Urteil vom Finanzgericht Hamburg (4. Senat) - 4 K 135/17

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen einen Einfuhrabgabenbescheid.

2

Am 8. Mai 2012 meldete die Klägerin als Vertreterin einer als "A, ...; B" deklarierten Privatperson (im Folgenden A) zwei Dampfkessel aus der V.R. China zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr an. Der Kontakt mit der A fand laut den Angaben der Klägerin ausschließlich über den chinesischen Agenten der Klägerin, C, mit Sitz in China, statt. Eine Vollmacht von A wurde der Klägerin weder mündlich noch schriftlich ausdrücklich erteilt. Die Dampfkessel waren mit dem Seeschiff "XX" im Hamburger Hafen eingetroffen. Die Abfertigung erfolgte antragsgemäß am 8. Mai 2012. Die Dampfkessel wurden am 15. Mai 2012 durch den Kraftfahrer D, Mitarbeiter der Firma E GbR (E), auf das Gelände der F GmbH (F) in Hamburg verbracht. Den Transportauftrag erteilte die Klägerin der F, welche wiederum die E beauftragte. Die Dampfkessel sollten nach der Mitteilung des chinesischen Agenten in einem Hamburger Warenhaus zwischengelagert werden, woraufhin die A die Abholung durch einen Fuhrunternehmer organisieren wolle.

3

Am 29. Mai 2012 erging eine Spontanmitteilung eines britischen Verbindungsbeamten an das Zollfahndungsamt Hamburg, wonach sich in den Dampfkesseln vermutlich Schmuggeltabak befinde, der vermutlich nach Großbritannien weiterbefördert werden solle. Am 30. Mai 2012 untersuchten Beamte des Zollfahndungsamts Hamburg die Dampfkessel in dem Lager der F durch Anbohren und fanden darin 1.099 kg Feinschnitt-Tabak. Der Tabak wurde sichergestellt und später vernichtet.

4

Im Rahmen des eingeleiteten Ermittlungsverfahrens ergab ein Rechtshilfeersuchen an die britischen Behörden, dass die von der Klägerin angegebene Adresse ..., B existiere und von einem nicht in die Vorgänge involvierten Gewerbeunternehmen "G" genutzt werde, dass jedoch zu keinem Zeitpunkt eine Firma oder Person A dort ansässig oder tätig gewesen sei. Weder der chinesische Lieferant noch ein A konnten im Rahmen des Ermittlungsverfahrens als tatsächlich existente Wirtschaftsteilnehmer ermittelt werden.

5

Mit Bescheid vom 3. Juli 2014 (XXX-1) setzte der Beklagte gegenüber der Klägerin Tabaksteuer i.H.v. 82.479,95 € sowie Einfuhrumsatzsteuer i.H.v. 21.342,21 € fest. Zollabgaben setzte der Beklagte nicht fest, weil er angesichts der Einziehung der Ware gemäß Art. 867a ZK-DVO ein fiktives Zolllagerverfahren annahm.

6

Mit seiner Einspruchsentscheidung vom 3. Juni 2015 wies der Beklagte den Einspruch der Klägerin vom 7. Juli 2014 zurück, erließ aber mit Bescheid vom gleichen Datum Tabaksteuer in Höhe von 10.698,76 €.

7

Zur Begründung für die Einspruchsentscheidung führte der Beklagte im Wesentlichen aus, dass die Zollschuld gemäß Art. 202 Abs. 1 lit. b) ZK i.V.m. §§ 13 Abs. 2, 21 Abs. 2 UStG entstanden sei. Die Dampfkessel seien gestellt worden, nicht jedoch der Tabak, so dass dieser vorschriftswidrig in das Zollgebiet verbracht worden sei. Auf Verschulden komme es nicht an. Die Klägerin habe nicht über eine wirksame Vertretungsmacht gemäß Art. 5 ZK für die Firma A, ..., B, verfügt, da diese nicht existiere, so dass sie nach Art. 5 Abs. 4 ZK im eigenen Namen und in eigener Verantwortung gehandelt habe. Unmittelbaren Kontakt zum Anmelder habe sie nicht gehabt, den Verzollungsauftrag habe sie von der Firma ... Ltd. in China erhalten. Ob tatsächlich eine Bevollmächtigung vorgelegen habe, habe sie ebenso wie andere im Rahmen der Anmeldung zu machende Angaben nicht überprüft. Die Einfuhrumsatzsteuer sei nicht nach Art. 233 S. 1 lit. d) ZK, § 21 Abs. 2 UStG erloschen, da die Ware nicht bei, sondern nach dem vorschriftswidrigen Verbringen beschlagnahmt worden sei.

8

Die Klägerin sei neben dem Lkw-Fahrer Schuldner der Einfuhrabgaben nach Art. 202 Abs. 3 Anstrich 1 ZK. Sie habe für die Zollanmeldung vor Gestellung gesorgt und den Grund für das vorschriftswidrige Verbringen des Tabaks gesetzt. Die Inanspruchnahme allein der Klägerin sei nicht ermessensfehlerhaft. Der allein als weiterer Abgabenschuldner in Betracht kommende Lkw-Fahrer sei lediglich als Bote aufgetreten, Anhaltspunkte für fahrlässige Unkenntnis vom tatsächlichen Inhalt der Ladung bestünden bei ihm ebenso wenig wie bei der Klägerin. Deren Inanspruchnahme erfolge allein aus fiskalischen Erwägungen vor dem erfahrungsgemäß wirtschaftlich schwächeren Lkw-Fahrer. Bei ihr könne die vollständige und rechtzeitige Entrichtung des Abgabenbetrages am ehesten erwartet werden.

9

Am 2. Juli 2015 hat die Klägerin Klage erhoben und um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht, der mit Beschluss des erkennenden Senats vom 14. September 2015 abgelehnt worden ist (4 V 107/15).

10

Mit dem Einfuhrabgabenbescheid vom 21. Dezember 2015 hat der Beklagte die verbleibende Tabaksteuer auf 0 € festgesetzt, da nicht die Klägerin, sondern die Reederei Schuldnerin der Tabaksteuer geworden sei. Die Beteiligten haben insoweit den Rechtsstreit für erledigt erklärt.

11

Die Klägerin begründet ihre Klage im Wesentlichen wie folgt:

12

Sie sei nicht Täterin, sondern Opfer ihr nicht zurechenbarer betrügerischer Handlungen Dritter.

13

Sie sei nicht Zollschuldnerin nach Art. 202 Abs. 3 Alt. 1 ZK geworden. Sie habe lediglich die Fracht- und Transportpapiere bearbeitet, sei am physischen Verbringen der Ware aber nicht beteiligt gewesen. Auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 3. März 20[0]5 (C-195/03) könne sich der Beklagte nicht berufen. Der Tabak hätte nicht gestellt werden können, da sein Vorhandensein nicht bekannt gewesen sei. Mangels Gestellung habe der Anmelder oder dessen Vertreter die Ware nicht durch Falschangabe verbringen können. Verbringen könne sie allein derjenige, der sie tatsächlich befördere. Die Anmeldung könne ihr auch nicht gemäß Art. 5 Abs. 4 ZK zugerechnet werden. Stelle sich im Nachhinein heraus, dass der Vertretene nicht existiere, könne Art. 5 Abs. 4 ZK nicht angewandt werden, denn als direkter Vertreter habe sie gerade zum Ausdruck gebracht, nicht auf eigene Rechnung handeln zu wollen. Zudem habe der Beklagte angesichts bereits im November 2011 bestehender Erkenntnisse über die für den A angegebene Anschrift die Pflicht gehabt, sie, die Klägerin, über die Nichtexistenz des A zu informieren. Den Fall, dass es gar keinen Vertretenen gebe, erfasse Art. 5 Abs. 4 ZK nicht. Der Schmuggeltabak sei nicht in Deutschland in den Wirtschaftskreislauf der Union eingegangen, denn sie, die Klägerin, habe den Tabak nicht bewusst und gewollt dem Wirtschaftskreislauf zugeführt. Angesichts der Sicherstellung und Vernichtung des Tabaks sei dieser nicht dauerhaft in den Wirtschaftskreislauf eingegangen. Wegen der lediglich zweiwöchigen Verweildauer des Tabaks in den fest verschlossenen Dampfkesseln und der anschließenden Sicherstellung und Vernichtung sei von einer unmittelbaren Beschlagnahme und Vernichtung der Ware durch den Zoll auszugehen, die eine Einfuhr im Sinne des UStG ausschließe. Die Anwendung des Art. 867a ZK-DVO sei gemäß § 21 Abs. 2 UStG auf die Einfuhrumsatzsteuerfestsetzung auszudehnen. Da der Tabak vom Zollfahndungsamt unmittelbar und zielgerichtet nach dem Entfernen aus der Freizone aufgegriffen worden sei und die Zollbehörde vom vorschriftswidrigen Verbringen gewusst habe, sei die Einfuhrumsatzsteuerschuld nach Art. 233 lit. d) ZK erloschen. Angesichts der Aufhebung der Tabaksteuerfestsetzung sei die Tabaksteuer jedenfalls nicht in die Einfuhrumsatzsteuerbemessungsgrundlage einzubeziehen.

14

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Einfuhrabgabenbescheid vom 3. Juli 2014 (XXX-1) in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 3. Juni 2015 (xxx) und des Teil-Erlassbescheides vom 3. Juni 2015 (XXX-2) sowie des Änderungsbescheides vom 21. Dezember 2015 (XXX-3) aufzuheben.

15

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

16

Er begründet seinen Antrag im Wesentlichen wie folgt:

17

Der Kreis der möglichen Abgabenschuldner sei weit zu fassen. Jeder, der mit seinem Verhalten den Grund für das vorschriftswidrige Verbringen der Ware gesetzt habe, komme als Schuldner in Betracht. Durch das Vorführen des Lkw und die Mitteilung über das Vorhandensein der Dampfkessel seien diese gestellt worden. Dies gelte nicht für den Tabak, auf den ausdrücklich hätte hingewiesen werden müssen. Durch ihren Auftrag zur Verbringung der Waren aus der Freizone vom 8. Mai 2012 und ihre Zollanmeldung vor Gestellung habe die Klägerin den Grund für das vorschriftswidrige Verbringen des Tabaks gesetzt. Kenntnis vom vorschriftwidrigen Verbringen habe er - der Beklagte - erst am 29. Mai 2012 durch den Hinweis des britischen Zollverbindungsbeamten erhalten. Die Schmuggelware sei in Deutschland in den Wirtschaftskreislauf der Union eingegangen, weil sie in dem von der Klägerin initiierten Zwischenlager bei der F zum Ruhen gekommen sei. Zudem lägen mit der Beauftragung der F und der Unterbeauftragung der E betreffend Transport und Zwischenlagerung weitere umsatzsteuerpflichtige Geschäfte vor, aus denen der Eingang der Waren in den Wirtschaftskreislauf in Deutschland resultiere.

18

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die Sachakte (xxx) des Beklagten Bezug genommen, die dem Gericht vorgelegen haben.

19

Die Beteiligten haben der Entscheidung durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Entscheidungsgründe

I.

20

Die Entscheidung ergeht gemäß § 79a Abs. 3, 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch den Berichterstatter und gemäß § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung.

II.

21

Die Tabaksteuerfestsetzung ist lediglich i.H.v. 71.781,19 € Streitgegenstand geworden. Die Beteiligten haben die Klage nach der Abhilfe des Beklagten während des Finanzgerichtsverfahrens über diese verbleibende Tabaksteuerfestsetzung in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt. Insoweit ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt.

III.

22

Soweit die zulässige Klage im Hinblick auf die Einfuhrumsatzsteuer weiterverfolgt wird, hat sie in der Sache keinen Erfolg.

23

Der Einfuhrabgabenbescheid über Einfuhrumsatzsteuer i.H.v. 21.342,21 € ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO.

24

Ermächtigungsgrundlage für die Festsetzung der Einfuhrumsatzsteuer auf den Tabak sind § 1 Abs. 1 Nr. 4 und § 21 Abs. 2 Halbs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) i.V.m. Art. 202 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. b Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, 1, zuletzt geändert durch Art. 286 Abs. 4 Verordnung (EU) Nr. 952/2013 v. 9. Oktober 2013, ABl. L 269, 1; im Folgenden: ZK). Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG unterliegt die Einfuhr von Gegenständen im Inland als steuerbarer Umsatz der Einfuhrumsatzsteuer. § 21 Abs. 2 Halbs. 1 UStG ordnet die sinngemäße Anwendung der Vorschriften für Zölle auf die Einfuhrumsatzsteuer an. Nach Art. 202 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. b ZK entsteht eine Einfuhrzollschuld, wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware vorschriftswidrig aus einer Freizone in einen anderen Teil des EU-Zollgebiets verbracht wird.

25

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 202 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. b ZK liegen vor (hierzu unter 1.) und die Vorschrift ist gemäß § 21 Abs. 2 UStG entsprechend auf die Einfuhrumsatzsteuer anzuwenden (hierzu unter 2.). Die Klägerin ist Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer (hierzu unter 3.). Die Einfuhrumsatzsteuer ist nicht erloschen (hierzu unter 4.) und es kann nicht von ihrer Erhebung abgesehen werden (hierzu unter 5.). Die Einfuhrumsatzsteuer wurde der Höhe nach zutreffend festgesetzt (hierzu unter 6.). Anhaltspunkte für Ermessensfehler des Beklagten sind nicht ersichtlich (hierzu unter 7.).

26

1. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 202 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. b ZK liegen vor.

27

Die Klägerin hat die Ware durch ihre unvollständige Zollanmeldung vorschriftswidrig verbracht. Der Tabak wurde aus dem damals noch bestehenden Freihafen Hamburg ohne Gestellung gemäß Art. 38, Art. 40 ZK in das Zollgebiet der Union verbracht. Sofern eine Lkw-Ladung gestellt worden ist, bezieht sich die Gestellung nur auf die Waren, die von der Erklärung erfasst sind bzw. auf die Waren, mit deren Vorhandensein der befasste Zöllner unter normalen Umständen zu rechnen hat. Die Anmeldung bezieht sich daher nur auf die darin bezeichnete Ware und nicht auf ebenfalls in der Sendung enthaltene Waren, die mit der in der Anmeldung beschriebenen Warenart tatsächlich nicht übereinstimmen. Wird in der Anmeldung ein wichtiger Teil der gestellten Waren nicht erwähnt, muss angenommen werden, dass dieser Teil vorschriftswidrig in das Zollgebiet verbracht wurde (EuGH, Urteil vom 3. März 2005, C-195/03, Papismedov; BFH, Urteil vom 20.07.2004, VII R 38/01, BFH/NV 2004, 1739). Hinter einer Tarnladung versteckte Waren - wie im Streitfall der Tabak - sind mithin wegen der fehlenden qualifizierten Mitteilung - mitgeteilt wurden nur Dampfkessel - nicht gestellt, wobei es unerheblich ist, ob der Anmelder oder Beförderer selbst Kenntnis von den betreffenden Waren hatte (vgl. BFH, Urteil vom 20. Juli 2004, VII R 38/01, BFH/NV 2004, 1739).

28

2. Art. 202 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. b ZK ist im vorliegenden Fall gemäß § 21 Abs. 2 UStG auf die Einfuhrumsatzsteuer anwendbar, weil der Tabak im umsatzsteuerrechtlichen Sinne eingeführt worden ist. Nach der neueren Rechtsprechung des EuGH führt das vorschriftswidrige Verbringen einer Ware im zollrechtlichen Sinne nicht automatisch zu einer mehrwertsteuerlichen Einfuhr. Erforderlich ist vielmehr, dass die Ware in den Wirtschaftskreislauf der Union eingeht. Bei Waren, die der zollamtlichen Überwachung entzogen oder vorschriftswidrig verbracht werden, ist nach der Rechtsprechung des EuGH anzunehmen, dass diese in dem Mitgliedstaat, in dem die Entziehung oder die Verbringung stattgefunden hat, in den Wirtschaftskreislauf der EU gelangen. Allerdings handelt es sich bei dieser Annahme lediglich um eine gesetzliche Vermutung, die widerlegt werden kann. Nach der EuGH-Rechtsprechung handelt es sich bei der Mehrwertsteuer um eine Verbrauchsteuer, die nur auf Waren und Dienstleistungen Anwendung findet, die in den Wirtschaftskreislauf der EU gelangen und einem Verbrauch zugeführt werden können. Hiervon ausgehend hat der EuGH als Voraussetzung für das Entstehen der Einfuhrmehrwertsteuer das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal des Eingangs in den Wirtschaftskreislauf der EU entwickelt. In der Entscheidung Federal Express führte er aus, dass neben der Zollschuld nur dann eine Mehrwertsteuer entstehen könne, wenn aufgrund des Fehlverhaltens, das zur Entstehung der Zollschuld führte, angenommen werden könne, dass die fraglichen Waren in den Wirtschaftskreislauf der EU gelangt seien und somit einem Verbrauch, d. h. dem mit der Mehrwertsteuer belasteten Vorgang, zugeführt werden könnten (EuGH, Urteil vom 10. Juli 2019, C-26/18, Federal Express Corporation Deutsche Niederlassung, Rn. 34, 44f., 47f. unter Bezugnahme auf die Schlussanträge des Generalanwalts Campos Sánchez-Bordona vom 27. Februar 2019, Rn. 56 und 68; FG Hamburg, Urteil vom 14. Januar 2020, 4 K 123/15, ZfZ 2020, 107, juris Rn. 44f, 58f., jeweils m.w.N.). Der Senat wendet diese Rechtsprechung in eigener gefestigter Rechtsprechung an (siehe nur FG Hamburg, Urteile vom 26. August 2019, 4 K 64/17, juris; vom 14. Januar 2020, 4 K 123/15, ZfZ 2020, 107).

29

Nach diesen Maßgaben ist der Tabak in Deutschland in den Wirtschaftskreislauf der Union eingegangen.

30

Die Klägerin hat die Ware durch ihre unvollständige Zollanmeldung vorschriftswidrig verbracht (siehe oben 1.), sodass der Eingang in den Wirtschaftskreislauf der EU in Deutschland vermutet wird. Der Beweis des Gegenteils (§ 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 292 ZPO) ist erst erbracht, wenn nachgewiesen wird, dass trotz des zollrechtlichen Fehlverhaltens ein Gegenstand im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats, in dem dieser Gegenstand zum Verbrauch bestimmt war, in den Wirtschaftskreislauf der EU gelangt ist. In der Folge tritt der Tatbestand der Einfuhr in diesem anderen Mitgliedstaat ein. Diese Grundsätze gelten auch im vorliegenden Fall des vorschriftswidrigen Verbringens (FG Hamburg, Urteile vom 26. August 2019, 4 K 64/17, juris, Rn. 27f.; vom 14. Januar 2020, 4 K 123/15, ZfZ 2020, 107, juris, Rn. 46).

31

Die durch den zollrechtlichen Verstoß indizierte umsatzsteuerliche Einfuhr hat die Klägerin nicht widerlegt.

32

Hierzu wäre es erforderlich, dass die Klägerin beweist, dass der Tabak in einen anderen Mitgliedstaat geliefert werden sollte. In diesem Fall wäre die Lagerung des Tabaks bei F noch Teil des Transits. Diesen Nachweis konnte die Klägerin nicht führen. Angesichts der auf Verschleierung angelegten Vorgehensweise der unbekannten Täter bei dem Schmuggelgeschäft bleibt unklar, an welchem Bestimmungsort die Ware nach dem Tatplan letztlich verbleiben und verbraucht werden sollte. Nach den nicht im Zweifel stehenden Feststellungen des Zollfahndungsamts wurde der Tabak auf Geheiß der Klägerin von dem LKW-Fahrer der E nach der Abfertigung zum freien Verkehr am 15. Mai 2012 aus dem Freihafen in das Zwischenlager der F gebracht, wo er bis zum 30. Mai 2012 lagerte. Nach den Angaben in dem Auftrag des chinesischen Agenten vom 18. April 2012 sollte die Ware nach der Einfuhr in Hamburg bis zur durch einen A zu organisierenden Abholung gelagert werden. Zum einen ergibt sich hieraus kein Anhaltspunkt, wo der Tabak schlussendlich dem Verbrauch zugeführt hätte werden sollen, zum anderen handelte es sich bei der Person oder Firma A um eine Scheinfirma unter einer Scheinadresse. Der von der Klägerin in Bezug genommene Vermerk vom 16. November 2011 (Bl. 186 EA) hat bis auf die Adresse des ... in den ... keinen Bezug zum vorliegenden Fall und kann insoweit keinen Aufschluss über den angeblichen Anmelder A bieten; der Name A wie auch der teilweise weiter in den Akten auftauchende Name H ist sowohl als Vor- und Nachname als auch als Firmenbezeichnung sehr häufig, zumal über eine wirkliche Veranlassung durch einen A keine Belege ermittelt werden konnten. Auf dieser Grundlage kann nicht sicher festgestellt werden, dass der Bestimmungsort des Tabaks im EU-Ausland liegen sollte. Schließlich ist der Fundort in England des hier nicht streitbefangenen Schmuggeltabaks aus der Märzlieferung der Klägerin kein belastbares Indiz dafür, dass auch der in der streitbefangenen Einfuhr enthaltene Tabak ohne erhebliche Zweifel nach England geliefert hätte werden sollen.

33

Vielmehr spricht angesichts der Einlagerung in Hamburg Einiges dafür, dass die Ware endgültig in Deutschland verbleiben sollte. Selbst wenn sie später weitertransportiert hätte werden sollen, wäre die Einlagerung für den Transit nicht erforderlich gewesen. Gerichtsbekannt werden Tarnadressen im EU-Ausland häufig gerade nicht im tatsächlichen Bestimmungsland gewählt, um eine straf- und steuerrechtliche Verfolgung zu erschweren.

34

3. Die Klägerin ist gemäß § 21 Abs. 2 UStG i.V.m. Art. 202 Abs. 3 Anstrich 1 ZK Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer.

35

Gemäß Art. 202 Abs. 3 Anstrich 1 ZK ist Zollschuldner die Person, welche die Ware vorschriftswidrig in das Zollgebiet verbracht hat. Dies ist im vorliegenden Fall die Klägerin. Verbringer kann neben den natürlichen Personen, die die Ware tatsächlich befördern, auch eine juristische Person sein. In Betracht kommt insoweit eine juristische Person wie z.B. das Unternehmen, das den Grund für das vorschriftswidrige Verbringen der Waren gesetzt hat (EuGH, Urteile vom 23. September 2004, C-414/02, Spedition Ulustrans und vom 3. März 2005, C-195/03, Papismedov; BFH, Urteil vom 7. Dezember 2004, VII R 21/04, ZfZ 2005, 204). Den Grund für das vorschriftswidrige Verbringen des Tabaks hat vorliegend die Klägerin gesetzt. Sie hat die Zollanmeldung abgegeben und den Auftrag zur Beförderung der Waren vom Freihafen zur F erteilt. Ob sie Kenntnis von der Existenz des Tabaks hatte, ist unerheblich. Im Gegensatz zu Art. 202 Abs. 3 Anstriche 2 und 3 ZK enthält Art. 202 Abs. 3 Anstrich 1 ZK für die Begründung der Zollschuldnerschaft keine subjektive Voraussetzung.

36

Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, lediglich als Stellvertreterin für eine Person oder Firma A, ..., B, gehandelt zu haben. Diese Firma oder Person existierte tatsächlich nicht. Die Klägerin handelte mithin als Vertreterin ohne Vertretungsmacht, so dass die Anmeldung gemäß Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 2 ZK als im eigenen Namen und für eigene Rechnung der Klägerin abgegeben gilt. Die Unerweislichkeit einer Vollmacht geht zu Lasten des die Feststellungslast tragenden Vertreters; die Regelungen über die Anscheins- und Duldungsvollmacht sind vorliegend unanwendbar (BFH, Urteil vom 2. April 1987, VII R 60/84, BFHE 150, 93; Bender, in Krenzler/Herrmann/Niestedt, Art. 19 UZK, Rn. 10, Stand: 17. EL).

37

4. Die Einfuhrumsatzsteuerschuld ist nicht nach Art. 233 S. 1 lit. d) ZK erloschen.

38

Nach dieser Bestimmung erlischt die Zollschuld, wenn Waren, für die eine Zollschuld gemäß Art. 202 ZK entstanden ist, bei dem vorschriftswidrigen Verbringen beschlagnahmt und gleichzeitig oder später eingezogen werden. Ein Erlöschen scheidet demnach aus, wenn die Beschlagnahme erfolgt ist, nachdem die Waren bereits verbracht worden waren. Nach der EuGH-Rechtsprechung führt die Beschlagnahme von vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Europäischen Union verbrachten Waren nur dann zum Erlöschen der Zollschuld, wenn sie erfolgt, bevor die Waren über die erste innerhalb dieses Gebiets liegende Zollstelle hinausgelangt sind (EuGH, Urteile vom 2. April 2009, C-459/07, Elshani, vom 29. April 2010, C-230/08, Dansk Transport og Logistik). In dem Moment, in dem die Waren über die erste innerhalb des Zollgebiets der Union liegende Zollstelle hinausgelangt sind, ohne dort gestellt worden zu sein, ist das vorschriftswidrige Verbringen vollzogen. Nach BFH-Rechtsprechung sei das vorschriftswidrige Verbringen von Waren im Sinne des Art. 233 S. 1 lit. d) ZK beendet, wenn die Waren den Ort, an dem sie hätten gestellt werden müssen, wieder verlassen hätten, ohne dass eine ordnungsgemäße Gestellung erfolgt sei. Mit dem Verlassen des Amtsplatzes habe die Ware das Innere des Zollgebiets der Gemeinschaft erreicht. Zu diesem Zeitpunkt sei unabhängig von der Frage, auf welchen Bereich sich die örtliche Zuständigkeit einer Zollstelle erstreckt, eine zollamtliche Überwachung der Waren tatsächlich nicht mehr möglich; der Verbringer befinde sich nicht mehr unter den Augen des Zolls, er kann nach Belieben mit der Ware verfahren (BFH, Urteil vom 7. März 2006, VII R 23/04, BFH/NV 2006, 1426).

39

Nach diesen Maßgaben ist die Einfuhrumsatzsteuerschuld nicht erloschen. Der LKW der E verließ den Freihafen und beförderte die Sendung am 15. Mai 2012 auf das Gelände der F, wo erst am 30. Mai 2012 die Sicherstellung erfolgte. Das Gelände der F liegt außerhalb des Freihafens und außerhalb des Amtsplatzes der Grenzzollstelle. Die Ware war der zollamtlichen Überwachung entzogen. Sofern die Klägerin meint, die Zollbehörden hätten bereits vor dem Verlassen des Freihafens Kenntnis von dem Tabak gehabt, wäre dieser Umstand unerheblich. Selbst wenn das Passieren der Grenzzollstelle und die nachfolgende Beförderung gleichsam unter den Augen des Zolls stattgefunden hätten, würde ein Erlöschen ausscheiden. In jedem Fall haben die Waren mit dem Passieren der Grenzzollstelle den Bereich der intensiven zollamtlichen Überwachung verlassen, die Interessen der innergemeinschaftlichen Wirtschaft waren bereits konkret gefährdet (vgl. BFH, Urteil vom 7. März 2006, VII R 23/04, BFH/NV 2006, 1426). Es ist zwar richtig, dass die Abgaben erloschen wären, wenn der Tabak bereits im Freihafen beschlagnahmt worden wären. Auf derart hypothetische Geschehensabläufe kann indes nicht abgestellt werden. Es ist hinzunehmen, dass das Erlöschen der Einfuhrabgaben auch von dem Ausgang ermittlungstaktischer Überlegungen der Zollbehörden über den Zeitpunkt des Zugriffs abhängt, die Zollbehörden sind nicht verpflichtet, ein vorschriftswidriges Verbringen von Waren zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu beenden um damit die Entstehung der Einfuhrabgaben zu verhindern bzw. die Voraussetzungen für das Erlöschen der Abgaben zu schaffen, wenn ermittlungs- oder einsatztaktische Gründe ein anderes Vorgehen nahelegen (BFH, Urteil vom 07.03.2006, VII R 23/04, BFH/NV 2006, 1426). Dass der Zugriff nicht bereits im Freihafen Hamburg erfolgte, ist daher unproblematisch.

40

5. Von der Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer kann nicht in entsprechender Anwendung des Art. 867a Abs. 1 Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 253, 1; im Folgenden: ZK-DVO) und Art. 98 Abs. 1 lit. a ZK i.V.m. § 21 Abs. 2 UStG abgesehen werden, denn die entsprechende Anwendung dieser Ausnahmevorschrift jedenfalls auf Waren, die - wie im vorliegenden Fall - erst nach ihrem Eingang in den Wirtschaftskreislauf der Union beschlagnahmt werden, verstieße gegen zwingendes Unionsrecht. § 21 Abs. 2 Halbs. 1 UStG ist im vorliegenden Fall richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass der darin enthaltene Befehl der sinngemäßen Anwendung der Zollvorschriften nicht für Art. 867a Abs. 1 ZK-DVO und Art. 98 Abs. 1 lit. a ZK gilt. Die entsprechende Anwendung dieser Vorschriften würde die Festsetzung der Einfuhrumsatzsteuer verhindern, obwohl nach den Regelungen der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, 1; MwStSystRL) Einfuhrumsatzsteuer entstehen muss. Unabhängig von zollrechtlichen Bedenken gegen die Vorschrift des Art. 867a ZK-DVO kann die Überführung in ein Zolllager nur dann nicht zu einer Einfuhr führen, wenn die Ware schon bei ihrer Verbringung in ein Zolllager überführt wird (vgl. FG Hamburg, Urteil vom 14. Januar 2020, 4 K 123/15, Rn. 115 ff. zur 6. MwSt-Richtlinie, deren entscheidende Regelungen der Art. 2 Nr. 2 und 7 Abs. 1 lit. a und b in den Art. 2 Abs. 1 lit. d, 30 Unterabs. 1, 60f. MwStSystRL inhaltlich übernommen worden sind).

41

6. Die Einfuhrumsatzsteuer wurde der Höhe nach zutreffend festgesetzt.

42

Gemäß § 11 Abs. 1 UStG bemisst sich die Einfuhrumsatzsteuer nach dem vorliegend zutreffend ermittelten Zollwert; nach Abs. 3 Nr. 2 dieser Norm sind dem Zollwert hinzuzurechnen die auf Grund der Einfuhr im Zeitpunkt des Entstehens der Einfuhrumsatzsteuer auf den Gegenstand entfallenden Beträge an Verbrauchsteuern, soweit die Steuern unbedingt entstanden sind.

43

Anders als die Klägerin meint, durfte die Tabaksteuer bei der Bemessung der Einfuhrumsatzsteuer berücksichtigt werden. Dass sie erstattet wurde, ändert nichts daran, dass sie im Zeitpunkt der umsatzsteuerlichen Einfuhr bereits gem. § 21 TabStG entstanden war, weil der Freihafen dem tabaksteuerrechtlichen Steuergebiet unterfiel, wie der Beklagte in seinen Schriftsätzen vom 26. November 2015 und vom 18. Oktober 2017 weiter ausgeführt hat.

44

Dass der Beklagte sich hinsichtlich der Höhe der Einfuhrumsatzsteuerbemessungsgrundlage zugunsten der Klägerin eingangs verrechnet hatte und nunmehr eine Erhöhung der Umsatzsteuerbemessungsgrundlage nicht mehr für möglich erachtet, belastet die Klägerin nicht. Eine Verböserung im finanzgerichtlichen Verfahren ist ohne eine Bescheidänderung durch den Beklagten unzulässig.

45

7. Anhaltspunkte für Ermessenfehler bei der Inanspruchnahme der Klägerin sind nicht ersichtlich. Gemäß Art. 213 ZK sind, wenn es für eine Zollschuld mehrere Zollschuldner gibt, diese gesamtschuldnerisch zur Erfüllung dieser Zollschuld verpflichtet. Der Beklagte hat erkannt, dass es neben der Klägerin mit dem Fahrer des Lkw einen weiteren Zollschuldner gibt. Er hat seine Ermessensentscheidung unter Hinweis auf fiskalischen Erwägungen und den Umstand, dass die vollständige und rechtzeitige Entrichtung des Abgabenbetrages von der Klägerin eher erwartet werden könne als von dem erfahrungsgemäß wirtschaftlich schwächeren Lkw-Fahrer, tragfähig begründet (vgl. Witte, Zollkodex, 6. Auflage 2013, Art. 213 ZK, Rn. 7b), zumal das Zollfahndungsamt Hamburg nachvollziehbarerweise in seinem Schlussbericht vom 31. Januar 2014 anregte, den LKW-Fahrer wegen des BFH-Beschlusses vom 12. Juli 1999, VII B 2/99, nicht in Anspruch zu nehmen.

46

Eine Inanspruchnahme eines A, ..., B, von dessen Vertretung die Klägerin für die Zollanmeldung ausging, kommt nicht in Betracht. Die Identität einer natürlichen oder juristischen Person namens "A" konnte der Beklagte trotz Rechtshilfeersuchens nicht ermitteln. Auch die Nachforschungen des Berichterstatters brachten keine weiteren Erkenntnisse.

IV.

47

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 136 Abs. 1 Fall 2, 138 Abs. 2 Satz 1 FGO. Die Kostenquote berechnet sich aus dem anteiligen Unterliegen hinsichtlich der Einfuhrumsatzsteuer i.H.v. 21.342,21 € im Verhältnis zur Abhilfe des Beklagten bezüglich der Tabaksteuer i.H.v. 71.781,19 €.

48

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich, § 115 Abs. 2 FGO.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen