Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht (2. Senat) - 2 B 29/19

Tenor

Der Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 24. April 2019 wird aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

1

Die Beschwerde der Klägerin hat mit der Maßgabe Erfolg, dass das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit gemäß § 133 Abs. 6 VwGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen ist. Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegen vor. Das Oberverwaltungsgericht hat seine Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) verletzt.

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1. Die im Jahr 1982 geborene Klägerin ist nach Ablegung der Zweiten Staatsprüfung für die Lehrämter an öffentlichen Schulen mit Wirkung vom 1. November 2011 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe als Lehrerin (Besoldungsgruppe A 12) in den niedersächsischen Schuldienst eingetreten; der Ablauf der regelmäßigen dreijährigen Probezeit wurde auf den 31. Oktober 2014 festgesetzt. Nachdem sie zunächst an zwei anderen Schulen tätig war, wurde sie zum 1. August 2012 an die beklagte Hauptschule versetzt. Die Probezeit wurde im Oktober 2014 um ein Jahr und im Oktober 2015 um ein weiteres Jahr verlängert. Im Oktober 2016 wurde die Klägerin wegen Nichtbewährung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe entlassen. Hiergegen hat sie Klage erhoben, über die noch nicht rechtskräftig entschieden ist. Seit August 2017 ist die Klägerin als angestellte Lehrerin in einem anderen Bundesland beschäftigt.

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Auf die gegen die zweite Verlängerung der Probezeit erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht den angegriffenen Verlängerungsbescheid aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über die Verlängerung der Probezeit zu entscheiden. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht - nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - durch Beschluss nach § 130a VwGO die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung u.a. ausgeführt:

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Die Rüge der fehlenden Zuständigkeit der beklagten Schule greife nicht durch. Maßgeblich sei nach der Erlasslage die Anzahl der Vollzeitlehrereinheiten der Schule zum Schuljahresbeginn. Es sei nicht ersichtlich, dass die beklagte Schule nicht über die ihre Zuständigkeit begründende Anzahl von 20 Vollzeitlehrereinheiten verfügt habe. Die Klägerin, die dies bezweifle, habe keine gegenteiligen Anhaltspunkte benannt. Zwar sei ihr zuzugestehen, dass sie nur über begrenzte Erkenntnismöglichkeiten verfüge. Gleichwohl hätte es angesichts der beratenden Begleitung bzw. Vorbereitung des Vorgangs durch die Niedersächsische Landesschulbehörde eines substanziierteren Vortrags bedurft als dem, dass es sich um eine sehr kleine Schule handele. Dem hätte die Klägerin zumindest durch die Vorlage einer Kollegenliste o.ä. entgegentreten müssen.

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Die Beklagte sei auch von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen.

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Es sei nicht sachfremd, ein unbeaufsichtigtes Brennenlassen zweier Kerzen in einem geschlossenen Nebenraum als nicht sicherheitsgerechtes Verhalten eines Fachlehrers zu werten. Der hiergegen gerichteten Argumentation der Klägerin, ihre Vorgehensweise sei mit dem Fachlehrer abgesprochen gewesen, sei die Beklagte substanziiert entgegengetreten. Sie habe ausgeführt, der von der Klägerin als Zeuge benannte Fachlehrer habe dem Schulleiter in einem Gespräch mitgeteilt, dass er als Fachlehrer für Physik und Chemie und Fachkonferenzleiter für Naturwissenschaften niemals eine Durchführung mit einer brennenden Kerze unbeobachtet im Vorbereitungsraum der Physik- und Chemiesammlung verantworten bzw. selbst so durchführen würde. Er sei von der Klägerin in die Planung der Unterrichtsstunde nicht einbezogen und somit über deren Ablauf nicht informiert gewesen. Auf diesen Vortrag sei die Klägerin bereits im erstinstanzlichen Verfahren nicht weiter eingegangen und habe im Berufungsverfahren lediglich erneut vorgetragen, dass ihre Vorgehensweise mit dem Fachlehrer abgesprochen war, ohne zum Inhalt des vorgeblichen Gesprächs weiter auszuführen. Angesichts dessen habe der Senat keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Behauptung der Klägerin zutreffen könnte, der Fachleiter habe ihre Versuchsanordnung mit den brennenden Kerzen im Nebenraum nicht beanstandet. Mangels Zweifel an der Sachverhaltsdarstellung der Beklagten komme eine Beweiserhebung durch Vernehmung des Fachleiters nicht in Betracht.

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Die Ausführung der Beklagten, dass die Klägerin sich nicht rechtzeitig und umfassend über schulrelevante Aufgaben informiere, sei nicht falsch. Die Klägerin setzte dem maßgeblichen persönlichen Eindruck des Schulleiters ihre abweichende Einschätzung entgegen. Der Schulleiter habe in der angegriffenen Verlängerungsverfügung ausgeführt, er sei selbst Zeuge gewesen, wie sich die Klägerin erst am Prüfungstag beim Gang in den Fahrstuhl über den zeitlichen Ablauf informiert und trotzdem am Ende als einzige Lehrkraft das Zeitmaß überschritten habe. Das lasse sich durch den u.U. anderen Eindruck Dritter nicht erschüttern.

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2. Zwei der Aufklärungsrügen der Klägerin sind begründet. Dieshrt zur Aufhebung der Berufungsentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Oberverwaltungsgericht (§ 133 Abs. 6 VwGO).

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a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erfordert die Rüge einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO die substanziierte Darlegung, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des Berufungsgerichts aufklärungsbedürftig waren, welche für erforderlich oder geeignet gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht kamen, welche tatsächlichen Feststellungen dabei voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern diese unter Zugrundelegung der materiell-rechtlichen Auffassung des Tatsachengerichts zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätten führen können. Die Aufklärungsrüge stellt zudem kein Mittel dar, um Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz zu kompensieren, vor allem wenn er es unterlassen hat, einen Beweisantrag zu stellen. Deshalb muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (BVerwG, Urteil vom 22. Januar 1969 - 6 C 52.65 - BVerwGE 31, 212 <217 f.>; Beschlüsse vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14 und vom 19. Februar 2018 - 2 B 51.17 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 56 Rn. 6).

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b) Danach ist die Aufklärungsrüge unbegründet, soweit sie die Tatsachengrundlagen für die Zuständigkeit der beklagten Schule für den Erlass des angefochtenen Bescheids zur Verlängerung der Probezeit betrifft. Insoweit hat die Klägerin das Unterschreiten der die Zuständigkeit der beklagten Schule begründenden Mindestanzahl von erforderlichen Vollzeitlehrereinheiten der Schule zum Schuljahresbeginn nur "ins Blaue hinein" behauptet. Wie das Berufungsurteil zutreffend ausführt, standen der Klägerin insoweit zwar nur begrenzte Erkenntnismittel zur Verfügung. Gleichwohl hätte sie im Rahmen ihrer prozessualen Mitwirkungspflicht (vgl. § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO) als seit mehreren Jahren an der Schule tätige Lehrerin anhand einer Liste der an der Schule tätigen Lehrerinnen und Lehrer - ggf. unter Angabe, ob es sich um Vollzeit- oder Teilzeitkräfte handelt - dem Gericht einen tatsächlichen Anknüpfungspunkt für die Notwendigkeit von Ermittlungen liefern können und müssen. Hierfür bestand umso mehr Anlass, als der klägerische Vortrag im Berufungsverfahren zur Zuständigkeit zunächst darauf zielte, eine befangenheitsbedingte Rückübertragung vom Schulleiter auf die Schulbehörde zu fordern, was die grundsätzliche Zuständigkeit der beklagten Schule implizierte.

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c) Die Aufklärungsrüge ist aber begründet, soweit sie den Sachverhalt der Versuchsanordnung mit den unbeaufsichtigt brennenden Kerzen betrifft. Die Klägerin hat diesen Vorgang, der nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ein Element des von der Klägerin angegriffenen Bescheids zur Verlängerung ihrer Probezeit war, nicht in Abrede gestellt, aber bereits in der Klagebegründung vorgetragen, der Fachleiter sei hierüber informiert und damit einverstanden gewesen. Sie hat diesen Vortrag in ihrer Stellungnahme zur vom Oberverwaltungsgericht angekündigten Entscheidung durch Beschluss nach § 130a VwGO wiederholt. Mangels entsprechender Rüge kann und muss dahinstehen, ob angesichts der klägerischen Hinweise auf den streitigen Sachverhalt in diesem Schriftsatz überhaupt Raum für einen Beschluss nach § 130a VwGO war (vgl. hierzu die Senatsbeschlüsse vom 20. Oktober 2011 - 2 B 63.11 - IÖD 2012, 20 <21 f.>, vom 26. März 2012 - 2 B 26.11 - juris Rn. 27, vom 3. Dezember 2012 - 2 B 32.12 - juris Rn. 5 ff. und vom 20. Mai 2015 - 2 B 4.15 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 86 Rn. 5 ff.). Jedenfalls musste sich dem Oberverwaltungsgericht aufdrängen, dieser Frage durch eine Zeugenvernehmung des Fachleiters zu einer - etwaigen - Kommunikation zwischen ihm und der Klägerin zu dieser Versuchsanordnung vor der fraglichen Unterrichtsstunde nachzugehen. Das war nicht deshalb entbehrlich, weil die Klägerin ihre Behauptung nicht - etwa nach Zeitpunkt, Ort und Inhalt des Gesprächs - konkretisiert hat. Zwar wäre eine solche Konkretisierung durchaus naheliegend gewesen - ebenso wie ein entsprechender Beweisantrag der Klägerin naheliegend gewesen wäre. Aber wenn das Oberverwaltungsgericht eine solche Konkretisierung vermisst hat, hätte es die Klägerin gemäß § 86 Abs. 3 VwGO hierzu auffordern können. Es durfte sich jedenfalls nicht der gebotenen Sachaufklärung durch eine vorweggenommene Beweiswürdigung entziehen, so wie es hier durch das Abstellen darauf geschehen ist, dass mangels vernünftiger Zweifel an der Sachverhaltsdarstellung der Beklagten eine Beweiserhebung durch Vernehmung des Fachleiters nicht in Betracht komme. Ob hierin zugleich ein Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 VwGO liegt, kann - und muss mangels entsprechender Rüge - dahinstehen.

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d) Die Aufklärungsrüge ist auch begründet, soweit sie den Vorgang im Fahrstuhl betrifft. Die Klägerin hat bereits in der Klagebegründung bestritten, dass sie den Schulleiter im Fahrstuhl am Tag der Abschlussprüfungen über deren zeitlichen Ablauf befragt hat. Dieser Vorgang, der nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ebenfalls ein Element des von der Klägerin angegriffenen Bescheids zur Verlängerung ihrer Probezeit war, war somit aufklärungsbedürftig. In Betracht kam die Einvernahme des Schulleiters und ggf. weiterer Personen. Auch insoweit wäre ein Beweisantrag der Klägerin zwar naheliegend gewesen, der - entgegen ihrer Darstellung in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde - nicht gestellt worden ist. Aber die Beweiserhebung musste sich dem Berufungsgericht auch aufdrängen. Stattdessen hat es auf diesen Sachverhalt tragend abgestellt und lediglich - als solches zutreffend - ausgeführt, dass ein ggf. anderer Eindruck von Dritten unmaßgeblich ist. Auch hier kann - und muss mangels entsprechender Rüge - dahinstehen, ob hierin zugleich ein Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 VwGO liegt.

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