Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht (9. Senat) - 9 A 12/17, 9 A 12/17 (9 A 3/17)

Gründe

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Die Aussetzung beruht auf § 4 Abs. 1b Satz 3 UmwRG.

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Durch Beschluss vom 12. Januar 2018 (9 A 12.17 - juris) hat der Senat darauf hingewiesen, dass das im rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren 9 A 12.10 als präkludiert angesehene Vorbringen des Klägers in dem anhängigen Rechtsstreit gegen den Planänderungs- und Ergänzungsbeschluss des Beklagten vom 24. April 2017 zu berücksichtigen ist. Der Beklagte hat daraufhin beantragt, das gerichtliche Verfahren bis zum Abschluss des hierzu eingeleiteten Verwaltungsverfahrens auszusetzen. Der Kläger dringt auf eine zeitnahe Entscheidung in der Sache ohne Aussetzung.

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1. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 Abs. 1b Satz 3 UmwRG liegen vor. Die Vorschrift bezieht sich ihrem Wortlaut nach auf die Heilung von Verfahrensfehlern und steht systematisch im Zusammenhang der Rechtsfolgen solcher Fehler bei Entscheidungen über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 2b UmwRG. Unter Verfahrensfehlern werden herkömmlich solche Verstöße gegen Rechtsvorschriften gefasst, die den Ablauf des Verwaltungsverfahrens (vgl. § 9 VwVfG) betreffen; hierzu gehören etwa Regelungen über den Beginn des Verfahrens, die Beteiligung anderer Behörden und der Öffentlichkeit sowie sonstige Verfahrensschritte. Nicht dazu gehört grundsätzlich der durch materiell-rechtliche Vorgaben gesteuerte Prozess der Willens- und Entscheidungsbildung, der sich im Fachplanungsrecht regelmäßig auf der Grundlage von Fachgutachten vollzieht. Diesem Begriffsverständnis liegt erkennbar auch die Regelungsstruktur des § 4 UmwRG zu Grunde (BVerwG, Urteil vom 28. November 2017 - 7 A 17.12 - juris Rn. 29).

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Hiernach betrifft die vom Beklagten beabsichtigte Durchführung eines ergänzenden Verfahrens (§ 75 Abs. 1a Satz 2 VwVfG) insoweit das materielle Recht, als diejenigen Rügen des Klägers zur Anwendung des Habitatschutz- und Artenschutzrechts behandelt werden sollen, die vordem als präkludiert angesehen worden waren. Sie betrifft jedoch auch das Verwaltungsverfahren, soweit ein bislang unterbliebener Verfahrensschritt nachgeholt werden soll.

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Einen Verfahrensfehler im Sinne des § 4 Abs. 1b Satz 3 UmwRG sieht der Beklagte unter Berücksichtigung des Hinweisbeschlusses des Senats vom 12. Januar 2018 zu Recht darin, dass er in dem durch den Planänderungs- und Ergänzungsbeschluss vom 24. April 2017 abgeschlossenen ergänzenden Verfahren unter Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht (§ 24 VwVfG) denjenigen Fragestellungen nicht nachgegangen ist, die in dem Urteil des Senats vom 14. Juli 2011 - 9 A 12.10 - (BVerwGE 140, 149) präklusionsbedingt unberücksichtigt geblieben waren. Jedenfalls bei UVP-pflichtigen Vorhaben ist die Planfeststellungsbehörde gehalten, entscheidungserhebliche Gesichtspunkte ungeachtet des Ablaufs der Einwendungsfrist von Amts wegen zu berücksichtigen. Das folgt zwingend daraus, dass die Präklusionsregelung des § 73 Abs. 4 Satz 3 bis 6 VwVfG in einem nachfolgenden Rechtsbehelfsverfahren gegen eine solche Entscheidung nicht angewendet werden darf und mithin keine materielle Ausschlusswirkung entfalten kann (vgl. § 7 Abs. 4 UmwRG und dazu Urteil des Senats vom 11. Oktober 2017 - 9 A 14.16 - juris Rn. 14). Die Vorschrift des § 4 Abs. 1b Satz 3 UmwRG enthält indes kein Verbot, das Verfahren auszusetzen, wenn der Beklagte im Rahmen des ergänzenden Verfahrens zur Nachholung von unterbliebenen Verfahrensschritten auch die Heilung materieller Fehler beabsichtigt (OVG Magdeburg, Beschluss vom 14. Februar 2018 - 2 K 3/17 - juris Rn. 5).

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Auch aus § 75 Abs. 1a Satz 2 VwVfG und der diese Norm ergänzenden Vorschrift des § 7 Abs. 5 UmwRG ergibt sich kein Verbot einer Aussetzung zur Nachholung von Verfahrensschritten. Die Fehlerfolgenregelung des § 75 Abs. 1a Satz 2 VwVfG findet nicht nur auf Abwägungsmängel, sondern entsprechend auch auf Verstöße gegen Vorschriften des strikten Rechts Anwendung, wie sie hier in Rede stehen (stRspr, vgl. Urteil vom 15. Juli 2016 - 9 C 3.16 - Buchholz 406.403 § 34 BNatSchG 2010 Nr. 14 Rn. 49). Der Vorschrift lässt sich nicht entnehmen, dass ein Fehler erst gerichtlich beanstandet werden muss, bevor ein Verfahren zur Fehlerheilung durchgeführt werden kann. Deshalb kann das ergänzende Verfahren auch zur Heilung von der Behörde selbst festgestellter Defizite eingesetzt werden (BVerwG, Urteil vom 12. März 2008 - 9 A 3.06 - BVerwGE 130, 299 Rn. 31; Neumann/Külpmann in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 75 Rn. 43).

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2. Die Regelung in § 4 Abs. 1b Satz 3 UmwRG stellt die Aussetzung bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen ins Ermessen des Gerichts, wenn "dies im Sinne der Verfahrenskonzentration sachdienlich ist". Damit bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass über den Streitstoff betreffend die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 2b UmwRG aus Gründen der Prozessökonomie in einem Verfahren konzentriert entschieden werden soll. Nach Einschätzung des Senats dient es der Verfahrensbeschleunigung hier besser, den Streitstoff konzentriert gerichtlich dann zu verhandeln, wenn er vollständig ist, d.h., wenn der Beklagte sich auf die vordem als präkludiert angesehenen Rügen des Klägers erstmals sachlich eingelassen hat. Es wäre weniger prozessökonomisch, im jetzt anhängigen gerichtlichen Verfahren lediglich denjenigen Rügen des Klägers gegen die habitat- und artenschutzrechtliche Behandlung nachzugehen, die Gegenstand des abgeschlossenen Planänderungsverfahrens waren, wenn gleichzeitig nicht ausgeschlossen ist, dass weitere Rügen, die denselben Abschnitt des Vorhabens betreffen, nach Abschluss des jetzt eingeleiteten Verwaltungsverfahrens erneut gerichtlich anhängig gemacht werden. Deshalb steht auch der in § 173 VwGO i.V.m. § 198 GVG zum Ausdruck gebrachte Grundsatz, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit mit einer sachlichen Entscheidung abzuschließen, einer Aussetzung vorliegend nicht entgegen.

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Die Verteilung des Prozesskostenrisikos gebietet keine andere Beurteilung. Die grundsätzliche Entscheidung des Gesetzgebers, noch während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens fehlerhafte Verfahrenshandlungen nachholen (§ 45 Abs. 2 VwVfG), Ermessenserwägungen ergänzen (§ 114 Satz 2 VwGO) und zur Heilung von Verfahrensfehlern das gerichtliche Verfahren auf Antrag aussetzen zu können (§ 4 Abs. 1b Satz 3 UmwRG) sowie der das Planfeststellungsrecht prägende Grundsatz der Planerhaltung einschließlich der Möglichkeit zur Fehlerbehebung durch Planergänzung oder ergänzendes Verfahren (§ 75 Abs. 1a Satz 2 VwVfG) bringen es mit sich, dass Planfeststellungsbehörden klägerischen oder gerichtlichen Hinweisen Rechnung tragen und eine zunächst begründete Klage letztlich keinen Erfolg hat (BVerwG, Beschluss vom 10. Oktober 2017 - 9 A 16.16 - NVwZ 2018, 181 Rn. 8).

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Der Umstand, dass ein Beteiligter so trotz einer zunächst erfolgversprechend erscheinenden Klage bei streitiger Entscheidung die Prozesskosten tragen müsste, zwingt zu keiner einschränkenden Anwendung dieser gesetzgeberischen Regelungen. Der Kläger kann einer erst im Prozess erfolgenden Nachbesserung durch die Abgabe einer Erledigungserklärung Rechnung tragen. Die Abwägung, ob er seine Klage stattdessen, gestützt auf weitere Kritikpunkte, aufrechterhält, erfordert zwar eine Neubewertung seiner Erfolgsaussichten, sie geht damit aber nicht über die klägerseits in jedem Verfahren ohnehin erforderliche Abschätzung des Prozessrisikos hinaus (BVerwG, Beschluss vom 10. Oktober 2017 - 9 A 16.16 - NVwZ 2018, 181 Rn. 8).

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Auch der Grundsatz der fairen Verfahrensgestaltung im Übrigen nötigt hier nicht dazu, den Antrag des Beklagten auf Verfahrensaussetzung abzulehnen. Der Kläger hatte nach Ergehen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Verfahren 1 BvR 361/12 ausdrücklich um einen gerichtlichen Hinweis zu der Frage ersucht, ob er wegen der Rechtskraftwirkung des Senatsurteils vom 14. Juli 2011 gehindert ist, zu den dort als präkludiert angesehenen Habitat- und Artenschutzmängeln erneut vorzutragen (Schriftsatz vom 20. November 2017). Nachdem dieser Bitte durch den Senat entsprochen und dem Kläger insoweit Rechtssicherheit bereits vor einer Entscheidung über seine Klage vermittelt worden war, entspricht es Grundsätzen fairer Verfahrensgestaltung, dann auch dem Beklagten die nach dem Prozessrecht mögliche Gelegenheit zur Nachholung der Behandlung der klägerischen Rügen einzuräumen, dies auch durch die Wahl eines ergänzenden Verwaltungsverfahrens. Hierdurch wird im Übrigen eine weitergehende verfahrensrechtliche Beteiligung des Klägers an der Behandlung seiner Einwände gewährleistet als bei bloßem Prozessvortrag des Beklagten.

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