverhalts letztlich der Sache nach als Einigung zu Lasten des Beigeladenen darstellt, der damals noch nicht am Verfahren beteiligt war. Nach erfolgter Beiladung hat sich der Beigeladene dieser Bewertung gerade nicht angeschlossen (siehe Schriftsatz vom 8. Dezember 2015, GA Bd. III Bl. 534 ff.). Soweit die Klägerin ausführt, dass die Berichterstatterin des Oberverwaltungsgerichts im zweiten Erörterungstermin am 2. November 2016 bei den Überlegungen zu einer vergleichsweisen Beilegung des Rechtsstreits unter Einbeziehung der Beigeladenen wiederum von dessen Eigenschaft als Abfallerzeuger ausgegangen sei, liegt auch darin kein Ansatzpunkt für ein schutzwürdiges Vertrauen in einen Fortbestand dieser Einschätzung. Denn die Klägerin trägt selbst vor, dass die Berichterstatterin nach Scheitern der Vergleichsbemühungen ausdrücklich darauf hingewiesen habe, dass es - nur dann - zu einer neuen Störerauswahl kommen werde, wenn der Senat ihr folgen werde.
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Aufgrund der Erörterungen in der mündlichen Verhandlung konnte sich die Klägerin ebenso wenig in der Gewissheit wiegen, dass das Oberverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung davon ausgehen werde, der Beigeladene sei Abfallerzeuger. Ausweislich der Sitzungsniederschrift ist die Frage, welches Material bei der Klägerin zwischengelagert und welches von dort ordnungsgemäß entsorgt worden ist, nochmals erörtert worden. Aus dem Hinweis, die Frage der Störerauswahl könne sich wegen der Vermischung des Asphaltfräsguts anders als bislang erwogen stellen, war nicht zu entnehmen, dass das Oberverwaltungsgericht sich hinsichtlich der Frage, ob der Beigeladene Abfallerzeuger sei, festgelegt hatte. Entsprechendes gilt für die Anregung, das Verfahren vergleichsweise zum Abschluss zu bringen; denn einem Vergleichsvorschlag liegen abschließende Bewertungen in aller Regel gerade nicht zugrunde. Schließlich konnte auch die von der Klägerin behauptete - vom Beigeladenen allerdings bestrittene - Nachfrage des Vorsitzenden nach den Gründen, aus denen der Beigeladene das seine Klage abweisende Urteil in dem den anderen Weg betreffenden Verfahren hat rechtskräftig werden lassen, nicht den Schluss zulassen, das Oberverwaltungsgericht habe sich hinsichtlich der hier in Rede stehenden Wegeabschnitte bereits eine abschließende Meinung gebildet.
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b) Die Klägerin zeigt auch nicht auf, dass das Oberverwaltungsgericht seiner Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 VwGO) nicht nachgekommen ist.
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Eine Aufklärungsrüge erfordert die substantiierte Darlegung, welche Tatsachen auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des Oberverwaltungsgerichts aufklärungsbedürftig waren, welche für erforderlich oder geeignet gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht kamen, welche tatsächlichen Feststellungen dabei voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern das unterstellte Ergebnis zu einer dem Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätte führen können. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, durch einen unbedingten Beweisantrag oder jedenfalls eine sonstige Beweisanregung hingewirkt worden ist und die Ablehnung der Beweiserhebung im Prozessrecht keine Stütze findet, oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 28. Mai 2013 - 7 B 46.12 - juris Rn. 4 und vom 14. Januar 2016 - 7 B 19.15 - ZUR 2016, 286 Rn. 4 m.w.N.). Das leistet die Klägerin nicht.
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Die Klägerin benennt zum Beweis der Tatsache, dass der Beigeladene Abfallerzeuger des verbauten Fräsguts sei, das Zeugnis ihres Bürgermeisters. Er könne bekunden, dass ihm seitens des Straßenbauamts des Beigeladenen erklärt worden sei, die Straßenabbruchmaterialien könnten unbedenklich eingebaut werden. Es ist indessen nicht dargetan, dass sich eine solche Beweiserhebung aufdrängen musste. Denn das Oberverwaltungsgericht hat diesen Vortrag, auf den die Klägerin sich bereits im Laufe des Gerichtsverfahrens bezogen hatte, wie auch das Vorbringen der übrigen Beteiligten in seinen Urteilsgründen gewürdigt und ist zum Schluss gekommen, dass sich die Vorgänge vor dem Einbau des Materials auf den Waldwegen aufgrund widerstreitender Aussagen nicht mehr verlässlich aufklären ließen. Weitere Bemühungen um Sachverhaltsaufklärung musste das Oberverwaltungsgericht auch nicht insbesondere deswegen für geboten erachten, weil der Bürgermeister der Klägerin im Strafverfahren vom Vorwurf des fahrlässigen unerlaubten Umgangs mit gefährlichen Abfällen freigesprochen worden war und das Strafgericht dabei Feststellungen getroffen hatte, die mit den genannten Bekundungen übereinstimmen. Eine grundsätzliche Bindung an Tatsachenfeststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils, von denen sich die Verwaltungsgerichte nur unter besonderen Voraussetzungen lösen können und auch müssen, ist hier - anders als etwa im Disziplinarrecht (vgl. hierzu etwa BVerwG, Beschluss vom 25. Januar 2016 - 2 B 34.14 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr. 75 Rn. 37) - weder gesetzlich normiert, noch ist eine ansatzweise vergleichbare Konstellation gegeben. Denn vorliegend geht es nicht darum, dass ein bestimmtes Verhalten des Betroffenen strafrechtlich gewürdigt wird und zugleich Anknüpfungspunkt für eine seine Person treffende ordnungsrechtliche Sanktion ist (siehe etwa BVerwG, Beschluss vom 6. März 2003 - 3 B 10.03 - juris Rn. 2).
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2. Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten Abweichung des angefochtenen Urteils von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zuzulassen.
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Die Beschwerde stellt nicht - wie geboten - divergierende Rechtssätze gegenüber, sondern bemängelt - ausdrücklich oder jedenfalls der Sache nach - eine unzutreffende Anwendung von in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten rechtlichen Maßstäben. Allein dies begründet noch keine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 28. Mai 2013 - 7 B 39.12 - juris Rn. 8 m.w.N.).
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3. Der Rechtssache kommt schließlich auch keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu. Die Klägerin benennt lediglich einige auf das Verfahrensrecht und das materielle Recht bezogene Fragenkreise, ohne konkrete fallübergreifend klärungsfähige und klärungsbedürftige Rechtsfragen herauszuarbeiten.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht nicht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären, weil dieser keinen Antrag gestellt und sich damit auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
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Referenzen
- VwGO § 86 2x
- VwGO § 154 1x
- VwGO § 132 4x
- VwGO § 128 1x
- § 52 Abs. 1 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 162 1x
- VwGO § 108 1x