Beschluss vom Finanzgericht Hamburg (3. Senat) - 3 KO 117/15

Tatbestand

1

A. Nach Obsiegen in der Klage-Hauptsache macht die Klägerin und Erinnerungsführerin (Klägerin) im Kostenfestsetzungsverfahren als Rechtsverfolgungskosten Reisekosten (Fahrtkosten und Tage- Abwesenheitsgelder) ihres Prozessbevollmächtigten geltend, der seinen Sitz weder an dem Ort des Finanzgerichts noch an dem mit dem Gerichtsort identischen Sitz der Klägerin unterhält.

I.

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1. Die Klägerin ist als Grundstückgemeinschaft Eigentümerin einer Immobilie und erzielt daraus Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung.

3

2. In 2008 plante ein Dritter, auf dem Nachbargrundstück ein neues Gebäude zu errichten, das direkt an das Gebäude der Klägerin angrenzen sollte. Der Dritte beabsichtigte eine deutliche Überschreitung der bisherigen Baulinien und Geschosshöhen sowie eine Unterfangung des eigenen (Neubau-)Baukörpers.

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Gemäß der Planung sollte die Baulinie im straßenseitigen Bereich gegenüber dem Grundstück der Klägerin um 2 Meter überschritten und in 6-facher Geschosshöhe ausgedehnt werden. Zudem sollten über die erweiterte Baulinie hinaus Erker in der Straßenfront eingebaut werden. Die Baulinie sollte im rückwertigen Bereich um 4 Meter überschritten und in 6-facher Geschosshöhe ausgedehnt werden. Die Überschreitungen der Baulinien ließen eine Verschattung der Immobilie der Klägerin erwarten. Der neue Baukörper sollte das Haus der Klägerin um 2 Vollgeschosse bzw. um mehr als 5 Meter überragen.

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3. Die Genehmigung des Bauvorhabens erforderte aufgrund seiner Größe eine Zustimmung der Klägerin.

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Durch die Verwirklichung des Bauvorhabens waren ein Wertverlust und die baurechtliche Unzulässigkeit eines weiteren Ausbaus der Immobilie der Klägerin zu erwarten.

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Am 13.02.2008 erteilte die Klägerin ihre Zustimmung und es wurde eine Ausgleichszahlung in Höhe von EUR 100.000,00 vereinbart.

II.

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1. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ist seit fast 30 Jahren für diese tätig. Er ist dadurch auch mit den Verhältnissen der streitgegenständlichen Immobilie sowie deren bauplanungsrechtlichen Aspekten vertraut. Der Prozessbevollmächtigte befasste sich unter anderem mit den Fragen der Baulinien und dem Gutachten zur zunehmenden Verschattung der Immobilie.

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2. Vor dem Klageverfahren begleitete er die Klägerin auch im Rahmen eines steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens. Gegenstand jenes Verfahrens war die oben genannte Ausgleichszahlung. Bereits mit Schreiben vom 29.12.2010 nahm der Prozessbevollmächtigte dort ausführlich Stellung und fügte zur Visualisierung Bilder und Pläne bei. Darüber hinaus wurden mehrere Termine vor Ort in Hamburg wahrgenommen. Der Prozessbevollmächtigte reiste am 14.01.2011 zur Vorbereitung eines Termins in den Räumen des Finanzamtes für Prüfungsdienste und Strafsachen nach Hamburg. Am 24.02.2011 nahm der Prozessbevollmächtigte einen Termin in Hamburg beim Finanzamt für Prüfungsdienste und Strafsachen wahr. Das Verfahren wurde nach umfangreichen Erörterungen unter Beteiligung des Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 29.08.2011 ohne Auflagen eingestellt.

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3. Der Prozessbevollmächtigte begleitete die Klägerin im Veranlagungsverfahren und im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren. Auch hier wurde die rechtliche Einordnung der Ausgleichszahlung diskutiert. Das beklagte Finanzamt (FA) folgte den im Steuerstrafverfahren von der Klägerin vorgebrachten Argumenten nicht. Dadurch ergab sich eine erneute Auseinandersetzung mit den bauplanungsrechtlichen Aspekten und der verschattungsbedingten Wertminderung der Immobilie.

III.

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1. Im Besteuerungsverfahren berücksichtigte das FA die oben genannte Zahlung als sonstige Einkünfte aus Leistung im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG und erfasste am 30.11.2011 in einem Bescheid für das Jahr 2008 Einkünfte in Höhe von EUR 100.000,00.

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2. Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos.

IV.

13

1. Die Klägerin hat am 18.04.2013 Anfechtungsklage gegen den Bescheid über die Einkünftefeststellung für 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung erhoben (Finanzgerichts Akte {FG-A} Bl. 1).

14

2. Nach entsprechendem Hinweis durch das Finanzgericht im Erörterungstermin vom 23.04.2014 hat das FA der Klage abgeholfen und den Feststellungsbescheid für 2008 vom 30.11.2011 nebst Einspruchsentscheidung vom 22.03.2013 aufgehoben (FG-A Bl. 28).

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3. Die Beteiligten haben die Hauptsache damit für erledigt erklärt. Das Finanzgericht hat mit Beschluss vom 23.04.2014 1 K 93/13 die Kosten des Verfahrens dem FA nach § 138 Abs. 2 Satz 2 FGO auferlegt (FG-A Bl. 28).

V.

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1. Die Klägerin hat einen Antrag auf Kostenfestsetzung gestellt. Sie hat unter anderem Fahrtkosten und Tage- und Abwesenheitsgeld für den Erörterungstermin in Hamburg am 23.04.2014 i. H. v. zusammen EUR 121,70 geltend gemacht (FG-A Bl. 30, 31).

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2. Das Finanzgericht hat durch die Berichterstatterin mit Beschluss vom 11.02.2015 1 K 93/13 den Streitwert auf EUR 25.000,00 festgesetzt (FG-A Bl. 32).

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3. Die Urkunds- und Kostenbeamtin hat mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 31.03.2015, der der Klägerin am 07.04.2015 zugestellt worden ist, die zu erstattenden Kosten auf EUR 3.234,77 festgesetzt; und zwar ohne die von der Klägerin geltend gemachten Fahrtkosten und das Tage- und Abwesenheitsgeld. Die Reisekosten des auswärtigen Bevollmächtigten zum Finanzgericht Hamburg stellten keine zur Rechtsverfolgung notwendigen Kosten dar und seien nicht erstattungsfähig (FG-A Bl. 38).

VI.

19

Hiergegen hat die Klägerin mit Schreiben vom 17.04.2015 Erinnerung eingelegt. Aufgrund des langwierigen Verfahrens und der intensiven Betreuung durch den Klägervertreter wäre die Einarbeitung eines Prozessvertreters vor Ort in Hamburg im Hinblick auf die baulichen Zusammenhänge des Falles mit einem deutlich erhöhten Zeit und Kostenaufwand auf Seiten der Klägerin verbunden und damit unverhältnismäßig gewesen. Die bloßen Reisekosten seien im Verhältnis dazu minimal (FG-A Bl. 45 f.).

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Die Klägerin beantragt (FG-A Bl. 45),
die Reisekosten wie beantragt in Höhe von EUR 121,70 festzusetzen.

21

Das FA beantragt (FG-A Bl. 47),
die Erinnerung zurückzuweisen.

22

Die Beauftragung eines in Hamburg ansässigen Bevollmächtigten wäre ohne Nachteile für die Rechtsverfolgung möglich gewesen.

VII.

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Die Kosten- und Urkundsbeamtin hat der Erinnerung am 19. Mai 2015 nicht abgeholfen (FG-A Bl. 48).

Entscheidungsgründe

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B. I. Die gemäß § 149 Abs. 2 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässige Erinnerung ist begründet.

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Die Fahrtkosten und die Tage- und Abwesenheitsgelder des Prozessbevollmächtigten der Klägerin sind in der geltend gemachten Höhe von insgesamt EUR 121,70 zu erstatten; und zwar die Fahrtkosten EUR 86,70 nach RVG-VV Nr. 7003 und das Tage- und Abwesenheitsgeld EUR 35,00 nach RVG-VV Nr. 7005.

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1. Zu erstatten sind gemäß § 139 Abs. 1 FGO die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten, einschließlich der Kosten des Vorverfahrens. Erstattungsfähig sind somit nur notwendige Aufwendungen.

27

2. Die Norm des § 91 Abs. 2 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) bestimmt, dass im zivilgerichtlichen Verfahren Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, nur insoweit zu erstatten sind, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war.

28

Die FGO sieht zwar keine § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO entsprechende gesetzliche Einschränkung der Erstattungsfähigkeit von Reisekosten auswärtiger Rechtsanwälte vor.

29

In der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung wird jedoch zu der § 139 Abs. 1 FGO wortgleichen Vorschrift des § 162 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) einhellig vertreten, dass sich eine § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO vergleichbare Einschränkung bei der Beauftragung auswärtiger Rechtsanwälte über die Generalverweisung § 173 VwGO aus dem das gesamte Kostenrecht durchziehenden Sparsamkeitsgebot ergebe (z. B. VG Berlin vom 23. Februar 2010 9 KE 27.10, 13 A 40.07, Juris; OVG Hamburg vom 5. März 2007 3 So 5/06, NVwZ-RR 2007, 565; Bayerischer VGH vom 27. Juli 2006 2 N 04.2476, Juris; OVG Sachsen-Anhalt vom 1. November 2005 4 O 327/05, Juris; OVG Rheinland-Pfalz vom 25. Februar 2004 8 C 10550/03.OVG, Juris; VGH Mannheim vom 20. Juli 1989 2 S 1497/89, Juris).

30

Das erkennende Gericht schließt sich dieser verwaltungsgerichtlichen Auffassung für das finanzgerichtliche Verfahren und die hiesige Generalverweisung § 155 FGO an (ebenso FG Hamburg vom 18. Juni 2012 3 KO 209/11, Juris; FG Brandenburg vom 2. April 1996 I Ko 242/96 KF, EFG 1996, 1054).

31

3. In der somit bei der Anwendung von § 139 FGO heranziehbaren Rechtsprechung des BGH zu § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO hat dieser an seiner bisherigen Auffassung festgehalten, dass die (Reisekosten auslösende) Beauftragung eines spezialisierten auswärtigen Rechtsanwalts, der seinen Sitz weder am Gerichtsort noch am Wohnsitz bzw. Sitz der Klägerin oder des Klägers unterhält, nur dann ausnahmsweise notwendig ist, wenn ein vergleichbarer ortsansässiger Rechtsanwalt nicht beauftragt werden kann (BGH vom 20. Dezember 2012 XI ZB 12/11, Juris; XI ZB 13/11, Betriebsberater -BB- 2012, 458; vom 21. Dezember 2011 I ZB 47/09, Der Rechtspfleger -Rpfleger- 2012, 288 m. w. N; ständ. Rspr.). Ein bestehendes besonderes Vertrauensverhältnis zwischen einem Beteiligten und seinem Prozessbevollmächtigen reicht dabei nicht aus, um ortsansässige Rechtsanwälte als nicht vergleichbar erscheinen zu lassen (BGH vom 20. Dezember 2011 XI ZB 13/11, BB 2012, 458 m. w .N).

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Die Frage der Vergleichbarkeit ist vielmehr aus Sicht eines verständigen, nicht notwendigerweise rechtskundigen, Beteiligten zu beantworten (BVerwG vom 6. Dezember 1963 VII C 14.63, BVerwGE 17, 245; VG Karlsruhe vom 13. April 2004 5 K 1141/02, Juris; VG Göttingen vom 26. November 2010 2 A 23/10, Juris; LG Tübingen vom 9. September 2008 2 O 374/05, Juris).

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Sie richtet sich danach, ob der auswärtige Rechtsanwalt über besondere Fachkenntnisse in einer den konkreten Fall betreffenden rechtlichen Spezialmaterie und/oder besondere zur Fallbearbeitung notwendige Kenntnisse auf tatsächlichem Gebiet verfügt, die ihn von anderen, ortsansässigen Rechtsanwälten abheben.

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Über besondere Kenntnisse in tatsächlicher Hinsicht verfügt ein auswärtiger Rechtsanwalt nicht nur dann, wenn er nahezu ausschließlich eine bestimmte Gruppe von Mandanten oder Mandanten aus einer bestimmten Branche vertritt und dadurch über vertiefte Kenntnisse der branchenüblichen Gepflogenheiten und der den Rechtsstreitigkeiten zu Grunde liegenden wirtschaftlichen Sachverhalte verfügt, sondern auch, wenn er einschlägig besonders umfangreich, also über die bloße vorprozessuale Vertretung hinaus, mit den Angelegenheiten des Mandanten vorbefasst war (BGH vom 20. Dezember 2011 XI ZB 13/11, BB 2012, 458; Thüringer OLG vom 17. Oktober 2011 9 W 488/11, Juris; OLG Düsseldorf vom 13. Juli 2010 I-6 W 26/10, Juris; OLG Sachsen-Anhalt vom 30. Juli 2010 2 W 61/10, Juris; OVG Brandenburg vom 9. Oktober 2001 2 E 84/00, NVwZ-RR 2002, 317; Bayerischer VGH vom 17.05.1977 29 VIII 77, BayVBl 1977, 477).

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4. Im letzteren Sinne erfüllt der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Voraussetzungen der besonderen Kenntnisse in tatsächlicher Hinsicht aufgrund seiner besonders umfangreichen Vorbefassung; nämlich Vertrautheit mit den bauplanungsrechtlichen Aspekten der Immobilie der Klägerin, Auswertung von Bildern, Plänen und Gutachten, Reisen zu Terminen vor Ort; und zwar aufgrund seiner langen Mandatsbeziehung sowie im Rahmen sowohl des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens als auch des Veranlagungsverfahrens und des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens (oben A II).

II.

36

1. Zuständig für die Entscheidung über die Erinnerung ist der Berichterstatter gemäß § 149 Abs. 4 i. V. m. § 79a Abs. 1 Nr. 5 FGO (vgl. Beschlüsse FG Münster vom 7. Juni 2010 9 Ko 647/10 KFB, EFG 2010, 2021 m. w. N.; BVerwG vom 13. März 1995 4 A 1/92, NJW 1995, 2179 zu II 1 zur Parallelvorschrift § 87a Abs. 1 Nr. 5 VwGO; Thürmer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 79a FGO Rd. 82 jeweils m. w. N.); hier der Berichterstatter des durch die Geschäftsverteilung des FG bestimmten Kostensenats (Beschlüsse FG Hamburg vom 23.01.2015 3 KO 298/14; vom 19.04.2011 3 KO 24/11; vom 14. April 2011 3 KO 197/10; vgl. Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 149 Rd. 21).

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2. Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Erinnerungsverfahrens beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

38

Die Entstehung von Gerichtskosten für das Erinnerungsverfahren sieht das Gesetz nicht vor.

39

3. Die Unanfechtbarkeit folgt aus § 128 Abs. 4 Satz 1 FGO.

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