Beschluss vom Finanzgericht Hamburg (3. Senat) - 3 K 187/17

Tatbestand

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I. Streitig ist im Rahmen eines isolierten Antrages auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH), ob der Antragsgegner nach § 174 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) zu einer Bescheidänderung verpflichtet ist oder ob die Rechtskraft eines Urteils entgegensteht.

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1. a) Die Antragstellerin ist eine Kommanditgesellschaft, die am ... 1985 gegründet wurde. Komplementär ist Herr A, alleinige Kommanditistin ist Frau B.

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b) Im Jahr 2012 erhob die Antragstellerin beim Finanzgericht Hamburg Klage gegen die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und die Gewerbesteuermessbetragsbescheide für 2008 und 2009, jeweils vom 12.01.2011 und in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.10.2012, und beantragte, Provisionszahlungen an die C ... GmbH (im Folgenden: C GmbH), seit 2012 umfirmiert in D GmbH, in Höhe von insgesamt 196.100,00 € für 2008 und in Höhe von 568.275,00 € für 2009 als zusätzliche Betriebsausgaben zu berücksichtigen. Durch Urteil vom 04.07.2013 (Az. 2 K 311/12) wies das FG Hamburg diese Klage ab. Zur Begründung führte das Gericht aus, die Antragstellerin habe die betriebliche Veranlassung der zunächst als Entnahmen gebuchten Zahlungen nicht dargelegt. Zudem bestünden erhebliche Zweifel daran, dass die Provisionen überhaupt vereinbart worden seien. Die gegen das Urteil erhobene Nichtzulassungsbeschwerde verwarf der BFH durch Beschluss vom 06.05.2014 als unzulässig (Az. IV B 83/13).

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c) Durch Urteil vom ... 2016 (Az. ...) verurteilte das AG Hamburg die Geschäftsführer der C GmbH E und F wegen Steuerhinterziehung, weil sie die genannten Provisionszahlungen, die als verdeckte Gewinnausschüttungen behandelt wurden, in den Körperschaft- und Gewerbesteuererklärungen der C GmbH für 2008 und 2009 und in ihren eigenen Einkommensteuererklärungen nicht angegeben hatten.

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2. a) Mit Schreiben vom 09.03.2017 beantragte die Antragstellerin beim Antragsgegner die Änderung der Feststellungs- und Gewerbesteuermessbetragsbescheide für die Streitjahre 2008 und 2009 gemäß § 174 Abs. 1 AO. Da die streitgegenständlichen Provisionszahlungen bei E und F als steuerpflichtige Einkünfte behandelt worden seien, müssten sie bei ihr, der Antragstellerin, spiegelbildlich zum Betriebsausgabenabzug zugelassen werden.

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b) Der Antragsgegner lehnte die beantragte Änderung mit Bescheid vom 26.04.2017 unter Hinweis darauf ab, dass der Betriebsausgabenabzug im Urteil des FG Hamburg vom 09.07.2013 rechtskräftig abgelehnt worden sei.

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3. Hiergegen legte die Antragstellerin am 26.05.2017 Einspruch ein, den der Antragsgegner mit Einspruchsentscheidung vom 27.07.2017 als unbegründet zurückwies.

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4. Am 24.08.2017 hat die Antragstellerin einen Antrag auf Bewilligung von PKH gestellt und eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des persönlich haftenden Gesellschafters beigefügt.

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Die Antragstellerin trägt vor, dass die Beträge, hinsichtlich derer bei ihr der Betriebsausgabenabzug versagt worden sei, bei E und F als steuerpflichtige Einkünfte behandelt worden seien; hierauf sei jeweils Einkommensteuer festgesetzt worden. Wegen Nichtzahlung dieser Steuerbeträge seien E und F wegen Steuerhinterziehung verurteilt worden. Das entsprechende Urteil des AG Hamburg (...) sei durch das Urteil des LG Hamburg (...) mittlerweile rechtskräftig geworden.

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Die Einkommensteuer könne aber nicht zweimal entstehen, nämlich einerseits bei E und F und andererseits, weil dieselben Beträge bei ihr, der Antragstellerin, nicht abziehbar seien.

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Die Rechtskraft des Urteils des FG Hamburg vom 04.07.2013 im Verfahren 2 K 311/12 stehe dem nicht entgegen. Es lägen widerstreitende Interessen vor, die eine Änderung der Bescheide geböten.

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Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
ihr unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten Prozesskostenhilfe für die Erhebung einer Verpflichtungsklage zu gewähren mit dem Antrag,
den Antragsgegner unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 26.04.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.07.2017 zu verpflichten, die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und die Gewerbesteuermessbetragsbescheide für 2008 und 2009, jeweils vom 12.01.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.10.2012, dahingehend zu ändern, dass die Einkünfte aus Gewerbebetrieb jeweils auf 0 € festgestellt und die Gewerbesteuermessbeträge jeweils auf 0 € festgesetzt werden.

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Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.

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Der Antragsgegner trägt vor, dass die von der Antragstellerin geltend gemachten Provisionszahlungen an E und F aus den Jahren 2008 und 2009 in dem rechtskräftigen Urteil im Verfahren 2 K 311/12 nicht als Betriebsausgaben anerkannt worden seien. Diese verbindlichen Feststellungen bzw. Steuerfestsetzungen entzögen sich damit von vornherein einer Änderung nach § 174 Abs. 1 Satz 1 AO; es fehle bereits an dem gesetzlichen Merkmal eines zu ändernden "fehlerhaften" Steuerbescheids.

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Zudem gebe es kein allgemeines einkommensteuerliches Korrespondenzprinzip zwischen Einnahmen und Ausgaben. Damit sei der Sachverhalt bei mehreren Steuerpflichtigen nicht zwingend gleich zu behandeln und folglich auch das gesetzliche Merkmal des "nur einmal zu berücksichtigenden" Sachverhalts i. S. des § 174 AO nicht gegeben.

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5. Dem Gericht hat jeweils ein Band der Gewinnfeststellungs- und Gewerbesteuerakten, der Bilanz- und Bilanzberichtsakten, der Antrags- und Rechtsbehelfsakten und der vorläufigen Rechtsbehelfsakten (St.-Nr. .../.../...) vorgelegen.

Entscheidungsgründe

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II. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat keinen Erfolg.

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1. a) Nach § 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

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b) Für die Bewilligung von PKH zugunsten rechtsfähiger Personenvereinigungen gelten zusätzliche Voraussetzungen.

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aa) Nach § 142 FGO i. V. m. § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO erhält eine parteifähige Vereinigung PKH, wenn die Kosten weder von ihr noch von den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und wenn die Unterlassung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde.

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bb) Eine Kommanditgesellschaft ist eine parteifähige Vereinigung in diesem Sinne (vgl. § 161 Abs. 2 i. V. m. § 124 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs; Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 142 FGO Rz. 3 m. w. N.).

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cc) Zu dem Personenkreis der wirtschaftlich Beteiligten einer KG zählen auch die Kommanditisten (Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 142 FGO Rz. 44).

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dd) Die Unterlassung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung läuft allgemeinen Interessen beispielsweise zuwider, wenn ein großer Personenkreis in Mitleidenschaft gezogen oder eine Vereinigung an der Erfüllung ihrer der Allgemeinheit dienenden Aufgaben behindert würde (BFH-Beschlüsse vom 11.08.2010 V S 11/10 (PKH), BFH/NV 2010, 2107; vom 29.05.2009 V S 15/09 (PKH), BFH/NV 2009, 1453).

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2. Die Bewilligung der beantragten PKH kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil die Antragstellerin das Vorliegen der für parteifähige Personenvereinigungen bestehenden zusätzlichen Voraussetzungen nicht dargelegt hat. So hat sie in der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse lediglich Erklärungen zu den Verhältnissen ihres Komplementärs abgegeben, jedoch weder zu ihren eigenen Einkommens- und Vermögensverhältnissen noch zu denen der Kommanditistin, die ebenfalls zu den wirtschaftlich Beteiligten zählt. Vor allem ist nicht dargelegt, dass und inwiefern die Unterlassung der Rechtsverfolgung allgemeinen Interessen zuwider laufen würde.

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3. Darüber hinaus fehlt es an einer hinreichenden Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung.

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a) Eine hinreichende Erfolgsaussicht liegt vor, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers nach dessen Sachdarstellung und dem Inhalt der vorliegenden Akten für zutreffend oder mindestens für vertretbar hält, in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist und deshalb bei summarischer Prüfung für einen Eintritt des erstrebten Erfolgs eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht (BFH-Beschlüsse vom 14.02.2012 V S 1/12 (PKH), BFH/NV 2012, 979; vom 01.04.2003 VII S 25/02 (PKH), BFH/NV 2003, 1077; vom 25. Juli 2001 X B 122/00, BFH/NV 2001, 1598; jeweils m. w. N.).

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b) aa) Zwar hindert die Rechtskraft eines Urteils (§ 110 Abs. 1 Satz 1 FGO) die Finanzbehörde grundsätzlich nicht daran, einen Änderungsbescheid zu erlassen, da nach § 110 Abs. 2 FGO die Rechtskraftwirkung des Urteils die Vorschriften der AO über die Änderung von Verwaltungsakten unberührt lässt (BFH-Urteil vom 19.08.2015 X R 50/13, BFHE 251, 389, BStBl II 2017, 15, Rz. 43). Daher steht der von der Antragstellerin angekündigten Verpflichtungsklage auf Änderung der streitgegenständlichen Bescheide nach § 174 Abs. 1 AO die Rechtskraft des FG-Urteils im Verfahren 2 K 311/12 nicht von vornherein entgegen.

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bb) Die Voraussetzungen für eine Änderung der streitgegenständlichen Bescheide gemäß § 174 Abs. 1 Satz 1 AO liegen jedoch nicht vor.

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aaa) Danach ist, wenn ein bestimmter Sachverhalt in mehreren Steuerbescheiden zuungunsten eines oder mehrerer Steuerpflichtiger berücksichtigt worden ist, obwohl er nur einmal hätte berücksichtigt werden dürfen, der fehlerhafte Steuerbescheid auf Antrag aufzuheben oder zu ändern.

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Die Vorschrift des § 174 Abs. 1 Satz 1 AO verlangt mithin, dass ein bestimmter Sachverhalt doppelt erfasst wurde, obwohl er nur einmal hätte berücksichtigt werden dürfen. Dies ist nur der Fall, wenn die mehrfachen Berücksichtigungen des streitigen Sachverhalts zueinander in einem wechselseitigen Ausschließlichkeitsverhältnis stehen, das jeweils die weitere Berücksichtigung desselben Sachverhalts bei einem anderen Steuerpflichtigen, bei einer anderen Steuerart oder in einem anderen Veranlagungszeitraum denkgesetzlich ausschließt (BFH-Beschluss vom 31.05.2005 IX B 187/03, BFH/NV 2005, 1489).

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bbb) Zwar liegt im Streitfall ein bestimmter Sachverhalt im Sinne dieser Vorschrift vor, weil es um die steuerliche Behandlung der Provisionszahlungen an E und F geht. Jedoch ist dieser Sachverhalt nicht doppelt erfasst, d. h. in mehreren Bescheiden berücksichtigt, worden, sondern nur in den gegenüber der C GmbH ergangenen Bescheiden, in denen die Zahlungen als verdeckte Gewinnausschüttungen behandelt wurden, während die Berücksichtigung in den Veranlagungen für die Antragstellerin in Form des beantragten Betriebsausgabenabzugs gerade unterblieben ist.

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cc) Die von der Antragstellerin gerügte Widersprüchlichkeit liegt vielmehr darin, dass die steuerliche Beurteilung der Zahlungen bei dem Leistenden - hier der Antragstellerin - und dem Leistungsempfänger - hier der C GmbH - voneinander abweicht. Ein derartiger Widerspruch lässt sich indes allenfalls nach § 174 Abs. 4 und Abs. 5 AO beseitigen, nicht jedoch nach § 174 Abs. 1 Satz 1 AO (BFH-Urteil vom 26.01.1994 X R 57/89, BFHE 174, 1, BStBl II 1994, 597).

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dd) Die Voraussetzungen des § 174 Abs. 4 Satz 1 (i. V. m. Abs. 5) AO sind vorliegend jedoch ebenso wenig gegeben.

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aaa) Danach können, wenn aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen ist, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden. Die Vorschrift berechtigt das Finanzamt mithin zu Änderungen zu Ungunsten des Steuerpflichtigen (BFH-Urteil vom 14.11.2012 I R 53/11 BFH/NV 2013, 690), vergleichbar einem Regress (FG Hamburg, Beschlüsse vom 22.07.2014 3 V 81/14, juris; vom 20.04.2010 3 K 3/09, EFG 2010, 1170). Änderungen zu Gunsten des Steuerpflichtigen sind hiervon nicht gedeckt. Auch eine analoge Anwendung im Interesse der materiellen Gerechtigkeit kommt nicht in Betracht (BFH-Beschluss vom 10.11.1997 GrS 1/96, BFHE 184, 1, BStBl II 1998, 83).

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bbb) Im Streitfall wurden die Steuerbescheide gegenüber der C GmbH nicht zu ihren Gunsten, sondern zu ihren Ungunsten geändert, und die Antragstellerin möchte eine Änderung zu ihren Gunsten erreichen, die von der Vorschrift nicht gedeckt ist.

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2. Der Beschluss ergeht gerichtskostenfrei. Er ist gemäß § 128 Abs. 2 FGO nicht anfechtbar.

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