Gerichtsbescheid vom Finanzgericht Hamburg (5. Senat) - 5 K 15/17

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten um die Erstattung der Kosten für ein außergerichtliches Verfahren.

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Der Kläger bezieht seit Jahren Kindergeld für mehrere Kinder.

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Nach Aktenlage erfolgte zuletzt eine Kindergeldfestsetzung der Familienkasse Hamburg vom 30.04.2013 für das Kind A ab September 2012 mit gleichzeitiger Festsetzung zur Höhe des auch für die anderen Kinder zu beanspruchenden Kindergeldes gem. § 70 Abs. 2 EStG.

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Laut Kindergeldverfügung vom 30.04.2013 war die Kindergeldzahlung für das Kind A befristet bis 06.2015, für das Kind B bis 01.2014, für die beiden jüngsten Kinder C und D befristet bis 04.2019 bzw. 10.2022.

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Mit Schreiben vom 19.02.2015 teilte die Familienkasse Nord (Hamburg) dem Kläger einen Zuständigkeitswechsel auf die Familienkasse E mit. Das Schreiben enthielt den Hinweis: "Dieser Wechsel hat keinerlei Auswirkungen auf Ihren Kindergeldanspruch. Das Kindergeld wird ohne Zahlungsunterbrechung weiter in der bisherigen Höhe an Sie ausgezahlt."

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Die nunmehr zuständige Beklagte versandte am 19.03.2015 einen "Fragebogen zur Prüfung des Anspruchs auf Kindergeld" an den Kläger. Zu diesem Zeitpunkt waren neben dem Kind A auch die jüngeren Kinder C und D als weitere zu berücksichtigende Kinder des Klägers im System der Beklagten gespeichert. Nach Rücklauf des ausgefüllten Fragebogens mit Angabe von vier zu berücksichtigenden Kindern (einschließlich B) nebst Anlagen forderte die Beklagte mit Schreiben vom 01.06.2015 weitere Unterlagen betreffend B von dem Kläger an. Dies leitete sie mit den Worten ein: "über Ihren Anspruch auf Kindergeld kann noch nicht bzw. noch nicht endgültig entschieden werden...". In der Akte findet sich im Anschluss eine Terminanzeige mit dem Hinweis "Anlass: Aufhebungsbescheid/Aufforderung gem. Befristungsgrund A" mit weiterem Hinweis auf eine Befristung für das Kind A 06.2015A. Unter dem 12.10.2015 erfolgte eine "Pseudo-Kassenanordnung" zu Dokumentationszwecken zur Nachzahlung für drei Kinder (ohne B, für A für 01 - 06 2015, für die anderen beiden Kinder für 01 - 07 2015) infolge Erhöhung der Kindergeldsätze zum 01.01.2015. Anschließend gingen weitere Unterlagen des Klägers ein.

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Mit am 30.05.2016 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben vom 25.05.2016 wies der Kläger darauf hin, dass seit 18.05.2015 kein Kindergeld mehr ausgezahlt würde, und bat um Zahlung.

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Unter dem 27.07.2016 wandte sich eine von dem Kläger bevollmächtigte Rechtsanwältin an die Beklagte. Sie stellte zunächst fest, dass für die Kinder A und B die Kindergeldzahlungen zu Recht eingestellt worden seien. Jedoch seien zu Unrecht im Juni 2015 auch die Zahlungen für die Kinder C und D eingestellt worden, ohne dass ein entsprechender Bescheid erteilt worden sei.

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Unter dem 24.08.2016 erfolgte eine "Kindergeldverfügung" bzw. "Kassenanordnung" mit der Verfügungsbemerkung "Zahlungsaufn. nach Termin Fragebogen ab 08/15...". Mit Schreiben gleichen Datums teilte die Beklagte der Bevollmächtigten des Klägers die Aufnahme der Kindergeldzahlung für die "beiden jüngeren" Kinder mit und kündigte eine Nachzahlung ab August 2015 an. Ein gesonderter Bescheid ergehe nicht, da die Festsetzung des Kindergeldes nicht aufgehoben worden sei. Es sei nur eine jährliche Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen erfolgt.

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Mit Schreiben vom 13.10.2016 beantragten die Bevollmächtigten unter Hinweis auf die Entscheidung des FG Münster vom 05.02.2015 (11 K 1172/14 Kg), die Kosten der Rechtsvertretung in Höhe von 473,62 € als Aufwendungen gem. § 77 Abs. 3 EStG festzusetzen und die Hinzuziehung der Bevollmächtigten als notwendig zu erklären. Die Einstellung der Kindergeldzahlungen im Zusammenhang mit der Anforderung weiterer Unterlagen stelle einen anfechtbaren Verwaltungsakt dar, gegen den sich der Kläger innerhalb der mangels Rechtsbehelfsbelehrung geltenden Jahresfrist mit dem als Einspruch auszulegenden Schreiben vom 25.05.2016 gewendet habe. Dem habe die Beklagte durch Wiederaufnahme der Zahlungen abgeholfen.

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Mit Bescheid vom 16.11.2016 lehnte die Beklagte eine Kostenerstattung nach § 77 EStG mit der Begründung ab, diese sei nur für das Rechtsbehelfsverfahren (Vorverfahren), nicht für das Verwaltungsverfahren vorgesehen.

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Am 24.11.2016 legten die Bevollmächtigten namens des Klägers Einspruch gegen den Bescheid vom 16.11.2016 ein. Mit Einspruchsentscheidung vom 02.01.2017 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. § 77 EStG sehe eine Kostenerstattung nur für einen hier nicht vorliegenden Einspruch gegen ein Festsetzungsverfahren vor. Die Einspruchsentscheidung enthält gleichzeitig die Feststellung, dass die im Rechtsbehelfsverfahren entstandenen Aufwendungen nicht erstattet würden.

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Gegen die Einspruchsentscheidung wendet sich der Kläger mit der am 01.02.2017 eingegangenen Klagschrift vom 27.01.2017. Er wiederholt die Bezugnahme auf die Entscheidung des FG Münster. Die Rechtsvertretung sei erforderlich gewesen, da die Beklagte auf das Schreiben des Klägers vom 25.05.2016 nicht reagiert habe.

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Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Bescheid vom 16.11.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 02.01.2017 sowie die mit der Einspruchsentscheidung vom 02.01.2017 verbundene Kostenentscheidung aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten in den Verfahren über die Einsprüche des Klägers vom 25.05.2016 und vom 27.07.2016 zu erstatten.

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Er wiederholt im Wesentlichen seinen Vortrag im Antrags- und Einspruchsverfahren.

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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung bezieht er sich auf seine Einspruchsentscheidung.

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Dem Gericht hat die Kindergeldakte der Beklagten vorgelegen.

Entscheidungsgründe

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Der Senat entscheidet gem. § 90a Abs. 1 FGO ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid.

I.

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Die Klage hat keinen Erfolg.

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1. Soweit sich der Antrag des Klägers auf die mit der Einspruchsentscheidung vom 02.01.2017 verbundenen Kostenentscheidung bezieht, ist er nicht statthaft, da die Kosten des ins Klageverfahren übergeleiteten Vorverfahrens von Amts wegen Gegenstand einer als Nebenentscheidung zum Urteil zu treffenden Kostengrundentscheidung sind, die sich gem. § 139 Abs. 1 FGO auch auf die Kosten des Vorverfahrens erstreckt.

22

Die im Streitfall mit der Einspruchsentscheidung verbundene Kostenentscheidung ist keine auf der Grundlage des § 77 Abs. 1 S. 1 EStG getroffene Entscheidung. Sie betrifft nur das letzte Einspruchsverfahren gegen den Kostenbescheid vom 16.11.2016. Dieses Einspruchsverfahren ist erfolglos gewesen und unterfällt damit nicht dem Anwendungsbereich des § 77 Abs. 1 S. 1 EStG (und auch nicht der Alternative in § 77 Abs.1 S. 2 EStG). Die Kosten des erfolglosen, im finanzgerichtlichen Verfahren weitergeführten Einspruchsverfahrens sind im Rahmen des § 139 Abs. 1 FGO erstattungsfähig und erstrecken sich auch auf die Aufwendungen für einen Bevollmächtigten, sofern das Gericht eine positive Entscheidung über die Notwendigkeit der Hinzuziehung zum Vorverfahren trifft; eines Verpflichtungsantrags gegenüber dem Beklagten im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens bedarf es daher nicht (Reuß in: Bordewin/Brandt EStG Lfg. Mai 2014 § 77 Rn. 18b; s. a. Wendl in: Herrmann/Heuer/Raupach EStG Lfg. März 2015 § 77 Anm. 1). Die von dem Beklagten im Tenor der Einspruchsentscheidung getroffene Kostenentscheidung wird zudem durch die Kostenentscheidung des Gerichts gegenstandslos, da sich der Gegenstand des Klageverfahrens und des erfolglosen Einspruchsverfahrens (beides: der Kostenbescheid vom 16.11.2016) decken (vgl. FG Düsseldorf Beschluss vom 14.08.2000 14 K 6470/98 Kg, n. v. juris; BFH Beschluss vom 13.06.2003 VIII R 13/02, BFH/NV 2003, 1432).

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Die Entscheidung des BFH vom 13.05.2015 (III R 8/14, BStBl II 2015, 844) zu einer statthaften unmittelbaren Klage gegen eine im Rahmen der Einspruchsentscheidung ergangene Kostenentscheidung steht dem nicht entgegen. Grundlage dieser Entscheidung war eine Klage nach erfolgter Teilabhilfe und Einspruchsentscheidung im Übrigen. Die Klage war isoliert gegen die erstmals in der Einspruchsentscheidung getroffene Kostenentscheidung erhoben worden. Die Kostenentscheidung betraf allein das Vorfahren, soweit es erfolgreich gewesen und damit in der Hauptsache nicht mehr Gegenstand der Sachentscheidung der Einspruchsentscheidung war. Soweit der BFH in der genannten Entscheidung auch den Fall der Zurückweisung eines Einspruchsbegehrens erwähnt (Tz. 14), stellt dieser Hinweis einen nicht tragenden Teil der Entscheidung dar und ist zudem mit der auch der Meinung des Senats entsprechenden Aussage verknüpft, dass es eines Einspruchs gegen die mit der Einspruchsentscheidung verbundene Kostenentscheidung nicht bedarf.

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2. Die Klage ist unbegründet, soweit sie sich auf die Kostenentscheidung im Bescheid vom 16.11.2016 über das erfolgreiche außergerichtliche Vorgehen gegen die Zahlungseinstellung und deren Bestätigung in der Einspruchsentscheidung vom 02.01.2017 bezieht.

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Der Kläger kann sich für seinen Kostenerstattungsanspruch nicht mit Erfolg auf § 77 EStG stützen. Diese Vorschrift ist im Streitfall nicht anwendbar, da es an einem Einspruch gegen einen Verwaltungsakt mangelt.

26

§ 77 EStG wurde mit der Überführung des Kindesgeldrechts vom Sozialrecht in das Einkommensteuerrecht in Anlehnung an den für das Sozialrecht geltenden § 63 SGB X geschaffen, um eine Schlechterstellung gegenüber dem bisherigen Recht zu vermeiden (BTDrs 13/1558 S. 162; Wendl in : Herrmann/Heuer/Raupach EStG Lfg. März 2015 § 77 Anm. 1). Zwar hat die Rechtsprechung den Anwendungsbereich des § 77 EStG schon über die ausdrücklich erwähnte Kindergeldfestsetzung auch auf Aufhebungsbescheide bzw. Rückforderungsbescheide ausgedehnt (vgl. im Einzelnen Treiber in: Blümich EStG Lfg. Mai 2015 § 77 Rn. 4). Indes ist es auch nach Auffassung des Senats weiterhin geboten und entspricht dem Ausnahmecharakter, die der Regelung des § 77 EStG im Rahmen des Steuerrechts zukommt, die Anwendung auf den Einspruch gegen Verwaltungsakte zu beschränken (s. die Formulierung in § 63 SGB X; vgl. BFH Beschluss vom 25.08.2009 III B 245/08, BFH/NV 2009, 1989).

27

Zwar mag in Kindergeldfällen in der erstmaligen antragsgemäßen Auszahlung des Kindergeldes auch ohne ausdrückliche Erteilung eines Bescheids ein Verwaltungsakt liegen. Die bloße Zahlungsunterbrechung nach zuvor erfolgter Kindergeldfestsetzung bzw. zuvor erfolgter Kindergeldzahlung seitens der Familienkasse stellt indes keinen Verwaltungsakt dar (s. BFH Urteil vom 11.12.2013 XI R 42/11, BStBl II 2014, 840 Tz. 27 Juris).

28

Im Streitfall ist die Handhabung der vorläufigen Zahlungseinstellung auch in Verbindung mit den weiteren Umständen nicht als Verwaltungsakt auszulegen.

29

Ein Verwaltungsakt ist gemäß § 118 AO jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Er kann gem. § 119 Abs. 2 AO schriftlich, elektronisch, mündlich oder auf andere Weise erlassen werden.

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Der Senat lässt unentschieden, ob er in der von dem FG Münster entschiedenen Konstellation die Auslegung des Verwaltungsvorgehens als Verwaltungsakt befürworten würde.

31

Der hier zur Entscheidung stehende Sachverhalt unterscheidet sich von dem dort entschiedenen Sachverhalt.

32

Die Beklagte hat angesichts des Charakters der Kindergeldfestsetzung als auch für die Zukunft fortgeltenden Regelung und damit Grundlage für die Anspruchsberechtigung des Klägers in dem - allerdings nur auf das Kind B bezogenen - Schreiben vom 01.06.2015 eine wenigstens missverständliche Formulierung gewählt. Es konnte allenfalls über die Aufhebung des fortbestehenden Anspruchs entschieden werden. Eben wegen der Dauerwirkung der Kindergeldfestsetzung für die Auszahlung in der Zukunft war die Zahlungseinstellung seitens des Beklagten - zumal über einen Zeitraum von über einem Jahr - greifbar rechtswidrig und stand zudem im Widerspruch zu den geltenden Dienstanweisungen der Familienkassen (vgl. V 10 Abs. 8, V 3.1. Abs. 6 S. 1, V 3.2 Abs. 3 S. 2, V 3.3. Abs. 2 S. 2 DA-KG 2016).

33

Im Streitfall spricht schon gegen die Auslegung des Verhaltens der Familienkasse als Aufhebung der Kindergeldfestsetzung, dass nach Aktenlage weder die Versendung des Fragebogens vom 19.03.2015 noch die weitere Anforderung von Unterlagen gem. Schreiben vom 01.06.2015 mit einem gleichzeitigen schriftlichen Hinweis auf die Zahlungseinstellung verbunden oder in der Formulierung als Reaktion auf eine Aufforderung zur Zahlungsfortsetzung zu erkennen war. Im Gegenteil unterrichtete die Beklagte den Kläger offenbar nicht von der Zahlungseinstellung und reagierte selbst auf die spätere Zahlungsaufforderung des Klägers vom 25.05.2016 nicht. Demgegenüber erfolgte in dem vom FG Münster entschiedenen Fall das Schreiben der dortigen Beklagten (vom 11.11.2013) mit dem Hinweis auf die notwendige Prüfung nach der Einreichung weiterer Unterlagen zeitlich unmittelbar nach der schriftlichen Aufforderung zur Fortzahlung des Kindergeldes durch den dortigen Kläger (vom 04.11.2013).

34

Der fehlende Charakter des Verhaltens der Behörde als Verwaltungsakt ebenso wie der fehlende Regelungswille zeigt sich auch an der einem "Bescheid" selbst nach Laiensicht nicht entsprechenden Form des Verwaltungshandelns ebenso wie an einer fehlenden Rechtsmittelbelehrung. Das spätere Schreiben der Beklagten vom 24.08.2016 bestätigt den fehlenden Willen, einen Bescheid zu erlassen.

35

Nach Auffassung des Senats besteht kein Anlass zu einer "großzügigen" Auslegung des behördlichen Verhaltens als Verwaltungsakt. Dies sieht der Senat auch vor dem Hintergrund der Gefahren für den Kindergeldberechtigten, der mit einer solchen großzügigen Auslegung verknüpft wäre. Wäre das Verhalten im Zusammenhang mit der Zahlungseinstellung als Verwaltungsakt im Sinne einer Aufhebung der Kindergeldfestsetzung zu würdigen, so würde dieser Bescheid bestandskräftig, wenn er nicht angefochten würde. Zwar bestünde hierfür mangels Rechtsbehelfsbelehrung eine Jahresfrist (§ 356 Abs. 2 AO). Indes wäre zu besorgen, dass viele Kindergeldberechtigte auch innerhalb dieser erweiterten Frist ihre Rechte nicht durch einen Einspruch bzw. ein als Einspruch zu wertendes Verhalten wahrnehmen. Gerade das Gebot der Rechtssicherheit und Klarheit von Verwaltungshandeln spricht gegen eine Auslegung des hier in Rede stehenden Verwaltungshandelns als Verwaltungsakt.

II.

36

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 135 Abs.1, 115 Abs.2 FGO.

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