Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht (1. Senat) - 1 B 5/18
Gründe
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Die auf die Zulassungsgründe der Grundsatzbedeutung (1) und der Divergenz (2) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
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1. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (BVerwG, Beschlüsse vom 1. April 2014 - 1 B 1.14 - AuAS 2014, 110 und vom 10. August 2016 - 1 B 82.16 - juris Rn. 3).
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Die Beschwerde wendet sich dagegen, dass nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts der Verpflichtete aus einer Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG, die er zugunsten zweier syrischer Staatsangehöriger eingegangen ist, vom Beklagten nicht zur Erstattung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung herangezogen werden kann.
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a) In diesem Zusammenhang hält die Beschwerde für grundsätzlich klärungsbedürftig,
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"ob die in § 68 Absatz 1 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) enthaltenen Tatbestandsmerkmale 'sämtliche öffentlichen Mittel ... , die für den Lebensunterhalt des Ausländers einschließlich ... der Versorgung im Krankheitsfalle und bei Pflegebedürftigkeit aufgewendet werden' entsprechend dem Bezug zum jeweiligen Leistungssystem auszulegen sind und daher in den jeweiligen Leistungssystemen unterschiedliche Bedeutung haben können oder ob Aussagen in einer Verpflichtungserklärung zum Umfang der Haftung eines Verpflichtungsgebers (Haftungsfreistellung für Kosten bei Krankheit und Pflegebedürftigkeit), die mit Bezug auf das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) gemacht wurden, bei der Beurteilung der Haftung nach § 68 AufenthG für Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Zweites Buch Sozialgesetzbuch - SGB II) Bedeutung haben können".
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Die aufgeworfenen Fragen rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision. Denn sie können bereits anhand des Gesetzes unter Berücksichtigung der anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden.
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Schon aus dem Gesetzeswortlaut des § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ergibt sich, dass der Verpflichtete sämtliche öffentlichen Mittel zu erstatten hat, die für den Lebensunterhalt des Ausländers aufgewendet werden. Als erstattungspflichtig werden im Gesetz ausdrücklich auch aufgewendete Mittel zur Versorgung im Krankheitsfall und bei Pflegebedürftigkeit genannt. Das können für Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 AufenthG Leistungen bei Krankheit nach § 4 AsylbLG und bei Beziehern von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitslose nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) - wie hier im Streit - Beitragszahlungen zur Kranken- und Pflegeversicherung sein. Das Berufungsgericht hat die abgegebene Verpflichtungserklärung des Klägers ohne Verstoß gegen allgemeine Erfahrungssätze, Denkgesetze oder Auslegungsregeln dahin ausgelegt, dass sie die Haftung für Kosten, die für die Versorgung im Krankheitsfall und bei Pflegebedürftigkeit aufgewendet werden müssen, dem Grunde nach erfasst.
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b) Die Revision kann auch nicht hinsichtlich der des Weiteren als rechtsgrundsätzlich aufgeworfenen Frage zugelassen werden,
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"ob die Nichtbeachtung von Vorgaben eines Landes (Streichung der im Musterformular enthaltenen Aussagen zur Haftung für die Versorgung im Krankheits- und Pflegefall) bei Leistungen nach dem SGB II zu einer von der gesetzlichen Grundkonzeption des § 68 AufenthG abweichenden atypischen Fallgestaltung führt (Folge: Ermessensentscheidung über die Inanspruchnahme des Verpflichtungsgebers), wenn die Vorgaben insoweit weder mit dem Inhalt des Landesaufnahmeprogramms (LAP) nach § 23 Absatz 1 AufenthG noch mit dem hierzu ergangenen Einvernehmen des Bundes (Bundesministerium des Innern) übereinstimmten".
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Diesbezüglich ist in der von dem Oberverwaltungsgericht in Bezug genommenen höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt, dass das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und das Gebot, bei der Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten (vgl. § 6 Abs. 1 HGrG), in der Regel verlangen, dass der Verpflichtete im Regelfall zur Erstattung heranzuziehen ist, ohne dass es dahingehender Ermessenserwägungen bedürfte, dass indes von dieser Regel bei Vorliegen atypischer Gegebenheiten abgewichen werden kann. Während typischerweise von einem Regelfall auszugehen ist, wenn die Voraussetzungen des Aufenthaltstitels einschließlich der finanziellen Belastbarkeit des Verpflichteten im Verwaltungsverfahren voll und individuell geprüft worden sind und nichts dafür spricht, dass die Heranziehung zu einer unzumutbaren Belastung des Verpflichteten führen könnte, ist ein Ausnahmefall anzunehmen, wenn eine wertende Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls ergibt, dass die strikte Gesetzesanwendung Folgen zeitigte, die vom Gesetzgeber nicht gewollt sind und mit den Grundsätzen der Gerechtigkeit und der Verhältnismäßigkeit, insbesondere der Rücksichtnahme auf die individuelle Leistungsfähigkeit nicht vereinbar wären. Im Übrigen ist unter Würdigung vornehmlich der Umstände, unter denen die jeweilige Verpflichtungserklärung abgegeben worden ist, zu klären, ob die Heranziehung zur vollen Erstattung der Aufwendungen gemäß § 68 AufenthG namentlich im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt ist oder ob es weiterer Erwägungen bedarf, um zu einem angemessenen Interessenausgleich zu gelangen (BVerwG, Urteil vom 24. November 1998 - 1 C 33.97 - BVerwGE 108, 1 <17 ff.>). Die Beschwerde legt nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dar, dass mit Blick auf die vorstehenden Grundsätze erneuter oder zusätzlicher rechtsgrundsätzlicher Klärungsbedarf besteht. Sie zeigt insbesondere nicht schlüssig auf, dass der Frage ungeachtet der Problematik, ob sie im Lichte der gebotenen Abwägung der Umstände des konkreten Einzelfalles überhaupt einer rechtsgrundsätzlichen Klärung in der angestrebten Weise zugänglich ist, fallübergreifende Bedeutung zukommt, sie also über den vorliegenden Einzelfall hinaus für eine Vielzahl von Fällen bedeutsam ist. Der bloße Hinweis, es sei davon auszugehen, dass diese Konstellation häufig vorkomme, genügt hierfür nicht. Unabhängig davon bestimmt sich der Inhalt der gegenüber einer bestimmten Behörde abgegebenen Verpflichtungserklärung gemäß den §§ 133, 157 BGB nach dem Empfängerhorizont (hier dem der Ausländerbehörde). Nimmt diese eine Verpflichtungserklärung entgegen, die nach der tatrichterlichen Würdigung (eindeutig) die Haftung für bestimmte Leistungen ausschließt, ist die Erklärung auch nur mit diesem Inhalt wirksam geworden. Dies gilt auch dann, wenn in der Erklärung die Erstattungspflicht zulasten eines anderen Rechtsträgers (hier: der Bundesagentur für Arbeit) sachlich und/oder zeitlich eingeschränkt worden ist (s.a. Beschluss vom 14. März 2018 - 1 B 9.18 - Rn. 6).
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2. Die Revision ist auch nicht wegen Divergenz gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen. Eine Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts oder eines anderen in der Vorschrift genannten Gerichts aufgestellten ebensolchen entscheidungstragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Die nach Auffassung des Beschwerdeführers divergierenden Rechtsätze müssen einander präzise gegenübergestellt werden (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 17. Dezember 2010 - 8 B 38.10 - ZOV 2011, 45 und vom 17. Februar 2015 - 1 B 3.15 - juris Rn. 7). Allein das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen eines der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge nicht. Auch diesen Anforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht.
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Es mag auf sich beruhen, ob mit der Beschwerde davon auszugehen ist, dass den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 26. Januar 2017 (- 1 C 10.16 - BVerwGE 157, 208 Rn. 38)
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"Die Belastung des Verpflichtungsgebers ... mit den hier geltend gemachten Kosten ist auch nicht deshalb unverhältnismäßig, weil die Aufnahme syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge auf der Grundlage entsprechender Aufnahmeanordnungen auch öffentlichen Interessen diente. ... Denn der spezifischen staatlichen Mitverantwortung in Bürgerkriegssituationen ist durch eine Haftungsbegrenzung in den Verpflichtungserklärungen bereits hinreichend Rechnung getragen."
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Rechtssatzcharakter beizumessen ist. Jedenfalls ist dem angefochtenen Urteil des Oberverwaltungsgerichts ein hiervon abweichender entscheidungstragender Rechtssatz des Inhalts,
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"dass jede - gegebenenfalls nur dem Wortlaut nach bestehende - Differenz zwischen dem LAP und/oder den entsprechenden landesinternen Anordnungen und Weisungen und/oder der konkreten Verpflichtungserklärung bereits dazu führt, dass abweichend vom Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes die Inanspruchnahme eines Verpflichtungsgebers nach § 68 AufenthG einer Ermessensentscheidung unterliegt,"
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nicht zu entnehmen. Das Oberverwaltungsgericht führt - wie von der Beschwerde wiedergegeben - anknüpfend an die vorstehenden Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts aus, ein Ausnahmefall liege vor, weil die Ausländerbehörde der Stadt L. die dem Kläger abgenommenen Verpflichtungserklärungen abweichend von den landesrechtlichen Vorgaben formuliert habe mit der Folge, dass diese eine in der Aufnahmeanordnung des Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen ausdrücklich nicht vorgesehene Erstattungspflicht für Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft, Geburt, Behinderung und Pflegebedürftigkeit nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch enthielten. Damit sei die nach der Aufnahmeanordnung wegen der staatlichen Mitverantwortung in Bürgerkriegssituationen beabsichtigte Lastenverteilung im Einzelfall des Klägers entgegen den Vorgaben der landesweit geltenden Regelungen verfehlt und dem Kläger eine nach dem maßgeblichen Willen des Landes nicht gewollte Belastung auferlegt worden. Bei dieser Würdigung handelt es sich um die Subsumtion des Sachverhalts unter die vorstehenden Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts und nicht um die Formulierung eines Rechtssatzes.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts (509,55 € + 339,70 €) ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.
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Referenzen
- VwGO § 132 3x
- § 23 Absatz 1 AufenthG 1x (nicht zugeordnet)
- § 52 Abs. 3 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 157 Auslegung von Verträgen 1x
- BGB § 133 Auslegung einer Willenserklärung 1x
- § 23 AufenthG 1x (nicht zugeordnet)
- HGrG § 6 Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, Kosten- und Leistungsrechnung 1x
- VwGO § 154 1x
- § 4 AsylbLG 1x (nicht zugeordnet)
- § 68 AufenthG 5x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 133 2x
- § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG 1x (nicht zugeordnet)