Urteil vom Finanzgericht Hamburg (6. Senat) - 6 K 306/19

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Frage, ob bei der Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags nach dem Rückwechsel der Klägerin von der Tonnagebesteuerung zur Besteuerung durch Betriebsvermögensvergleich Absetzungen für Abnutzung (AfA) auf den Teilwert des Schiffes zu berücksichtigen sind, ob Unterschiedsbeträge dem Gewinn hinzuzurechnen sind, die auf durch Tod oder Schenkung der Kommanditanteile aus der Klägerin ausgeschiedene Gesellschafter entfallen, und ob der Gewerbeertrag nach § 9 Nr. 3 Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) zu kürzen ist, soweit er auf der Hinzurechnung von Unterschiedsbeträgen beruht.

2

Die Klägerin ist eine Einschiffsgesellschaft in der Rechtsform einer KG. Sie wurde in 2017 aufgelöst. Zur Liquidatorin wurde die A Schiffsbeteiligungsgesellschaft mbH bestellt. Die Liquidatorin der Klägerin wurde ebenfalls aufgelöst; zu ihrer Liquidatorin wurde die B GmbH bestellt. Noch im Jahr 2017 wurde die Liquidation der Klägerin beendet und die Klägerin am ... 2017 im Handelsregister gelöscht.

3

Gegenstand des Unternehmens der Klägerin war ausschließlich der Betrieb des Containerfrachtschiffs MS "XX" (im Folgenden: Handelsschiff) im internationalen Verkehr. Das Handelsschiff wurde im März 1998 von der chinesischen Werft an eine sogenannte Bestellergesellschaft abgeliefert und nach einem ca. sechswöchigen Betrieb von der Klägerin erworben. Die Anschaffungskosten der Klägerin betrugen ... €.

4

Die Klägerin ermittelte ihren steuerlichen Gewinn in den Erhebungszeiträumen 1998 und 1999 durch Betriebsvermögensvergleich nach den §§ 4, 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Dabei schrieb sie das Handelsschiff ausgehend von einer elfjährigen Nutzungsdauer degressiv ab.

5

Ab dem Wirtschaftsjahr 2000 optierte die Klägerin zur Gewinnermittlung nach der Tonnage nach § 5a EStG. Der Beklagte stellte gemäß § 5a Abs. 4 EStG auf den 31. Dezember 1999 einen Unterschiedsbetrag für das Handelsschiff in Höhe von ... DM (... €) fest.

6

Mit Wirkung ab dem 1. Januar 2012 nahm die Klägerin den Antrag zur Gewinnermittlung nach der Tonnage zurück und ermittelte den Gewinn wieder durch Betriebsvermögensvergleich. In der Steuerbilanz auf den 31. Dezember 2011 setzte sie das Handelsschiff gemäß § 5 Abs. 6 EStG mit dem Teilwert in Höhe von ... € an, auf dessen Höhe sich die Beteiligten tatsächlich verständigt hatten.

7

Der zum 31. Dezember 1999 festgestellte Unterschiedsbetrag entfiel in Höhe von ... € auf Gesellschafter der Klägerin, die ihre Kommanditanteile bis einschließlich 2011 vererbt oder verschenkt haben. Auf einen in 2012 verstorbenen Kommanditisten entfiel ein Unterschiedsbetrag von ... €. Im Streitjahr 2013 verstarb ein Kommanditist, für den der festgestellte Unterschiedsbetrag am 1. Januar 2013 ... € betrug.

8

Mit Bescheid für 2013 vom 2. September 2013 setzte der Beklagte den Gewerbesteuermessbetrag für Zwecke der Vorauszahlungen auf ... € fest.

9

Hiergegen legte die Klägerin am 2. Oktober 2013 Einspruch ein mit der Begründung, dass nach § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 EStG hinzugerechnete Unterschiedsbeträge nach Rückoption zur Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich unter § 7 Satz 1 GewStG fielen und deshalb nach § 9 Nr. 3 Satz 2 GewStG um 80 % zu kürzen seien.

10

Am 17. Dezember 2014 reichte die Klägerin die Gewerbesteuererklärung für 2013 ein. Hierin erklärte sie nach Abzug einer AfA auf das Seeschiff in Höhe von ... €, die sie aus der Differenz des Teilwerts und des mit ... € angesetzten Schrottwerts bei einer Restnutzungsdauer von fünf Jahren ermittelte, und Hinzurechnung eines Unterschiedsbetrages für das Seeschiff in Höhe von ... € (ohne Minderung um auf ausgeschiedene Gesellschafter entfallende Beträge) gemäß § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 EStG einen Verlust aus Gewerbebetrieb in Höhe von ... €. Ferner machte sie nach § 9 Nr. 3 GewStG eine Kürzung in Höhe von 80 % des hinzugerechneten Unterschiedsbetrages geltend.

11

Der Beklagte ordnete mit Schreiben vom 26. März 2015 im Hinblick auf das beim Finanzgericht Hamburg anhängige Verfahren betreffend das Vorjahr (Az. 6 K 78/15) das Ruhen des Einspruchsverfahrens an.

12

Mit Bescheid vom 9. Juli 2015 setzte der Beklagte den Gewerbesteuermessbetrag für 2013 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung auf ... € fest. Mit Änderungsbescheid vom 2. September 2015 wurde der Gewerbesteuermessbetrag wegen nacherklärter Sonderbetriebsausgaben auf ... € herabgesetzt und mit weiterem Änderungsbescheid vom 11. Mai 2016 auf ... €. Dabei legte der Beklagte einen Gewinn aus Gewerbebetrieb in Höhe von ./. ... € ohne Berücksichtigung der AfA für das Handelsschiff zugrunde und rechnete gemäß § 5a Abs. 4 Satz 3 EStG einen Unterschiedsbetrag in Höhe von ... € hinzu sowie den negativen Teil des Gewerbeertrags ausländischer Betriebsstätten in Höhe von ... €. Die beantragte Kürzung des Unterschiedsbetrags nahm er nicht vor.

13

In dem über den Gewerbesteuermessbescheid für 2012 geführten Klageverfahren vor dem Finanzgericht Hamburg (Az. 6 K 78/15) verständigten sich die Beteiligten im Erörterungstermin am 3. Mai 2016 darüber, dass die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer für das Handelsschiff 24 Jahre betrage und diese im Zeitpunkt des Rückwechsels zur Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich nicht neu zu schätzen sei. Ferner verständigten sich die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht am 16. Juni 2016 darüber, dass sich der Schrottwert für das Handelsschiff zum 31. Dezember 2011 auf ... € belaufe (270 €/t x ... t und nicht, wie versehentlich protokolliert, ... t).

14

Mit Urteil vom 25. Oktober 2018 hob der BFH das Urteil des erkennenden Senats im Verfahren 6 K 78/15 vom 16. Juni 2016 auf und verwies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück (Az. IV R 35/16).

15

Die Klägerin beantragte mit Schreiben vom 19. November 2019 beim Beklagten unter Hinweis auf diese BFH-Entscheidung die Fortsetzung des Einspruchsverfahrens betreffend das Streitjahr. Dies lehnte der Beklagte mit Schreiben vom 22. November 2019 ab mit der Begründung, dass das zu erwartende Urteil des Finanzgerichts Hamburg voraussichtlich erneut dem BFH zur Überprüfung vorgelegt werde, sowie unter Hinweis auf eine Anweisung der Finanzbehörde Hamburg.

16

Im Erörterungstermin am 30. Oktober 2019 verständigten sich die Beteiligten im Verfahren 6 K 78/15 darüber, dass AfA auf das Seeschiff in Höhe von ... € zu berücksichtigen seien. Mit Urteil vom 27. November 2019 gab der erkennende Senat im Verfahren 6 K 78/15 der Klage statt. Das Urteil wurde rechtskräftig.

17

Die Klägerin bat mit Schreiben vom 29. November 2019 erneut um eine Aufnahme des Einspruchsverfahrens und eine Änderung des Bescheides bis zum Jahresende 2019.

18

Die Klägerin hat am 18. Dezember 2019 Klage erhoben.

19

Sie trägt vor, dass die Klage als Untätigkeitsklage auch ohne Erlass einer Einspruchsentscheidung zulässig sei. Der zunächst bestehende Grund, die Einspruchsentscheidung nicht zu erlassen, nämlich die Verfahrensruhe im Hinblick auf das Gerichtsverfahren 6 K 78/15, sei mit dem Revisionsurteil des BFH vom 25. Oktober 2018 entfallen. Mit diesem Urteil habe der BFH ungeachtet der Zurückverweisung zur Aufklärung technischer Fragen alle Rechtsfragen abschließend geklärt. Nach ihrem, der Klägerin, Antrag vom 19. November 2019 hätte der Beklagte das Verfahren wieder aufnehmen und innerhalb einer angemessenen Frist abschließen müssen. Diese Frist belaufe sich auf höchstens einen Monat, da sowohl der Sachverhalt als auch die Rechtslage klar gewesen seien. Der Beklagte habe stattdessen in rechtsmissbräuchlicher Weise die zu erwartende, rückwirkende Änderung des § 7 Satz 3 GewStG abwarten wollen. In den noch anhängigen Revisionsverfahren IV R 39/16 und IV R 42/16 sei keine erneute Rechtsprechungsänderung zu erwarten, weshalb ein Ruhensgrund nicht mehr gegeben sei.

20

Der bisher berücksichtigte Gewinn aus Gewerbebetrieb sei bzgl. des Ergebnisses aus Ergänzungsbilanzen um insgesamt ... € zu erhöhen. Da die Ergänzungsbilanzen nach der neueren Rechtsprechung des BFH im Zeitpunkt des Rückwechsels zur Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich zum 31. Dezember 2011 hätten aufgelöst werden müssen, sei das bisher erklärte Ergebnis zunächst um die darin enthaltenen Verluste aus Ergänzungsbilanzen um ... € zu bereinigen. Zusätzlich sei der Gewinn um den korrekten Auflösungsbetrag der Ergänzungsbilanzen für das Streitjahr in Höhe von ... € zu erhöhen (...).

21

Zudem sei der Gewinn aus Gewerbebetrieb in Bezug auf die Veräußerungsgewinne der Gesellschafter aus Anteilsverkäufen um ... € zu erhöhen; statt bisher ./. ... € sei ein Betrag von ./. ... € anzusetzen.

22

Des Weiteren sei nach dem Urteil des BFH im Verfahren IV R 35/16 die AfA auf das Handelsschiff in Höhe von ... € mindernd zu berücksichtigen. Das Urteil entfalte Wirkung über den entschiedenen Einzelfall hinaus und sei von der Verwaltung anzuwenden, da ein Nichtanwendungserlass nicht ergangen sei. Dies gelte umso mehr vor dem Hintergrund, dass dieses Urteil den vorliegenden Streitfall betreffe, wenn auch das Vorjahr, und über die anzusetzenden AfA dort bis zum Veranlagungszeitraum 2021 entschieden worden sei. Dass der Gesetzgeber die Verwaltungsauffassung zwar in den neu eingeführten § 5a Abs. 6 Satz 2 EStG übernommen, jedoch nicht dessen rückwirkende Geltung angeordnet habe, zeige, dass nach dem Willen des Gesetzgebers für das Streitjahr noch die Rechtsprechungsgrundsätze Anwendung finden sollten.

23

Der in Höhe von ... € erklärte, nach § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 EStG hinzuzurechnende Unterschiedsbetrag sei um insgesamt ... € zu mindern, nämlich um je ein Fünftel der auf die in den Vorjahren durch Erbfälle und Schenkungen ausgeschiedenen Gesellschafter entfallenden Unterschiedsbeträge (in Höhe von ... € bis 2011 und in Höhe von ... € in 2012).

24

Zusätzlich hinzuzurechnen sei nach § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 3 EStG der auf den im Streitjahr verstorbenen Kommanditisten entfallende Unterschiedsbetrag in Höhe von ... €, allerdings gemindert um den bereits in dem erklärten Betrag von ... € enthaltenen Anteil von ... €, im Ergebnis also in Höhe von ... €.

25

Schließlich sei der Gewinn aus der Hinzurechnung des Unterschiedsbetrages gemäß § 5a Abs. 4 Satz 3 EStG nach § 9 Nr. 3 Sätze 2 ff. GewStG um 80 %, d.h. um ... €, zu kürzen. Nach der Rechtsprechung des BFH sei § 7 Satz 3 GewStG in der bisherigen Fassung so auszulegen, dass sich die Fiktion nur auf den nach § 5a Abs. 1 EStG ermittelten Gewinn beziehe. Die neue Gesetzesfassung sei nicht anwendbar, weil die angeordnete Rückwirkung verfassungswidrig sei. Die Vorschrift des § 36 Abs. 3 GewStG n.F. beinhalte eine echte Rückwirkung, die konstitutiv wirke und nicht gerechtfertigt sei. Insbesondere habe der Bürger mit einer Neuregelung nicht rechnen müssen und das geltende Recht sei nicht unklar und verworren gewesen. Für den hier vorliegenden Fall eines Rückwechsels von der Tonnagebesteuerung zur Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich habe der BFH erstmals mit Urteil vom 25. Oktober 2018 (IV R 35/16) klargestellt, dass die Kürzung des aufgelösten Unterschiedsbetrages nach § 9 Nr. 3 GewStG zu gewähren sei. Das Urteil vom 26. Juni 2014 (IV R 10/11) habe hingegen einen Fall der fortdauernden Tonnagebesteuerung betroffen. Ihr, der Klägerin, Vertrauen in die bisherige Rechtslage sei auch schutzwürdig. Abgesehen davon, dass sich die Rechtslage allein aus dem Gesetz selbst ergebe und sich Vertrauen auch gegen eine gefestigte Rechtsprechung bilden könne, gebe es vorliegend keine derartige gefestigte Rechtsprechung, der die Gesetzesänderung inhaltlich entspräche.

26

Selbst wenn man von einer grundsätzlichen Zulässigkeit der Rückwirkung in den Erhebungszeitraum 2013 ausginge, gälte dies im vorliegenden Fall nicht. Denn der Beklagte habe die Bearbeitung des Falles absichtlich verzögert, um nach der neuen Rechtslage entscheiden zu können. Dieses Verhalten sei mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar.

27

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag für 2013 vom 11. Mai 2016 dahingehend zu ändern, dass der Messbetrag unter Ansatz eines Gewerbeertrages von ./. ... € auf 0 € festgesetzt wird.

28

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

29

Der Beklagte trägt vor, dass die erhobene Untätigkeitsklage unzulässig sei. Er habe die Aufnahme des Einspruchsverfahrens zunächst aus den im Schreiben vom 22. November 2019 genannten Gründen abgelehnt. Auf das Schreiben der Klägerin vom 29. November 2019 habe er zunächst nicht reagiert, weil die Begründung des finanzgerichtlichen Urteils im Verfahren 6 K 78/15 erst am 13. Dezember 2019 vorgelegen habe und er, der Beklagte, die Möglichkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb der am 13. Januar 2020 endenden Frist habe prüfen müssen und dürfen. Bevor die von der Klägerin bis zum Jahresende gesetzte Frist verstrichen sei, habe sie Klage erhoben und erst im Klageverfahren die Unterlagen eingereicht, die erforderlich gewesen seien, um das Änderungsbegehren zu prüfen.

30

Die Klage sei aber auch unbegründet. Die nunmehr erklärten Werte aus den geänderten Ergänzungsbilanzen und der geänderte Veräußerungsgewinn aus den Anteilsverkäufen könnten zwar wie erklärt berücksichtigt werden, führten aber zu einer Erhöhung des Gewinns aus Gewerbebetrieb auf ./. ... € und des Gewerbesteuermessbetrages auf ... €.

31

Denn die beantragten AfA auf das Handelsschiff minderten das Ergebnis nicht. Das Urteil des BFH vom 25. Oktober 2018 (IV R 35/16) sei nicht im BStBl II veröffentlicht und daher nicht über den entschiedenen Einzelfall hinaus anzuwenden. Zu der Streitfrage seien zwei weitere Revisionsverfahren anhängig (IV R 39/16 und IV R 42/16) und bildeten einen obligatorischen Ruhensgrund nach § 363 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO).

32

Das Urteil des BFH vom 28. November 2019 (IV R 28/19) zur Hinzurechnung von Unterschiedsbeträge für aufgrund von Erbschaften und Schenkungen ausgeschiedene Gesellschafter werde von der Finanzverwaltung ebenfalls nicht angewendet.

33

Ebenso wenig sei der aufgelöste Unterschiedsbetrag um 80 % zu kürzen. Durch die Neufassung des § 7 Satz 3 GewStG sei klargestellt worden, dass auch die Hinzurechnungen nach § 5a Abs. 4 und 4a EStG unter diese Vorschrift fielen und die Kürzung nach § 9 Nr. 3 Satz 2 GewStG insoweit nicht vorzunehmen sei. Gegen die Verfassungsmäßigkeit der in § 36 Abs. 3 Satz 1 GewStG n.F. angeordneten Rückwirkung der Gesetzesänderung bestünden keine Bedenken.

34

Auf die Sitzungsniederschrift der mündlichen Verhandlung vom 10. Dezember 2020 wird Bezug genommen.

...

Entscheidungsgründe

35

Die Klage ist zulässig und zum Teil begründet.

I.

36

Die Klage ist zulässig.

37

1. Die Klägerin ist beteiligtenfähig und klagebefugt.

38

a) Eine Personengesellschaft ist steuerrechtlich so lange als materiell-rechtlich existent anzusehen, wie noch Steueransprüche gegen sie oder von ihr geltend gemacht werden und das Rechtsverhältnis zu den Finanzbehörden nicht endgültig abgewickelt ist (BFH, Urteile vom 7. Juni 2018, IV R 37/15, BFH/NV 2018, 1082; vom 22. Januar 2015, IV R 62/11, BFH/NV 2015, 995). Der Gewerbesteuermessbescheid und der Gewerbesteuerbescheid werden gegenüber der Personengesellschaft als Schuldnerin der Gewerbesteuer (§ 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG) erlassen. Da die Schuldnerschaft der Gesellschaft - und damit deren gewerbesteuerrechtliche Rechtsfähigkeit - grundsätzlich nicht durch die zivilrechtliche Vollbeendigung der Gesellschaft erlischt, ist auch nach Auskehrung des Aktivvermögens ein Gewerbesteuermessbescheid zwar den Gesellschaftern bekannt zu geben, jedoch an die Gesellschaft als Schuldnerin der Gewerbesteuer zu richten. Demgemäß steht auch die Klagebefugnis gegen den Gewerbesteuermessbescheid weiter der Personengesellschaft zu; sie gilt für die Dauer des Rechtsstreits über den Gewerbesteuermessbescheid weiter als steuerrechtlich existent (BFH, Beschluss vom 12. April 2007, IV B 69/05, BFH/NV 2007, 1923).

39

b) Da sich die Klage ausschließlich gegen den Gewerbesteuermessbescheid für 2013 richtet, gilt die Klägerin trotz Beendigung der Liquidation und Löschung im Handelsregister weiter als steuerrechtlich existent und ist klagebefugt.

40

2. Die Klage ist ohne Vorverfahren als Untätigkeitsklage zulässig.

41

a) aa) Nach § 44 Abs. 1 FGO ist in Fällen, in denen ein außergerichtlicher Rechtsbehelf gegeben ist, die Klage grundsätzlich nur zulässig, wenn das Vorverfahren über den außergerichtlichen Rechtsbehelf ganz oder zum Teil erfolglos geblieben ist. Ist über einen Einspruch jedoch ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, so ist die Klage abweichend von § 44 FGO ohne vorherigen Abschluss des Vorverfahrens zulässig. Die Klage kann allerdings grundsätzlich nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit Einlegung des außergerichtlichen Rechtsbehelfs erhoben werden (§ 46 Abs. 1 Satz 2 FGO). Bei den in § 46 Abs. 1 FGO angeführten Tatbestandsvoraussetzungen handelt es sich um Sachentscheidungsvoraussetzungen, die erst im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung erfüllt sein müssen mit der Folge, dass eine verfrüht erhobene Untätigkeitsklage - ggf. nach Aussetzung des Verfahrens durch das Gericht gemäß § 46 Abs. 1 Satz 3 FGO - in die Zulässigkeit hineinwachsen kann (BFH, Urteil vom 19. April 2007, V R 48/04, BStBl II 2009, 315).

42

bb) Wie sich § 46 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 2 FGO entnehmen lässt, ist eine Frist von bis zu sechs Monaten nach Einlegung des Einspruchs für die Entscheidung hierüber regelmäßig als angemessen anzusehen (BFH, Urteil vom 27. April 2006, IV R 18/04, BFH/NV 2006, 2017).

43

cc) Zureichender Grund für das Ausbleiben einer Einspruchsentscheidung kann das Abwarten allgemeiner Ausführungsanweisungen der Oberbehörde sein, nicht jedoch das Abwarten einer Entscheidung der Verwaltung darüber, ob eine BFH-Entscheidung über den entschiedenen Fall hinaus angewandt werden oder ein sog. Nichtanwendungserlass ergehen soll (FG München, Urteil vom 14. Dezember 2006, 9 I 4120/06, EFG 2007, 865; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 46 FGO Rn. 10, Stand Oktober 2014; Teller in Gräber, FGO, 9. Aufl. 2019, § 46 Rn. 16). Die Anordnung einer Verfahrensruhe nach § 363 Abs. 2 AO bildet einen zureichenden Grund, über den Einspruch nicht zu entscheiden. Anders ist es, wenn der Kläger einen Antrag auf Fortsetzung des Einspruchsverfahrens gestellt hat (§ 363 Abs. 2 Satz 4 AO) und die Behörde nicht darauf reagiert (Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 46 FGO Rn. 12, Stand Oktober 2014).

44

b) Im vorliegenden Fall hat die Klägerin am 2. Oktober 2013 Einspruch gegen den Gewerbesteuermessbescheid für Zwecke der Vorauszahlungen vom 2. September 2013 eingelegt. Der anschließend erlassene Gewerbesteuermessbescheid vom 3. September 2015 sowie die Änderungsbescheide sind jeweils Gegenstand des anhängigen Einspruchsverfahrens geworden (§ 365 Abs. 3 Satz 1 AO; vgl. für § 68 FGO BFH, Urteil vom 23. April 2009, IV R 73/06, BStBl II 2010, 40). Die sich daran anschließende Verfahrensruhe wegen des beim BFH zum Az. IV 35/16 anhängigen Parallelverfahrens für den vorangegangenen Erhebungszeitraum endete mit dem Antrag der Klägerin vom 19. November 2019 auf Fortsetzung des Verfahrens (§ 363 Abs. 2 Satz 4 AO).

45

Seitdem sind bis zur mündlichen Verhandlung am 10. Dezember 2020 fast 13 Monate vergangen. In dieser für den Erlass einer Einspruchsentscheidung jedenfalls angemessenen Zeit hat es keinen zureichenden Grund mehr dafür gegeben, über den Einspruch nicht zu entscheiden. Die Anordnung einer weiteren Verfahrensruhe durch den Beklagten im Klageverfahren in Bezug auf die Revisionsverfahren IV R 39/16 und IV R 42/16 ist dadurch gegenstandslos geworden, dass die Klägerin dem ausdrücklich widersprochen und damit sinngemäß erneut einen Fortsetzungsantrag nach § 363 Abs. 2 Satz 4 AO gestellt hat. Dass der Beklagte die Rechtsprechung des BFH zu den AfA auf den Teilwert vorerst nicht anwenden und zunächst den Ausgang des nunmehr unter dem Az. IV R 14/20 anhängigen Verfahrens abwarten will, stellt, wie dargelegt, keinen zureichenden Grund i.S. des § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO dar.

46

3. Soweit die Klägerin den in der Klageschrift angekündigten Antrag auf Verpflichtung des Beklagten zur Feststellung eines vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember 2013 in der mündlichen Verhandlung nicht gestellt hat, hat sie die Klage konkludent zurückgenommen (vgl. BFH, Urteil vom 19. März 2009, IV R 26/08, BFH/NV 2009, 1405), sodass über diesen Antrag nicht mehr zu entscheiden ist.

II.

47

Der angefochtene Gewerbesteuermessbescheid für 2013 vom 11. Mai 2016 ist zum Teil rechtswidrig und verletzt die Klägerin insoweit in ihren Rechten. Er ist deshalb zu ändern (§ 100 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 FGO). Denn bei der Ermittlung des Gewinns aus Gewerbebetrieb ist die AfA auf das Handelsschiff mindernd zu berücksichtigen. Auch sind die auf in den Vorjahren ausgeschiedenen Gesellschafter entfallenden Unterschiedsbeträge nicht hinzuzurechnen. Der Gewinn aus der Auflösung des Unterschiedsbetrages ist hingegen nicht gemäß § 9 Nr. 3 GewStG zu kürzen.

48

1. Der in dem angefochtenen Bescheid berücksichtigte Verlust aus Gewerbebetrieb in Höhe von ... € ist zunächst um das darin enthaltene Ergebnis aus Ergänzungsbilanzen in Höhe von ./. ... € zu bereinigen und durch das zutreffende Ergebnis aus Ergänzungsbilanzen in Höhe von ... € zu ersetzen. Wegen der Ermittlung dieses Betrages wird auf die Aufstellung der Klägerin Bezug genommen (...). Dies ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig.

49

2. Des Weiteren ist der Verlust aus Gewerbebetrieb um die Ergebnisse aus Anteilsverkäufen zu korrigieren. Der bisher berücksichtigte Verlust von ... € ist durch den tatsächlichen Verlust in Höhe von ... € zu ersetzen. Im Ergebnis ist der Verlust aus Gewerbebetrieb somit um ... € zu mindern. Diese - betragsmäßig unstreitige - Änderung beruht auf der Berücksichtigung der AfA auf den Teilwert des Handelsschiffs in 2012 und 2013 bei der Ermittlung der Kapitalkonten der ausscheidenden Gesellschafter (s. dazu unten zu 3.).

50

3. Entgegen der Auffassung des Beklagten sind bei der Ermittlung des Gewerbeertrages entsprechend dem Klagantrag AfA auf das Handelsschiff in Höhe von ... € mindernd zu berücksichtigen.

51

a) Im Fall des Übergangs von der pauschalen Gewinnermittlung zur Gewinnermittlung nach allgemeinen Grundsätzen ergibt sich die AfA-Bemessungsgrundlage i.S. des § 7 Abs. 1 EStG aus dem gemäß § 5a Abs. 6 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung anzusetzenden Teilwert für das Handelsschiff abzüglich des Schrottwertes. Der erkennende Senat schließt sich dem zwischen den hiesigen Beteiligten betreffend den vorangegangenen Erhebungszeitraum ergangenen Urteil des BFH vom 25. Oktober 2018 (IV R 35/16, BFHE 263, 22, BFH/NV 2019, 334) an und nimmt auf die dortige Begründung Bezug.

52

b) Zwar ist mit dem Gesetz zur Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 12. Dezember 2019 (BGBl I 2019, 2451, im Folgenden Jahressteuergesetz 2019 -JStG 2019-) dem § 5a Abs. 6 EStG ein Satz angefügt worden. Danach sollen für Wirtschaftsgüter des abnutzbaren Anlagevermögens den weiteren AfA unverändert die ursprünglichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten zugrunde zu legen sein. Diese Regelung gilt jedoch erstmals für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31. Dezember 2018 beginnen (§ 52 Abs. 10 Satz 5 EStG n.F.) und damit nicht für das Streitjahr 2013. Der Gesetzgeber hat durch diese Regelung zwar zu erkennen gegeben, dass die Auslegung des BFH nicht seinem Willen entsprach, diese Auslegung für die Vergangenheit aber unangetastet gelassen.

53

c) Über die Höhe der AfA haben sich die Beteiligten im Verfahren 6 K 78/15 im Erörterungstermin am 30. Oktober 2019 tatsächlich verständigt. Der AfA-Betrag von ... € entspricht auch den Vorgaben des BFH im Urteil vom 25. Oktober 2018 (IV R 35/16, BFHE 263, 22, BFH/NV 2019, 334) betreffend das Vorjahr, wonach als AfA auf das Handelsschiff in Höhe von 10 % des Betrages zu berücksichtigen sind, der sich aus dem Teilwert auf den 31. Dezember 2011 abzüglich des Schrottwertes zum Ende der Nutzungsdauer ergibt.

54

4. Der Unterschiedsbetrag ist insgesamt in Höhe von ... € dem Gewinn hinzuzurechnen.

55

a) Der auf den im Streitjahr verstorbenen Gesellschafter entfallende Unterschiedsbetrag ist nach § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 3 EStG in voller Höhe hinzuzurechnen.

56

aa) Nach der Rechtsprechung des BFH, der der erkennende Senat folgt, umfasst der Begriff des Ausscheidens in § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 3 EStG jedes Ausscheiden eines Gesellschafters, d.h. jeden Verlust der (unmittelbaren) Mitunternehmerstellung, unabhängig davon, ob der Gesellschafter unentgeltlich oder entgeltlich, im Wege der Einzel- oder der Gesamtrechtsnachfolge ausscheidet (BFH, Urteil vom 28. November 2019, IV R 28/19, BFHE 266, 305, BFH/NV 2020, 412).

57

bb) Für den verstorbenen Gesellschafter war ein Unterschiedsbetrag festgestellt worden, der sich nach dem unstreitigen Vortrag der Klägerin am 1. Januar 2013 noch auf ... € belief. Da die Klägerin einen Teilbetrag hiervon in Höhe von ... € in den nach § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 EStG wegen des Rückwechsels zur Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich jährlich in Höhe von 1/5 aufzulösenden Unterschiedsbetrag eingerechnet hatte (s. dazu unter b.), ergibt sich ein zusätzlich hinzuzurechnender Betrag von ... €.

58

b) Nach § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 EStG ist der Unterschiedsbetrag dem Gewinn wegen des Rückwechsels zur regulären Gewinnermittlung ab 2012 in Höhe eines Fünftels pro Jahr hinzuzurechnen. Die auf die in den Vorjahren ausgeschiedenen Gesellschafter entfallenden Unterschiedsbeträge waren in dem jeweiligen Erhebungszeitraum des Ausscheidens aufzulösen (s. oben zu a.; in Höhe von ... € bis 2011 und ... € für 2012, insgesamt ... €). Der von der Klägerin erklärte und im angefochtenen Bescheid berücksichtigte Betrag von ... € mindert sich daher um 1/5 des auf die ausgeschiedenen Gesellschafter entfallenden Betrages von ... € auf ... €. Auf die Aufstellung der Klägerin gemäß Anlage zum E-Mail-Schreiben vom 9. Dezember 2020 wird Bezug genommen (...).

59

5. Der Gewinn aus Gewerbebetrieb ist, soweit er auf der Hinzurechnung des Unterschiedsbetrags nach § 5a Abs. 4 Satz 3 EStG beruht, nicht gemäß § 9 Nr. 3 Sätze 2 ff. GewStG in Höhe von 80 % zu kürzen.

60

a) § 7 Satz 3 GewStG in der Fassung des Art. 8 JStG 2019 (n.F.) steht der Kürzung des Gewinns aus der Auflösung des Unterschiedsbetrags entgegen.

61

aa) Gemäß § 7 Satz 3 GewStG n.F. gelten der nach § 5a des EStG ermittelte Gewinn einschließlich der Hinzurechnungen nach § 5a Absatz 4 und 4a EStG und das nach § 8 Absatz 1 Satz 3 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) ermittelte Einkommen als Gewerbeertrag nach Satz 1. Nach § 7 Satz 1 GewStG ist der Gewerbeertrag der nach den Vorschriften des EStG oder des KStG zu ermittelnde Gewinn aus dem Gewerbebetrieb, der bei der Ermittlung des Einkommens für den dem Erhebungszeitraum (§ 14 GewStG) entsprechenden Veranlagungszeitraum zu berücksichtigen ist, vermehrt und vermindert um die in den §§ 8 und 9 GewStG bezeichneten Beträge. Nach § 9 Nr. 3 Satz 1 GewStG ist die Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen nach § 8 GewStG zu kürzen um den Teil des Gewerbeertrags eines inländischen Unternehmens, der auf eine nicht im Inland belegene Betriebsstätte dieses Unternehmens entfällt. Nach Satz 2 der Vorschrift gilt bei Unternehmen, die ausschließlich den Betrieb von eigenen oder gecharterten Handelsschiffen im internationalen Verkehr zum Gegenstand haben, 80 % des Gewerbeertrags als auf eine nicht im Inland belegene Betriebsstätte entfallend.

62

bb) § 7 Satz 3 GewStG n.F. enthält die Fiktion, dass der nach § 5a EStG ermittelte Gewinn einschließlich der Hinzurechnungen nach § 5a Abs. 4 EStG als Gewerbeertrag nach § 7 Satz 1 GewStG gilt. Er ist deshalb weder um Hinzurechnungen nach § 8 GewStG zu vermehren noch um Kürzungen nach § 9 GewStG zu vermindern (BFH, Beschluss vom 14. April 2020, IV B 9/20, BFH/NV 2020, 919). Abweichend von der bisherigen Gesetzesfassung umfasst die Fiktion nach der Neuregelung ausdrücklich auch die nach § 5a Abs. 4 EStG hinzugerechneten Unterschiedsbeträge. Zweck der Neuregelung ist es, der Rechtsprechung zur bisherigen Fassung der Vorschrift den Boden zu entziehen, wonach die Fiktion die hinzugerechneten Unterschiedsbeträge nach § 5a Abs. 4 EStG nicht umfasst und deshalb insoweit die Kürzung nach § 9 Nr. 3 GewStG anwendbar ist (vgl. BFH, Urteile vom 25. Oktober 2018, IV R 35/16, BFHE 263, 22, BFH/NV 2019, 334; IV R 40/16, BFH/NV 2019, 291; IV R 41/16, BFH/NV 2019, 268). Dieses Ziel des Gesetzgebers wird durch die ausdrückliche Erwähnung des § 5a Abs. 4 EStG in § 7 Satz 3 GewStG n.F. erreicht (vgl. BTDrucks 19/14909, 49; BFH, Beschluss vom 14. April 2020, IV B 9/20, BFH/NV 2020, 919).

63

b) § 7 Satz 3 GewStG n.F. ist für das Streitjahr 2013 anwendbar. Nach § 36 Abs. 3 Satz 1 GewStG n.F. ist § 7 Satz 3 GewStG n.F. erstmals für den Erhebungszeitraum 2009 anzuwenden. Die Rückwirkung der gemäß Art. 39 Abs. 1 i.V.m. Art. 8 JStG 2019 am Tag nach der Verkündung dieses Gesetzes (17. Dezember 2019) in Kraft getretenen Regelung beruht auf dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers (BTDrucks 19/14909, 49; BFH, Beschluss vom 14. April 2020, IV B 9/20, BFH/NV 2020, 919).

64

c) Die gesetzlich angeordnete Rückwirkung ist verfassungsgemäß.

65

aa) § 36 Abs. 3 Satz 1 GewStG n.F. entfaltet eine sog. echte Rückwirkung, soweit die Vorschrift § 7 Satz 3 GewStG n.F. auf Erhebungszeiträume vor 2019 für anwendbar erklärt.

66

(1) Eine Rechtsnorm entfaltet echte Rückwirkung, wenn sie nachträglich in einen abgeschlossenen Sachverhalt ändernd eingreift. Dies ist insbesondere der Fall, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll (BVerfG, Beschluss vom 12. Februar 2019, 1 BvR 2914/17, NVwZ 2019, 715; Urteil vom 10. April 2018, 1 BvR 1236/11, BStBl II 2018, 303). Für den Bereich des Gewerbesteuerrechts bedeutet dies, dass die Änderung von Normen mit Wirkung für vor dem laufenden Erhebungszeitraum liegende Erhebungszeiträume als echte Rückwirkung anzusehen ist, denn nach § 38 AO i.V.m. § 18 GewStG entsteht die Gewerbesteuer mit Ablauf des Erhebungszeitraums, nach § 14 Satz 2 GewStG also regelmäßig des Kalenderjahrs (BFH, Beschluss vom 14. April 2020, IV B 9/20, BFH/NV 2020, 919). Eine rückwirkende Regelung ist aus verfassungsrechtlicher Sicht als konstitutiv zu behandeln, wenn die geänderte Norm in ihrer ursprünglichen Fassung von den Gerichten in einem Sinn ausgelegt werden konnte und ausgelegt worden ist, der mit der Neuregelung ausgeschlossen werden soll (BVerfG, Beschluss vom 17. Dezember 2013, 1 BvL 5/08, BVerfGE 135, 1).

67

(2) Die Anwendung von § 7 Satz 3 GewStG n.F. auf noch nicht bestandskräftige Festsetzungen des Gewerbesteuermessbetrags für Erhebungszeiträume vor 2019, hier den streitigen Erhebungszeitraum 2013, ist danach als echte Rückwirkung im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG zu beurteilen (vgl. BFH, Beschluss vom 14. April 2020, IV B 9/20, BFH/NV 2020, 919). Entgegen der im Gesetzgebungsverfahren gegebenen Begründung ist § 7 Satz 3 GewStG n.F. nicht rein deklaratorisch (so Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags, BTDrucks 19/14909, 49, im Anschluss an die Stellungnahme des Bundesrats, BRDrucks 356/19 (Beschluss), 52 f.). Vielmehr handelt es sich um eine konstitutive Regelung, weil hiermit die höchstrichterliche Rechtsprechung ausgeschlossen werden sollte (BFH, Beschluss vom 14. April 2020, IV B 9/20, BFH/NV 2020, 919; s. oben unter a. bb. und c. aa. (1)).

68

bb) Echt rückwirkende Gesetze sind verfassungsrechtlich (nur) ausnahmsweise zulässig.

69

(1) Echt rückwirkende Gesetze sind grundsätzlich mit dem von Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) geschützten Rechtsstaatsprinzip nicht vereinbar, weil sie gegen die rechtsstaatlichen Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes verstoßen. Das Rückwirkungsverbot findet im Grundsatz des Vertrauensschutzes aber nicht nur seinen Grund, sondern auch seine Grenze. Das grundsätzliche Verbot der echten Rückwirkung greift daher nur ein, wenn eine gesetzliche Regelung dazu geeignet war, Vertrauen auf ihren Fortbestand in vergangenen Zeiträumen zu erwecken (BVerfG, Beschlüsse vom 11. August 2020, 1 BvR 2654/17, NZA 2020, 1338; vom 17. Dezember 2013, 1 BvL 5/08, BGBl I 2014, 255, BVerfGE 135, 1; vom 21. Juli 2010, 1 BvL 11/06 u.a., BVerfGE 126, 369, BGBl I 2010, 1358). Es gilt nicht, soweit sich kein Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte oder ein Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt und daher nicht schutzwürdig war (BVerfG, Beschlüsse vom 11. August 2020, 1 BvR 2654/17, NZA 2020, 1338; vom 17. Dezember 2013, 1 BvL 5/08, BGBl I 2014, 255, BVerfGE 135, 1). Die rückwirkende Herstellung einer zuvor nur scheinbar vorhandenen Rechtslage durch den Gesetzgeber ist nicht etwa aus Gründen der Gewaltenteilung stets unzulässig, sondern unter Umständen sogar rechtsstaatlich angezeigt. Der Gesetzgeber ist befugt, gegebenenfalls eine Rechtsprechung zu korrigieren, mit der er nicht einverstanden ist. Entscheidet er sich insoweit für rückwirkende Regelungen, müssen diese aber den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rückwirkung genügen (BVerfG, Beschluss vom 11. August 2020, 1 BvR 1115/18, juris).

70

(2) Vertrauensschutz kann auch hinsichtlich der Auslegung einer Norm durch die Rechtsprechung zu gewähren sein. Jedoch ist die Eignung judikativer Akte als Anknüpfungspunkt schutzwürdigen Vertrauens im Vergleich zu Normen, die generelle Verbindlichkeit beanspruchen, eingeschränkt. Die Rechtspflege ist aufgrund der Unabhängigkeit der Richter (Art. 97 GG) konstitutionell uneinheitlich. Schutzwürdiges Vertrauen in eine bestimmte Rechtslage aufgrund höchstrichterlicher Entscheidungen kann daher in der Regel nur bei einer gefestigten und langjährigen Rechtsprechung entstehen (BVerfG, Beschlüsse vom 17. Dezember 2013, 1 BvL 5/08, BGBl I 2014, 255, BVerfGE 135, 1; vom 2. Mai 2012, 2 BvL 5/10, BGBl I 2012, 1363, BVerfGE 131, 20; vom 21. Juli 2010, 1 BvL 11/06, BVerfGE 126, 369, BGBl I 2010, 1358). Auf die durch eine gefestigte und langjährige Rechtsprechung entstandene Rechtslage dürfen die Normadressaten bis zu dem Zeitpunkt vertrauen, in dem das Vertrauen durch abweichende Gesetzgebung oder eine geänderte Rechtsprechung durch das oberste Bundesgericht selbst oder durch diesem übergeordnete Gerichte zerstört wird (BFH, Beschluss vom 14. April 2020, IV B 9/20, BFH/NV 2020, 919).

71

(3) Nach den in der Rechtsprechung des BVerfG anerkannten, nicht abschließend definierten Fallgruppen kommt Vertrauensschutz u.a. dann nicht in Betracht, wenn die Rechtslage so unklar und verworren war, dass eine Klärung erwartet werden musste, oder wenn das bisherige Recht in einem Maße systemwidrig und unbillig war, dass ernsthafte Zweifel an seiner Verfassungsmäßigkeit bestanden (BVerfG, Beschluss vom 17. Dezember 2013, 1 BvL 5/08, BGBl I 2014, 255, BVerfGE 135, 1, BGBl I 2014, 255, m.w.N.). Nach der vom 1. Senat des BVerfG in dieser Entscheidung vertretenen Auffassung soll allein die Auslegungsbedürftigkeit einer Norm aber nicht deren rückwirkende Änderung rechtfertigen. Stünde es dem Gesetzgeber weitgehend frei, das geltende Recht immer schon dann rückwirkend zu ändern, wenn es ihm opportun erscheine, etwa weil die Rechtsprechung das geltende Recht in einer Weise auslege, die nicht seinen Vorstellungen und Erwartungen entspreche, wäre das durch Art. 20 Abs. 3 GG geschützte Vertrauen in die geltende Rechtslage weitgehend entwertet und die vom GG der rechtsprechenden Gewalt vorbehaltene Befugnis zur verbindlichen Auslegung von Gesetzen würde unterlaufen. Die eine echt rückwirkende gesetzliche Klärung rechtfertigende Unklarheit einer Rechtslage erfordere daher zusätzliche qualifizierende Umstände, die das geltende Recht so verworren erscheinen ließen, dass es keine Grundlage für einen verfassungsrechtlich gesicherten Vertrauensschutz mehr bilden könne. Eine solche Verworrenheit liege insbesondere dann vor, wenn auch unter Berücksichtigung von Wortlaut, Systematik und Normzweck völlig unverständlich sei, welche Bedeutung die fragliche Norm haben solle.

72

Nach der abweichenden Meinung des Richters Masing zu diesem Beschluss steht diese Rechtsprechung im Widerspruch zu den oben (unter (2)) dargelegten Grundsätzen. Müsse bei einer ungeklärten Rechtslage mit einer Auslegung wie später vom Gesetzgeber klarstellend angeordnet gerechnet werden, könne sich kein schutzwürdiges Vertrauen bilden und der Gesetzgeber sei zur einer rückwirkenden Klarstellung befugt (BVerfGE 135, 1, Rn. 85 ff.).

73

cc) Im Streitfall konnte sich kein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin bilden, das der rückwirkenden Gesetzesänderung entgegenstünde.

74

(1) In Bezug auf die Behandlung von Unterschiedsbeträgen nach § 5a Abs. 4 Satz 3 EStG als Bestandteil des fiktiven Gewerbeertrags i.S. des § 7 Satz 3 GewStG konnte sich ein Vertrauen darin, dass die Unterschiedsbeträge nicht zu dem fiktiven Gewerbeertrag gehören, bis zu den Urteilen des BFH vom 25. Oktober 2018 (IV R 35/16, BFHE 263, 22, BFH/NV 2019, 334; IV R 40/16, BFH/NV 2019, 291; IV R 41/16, BFH/NV 2019, 268) nicht bilden. Bis dahin war der BFH davon ausgegangen, dass die hinzugerechneten Unterschiedsbeträge Bestandteil des pauschal nach § 5a EStG ermittelten Gewinns seien. Mit Urteil vom 26. Juni 2014 (IV R 10/11, BStBl II 2015, 300) hatte der BFH zuvor noch entschieden, dass § 7 Satz 3 GewStG a.F. während der Gewinnermittlung nach der Tonnage die Kürzung des Gewinns aus der Auflösung von Unterschiedsbeträgen nach § 9 Nr. 3 GewStG ausschließe. Die hier streitgegenständliche Frage war damit in dem Sinne beantwortet worden, wie es jetzt durch § 7 Satz 3 GewStG n.F. ausdrücklich geschieht. Ein Vertrauen auf eine entgegengesetzte Rechtslage konnte nicht entstehen (BFH, Beschluss vom 14. April 2020, IV B 9/20, BFH/NV 2020, 919; a.A. Kahl-Hinsch/Dißars, DStR 2020, 2519).

75

(2) Soweit die Klägerin darauf verweist, dass sich das Urteil des BFH vom 26. Juni 2014 (IV R 10/11, BStBl II 2015, 300) nur auf einen Fall beziehe, in dem der Gewinn weiterhin nach der Tonnage ermittelt worden sei, während sie im vorliegenden Fall zur Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich zurückgewechselt habe, so trifft das zwar zu. Dass dieser Umstand entscheidungserheblich gewesen wäre, ist jedoch nicht zu erkennen. So hat der BFH im Urteil vom 25. Oktober 2018 (IV R 35/16, BFHE 263, 22, BFH/NV 2019, 334), der ebenfalls einen Rückwechselfall betraf, seine Abkehr von der im Urteil vom 26. Juni 2014 (IV R 10/11, BStBl II 2015, 300) bis dahin vertretenen Auffassung erklärt und damit zu erkennen gegeben, dass die dort vertretene Auffassung ansonsten auch für den Fall des Rückwechsels gegolten hätte.

76

(3) Der hier zu beurteilende Erhebungszeitraum 2013 liegt zwar noch vor dem am 26. Juni 2014 ergangenen Urteil des BFH (IV R 10/11, BStBl II 2015, 300). Der erkennende Senat sieht das Vertrauen der Klägerin in eine dem Urteil entgegenstehende Rechtsauffassung dennoch nicht als schutzwürdig an. Denn der BFH hatte bereits mit Urteil vom 13. Dezember 2007 (IV R 92/05, BStBl II 2008, 583) entschieden, dass, wenn eine Einschiffs-Personengesellschaft ihr Handelsschiff veräußert, der sich aus der Hinzurechnung des Unterschiedsbetrages nach § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 EStG ergebende Gewinn Teil des Gewerbeertrages nach § 7 Satz 3 GewStG (§ 7 Satz 2 GewStG in der seinerzeit geltenden Fassung) sei. Die Frage der Kürzung nach § 9 Nr. 3 GewStG war dort zwar nicht entscheidungserheblich, da sie vom beklagten Finanzamt berücksichtigt worden war. Der BFH hat dennoch auf seine abweichende Rechtsprechung hingewiesen, wonach hinsichtlich des gemäß § 7 Satz 2 GewStG a.F. (jetzt § 7 Satz 3 GewStG) als Gewerbeertrag fingierten Tonnagegewinns i.S. von § 5a EStG Hinzurechnungen und Kürzungen, insbesondere nach § 9 Nr. 3 GewStG, ausgeschlossen seien (vgl. BFH, Urteil vom 6. Juli 2005, VIII R 72/02, BStBl II 2010, 828). Dementsprechend hat die Finanzverwaltung die Kürzung fortan nicht mehr gewährt (vgl. BMF-Schreiben vom 31. Oktober 2008, BStBl I 2008, 956). Das Urteil des BFH vom 26. Juni 2014 (IV R 10/11, BStBl II 2015, 300) führte die bereits zuvor entwickelten Rechtsprechungsgrundsätze als logische Konsequenz lediglich in einer Entscheidung zusammen.

77

(4) Im Ergebnis gab es damit im Streitjahr 2013 keine langjährige und gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung, auf die die Klägerin in schutzwürdiger Weise hätte vertrauen können (s. oben bb. (2)). Zwar war die Rechtslage auch nicht verworren in dem Sinne, dass auch unter Berücksichtigung von Wortlaut, Systematik und Normzweck völlig unverständlich gewesen wäre, welche Bedeutung die fragliche Norm, hier § 7 Satz 3 GewStG a.F., haben sollte (s. oben bb. (3)). Ungeachtet dessen konnte sich nach Auffassung des erkennenden Senats vor dem Hintergrund der entgegengesetzten Richtung in der Rechtsprechung des BFH und der entgegenstehenden Verwaltungspraxis kein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin in die von ihr vertretene Auslegung des § 7 Nr. 3 GewStG a.F. bilden. Da die Klägerin mit einer für sie nachteiligen höchstrichterlichen Rechtsprechung rechnen musste, ist sie auch vor einer entsprechenden rückwirkenden Gesetzesänderung nicht geschützt. Der Senat ist daher nicht von der Verfassungswidrigkeit der in § 36 Abs. 3 GewStG n.F. angeordneten echten Rückwirkung überzeugt.

78

d) Schließlich kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg auf das Rechtsstaatsprinzip und den Grundsatz von Treu und Glauben berufen mit dem Hinweis, dass der Beklagte verpflichtet gewesen wäre, vor Inkrafttreten des JStG 2019 am 18. Dezember 2019 über den Einspruch zu entscheiden und die Kürzung des Unterschiedsbetrages nach § 9 Nr. 3 GewStG zu gewähren. Entscheidungen oberster Gerichte, die vornehmlich zur grundsätzlichen Auslegung und Weiterentwicklung des Rechts berufen sind, wirken zwar über den entschiedenen Einzelfall hinaus als - freilich nur richtungweisendes - Präjudiz für künftige Fälle. Die höchstrichterliche Rechtsprechung erzeugt aber keine dem Gesetzesrecht gleichkommende Rechtsbindung. Weder sind die unteren Gerichte an die höchstrichterliche Rechtsprechung gebunden, noch sind es die obersten Gerichte selbst (BVerfG, Beschluss vom 2. Mai 2012, 2 BvL 5/10, BGBl I 2012, 1363, BVerfGE 131, 20). Die Verwaltung kann durch Nichtanwendungserlasse bzw. die Nichtveröffentlichung höchstrichterlicher Entscheidungen die Entstehung schutzwürdigen Vertrauens in die Rechtsprechung zwar nicht verhindern, ist nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 3 GG) zur Veröffentlichung und Anwendung von BFH-Urteilen aber auch nicht verpflichtet (vgl. BFH, Beschluss vom 7. Dezember 20[10], IX R 70/07, BStBl II 2011, 346). Der Beklagte hätte daher auch vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung eine ablehnende Einspruchsentscheidung erlassen können.

III.

79

1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.

80

2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 1, 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 709 Satz 2 und 711 der Zivilprozessordnung.

81

3. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der in § 36 Abs. 3 GewStG n.F. für § 7 Satz 3 GewStG n.F. angeordneten Rückwirkung kann aufgrund der nur summarischen Prüfung des BFH im Verfahren IV R 9/20 (BFH/NV 2020, 919) noch nicht als höchstrichterlich geklärt angesehen werden, zumal diese Entscheidung einen Erhebungszeitraum nach Ergehen des BFH-Urteils vom 26. Juni 2014 (IV R 10/11, BStBl II 2015, 300) betraf.

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