Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht (6. Senat) - 6 B 151/18, 6 PKH 5/18, 6 B 151/18, 6 PKH 5/18

Gründe

I

1

Der Kläger wendet sich gegen die Bewertung einer Klausur der Zweiten Juristischen Staatsprüfung.

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Mit Bescheid vom 25. Juni 2014 teilte das Hessische Ministerium der Justiz - Landesjustizprüfungsamt - dem Kläger mit, dass er kraft Gesetzes von der weiteren Prüfung ausgeschlossen sei und die Zweite Juristische Staatsprüfung wiederholt nicht bestanden habe, da sieben Aufsichtsarbeiten mit weniger als 4 Punkten bewertet worden seien.

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Der Kläger erhob Widerspruch und rügte dabei u.a. die Bewertung der ersten öffentlich-rechtlichen Klausur (ÖI), die vom Erstkorrektor mit 4 Punkten und von der Zweitkorrektorin mit 3 Punkten bewertet worden war. Nach Einholung von Stellungnahmen der Prüfer wies das Landesjustizprüfungsamt den Widerspruch mit Bescheid vom 19. Februar 2015 zurück.

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Die hiergegen gerichtete Klage hatte vor dem Verwaltungsgericht u.a. hinsichtlich der Klausur ÖI Erfolg. Auf die Berufung des Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss gemäß § 130a VwGO das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf eine Neubewertung der Klausur ÖI. Die Zweitbewertung dieser Arbeit sei nicht zu beanstanden; insbesondere habe die Zweitkorrektorin ihre Bewertung hinreichend begründet. Sowohl in ihrem ursprünglichen Votum als auch im Überdenkensverfahren habe sie gegenüber der Stellungnahme des Erstkorrektors weitere Schwächen der Arbeit angeführt. Zudem habe sie dargelegt, dass aus ihrer Sicht die von dem Erstkorrektor aufgezeigten Mängel deutlich schwerer zu gewichten seien. Damit habe sie eine eigenständige Korrektur vorgenommen, die in ihrer Gesamtheit deutlich erkennen lasse, welche schwerwiegenden Mängel der Bearbeitung konkret gerügt worden seien und worauf sich ihre Bewertung mit mangelhaft (3 Punkte) gründe.

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Anders als das Verwaltungsgericht annehme, müsse sich die Zweitkorrektorin nicht in besonderer Weise dafür rechtfertigen, aus welchen Gründen sie entgegen der Auffassung des Erstkorrektors von einer insgesamt nicht mehr brauchbaren Leistung ausgehe. Der Zweitkorrektor habe eine eigenverantwortliche und selbständige Bewertung der Prüfungsleistung abzugeben; den Bewertungen von Erst- und Zweitprüfer komme dasselbe Gewicht zu. Erforderlich aber auch ausreichend sei, dass seine Bewertung - wie die des Erstkorrektors - hinreichend deutlich erkennen lasse, auf welche Erwägungen sie gestützt sei.

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Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Beschwerde. Er beantragt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung seines Rechtsanwalts.

II

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Die Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sowie des Vorliegens von Verfahrensmängeln (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) haben keinen Erfolg.

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1. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts kommt nicht in Betracht, weil die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch den Verwaltungsgerichtshof aus den im Folgenden genannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114 Satz 1, 121 Abs. 1 ZPO).

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2. Die Revisionszulassung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass die Beschwerde eine Rechtsfrage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die sich in dem erstrebten Revisionsverfahren als entscheidungserheblich erweist (BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>; stRspr). Diese Voraussetzungen sind hier aus mehreren Gründen nicht erfüllt.

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Hinsichtlich der als rechtsgrundsätzlich aufgeworfenen Frage,

"ob an die Begründungspflichten des Zweitprüfers ausnahmsweise gesteigerte Anforderungen zu stellen sind, wenn er von der Bewertung des Erstprüfers abweicht und sein Votum darüber entscheidet, ob die Klausur 'mangelhaft' ist und der Prüfling allein wegen der Zweitkorrektur das schriftliche Examen insgesamt nicht besteht",

genügt die Beschwerde schon nicht den Anforderungen an die Darlegung der Entscheidungserheblichkeit. Denn das Berufungsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung im Anschluss an die Auseinandersetzung mit der von ihm nicht geteilten Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts Ansbach (Urteil vom 23. März 2000 - AN 2 K 99.00082 [ECLI:DE:VGANSBA:2000:0323.AN2K99.00082.0A]) ausgeführt (Beschluss S. 9 f.):

"Aber auch dann, wenn man davon ausginge, dass an die Begründungspflicht eines Zweitprüfers in diesen Fällen gesteigerte Anforderungen zu stellen seien, erfüllte die von der Zweitkorrektorin vorgenommene Bewertung der Klausur des Klägers nach den obigen Ausführungen diese Begründungserfordernisse."

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Aus welchen Gründen es dennoch für die erstrebte Revisionsentscheidung auf die aufgeworfene Frage ankommen sollte, lässt sich der Beschwerde nicht entnehmen.

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Im Übrigen liegt es auf der Hand und bedürfte nicht erst der Klärung in einem Revisionsverfahren, dass die Frage auf der Grundlage der vom Berufungsgericht aus den Regelungen der §§ 47 Abs. 2, 15 Abs. 2 des Hessischen Juristenausbildungsgesetzes abgeleiteten Gleichgewichtigkeit der Bewertungen von Erst- und Zweitprüfer zu verneinen wäre. Denn der Zweitkorrektor kann im Zeitpunkt der Anfertigung seiner Korrektur noch gar nicht wissen, ob der Prüfling aufgrund seiner Benotung einer Klausur das schriftliche Examen insgesamt bestehen wird oder nicht. Aus diesem Grund könnte sich die Frage überhaupt erst im Überdenkensverfahren stellen. Aber auch in dieser Phase des Prüfungsverfahrens ist sie zu verneinen. Denn ein Prüfer hat seine Bewertungen anhand der von ihm in Bezug auf die konkrete Prüfungsaufgabe autonom erstellten Maßstäbe im Rahmen des von ihm gebildeten Bezugssystems aus Gründen der Chancengleichheit auf die Bewertung aller Bearbeitungen derselben Prüfungsaufgabe anzuwenden (BVerwG, Beschluss vom 5. März 2018 - 6 B 71.17 [ECLI:DE:BVerwG:2018:050318B6B71.17.0] - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 429 Rn. 8). Diese aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitete Verpflichtung erstreckt sich auch auf eine Nachkorrektur im Überdenkensverfahren (BVerwG, Beschluss vom 5. Oktober 2018 - 6 B 148.18 [ECLI:DE:BVerwG:2018:051018B6B148.18.0] - Rn. 17; VGH München, Beschluss vom 17. Mai 2018 - 7 B 18.128 [ECLI:DE:BAYVGH:2018:0517.7B18.128.00] - Rn. 18).

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3. Die geltend gemachten Verfahrensmängel einer Verletzung des § 130a VwGO sowie eines Verstoßes gegen das Gebot fehlerfreier Überzeugungsbildung (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) liegen nicht vor.

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a) Die Beschwerde rügt, das Berufungsgericht habe seine Entscheidung nicht durch Beschluss gemäß § 130a VwGO treffen dürfen, da es sich wegen der Problematik der ausnahmsweise gesteigerten Anforderungen an die Begründungspflicht um eine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung gehandelt habe. Diese Rüge greift nicht durch.

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Nach § 130a Satz 1 VwGO kann das Oberverwaltungsgericht über die Berufung durch Beschluss entscheiden, wenn es sie einstimmig für (un-)begründet erachtet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Grenzen des dem Berufungsgerichts insoweit eingeräumten Ermessens sind weit gezogen. Ein Absehen von einer mündlichen Verhandlung ist nur zu beanstanden, wenn es auf sachfremden Erwägungen oder einer groben Fehleinschätzung des Berufungsgerichts beruht (BVerwG, Urteile vom 30. Juni 2004 - 6 C 28.03 - BVerwGE 121, 211 <213> und vom 9. Dezember 2010 - 10 C 13.09 - BVerwGE 138, 289 Rn. 22 m.w.N.). Bei der Ermessensentscheidung gemäß § 130a Satz 1 VwGO dürfen die Funktionen der mündlichen Verhandlung und ihre daraus erwachsende Bedeutung für den Rechtsschutz nicht aus dem Blick geraten. Das Gebot, im Rahmen einer mündlichen Verhandlung die Rechtssache auch im Interesse der Ergebnisrichtigkeit mit den Beteiligten zu erörtern, wird umso stärker, je schwieriger die vom Gericht zu treffende Entscheidung ist. Mit dem Grad der Schwierigkeit der Rechtssache wächst daher zugleich auch das Gewicht der Gründe, die gegen die Anwendung des § 130a VwGO und für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sprechen (BVerwG, Urteile vom 30. Juni 2004 - 6 C 28.03 - BVerwGE 121, 211 <214> und vom 21. März 2000 - 9 C 39.99 - BVerwGE 111, 69 <74>).

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Die Grenzen des von § 130a Satz 1 VwGO eröffneten Ermessens werden überschritten, wenn im vereinfachten Berufungsverfahren ohne mündliche Verhandlung entschieden wird, obwohl die Sache in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht außergewöhnlich große, das Maß des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO übersteigende Schwierigkeiten aufweist (Urteile vom 30. Juni 2004 - 6 C 28.03 - BVerwGE 121, 211 <213> und vom 9. Dezember 2010 - 10 C 13.09 - BVerwGE 138, 289 Rn. 24); abzustellen ist insoweit auf die Gesamtumstände des Einzelfalles. Bei Zugrundelegung dieses Maßstabs ist im vorliegenden Fall die Wahl des Berufungsgerichts für eine Entscheidung durch Beschluss nicht zu beanstanden. Denn die von der Beschwerde als Beleg für die Komplexität des Verfahrens angeführte Rechtsfrage hat - wie oben bereits ausgeführt - keine grundsätzliche Bedeutung. Für eine seitens der Beschwerde in diesem Zusammenhang angesprochene Verletzung des rechtlichen Gehörs des Klägers ist nichts ersichtlich.

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b) Die Beschwerde rügt des Weiteren einen Verstoß des Berufungsgerichts gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass die Bewertung der Klausur ÖI durch die Zweitkorrektorin irrtumsbedingt auf falscher Tatsachengrundlage beruhe. Dafür sei u.a. ausschlaggebend gewesen, dass dem Kläger allein aufgrund seiner Formulierung, bei der Feststellungsklage sei eine Klagefrist "nicht zu beachten", nicht unterstellt werden könne, er sei zu Unrecht davon ausgegangen, eine bestehende Klagefrist sei nicht zu beachten. Letztendlich gestehe auch der Verwaltungsgerichtshof zu, dass es sich um eine "unreine Formulierung" handeln könne und konzediere damit, dass der Kläger von der Zweitkorrektorin möglicherweise missverstanden worden sei. Dann dürfe aber das Berufungsgericht als denkgesetzlich einzig richtige Schlussfolgerung diese unglückliche Formulierung des Prüflings nicht negativ in die Bewertung einfließen lassen.

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Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde keine Verletzung des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO auf. Denn der Spielraum, den der Überzeugungsgrundsatz dem Tatrichter einräumt, bezieht sich nicht auf die Auslegung des anzuwendenden Rechts, sondern auf die Würdigung der für die Feststellung des Sachverhalts maßgebenden Umstände (BVerwG, Beschlüsse vom 22. Mai 2003 - 6 B 11.03 - Buchholz 448.0 § 9 WPflG Nr. 17 und vom 12. Dezember 2017 - 6 B 30.17 [ECLI:DE:BVerwG:2017:121217B6B30.17.0] - Rn. 5). Die Beschwerde verkennt, dass das Berufungsgericht an dieser Stelle überhaupt keine eigenen tatsächlichen Feststellungen zu den Vorstellungen des Prüflings getroffen hat, die der von der Zweitkorrektorin monierten Aussage zugrunde liegen. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich vielmehr auf die Rechtsausführung beschränkt, dass selbst wenn es sich - wie der Kläger meine - nur um eine "unreine Formulierung" handeln sollte, eine derartige fehlende sprachliche Präzision negativ in die Bewertung einfließen könne (Beschluss S. 10). Damit geht die Rüge einer Verletzung des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ins Leere.

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4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO). Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.

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