Beschluss vom Finanzgericht Hamburg (4. Senat) - 4 V 118/20

Tatbestand

I.

1

Der Antragsteller begehrt die Aussetzung der Vollziehung eines Haftungsbescheids über Tabaksteuer.

2

Ausgehend von Erkenntnissen, die im Rahmen eines gesondert geführten Ermittlungsverfahrens gegen den A wegen des Verdachts der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei durch Beamte des Zollfahndungsamts ..., Dienstsitz B, gewonnen worden waren, geht der Antragsgegner davon aus, dass der Antragsteller in einem Telefonat mit A am 1. Oktober 2015 eine Menge von zehn Stangen à 200 Stück unversteuerte Zigaretten bei A bestellt, kurz nach dem 2. Oktober 2015 per Postpaket von A übersandt bekommen und anschließend weiterverkauft hat. Bei den Erkenntnissen aus dem Ermittlungsverfahren gegen A handelt es sich um die Telekommunikationsüberwachung der Mobilfunknummer des A, bei der u.a. Gespräche mit dem Nutzer der auf den Antragsteller registrierten Mobilfunknummer aufgezeichnet wurden, um einen bei einer Durchsuchung am 8. Dezember 2015 bei A sichergestellten handschriftlichen Notizzettel, auf dem neben anderen Namen und Zahlen "10 C" notiert ist, und um eine auf dem sichergestellten Mobilfunkgerät des A vorhandene Fotodatei vom 5. Oktober 2015, auf dem eine Quittung des Paketdienstleisters D mit handschriftlichem Zusatz "E" abgebildet ist.

3

Mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts B vom ... 2019 (...) wurde A wegen Steuerhehlerei gemäß § 347 Abs. 1, Abs. 2 AO in 33 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 8 Monaten verurteilt. In den Gründen des Strafurteils ist u.a. ausgeführt, dass der A von den gesondert Verfolgten F und G sowie weiteren unbekannt gebliebenen Dritten unversteuerte und unverzollte Zigaretten verschiedener, teils unbekannter Marken, welche zuvor in Kenntnis des A vorschriftswidrig unter Umgehung der fälligen Eingangsabgaben und Verbrauchsteuern in das deutsche Zollgebiet verbracht worden waren, erwarb, um sich durch die gewinnbringende Veräußerung der Zigaretten eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle zu verschaffen. Unter Fall 30 ist in den Gründen des Strafurteils ausgeführt, dass A am 2. Oktober 2015 an den gesondert Verfolgten E in H 2.000 Stück Zigaretten einer unbekannt gebliebenen Marke, die als "5 Gläser Rotwurst und 5 Gläser Leberwurst" bezeichnet wurden, auf dem Postweg versandte.

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Vor diesem Hintergrund erließ der Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller einen Haftungsbescheid über Tabaksteuer vom 12. Oktober 2020 in Höhe von 309,60 EUR (XXX-1), der Gegenstand des vorliegenden Antragsverfahrens ist, und einen Haftungsbescheid über Hinterziehungszinsen vom 12. Oktober 2020 in Höhe von 90,00 EUR (XXX-2), der Gegenstand des Antragsverfahrens 4 V 119/20 ist.

5

Gegen den Haftungsbescheid über Tabaksteuer und gegen den Haftungsbescheid über Hinterziehungszinsen legte der Antragsteller am 19. Oktober 2020 jeweils Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung.

6

Mit Bescheiden vom 2. November 2020 lehnte der Antragsgegner die Anträge auf Aussetzung der Vollziehung jeweils ab. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides über Tabaksteuer bzw. des Haftungsbescheides über Hinterziehungszinsen seien jeweils nicht gegeben. Die Zigaretten seien in unzulässiger Weise ohne Verwendung deutscher Steuerzeichen entweder aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zu gewerblichen Zwecken in das Steuergebiet verbracht oder aus einem Drittland eingeführt worden. Mit dem Verbringen bzw. der Einfuhr sei die Tabaksteuer entstanden. Steuerschuldner sei, wer nach den Zollvorschriften verpflichtet gewesen sei, die Tabakwaren anzumelden bzw. jede andere an der unrechtmäßigen Einfuhr beteiligte Person (§ 21 Abs. 2 Satz 1 TabStG) bzw. im Fall der Verbringung, wer die Lieferung vorgenommen oder die Tabakwaren in Besitz gehalten habe, und der Empfänger, sobald er Besitz an den Tabakwaren erlangt habe (§ 23 Abs. 1 Satz 2 TabStG). Das am 1. Oktober 2015 überwachte Gespräch zwischen dem Anschlussinhaber der auf den Antragsteller zugelassenen Mobilfunknummer und dem A bringe die Erkenntnis, dass der Antragsteller unter Verwendung von Synonymen jeweils fünf Stangen à 200 Stück Zigaretten von zwei unterschiedlichen Marken bestellt habe. Aus weiteren geführten Gesprächen des A gehe hervor, dass dem Antragsteller eine Sendungsverfolgungsnummer geschickt worden sei und dass bereits das Geld überwiesen worden sei. Ferner seien während der Durchsuchung bei A eine Notiz mit "C 10", was mit der Bestellung von jeweils fünf Stangen übereinstimme, und eine Fotodatei vom 5. Oktober 2015 auf dem Mobilfunkgerät, auf der eine Quittung des Paketdienstleisters D mit Sendungsverfolgungsnummern zu sehen und unter den Verfolgungsnummern "E" notiert sei, aufgefunden worden, wodurch belegt werde, dass dem Antragsteller die bestellten Zigaretten tatsächlich zugesandt worden seien und er diese erhalten habe. A habe während der strafgerichtlichen Hauptverhandlung gestanden, unversteuerte Zigaretten erworben und anschließend weiterveräußert zu haben. Der Beförderungsweg der Zigaretten habe nicht ermittelt werden können und es könne nicht eindeutig nachgewiesen werden, ob die Beförderung im Rahmen einer Einfuhr aus einem Drittland oder einer Verbringung über einen anderen Mitgliedstaat erfolgt sei. Die bislang nicht ermittelte Person des Einführers bzw. Verbringers habe sich dennoch der Steuerhinterziehung strafbar gemacht. Jede Person, welche die Zigaretten im weiteren Verlauf in Besitz genommen habe und aufgrund der Gesamtumstände, des Absatzweges, des Ankaufspreises oder der fehlenden deutschen Steuerzeichen gewusst habe oder hätte wissen müssen, dass es sich nur um Zigaretten habe handeln können, die unverzollt und unversteuert gewesen seien, habe sich der Steuerhehlerei strafbar gemacht. Daher sei der Antragsteller zutreffend als Haftungsschuldner der Tabaksteuer bzw. als Zinshaftungsschuldner für hinterzogene Tabaksteuer gemäß § 71 AO in Anspruch zu nehmen.

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Über die Einsprüche gegen die Haftungsbescheide hat der Antragsgegner jeweils noch nicht entschieden.

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Der Antragsteller hat am 12. November 2020 einen gerichtlichen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheides über Tabaksteuer gestellt. Zur Begründung verweist er darauf, dass er noch nie in H gewohnt oder ein Postfach gehabt habe und daher die Zigaretten nicht habe in Empfang nehmen können. Weder der Notizzettel mit einem fremden Vornamen - sein, des Antragstellers, Vorname sei I, nicht C - noch eine Quittung mit einem notierten Namen belegten, dass er die Zigaretten erhalten habe. Anhand der Sendungsnummer auf der Quittung lasse sich sicher feststellen, wohin das Paket verschickt und von welchem Empfänger es unterschrieben worden sei. Er habe keine Steuerhehlerei begangen.

9

Der Antragsteller beantragt,
die Vollziehung des Haftungsbescheides über Tabaksteuer vom 12. Oktober 2020 (XXX-1) auszusetzen.

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Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.

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Zur Begründung seines Antrags verweist der Antragsgegner auf seine Ausführungen im Bescheid vom 2. November 2020 und trägt ergänzend vor, dass es sich bei der Schreibweise des Namens auf der Notiz um eine phonetische Schreibweise gehandelt haben könne. Der Antragsteller sei zum Zeitpunkt der Tat in der X-Straße in J gemeldet gewesen. Sowohl der Name als auch die Adresse des Antragstellers entsprächen den Daten des Anschlussinhabers der angeführten Mobilfunknummer. Die Einlassung des Antragstellers, dass weder der Notizzettel noch die Quittung den Empfang von Zigaretten belegten, sei als Schutzbehauptung zu werten.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Sachakte des Antragsgegners verwiesen, die bei der Entscheidung vorgelegen hat.

Entscheidungsgründe

II.

1.

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Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids über Tabaksteuer vom 12. Oktober 2020 hat Erfolg.

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Der Antrag gemäß § 69 Abs. 3 FGO ist zulässig und begründet.

15

Nach § 69 Abs. 3 FGO kann das Gericht der Hauptsache einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung eines Verwaltungsaktes unter den Voraussetzungen des § 69 Abs. 2 bis 6 FGO entsprechen. Danach soll die Vollziehung ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel im Sinne des § 69 Abs. 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung der angefochtenen Bescheide neben für ihre Rechtmäßigkeit sprechende Umstände gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. nur Beschluss vom 26. August 2004, V B 243/03; Beschluss vom 23. August 2004, IV S 7/04, jeweils in: juris). Die Aussetzung der Vollziehung setzt dabei nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte sprechenden Gründe überwiegen (BFH, Beschluss vom 26. April 2004, VI B 43/04; Beschluss vom 20. Mai 1997, VIII B 108/96, jeweils in: juris). Sie kann vielmehr sogar dann zu gewähren sein, wenn die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide später im Hauptverfahren bestätigt werden sollte (BFH, Beschluss vom 23. August 2004, IV S 7/04, in: juris). Die Umstände, die die Aussetzung der Vollziehung rechtfertigen, hat der Antragsteller glaubhaft zu machen (BFH, Beschluss vom 23. August 2000, VII B 145/00, in: juris). Gemäß § 69 Abs. 2 Satz 3 FGO kann die Aussetzung von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden.

16

Nach dem vorstehend aufgezeigten Prüfungsmaßstab und der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung ergeben sich - entgegen der Auffassung des Antragstellers - nicht aus tatsächlichen, jedoch aus rechtlichen Gründen ernstliche Zweifel im Sinne des § 69 Abs. 2 Satz 2, 1. Alt. FGO an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheides über Tabaksteuer. Es besteht nach dem Dafürhalten des beschließenden Senats in der Rechtsprechung aktuell eine Unsicherheit dahingehend, ob eine Person wie der Antragsteller, dessen Steuerschuldnerschaft nicht sicher ausgeschlossen ist, gemäß § 71 AO für die hinterzogenen Steuern haften kann.

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Der Antragsgegner hat den Haftungsbescheid auf die §§ 71, 191 Abs. 1 Satz 1, 374 Abs. 1 AO gestützt.

18

Nach § 191 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner). Gemäß § 71 AO haftet, wer eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, u.a. für die verkürzten Steuern sowie die Zinsen nach § 235 AO. Steuerhehlerei begeht nach § 374 Abs. 1 AO u.a., wer Waren, hinsichtlich deren Verbrauchsteuern hinterzogen worden sind, ankauft oder sonst sich oder einem Dritten verschafft, sie absetzt oder abzusetzen hilft, um sich oder einen Dritten zu bereichern.

19

Dass der Antragsteller eine Steuerhehlerei nach § 374 Abs. 1 AO begangen hat, ist nach summarischer Prüfung hinreichend wahrscheinlich.

20

Zwar dürften die Erkenntnisse aus der gegen A auf Antrag der Staatsanwaltschaft durch Beschluss des Amtsgerichts B vom ... 2015 (...) gemäß § 100 a StPO ermittlungsrichterlich angeordneten und durchgeführten Telekommunikationsüberwachungsmaßnahme im Besteuerungsverfahren gegen den Antragsteller, gegen den mangels anderslautender Hinweise keine entsprechende Telekommunikationsüberwachungsmaßnahme angeordnet war, als sog. Zufallserkenntnisse vorliegend wohl nicht verwertet werden können. Die Verwertung solcher Zufallserkenntnisse ist nach Maßgabe der §§ 393 Abs. 3 Satz 2, 2. Alt. AO i.V.m. §§ 474 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Nr. 2 StPO i.V.m. § 116 AO, §§ 479 Abs. 2 Satz 1, 161 Abs. 3 Satz 1 StPO nur zulässig, wenn im Sinne des hypothetischen Ersatzeingriffs die Anordnung einer Telekommunikationsüberwachungsmaßnahme gegenüber dem Antragsteller ebenfalls rechtmäßig gewesen wäre, weil gegen ihn ebenfalls der Verdacht einer sogenannten Katalogstraftat nach § 100 a Abs. 2 StPO bestand (vgl. BFH, Beschluss vom 24. April 2013, VII B 202/12, in: juris, unter Bezugnahme auf die - mit §§ 479 Abs. 2 Satz 1, 161 Abs. 3 Satz 1 StPO inhaltsgleiche - Vorgängervorschrift des § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO). Ausgehend von dem nur einmalig dokumentierten Erwerb von 2.000 Stück Zigaretten dürfte dies für den Antragsteller wohl nicht zu bejahen sein. Im einmaligen Erwerb - auch einer etwas größeren, aber noch überschaubaren Menge - unversteuerter Zigaretten ohne weitere Anhaltspunkte für die erkennbare Absicht, sich durch wiederholte Begehung von Straftaten eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen (vgl. zur Gewerbsmäßigkeit im Sinne des § 374 Abs. 2 AO Loose, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand: 163. Ergänzungslieferung Oktober 2020, § 374 AO Rn. 18), dürfte keine gewerbsmäßige Steuerhehlerei gemäß § 347 Abs. 2 AO und damit keine Katalogstraftat nach § 100 a Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c) StPO liegen. Nach Aktenlage sind auch keine Anhaltspunkte für den Verdacht einer durch den Antragsteller begangenen sonstigen Katalogstraftat gegeben.

21

Gleichwohl ist davon auszugehen, dass der Antragsteller sich wissentlich 2.000 Stück Zigaretten, hinsichtlich deren Tabaksteuer hinterzogen worden ist, verschafft hat, um sich oder einen Dritten zu bereichern, indem er diese verabredungsgemäß von A kurz nach dem 2. Oktober 2015 übersandt bekommen hat.

22

Nach feststehender Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs kann sich ein Finanzgericht die tatsächlichen Feststellungen eines in das finanzgerichtliche Verfahren eingeführten Strafurteils zu eigen machen, es sei denn, die Beteiligten erheben gegen die strafgerichtlichen Feststellungen substantiierte Einwendungen und stellen entsprechende Beweisanträge, die das Finanzgericht nach den allgemeinen für die Beweiserhebung geltenden Grundsätzen nicht unbeachtet lassen kann. Das Finanzgericht ist auch nicht gehindert, Feststellungen aus einem Strafurteil in einem Verfahren zu berücksichtigen, an dem der Betroffene des finanzgerichtlichen Verfahrens nicht beteiligt war (BFH, Beschluss vom 28. Oktober 2004, VII B 294/03, in: juris, m.w.N.).

23

Nach den tatsächlichen Feststellungen des rechtskräftigen Urteils des Amtsgerichts B vom ... 2019 unter Fall 30, die sich der beschließende Senat insoweit zu eigen macht, versandte A am 2. Dezember 2015 auf dem Postweg an den Antragsteller in H 2.000 Stück Zigaretten einer unbekannt gebliebenen Marke, die als "5 Gläser Rotwurst und 5 Gläser Leberwurst" bezeichnet worden waren. Substantiierte Einwände gegen diese Feststellungen hat der Antragsteller nicht erhoben. Soweit er darauf verweist, dass er noch nie in H gewohnt oder ein Postfach gehabt habe und daher die Zigaretten nicht habe in Empfang nehmen können, ist dies im Ergebnis ohne Belang. A hat die Zigaretten nach den Feststellungen des strafgerichtlichen Urteils an den Antragsteller "in H" versandt, so dass davon auszugehen ist, dass der Antragsteller die Zigaretten in H erhalten hat. Dabei muss es sich nicht um die Zusendung an eine eigene Wohnanschrift oder ein eigenes Postfach des Antragstellers gehandelt haben. Vielmehr kann der Antragsteller die Postsendung auch unter der Anschrift einer anderen Person und gegebenenfalls durch Einschaltung einer anderen Empfangsperson erhalten haben. Zudem liegt H nicht weit entfernt von J, wo der Antragsteller seinerzeit mit seinem Wohnsitz gemeldet war, und es dürfte daher für den Antragsteller nicht viel Aufwand gemacht haben, ein Postpaket aus H abzuholen. Aus diesem Grunde ist es auch unerheblich, an welche Anschrift und an welchen konkreten Empfänger das Postpaket durch den Zustelldienst ausgeliefert wurde, so dass - anders als der Antragsteller meint - dahingehende Beweiserhebungen ausgehend von der Sendungsverfolgungsnummer des Paketdienstleisters nicht geboten sind. Auch der weitere Einwand des Antragstellers, dass auf dem bei A aufgefundenen Notizzettel ein anderer Name (C statt I) stehe, ist im Ergebnis ohne Belang. Der Antragsgegner hat zutreffend darauf hingewiesen, dass es sich durchaus um eine phonetische Schreibweise handeln kann und mit dem Namen "C" passend zur Anzahl der bestellten Zigaretten (10 Stangen) gleichwohl der Antragsteller gemeint ist. Ohnehin ergibt sich die Tatsache der Versendung der Zigaretten an den Antragsteller bereits aus den Feststellungen des Strafurteils, die im Wesentlichen auf der geständigen Einlassung des A beruhen, während der sichergestellte Notizzettel diese Feststellung lediglich zusätzlich stützt. Gleiches gilt für die auf dem sichergestellten Mobilfunkgerät des A gespeicherte Fotodatei vom 5. Oktober 2015, auf der eine Quittung des Paketdienstleisters mit Verfolgungsnummern und Aufschrift "E" zu sehen ist. Diese Fotodatei bildet entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht den einzigen - und aus Sicht des Antragstellers ohne nähere Überprüfung der Verfolgungsnummern und des dazugehörigen tatsächlichen Empfängers unzureichenden - Beleg für die Übersendung der Zigaretten. Die Fotodatei stützt vielmehr nur ergänzend die Feststellung des strafgerichtlichen Urteils, dass A die Zigaretten am 2. Oktober 2015 an den Antragsteller gesandt hat. Dass der Antragsteller die an ihn von A übersandten Zigaretten auch tatsächlich erhalten hat, steht ebenfalls außer Zweifel. Zwar dürften auch insoweit aus den eingangs dargestellten Erwägungen die Erkenntnisse aus der gegen A angeordneten Telekommunikationsüberwachungsmaßnahme betreffend die erfolgte Abwicklung der Bezahlung der Zigaretten nicht herangezogen werden können. Es ergibt sich aber bereits aufgrund der tatsächlichen Feststellung des strafgerichtlichen Urteils, dass A die Zigaretten "auf dem Postweg [an den Antragsteller] versandte", dass der Antragsteller die Zigaretten auch erhalten hat, anderenfalls das Strafgericht den unter Fall 30 festgestellten Sachverhalt nicht als einen der 33 Fälle vollendeter Steuerhehlerei bewertet hätte. Im Übrigen widerspricht es auch jeglicher Lebenserfahrung, dass ein mit Sendungsverfolgungsnummer über einen Paketdienstleister abgesandtes Postpaket seinen Empfänger tatsächlich nicht erreicht hat, es sei denn, das Paket ist rückläufig bzw. es gibt eine Unzustellbarkeitsmitteilung des Paketdienstleisters an den Absender, wofür hier aber keinerlei Anhaltspunkte vorliegen.

24

Des Weiteren ist nach den tatsächlichen Feststellungen des Urteils des Amtsgerichts B vom ... 2019, die sich der beschließende Senat auch insoweit zu eigen macht, davon auszugehen, dass es sich bei den an den Antragsteller übersandten Zigaretten um unversteuerte Zigaretten handelte, die zuvor vorschriftswidrig unter Umgehung der fälligen Verbrauchsteuern in das deutsche Steuergebiet gelangt sind. Zu der Frage, ob die Zigaretten dabei aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zu gewerblichen Zwecken in das deutsche Steuergebiet verbracht oder aus einem Drittland eingeführt worden sind, verhält sich das strafgerichtliche Urteil nicht. Insbesondere ist der im Strafurteil verwendeten Terminologie, nach der die - von A zunächst von gesondert verfolgten Personen und unbekannt gebliebenen Dritten erworbenen und später gewinnbringend u.a. an den Antragsteller veräußerten - Zigaretten "in das deutsche Zollgebiet verbracht worden waren" keine dahingehende Bedeutung beizumessen, dass es sich um ein Verbringen aus dem steuerrechtlich freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaats im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 TabStG gehandelt hat. Der Begriff "verbracht" wird im Strafurteil ohne eine weitere Differenzierung zwischen Eingangsabgaben und Verbrauchsteuern offenkundig nur in einer allgemeingültigen Bedeutung verwendet. Auch liegen keine sonstigen Erkenntnisse vor, die Rückschlüsse auf die Herkunft oder den Reiseweg der konkret an den Antragsteller übersandten 2.000 Stück Zigaretten zulassen könnten. Unabhängig von der Frage, ob die Zigaretten aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zu gewerblichen Zwecken in das deutsche Steuergebiet verbracht oder aus einem Drittland eingeführt worden sind, ist aber jedenfalls festzustellen, dass es sich um Zigaretten handelte, hinsichtlich deren Verbrauchsteuern hinterzogen worden sind. Die Tabaksteuer ist entweder nach §§ 19 Abs. 1 Nr. 1, 21 Abs. 1 Satz 1 TabStG durch die Überführung der Zigaretten in den steuerrechtlich freien Verkehr durch die Einfuhr aus einem Drittland oder nach § 23 Abs. 1 Satz 1 TabStG durch die Verbringung der Zigaretten aus dem steuerrechtlich freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaats entstanden. Die Tabaksteuer ist durch den Steuerschuldner nicht durch die Verwendung von Steuerzeichen entrichtet worden (§ 17 TabStG), und zwar entweder - für den Fall der Tabaksteuerentstehung nach § 21 Abs. 1 Satz 1 TabStG - von der Person, die nach den Zollvorschriften verpflichtet ist, die Tabakwaren anzumelden oder in deren Namen die Tabakwaren angemeldet werden, bzw. die an einer unrechtmäßigen Einfuhr beteiligt ist (§ 21 Abs. 2 Satz 1 TabStG) oder - für den Fall der Tabaksteuerentstehung nach § 23 Abs. 1 Satz 1 TabStG - von der Person, die die Lieferung vornimmt oder die Tabakwaren in Besitz hält bzw. von dem Empfänger, sobald er Besitz an den Tabakwaren erlangt hat (§ 23 Abs. 1 Satz 2 TabStG). Damit wurde die Tabaksteuer gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 3 AO hinterzogen.

25

Es ist schließlich auch davon auszugehen, dass der Antragsteller aufgrund der fehlenden deutschen Steuerzeichen und der besonderen Umstände des Erwerbsvorgangs, insbesondere der nach den Feststellungen des Strafurteils verwendeten Synonyme "5 Gläser Rotwurst und 5 Gläser Leberwurst", wusste, dass es sich bei den an ihn übersandten Zigaretten um Zigaretten, hinsichtlich deren Tabaksteuer hinterzogen worden ist, handelte, und er sie sich verschafft hat, um sich oder einen Dritten zu bereichern, weil er durch den Ankauf unversteuerter Zigaretten eigene Aufwendungen ersparen bzw. durch den Weiterverkauf unversteuerter Zigaretten einen Gewinn erzielen konnte.

26

Es ist jedoch rechtlich zweifelhaft, ob der Inanspruchnahme des Antragstellers als Haftungsschuldner nach § 71 AO entgegensteht, dass nicht sicher ausgeschlossen werden kann, dass der Antragsteller in Bezug auf die Tabaksteuer, für die er als Haftungsschuldner in Anspruch genommen wird, selbst Steuerschuldner gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 TabStG ist. Sofern nämlich die an den Antragsteller übersandten Zigaretten aus dem steuerrechtlich freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaats stammen sollten, wäre der Antragsteller aufgrund der nach den tatsächlichen Feststellungen des Strafurteils des Amtsgerichts B vom ... 2019 anzunehmenden hinreichend wahrscheinlichen Inbesitznahme der Zigaretten gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 TabStG Tabakschuldner (vgl. zur Steuerschuldnerschaft des Besitzers bzw. des Empfängers im Sinne von § 23 Abs. 1 Satz 2 TabStG: FG Hamburg, Beschluss vom 18. November 2016, 4 V 142/16; Beschluss vom 7. Juni 2017, 4 V 251/16, jeweils in: juris, unter Verweis auf die übertragbare Rechtsprechung des BFH zur Vorgängervorschrift des § 19 Satz 2 TabStG 1993, Urteil vom 11. November 2014, VII R 44/11).

27

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (Urteil vom 23. Juni 2020, VII R 56/18, in: juris), der sich der beschließende Senat unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung (FG Hamburg, Urteil vom 13. September 2018, 4 K 121/17, in: juris) anschließt, kann, wer als Besitzer von in Deutschland unversteuerten Zigaretten zur Entrichtung der Tabaksteuer nach § 23 Abs. 1 Satz 2 TabStG verpflichtet ist, für diese Steuer nicht zugleich durch Haftungsbescheid nach § 71 AO in Anspruch genommen werden. Aus dem genannten Urteil des Bundesfinanzhofs, insbesondere dem darin zum Ausdruck kommenden Grundsatz, dass sich im Haftungsrecht nach der Abgabenordnung Steuerschuldnerschaft und Haftung gegenseitig ausschließen, leitet der beschließende Senat ab, dass § 71 AO um ein ungeschriebenes negatives Tatbestandsmerkmal zu ergänzen sein dürfte, "dass der Haftende kein Steuerschuldner ist". Daraus folgt, dass eine Haftungsinanspruchnahme auch in einer - wie hier gegebenen - non liquet-Situation, in der die Steuerschuldnerschaft desjenigen, der mittels Haftungsbescheid für die Steuerschuld in Anspruch genommen wird, nicht sicher ausgeschlossen werden kann, wohl nicht rechtmäßig sein dürfte. Gründe für eine davon abweichende Beurteilung sind dem beschließenden Senat nicht ersichtlich und auch im Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 24. Oktober 2017, VII B 99/17 (in: juris, dort Rn. 8) nicht ausgeführt.

28

Die vorliegend bestehende Möglichkeit, dass der Antragsteller Steuerschuldner sein könnte, dürfte damit seiner Inanspruchnahme als Haftungsschuldner aus rechtlichen Gründen entgegenstehen. Da aber die Rechtsfragen, die sich bei einer non liquet-Situation im Hinblick auf den möglichen Steuerschuldner stellen, nicht abschließend in der obergerichtlichen Rechtsprechung geklärt sind und offen ist, ob der Grundsatz der Exklusivität von Schuld und Haftung dazu führt, dass § 71 AO um das ungeschriebene negative Tatbestandsmerkmal "dass der Haftende kein Steuerschuldner ist", ergänzt werden muss, ist vorliegend die Aussetzung der Vollziehung aus rechtlichen Gründen anzuordnen (vgl. auch bereits FG Hamburg, Beschluss vom 8. Juni 2018, 4 V 280/17, in: juris).

29

Von einer Sicherheitsleistung ist unter Berücksichtigung der verhältnismäßig geringen Höhe der Abgabenschuld abzusehen.

2.

30

Die Kosten des Verfahrens fallen dem Antragsgegner zur Last (§ 135 Abs. 1 FGO).

31

Die Beschwerde ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und im Hinblick auf eine einheitliche Rechtsprechung zur Auslegung von § 71 AO zuzulassen (§§ 128 Abs. 3, 115 Abs. 2 FGO).

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