Urteil vom Finanzgericht Düsseldorf - 10 K 2260/18 Kg
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
1
Tatbestand:
2Streitig ist, ob im Streitzeitraum August 2015 bis September 2018 ein Anspruch auf Kindergeld bestand.
3Der Kläger ist der Vater des am 22.10.1995 geborenen Kindes B. Ausweislich einer im September 2013 ausgestellten Schulbescheinigung sollte B bis voraussichtlich Juli 2017 ein Gymnasium besuchen.
4Mit Bescheid vom 30.06.2017 hob die Beklagte die gegenüber dem Kläger erfolgte Kindergeldfestsetzung ab August 2017 unter Bezugnahme auf das Ende des Schulbesuchs auf.
5Der Kläger legte dagegen Einspruch ein. Er teilte mit, dass es seinem Sohn aufgrund einer psychischen Erkrankung zurzeit unmöglich sei, seine Berufsausbildung fortzuführen. In dem Vordruck „Erklärung zu den Verhältnissen eines über 18 Jahre alten Kindes“ gab er am 23.07.2017 an, dass sich sein Sohn seit 2016 bis „aktuell“ aufgrund einer körperlichen/geistigen/seelischen Behinderung nicht selbst habe unterhalten können.
6Ärztliche Bescheinigungen legte der Kläger trotz mehrfacher Aufforderung der Beklagten nicht vor. Die im Einspruchsverfahren eingereichten Unterlagen beschränken sich vielmehr auf zwei Schreiben des Universitätsklinikums Z. Ausweislich eines Schreibens vom 17.10.2017 sollte B am 22.11.2017 in der Klinik für Neurologie stationär aufgenommen werden. Informationen zur Art der Erkrankung enthält das Schreiben nicht. Mit Schreiben vom 27.11.2017 verschob die Klinik die Aufnahme wegen Umbauarbeiten auf unbestimmte Zeit.
7Mit Schreiben vom 05.03.2018 wurde der Kläger aufgefordert, die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu befreien. Mit weiterem Schreiben vom 05.03.2018 schlug die Beklagte zudem vor, B durch den Ärztlichen Dienst/Berufspsychologischen Service der Agentur für Arbeit untersuchen zu lassen, um zu klären, ob das Kind aufgrund einer Behinderung nicht in der Lage sei, seinen Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit sicherzustellen. Der Kläger nahm dies zum Anlass, ohne Untersuchungstermin beim Jobcenter Y vorstellig zu werden und die sofortige Untersuchung seines Sohnes zu verlangen. Die Untersuchung wurde unter Hinweis darauf, dass kein Auftrag vorliege, abgelehnt.
8Der Aufforderung der Beklagten, die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden, kam der Kläger auch nach nochmaliger Aufforderung nicht nach. Er begründete dies damit, dass er datenschutzrechtliche Bedenken habe. Deshalb werde er die angeforderten Arztunterlagen etc. auch nur zur Einsichtnahme vorlegen, nicht aber zur Akte reichen.
9Im Februar 2018 reichte der Kläger eine Schulbescheinigung ein, aus der sich ergibt, dass sein Sohn das Gymnasium nur bis Juni 2015 besucht hat. Die Beklagte nahm dies zum Anlass, die Kindergeldfestsetzung mit Bescheid vom 25.06.2018 ab August 2015 aufzuheben und das für den Zeitraum August 2015 bis Juli 2017 gezahlte Kindergeld i.H.v. 4.564 € von dem Kläger zurückzufordern. Der Kläger legte hiergegen mit Schreiben vom 08.07.2018 Einspruch ein, welcher mit Einspruchsentscheidung vom 18.07.2018 als unbegründet zurückgewiesen wurde.
10Der Kläger hat sodann Klage erhoben.
11Während des laufenden Klageverfahrens wies die Beklagte den Einspruch, den der Kläger gegen den Aufhebungsbescheid vom 30.06.2017 erhoben hatte, mit Einspruchsentscheidung vom 12.09.2018 zurück. Nach Hinweis der Berichterstatterin an die Beteiligten, dass dieser Bescheid nicht Gegenstand des bereits anhängigen Klageverfahrens sei, erweiterte der Kläger seine Klage mit Schriftsatz vom 16.09.2019. Er stellte klar, dass er mit der Klage 10 K 2260/18 Kg die Aufhebung des Bescheids vom 25.06.2018 begehre und sich diese zugleich auch gegen den Bescheid vom 30.06.2017 richten solle, dessen Aufhebung ebenfalls beantragt werde. Die Berichterstatterin teilte daraufhin mit, dass der Klageerweiterung zugestimmt werde, da das gleiche Kind und der gleiche Aufhebungsgrund betroffen seien und eine gemeinsame Entscheidung daher sachdienlich sei.
12Das weitere Klageverfahren gestaltete sich wie folgt:
13In der Klageschrift hat der Kläger angegeben, dass bei seinem Sohn im ersten Halbjahr 2015 erste Anzeichen psychotischer Schübe unter Stress aufgetreten seien, welche zu einer Unterbrechung der Schulausbildung geführt hätten. Mit Schriftsatz vom 16.09.2018 hat der Kläger zudem angegeben, dass sein Sohn nach einem Notaufnahmetermin durch das Universitätsklinikum Z ambulant weiter behandelt worden sei. Da im weiteren Zeitverlauf dort keine Behandlungskapazitäten mehr frei gewesen seien, sei sein Sohn zum C Krankenhaus in X gewechselt, wo er „zuletzt“ stationär behandelt worden sei. Weder wurde der Zeitraum der Behandlung mitgeteilt noch wurden Unterlagen vorgelegt. Der Kläger beantragte die Einholung eines Sachverständigengutachtens, wobei er als Gutachter den behandelnden Arzt, D vom C Krankenhaus X vorschlug. Die Beklagte lehnte dies ab und bat um Bestellung eines unabhängigen, vom Gericht benannten Gutachters.
14Mit gerichtlicher Verfügung vom 07.02.2019 wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass ein Sachverständigengutachten erst eingeholt werden könne, wenn der Sachverhalt näher dargelegt worden sei. Denn ansonsten würde die Beweisaufnahme ins Blaue hinein erfolgen. Zugleich wurde der Kläger unter Setzung einer Ausschlussfrist nach § 79b Abs. 2 FGO aufgefordert, mitzuteilen, warum er davon ausgehe, dass sein Sohn behindert sei, außerdem die Krankheitsgeschichte seines Sohnes seit 2016 substantiiert zu schildern, die behandelnden Ärzte mit Namen und Adressen zu benennen und eine Erklärung des Sohnes einzureichen, worin dieser die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbindet. Als Reaktion benannte der Kläger neben D noch zwei weitere Ärzte, jedoch teilte er nicht mit, von wann bis wann und mit welchen Diagnosen sein Sohn von den Ärzten behandelt wurde. Die Ärzte wurden von ihrer Schweigepflicht entbunden, jedoch verbunden mit der Bedingung, dass die medizinischen Details zum Krankheitsbild nicht in elektronischen Akten der Beklagten gespeichert werden dürfen. Zur Krankheitsentwicklung wurde lediglich mitgeteilt, dass in 2003 erstmalig tageweise depressive Verhaltensauffälligkeiten aufgetreten seien, sein Sohn im Jahr 2005 Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sei, die Schule in 2015 wegen „nunmehr schubweise z.T. problematischer und bis zu bisher max. 6 Monaten Dauer auftretender Verhaltensstörungen“ unterbrochen worden sei und ein „immer wieder auftretendes Krankheitsbild gem. der Beschreibung im detaillierten Bericht E UniKlinik Z vom 6.7.2016“ vorliege. Unterlagen wurden nicht beigefügt.
15Mit Schriftsatz vom 11.03.2019 beantragte der Kläger, ein neurologisches Gutachten sowie darauf aufbauend ein psychoanalytisches Gutachten nach vorheriger ärztlicher Behandlung seines Sohnes einzuholen. Er teilte mit, dass die neurologische Behandlung des Sohnes nicht habe fortgeführt werden können, da ihm – dem Kläger – hierfür aufgrund des Geldentzugs durch die Beklagte die Finanzmittel fehlen würden. Die Arztunterlagen aus dem Jahr 2016 würden nicht den aktuellen Gesundheitszustand widerspiegeln und seien daher keine geeignete Grundlage für ein Sachverständigengutachten; der Zustand seines Sohnes habe sich wesentlich verschlimmert.
16Mit gerichtlichen Verfügungen vom 01.08.2019 und 20.08.2019, zuletzt erneut unter Setzung einer Ausschlussfrist nach § 79b Abs. 2 FGO, wurde der Kläger aufgefordert, ausführlich darzulegen, welchen Behandlungsmaßnahmen, die in Zusammenhang mit der geltend gemachten Behinderung stehen, sich sein Sohn in den Jahren 2015 bis heute unterzogen hat, von wann bis wann die jeweilige Maßnahme dauerte und bei welchem Arzt sie stattfand. Zudem wurde der Kläger aufgefordert, sämtliche ihm noch vorliegende Unterlagen, die mit den oben genannten Behandlungen in Zusammenhang stehen, vorzulegen, insbesondere den in Bezug genommenen Bericht von E vom 06.07.2016.
17Der Kläger reichte daraufhin einen Bericht des Universitätsklinikums Z – Klinik für Neurologie vom 06.07.2016 über eine Untersuchung vom 09.05.2016 mit der Diagnose „Unklare Wesensveränderung“ ein. U.a. heißt es dort wie folgt: „Der Patient stellt sich notfallmäßig in Begleitung seines Vaters vor. Dieser berichtet, dass es im Urlaub … in der Nacht vom 06.05.2016 dazu gekommen sei, dass der Pat. nachts aufgewacht sei und dann ziellos durch die Wohnung gelaufen sei. Er habe sich leise und undeutlich mit sich selbst unterhalten. Die Hände hätten sich verkrampft. Seitdem sei diese Symptomatik unverändert vorhanden. Die kognitiven Fähigkeiten und ein direktes Gespräch seien jedoch gut möglich gewesen. Der Vater berichtet, dass er den Sohn als sehr ängstlich und schreckhaft erlebte. Es seien bisher keine psychiatrischen Vorerkrankungen bekannt. Diese Symptomatik zeige sich erstmalig. Die Einnahme von Drogen und Alkohol werden verneint. […] Im weiteren Verlauf des Abends entlässt sich der Patient in Begleitung seines Vaters trotz ausführlicher Aufklärung über eine mögliche Encephalitis als Ursache der Symptomatik gegen ärztlichen Rat.“
18Der Kläger reichte zudem Rechnungen für Blutentnahmen und Laborleistungen aus dem Jahr 2016 ein, aus denen keine Diagnosen o.ä. hervorgehen.
19Der Kläger hält daran fest, dass sein Sohn die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG erfülle. Sein Sohn sei behindert und einkommenslos.
20Der Kläger beantragt,
21den Bescheid vom 25.06.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.07.2015 sowie den Bescheid vom 30.06.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.09.2018 aufzuheben.
22Die Beklagte beantragt,
23die Klage abzuweisen.
24Sie sieht es weiterhin als nicht erwiesen an, dass das Kind B im Streitzeitraum die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG erfüllt hat.
25Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Kindergeldakte und das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
26Entscheidungsgründe:
27Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
28Der Aufhebungsbescheid vom 30.06.2017 und der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 25.06.2018 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
29Streitzeitraum sind in Bezug auf den Aufhebungsbescheid vom 30.06.2017 die Monate August 2017 (Beginn der Aufhebung) bis September 2018 (Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung vom 12.09.2018) und in Bezug auf den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 25.06.2018 die Monate August 2015 bis Juli 2017.
301) Die Berechtigung der Beklagten, die Kindergeldfestsetzung aufzuheben, folgt aus § 70 Abs. 2 EStG.
31Nach § 70 Abs. 2 Satz 1 EStG ist die Festsetzung des Kindergeldes mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben oder zu ändern, soweit in den Verhältnissen, die für den Anspruch auf Kindergeld erheblich sind, Änderungen eingetreten sind. Ein solcher Fall liegt insbesondere dann vor, wenn sich die Verhältnisse, die für die Beurteilung der Voraussetzungen der § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 EStG von Bedeutung sind, ändern. So verhält es sich auch hier, da B die Schule im Juni 2015 abgebrochen hat und er sich mithin seit Juli 2015 nicht mehr in Ausbildung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG befand.
322) Die Feststellungslast (objektive Beweislast) dafür, dass in der Folgezeit ein neuer Berücksichtigungstatbestand erfüllt wird, trägt der Kindergeldberechtigte, hier der Kläger.
33Im Streitfall ließ sich nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen, dass B im Streitzeitraum einen Tatbestand des § 32 Abs. 4 EStG erfüllt hat. Insbesondere ist nichts dafür ersichtlich, dass B behindert ist und infolgedessen den Tatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG erfüllt haben könnte.
34a) Nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG besteht für ein volljähriges Kind ein Anspruch auf Kindergeld, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, und die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist. Nach der Rechtsprechung des BFH (z.B. Urteile vom 09.02.2012 - III R 5/08, BStBl II 2012, 891 und vom 28.05.2013 - XI R 44/11, BFH/NV 2013, 1409) ist ein Mensch behindert, wenn seine körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher seine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buchs Sozialgesetzbuch --SGB IX--). Ferner muss die Behinderung nach den gesamten Umständen des Einzelfalls für die fehlende Fähigkeit des Kindes zum Selbstunterhalt ursächlich sein. Dem Kind muss es daher objektiv unmöglich sein, seinen (gesamten) Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit zu bestreiten (BFH-Urteile vom 16.04.2002 -VIII R 62/99, BStBl II 2002, 738, und vom 19.11.2008 - III R 105/07, BStBl II 2010, 1057).
35Der Nachweis der Behinderung kann nicht nur durch Vorlage eines entsprechenden Schwerbehindertenausweises oder Feststellungsbescheids gemäß § 69 SGB IX sowie eines Rentenbescheids erfolgen, sondern auch in anderer Form wie beispielsweise durch Vorlage einer Bescheinigung bzw. eines Zeugnisses des behandelnden Arztes oder auch eines ärztlichen Gutachtens erbracht werden (BFH, Urteil vom 09.02.2012 - III R 47/08, BFH/NV 2012, 939). Ein Anscheinsbeweis reicht indessen nicht aus. Das FG soll nach der Rechtsprechung des BFH (z.B. Urteil vom 21.10.2015 – XI R 17/14, BFH/NV 2016, 190 m.w.N.) im Regelfall zur Erfüllung seiner Sachaufklärungspflicht ein ärztliches Gutachten einholen oder entsprechende Erkenntnisse durch Einvernahme der behandelnden Ärzte als Zeugen gewinnen.
36b) Die Pflicht des Gerichts, den Sachverhalt aufzuklären, beruht auf § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO. Es muss zur Herbeiführung der Spruchreife alles aufklären, was aus seiner Sicht entscheidungserheblich ist und hierfür alle verfügbaren Beweismittel ausnutzen.
37Die Einholung eines Sachverständigengutachtens von Amts wegen steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Das dem Tatsachengericht bei der Bestimmung von Art und Zahl einzuholender Sachverständigengutachten nach § 82 FGO i.V.m. §§ 404, 412 der Zivilprozessordnung (ZPO) zustehende Ermessen wird nur dann verfahrensfehlerhaft ausgeübt, wenn das Gericht von der Einholung gutachterlicher Stellungnahmen absieht, obwohl sich ihm die Notwendigkeit dieser zusätzlichen Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen (BFH, Beschluss vom 05.10.2018 - IX B 48/18, BFH/NV 2019, 39).
38Davon zu unterscheiden ist der Fall, dass ein Verfahrensbeteiligter einen entsprechenden Beweisantrag stellt. Die von den Verfahrensbeteiligten angebotenen Beweise muss das Gericht grundsätzlich erheben. Auf die beantragte Beweiserhebung kann es im Regelfall nur verzichten, wenn es auf das Beweismittel für die Entscheidung nicht ankommt oder das Gericht die Richtigkeit der durch das Beweismittel zu beweisenden Tatsachen zugunsten der betreffenden Partei unterstellt, das Beweismittel nicht erreichbar oder völlig ungeeignet ist, den Beweis zu erbringen. Auch ist das Finanzgericht nicht verpflichtet, unsubstantiierten Beweisanträgen nachzugehen. In welchem Maße eine solche Substantiierung zu fordern ist, hängt von der im Einzelfall bestehenden Mitwirkungspflicht der Beteiligten ab. Dabei stehen der zumutbare Inhalt und die Intensität der richterlichen Ermittlungen notwendigerweise im Zusammenhang mit dem Vorbringen der Beteiligten, die gemäß § 76 Abs. 1 Sätze 2 und 3 FGO eine Pflicht zur Förderung des finanzgerichtlichen Verfahrens haben. Unsubstantiiert und damit unerheblich ist ein Beweisantrag insbesondere dann, wenn im Grunde erst die Beweiserhebung selbst die entscheidungserheblichen Tatsachen und Behauptungen aufdecken kann und es sich deshalb um einen Beweisermittlungsantrag oder Beweisausforschungsantrag handelt (vgl. BFH Beschluss vom 12.03.2014 - XI B 97/13, BFH/NV 2014, 1062 m.w.N.).
39Ein Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens erfordert gemäß § 82 FGO i.V.m. § 403 ZPO eine hinreichende Konkretisierung sowohl des Beweisthemas als auch der zu beweisenden Tatsachen. Im Rahmen der vom Amtsermittlungsgrundsatz geprägten FGO sind diese Vorschriften dahin auszulegen, dass – anders als bei der in substantiierter Form vorzunehmenden Bezeichnung der Tatsachen, die ein Zeuge bekunden soll (§ 373 ZPO i.V.m. § 82 FGO) – für die Einholung von Sachverständigengutachten eine summarische Bezeichnung der zu begutachtenden Punkte ausreicht, aber auch erforderlich ist (BFH, Beschluss vom 25.07.2006 - IV B 116/04, BFH/NV 2006, 2270 m.w.N.).
40c) Unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze war im Streitfall kein Sachverständigengutachten einzuholen. Zwar hat der Kläger die Einholung eines neurologischen Gutachtens sowie darauf aufbauend eines psychoanalytischen Gutachtens beantragt. Der Beweisantrag ist jedoch nicht hinreichend konkretisiert.
41Zu beachten ist insoweit, dass der Umstand, ob ein Kind im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX behindert ist, keine Tatsache, sondern das Ergebnis einer rechtlichen Würdigung ist. Es reicht infolgedessen nicht aus, lediglich pauschal das Vorliegen einer Behinderung zu behaupten, sondern vielmehr müssen Tatsachen dargelegt werden oder für das Gericht anderweitig erkennbar sein, die das Vorliegen einer Behinderung im Streitzeitraum möglich erscheinen lassen.
42Zu beachten ist auch, dass im Streitfall keine körperliche oder geistige, sondern allenfalls eine seelische Behinderung in Betracht kommen könnte, für deren Bejahung es jedoch nicht bereits ausreicht, dass das Kind möglicherweise psychisch erkrankt ist. Ob eine psychische Erkrankung auch zu einer Behinderung führt, hängt von ihrem Ausmaß und ihren Folgen ab, insbesondere in psychischer, physischer, beruflicher und sozialer Hinsicht. Seelisch behindert ist nur, wer infolge seelischer Störung mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate in der seinem Alter entsprechenden Funktionsfähigkeit gemindert ist. Als solche seelische Störungen kommen körperlich nicht begründbare Psychosen, seelische Störungen als Folge von Krankheit oder Verletzung des Gehirns, Anfallsleiden oder körperliche Beeinträchtigungen, Suchtkrankheiten, Neurosen und Persönlichkeitsstörungen in Betracht. Für die Frage, ob infolge einer seelischen Störung die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist, kommt es auf das Ausmaß und den Grad der seelischen Störung an. Entscheidend ist, ob die seelische Störung nach Breite, Tiefe und Dauer so intensiv ist, dass sie die Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft beeinträchtigt (zu allem BFH, Urteil vom 19.01.2017 - III R 44/14, BFH/NV 2017, 735).
43Der Vortrag des Klägers gibt keinen hinreichenden Anlass für die Annahme, dass bei seinem Sohn B die vorgenannten Voraussetzungen erfüllt sein könnten. Vielmehr beschränkt sich der Vortrag des Klägers im Wesentlichen auf die Behauptung, dass sein Sohn psychisch krank und infolgedessen behindert sei. Allerdings wurden weder der Krankheitsverlauf noch Ausmaß und Schwere der Erkrankung hinreichend dargelegt. Fest steht lediglich, dass B am 06.07.2016 in der Notaufnahme vorstellig wurde wegen eines Zustands, der erstmalig am 06.05.2016 aufgetreten sein soll. In dem Untersuchungsbericht heißt es ausdrücklich, dass „bisher keine psychiatrischen Vorerkrankungen bekannt“ seien. Dies steht in Widerspruch zu dem Vortrag des Klägers, dass schon im ersten Halbjahr 2015 erste Anzeichen psychotischer Schübe unter Stress aufgetreten seien, welche zu einer Unterbrechung der Schulausbildung geführt hätten. Arztbesuche o.ä. aus der Zeit vor Mai 2016 wurden weder konkret dargelegt noch glaubhaft gemacht, so dass die Möglichkeit, dass im Zeitraum August 2015 bis April 2016 eine geistige oder seelische Behinderung vorgelegen haben könnte, nicht einmal ansatzweise erkennbar ist. Insoweit ist auch zu beachten, dass der Kläger in der am 23.07.2017 eingereichten „Erklärung zu den Verhältnissen eines über 18 Jahre alten Kindes“ selbst erklärt hatte, dass sich sein Sohn erst „seit 2016“ aufgrund einer körperlichen/geistigen/seelischen Behinderung nicht selbst habe unterhalten können.
44Für den restlichen Streitzeitraum Mai 2016 bis September 2018 wurde im Wesentlichen nur die Behandlung am 06.07.2016 nachgewiesen. Aus dem einmaligen Besuch der Notaufnahme lässt sich jedoch nicht ableiten, wie sich die Beschwerden in der Folgezeit weiter entwickelt haben. Noch dazu lassen die im Untersuchungsbericht beschriebenen Symptome keinen zwingenden Schluss auf eine seelische Erkrankung, geschweige denn eine Behinderung zu. Denn aus Sicht der Ärzte kam als Grund der Beschwerden auch eine Enzephalitis in Betracht. Eine Enzephalitis ist eine Gehirnentzündung, welche nicht zwangsläufig zu dauerhaften Schäden führt, sondern auch vollständig verheilen kann (s. www.netdoktor.de/krankheiten/enzephalitis).
45Wie sich der Krankheitsverlauf nach dem 06.07.2016 entwickelt hat, entzieht sich der Kenntnis des Gerichts. Aus den schon im Verwaltungsverfahren eingereichten Unterlagen ergibt sich lediglich, dass ab dem 22.11.2017 eine stationäre Behandlung am Universitätsklinikum Z stattfinden sollte, zu der es jedoch nicht gekommen ist. Diagnosen o.ä. werden in den Unterlagen nicht genannt. Jeglicher weiterer Vortrag des Klägers, nämlich dass es auch ambulante Behandlungen am Universitätsklinikum Z gegeben habe und es später zu einer stationären Behandlung am C Krankenhaus gekommen sei, sind bloße Behauptungen, die noch dazu völlig unsubstantiiert sind. Trotz mehrfacher Aufforderung hat der Kläger auch weiterhin nicht mitgeteilt, von wann bis wann und wegen welcher Diagnosen die Behandlungen stattfanden.
46Von daher ist nicht einmal ansatzweise erkennbar, ob die Beschwerden nach Art und Ausmaß überhaupt geeignet sein könnten, eine Behinderung i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX zu begründen. Die Beweiserhebung würde damit letztlich ins Blaue hinein erfolgen. Der Kläger kann sich seiner Pflicht, die Klage zu begründen und insbesondere den Sachverhalt substantiiert dazulegen, nicht durch die Stellung von Beweisanträgen entledigen.
47Das Gericht war auch nicht (mehr) verpflichtet, auf eine weitere Konkretisierung des Sachvortrags des Klägers hinzuwirken. Der Kläger wurde mehrfach – davon zweimal unter Setzung von Ausschlussfristen nach § 79b Abs. 2 FGO – aufgefordert, die Krankheitsgeschichte seines Sohnes substantiiert darzulegen und insbesondere anzugeben, von wann bis wann die jeweilige Behandlung stattfand. Der Kläger wurde dabei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Gericht gem. § 79b Abs. 3 FGO berechtigt ist, ohne weitere Ermittlungen zu entscheiden, wenn er die angeforderten Erklärungen und Beweismittel nicht einreicht.
48Die fehlende Mitwirkung des Klägers bei der substantiierten Darstellung der Krankheitsgeschichte seines Sohnes wiegt umso schwerer, weil es im Streitfall um die Beurteilung eines bereits abgeschlossenen Zeitraums geht. Streitentscheidend ist nicht, ob B zurzeit behindert ist, sondern ob er dies im Streitzeitraum, d.h. in den Monaten August 2015 bis September 2018 war. Um von dem derzeitigen Zustand auf die Vergangenheit schließen zu können, benötigt ein Gutachter konkrete Informationen über den bisherigen Krankheitsverlauf.
49Nicht zuletzt war dem Antrag auf Einholung eines oder mehrerer Sachverständigengutachten aber auch deshalb nicht zu folgen, weil die behandelnden Ärzte nicht wirksam von der Schweigepflicht befreit wurden. Mit Schriftsatz vom 11.03.2019, welcher auch von dem Sohn B unterschrieben wurde, wurde zwar dem Facharzt für Innere Medizin F, den Ärzten der Klinik für Neurologie und Poliklinik am Universitätsklinikum Z und D vom C Krankenhaus gestattet, sich zu den mit diesem Fall in Verbindung stehenden Details zu äußern. Jedoch erfolgte diese Gestattung ausdrücklich unter der Bedingung, dass „die von den gen. Personen genannten medizinischen Details zum Krankheitsbild nicht in elektronischen Datenbanken der Beklagten gespeichert werden dürfen“. Erklärungen, die unter einer Bedingungen abgegeben werden, sind regelmäßig nicht wirksam. Zudem übersieht der Kläger, dass es der Grundsatz rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) gebietet, der Beklagten ein etwaiges Sachverständigengutachten in vollem Umfang zugänglich zu machen, und dass diese damit auch berechtigt ist, dass Gutachten zu ihren (ausschließlich elektronisch geführten) Akten zu nehmen.
503) Die Beklagte war auch berechtigt, das für die Monate August 2015 bis Juli 2017 gezahlte Kindergeld von dem Kläger zurückzufordern.
51Ist Kindergeld ohne rechtlichen Grund gezahlt worden, so hat nach § 37 Abs. 2 AO i.V.m. § 31 Satz 3 EStG derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist (hier: die Beklagte), gegenüber dem Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten Betrags. Diese Rechtsfolgen treten auch dann ein, wenn der rechtliche Grund für die Zahlung später wegfällt (§ 37 Abs. 2 Satz 2 AO). Nach der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung ist der rechtliche Grund für die Zahlung des Kindergeldes für die Monate August 2015 bis Juli 2017 weggefallen. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger nicht Leistungsempfänger im Sinne des § 37 Abs. 2 AO ist, bestehen nicht.
524) Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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