Urteil vom Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern (3. Senat) - 3 K 93/13

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert beträgt … Euro.

Tatbestand

1

Die Sache befindet sich im zweiten Rechtsgang.

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Die Beteiligten streiten um die Haftung des Klägers für Zoll-Euro.

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Der Kläger war neben Herrn A Gesellschafter der B (im Folgenden GmbH). Die GmbH wurde durch Gesellschaftsvertrag vom 28. April 1994 errichtet und am 14. Juli 1994 in das Handelsregister beim Amtsgericht C eingetragen. Der Kläger war alleiniger Geschäftsführer der GmbH, alleinvertretungsbefugt und berechtigt die Gesellschaft bei der Vornahme von Rechtsgeschäften mit sich selbst oder als Vertreter eines Dritten uneingeschränkt zu vertreten (§ 181 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -).

4

Der Kläger hat als Geschäftsführer der GmbH am 08. Juli 2003 beim Amtsgericht C, Insolvenzgericht, einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH wegen Zahlungsunfähigkeit gestellt. Durch Beschluss des Amtsgerichts C in dem Verfahren … wurde der Rechtsanwalt D beauftragt, über die Vermögensverhältnisse der Schuldnerin ein Gutachten zu erstellen. Nach Vorlage des Gutachtens hat das Amtsgericht C durch Beschluss vom 04. Januar 2004 den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse abgewiesen. Die GmbH ist am 06. Juli 2005 im Handelsregister gelöscht worden.

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Die GmbH hat in der Zeit vom 29. Dezember 1999 bis zum 01. Juli 2002 in 123 Fällen bei der Einfuhrabfertigung von gefrorenem Fischfilet aus F und G durch das E unterfakturierte Handelsrechnungen vorlegen lassen, so dass bei der jeweiligen Berechnung der Eingangseinfuhrabgaben zu niedrige Zollwerte zugrunde gelegt worden sind. Die von den Lieferanten ausgestellten und bei den Einfuhrabfertigungen vorgelegten Rechnungen wiesen nur ca. 60 % des zwischen der GmbH und den Lieferanten vereinbarten Kaufpreises für den gelieferten Fisch aus. Für die weiteren ca. 40 %, die Differenz zwischen dem in den Lieferantenrechnungen ausgewiesenen und dem tatsächlich vereinbarten Kaufpreis, erhielt die GmbH in der überwiegenden Anzahl der Fälle Rechnungen von drei verschiedenen, vorgeblich in den H ansässigen, Firmen für die angebliche Lieferung von Polystyren-Boxen in erheblichen Mengen. Tatsächlich sind die Rechnungen für die Polystyren-Boxen von der F Hauptlieferantin der GmbH erstellt und an die GmbH übermittelt worden.

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Aufgrund von Erkenntnissen aus einem anderen Strafverfahren hat die zuständige Staatsanwaltschaft C am 08. Juli 2002 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung eingeleitet, die Durchsuchung der Geschäftsräume der GmbH wegen Gefahr in  Verzug angeordnet, und umfangreiche Akten beschlagnahmt. Ebenfalls am 08. Juli 2002 hat die Kriminalpolizeiinspektion C gegen den Kläger und den Mitgesellschafter A ein Steuerstrafverfahren eingeleitet, weil der Verdacht bestand, dass die Betroffenen eine Steuerstraftat gemäß § 370 Abgabenordnung (AO) begangen hätten.

7

Das Zollfahndungsamt I hat gegen den Angestellten der GmbH, Herrn J, am 20. Januar 2003 ein Steuerstrafverfahren eingeleitet, weil der Verdacht bestand, dass er eine Steuerstraftat gemäß § 370 AO begangen habe. Die Mitteilung über die Einleitung des gegen ihn gerichteten Steuerstrafverfahrens erfolgte an Herrn J am 21. April 2004. Ein weiteres Steuerstrafverfahren wurde gegen Frau K, die Ehefrau von Herrn J, eingeleitet. Durch Urteil des Amtsgerichts C vom 24. August 2009 (22 LS 154/05) wurde Herr J wegen gewerbsmäßigen Schmuggels in 123 Fällen und Beihilfe zum gewerbsmäßigen Schmuggel in 26 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Auf die Berufung des Herrn J wurde das Urteil des Amtsgerichts C durch das Urteil des Landgerichts C dahingehend abgeändert, dass die Gesamtfreiheitsstrafe auf 1 Jahr und 6 Monate herabgesetzt wurde. Im Übrigen wurde die Berufung des Herrn J als unbegründet verworfen. Durch Beschluss des OLG C vom 10. September 2010 wurde die Revision des Herrn J gegen das Urteil des Landgerichts C als unbegründet verworfen.

8

Frau K wurde wegen leichtfertiger Steuerverkürzung eine Geldbuße i.H.v. … Euro auferlegt. Das Verfahren gegen Frau K ist rechtskräftig abgeschlossen. Das gegen den Mitgesellschafter A eingeleitete Strafverfahren wurde am 17. Juni 2005 gemäß § 170 Absatz 2 Strafprozessordnung (StPO) eingestellt.

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Dem Kläger wurde durch Urteil des Amtsgerichts C vom 17. Dezember 2007 wegen leichtfertiger Steuerverkürzung eine Geldbuße von … Euro auferlegt. Gegen dieses Urteil legten sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Kläger fristgemäß Berufung ein. Durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts C vom 28. Juli 2009 wurde auf die Berufung des Klägers das Urteil des Amtsgerichts C im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und den Kläger eine Geldbuße von … Euro auferlegt. Ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung wurde der Kläger ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Urteil einer Verständigung zwischen den Verfahrensbeteiligten entspricht. In den Urteilsgründen ist hervorgehoben, dass der Kläger seine Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hatte, hingegen die Staatsanwaltschaft eine unbeschränkte Berufung eingelegt hatte. Da die Staatsanwaltschaft ihre Berufung mit Zustimmung des Klägers in der Hauptverhandlung zurückgenommen hatte, sei der Schuldspruch des angefochtenen Urteils rechtskräftig und die ihn tragenden Feststellungen zum Tatgeschehen für die Kammer des Landgerichts verbindlich.

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Der Beklagte hat gegen die GmbH keine geänderten Steuerbescheide erlassen.

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Durch Haftungsbescheid vom 02. August 2005 hat der Beklagte den Kläger als Haftungsschuldner gemäß § 69 AO in Anspruch genommen, weil er als Geschäftsführer der GmbH die Pflicht zur Abgabe richtiger Zollwertanmeldungen nicht erfüllt habe und unterfakturierte Handelsrechnungen habe vorlegen lassen. Nach erfolglosem Vorverfahren hatte der Kläger am 15. März 2010 Klage erhoben. In der mündlichen Verhandlung vom 27. Oktober 2010 hat der Vertreter des Beklagten zugesagt, den streitgegenständlichen Haftungsbescheid aufzuheben. Daraufhin haben die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt.

12

Der Beklagte erließ am 21. Dezember 2010 erneut einen Haftungsbescheid und nahm den Kläger als Haftungsschuldner gemäß § 69 AO in Anspruch für Zoll-Euro i.H.v. … €, weil er als Geschäftsführer der GmbH die Pflicht zur richtigen Angabe der Zollwerte bei der Zollanmeldung nicht erfüllt habe und bei insgesamt 123 Einfuhrabfertigungen aus G und F in das Zollgebiet der Gemeinschaft unterfakturierte Handelsrechnungen habe vorlegen lassen. Durch die Vorlage der unterfakturierten Handelsrechnungen bei den zuständigen Abfertigungszollstellen habe er unrichtige bzw. unvollständige Angaben zum Zollwert veranlasst, um dadurch die Festsetzung der Einfuhrabgaben in voller Höhe zu verhindern bzw. Einfuhrabgaben zu verkürzen. Die Verjährungsfrist für die Inanspruchnahme des Klägers betrage 10 Jahre und sei bei Erlass des Haftungsbescheides noch nicht abgelaufen gewesen. Aufgrund fehlender Unterlagen und mangelnder Mitwirkung des Klägers werde die Tilgungsquote auf 100 % geschätzt.  Der Kläger wurde gesamtschuldnerisch mit  Herrn J in Haftung genommen.

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Mit Schreiben vom 04. Januar 2011 legte der Kläger Einspruch ein. Zur Begründung seines Einspruchs führte er aus, dass ihm nicht der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit gemacht werden könne. Der Vorwurf des Beklagten, es hätte sich ihm aufdrängen müssen, dass das System des Rechnungssplittings dazu gedient habe, bei den Zollanmeldungen durch Vorlage der unterfakturierten Rechnungen falsche Angaben zu machen und damit den Zoll zu verkürzen, sei unter Würdigung der Ausführungen des Amtsgerichts falsch. Dort werde ausgeführt, dass der Kläger dem E eine generelle Zollvollmacht erteilt und es keine objektiven Anhaltspunkte dafür geben habe, dass er irgendetwas mit den einzelnen Zollanmeldungen zu tun habe. Aufgrund dessen sei das Amtsgericht in seinem Urteil auch lediglich zu dem Schluss gekommen, dass eine Leichtfertigkeit vorliege. Leichtfertigkeit stelle jedoch keine grobe Fahrlässigkeit dar. Insofern setze die Annahme der groben Fahrlässigkeit einmal die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes voraus als auch des Willensmomentes, nämlich die Kenntnis dieser objektiven Tatbestandsmerkmale. Gerade dies habe das Amtsgericht jedoch nicht angenommen. Insofern stehe die Feststellung der groben Fahrlässigkeit durch den Beklagten im Widerspruch zu den Feststellungen im Urteil des Amtsgerichts C.

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Während des Einspruchsverfahrens erließ der Beklagte, nachdem ihm Unterlagen der GmbH zur Verfügung gestanden hatten und der Betriebsprüfungsdienst des Hauptzollamtes L die Tilgungsquote mit 91,05 % ermittelt hatte, einen geänderten Haftungsbescheid und setzte die Haftungssumme auf … € herab. Der Bescheid wurde gemäß § 365 Abs. 3 AO zum Gegenstand des Einspruchsverfahrens. Nach Auswertung des Gutachtens des Insolvenzverwalters und unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers sowie der Ermittlungen des Betriebsprüfungsdienstes des Hauptzollamtes L habe sich eine Tilgungsquote von 91,05 % ergeben. Von dieser Tilgungsquote sei wegen der Besonderheiten des Falles ein Abschlag von 10 % vorgenommen und die Tilgungsquote auf 81,05 % festgesetzt worden.

15

Durch Einspruchsentscheidung vom 06. Februar 2013 hat der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt. Gemäß Art. 232 Abs. 1 Buchst. a) der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ZK) i.V.m. § 69 AO würden die in den § 34 und § 35 Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) bezeichneten Personen würden haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis in Folge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt worden seien. Der Kläger gehöre als Geschäftsführer gemäß § 35 GmbHG zum Personenkreis des § 34 Abs. 1 AO und habe demzufolge die steuerlichen Pflichten der GmbH zu erfüllen. Zu diesen Pflichten habe auch die Pflicht zur Abgabe richtiger Zollanmeldungen gehört. Die Feststellung des Amtsgerichts C hätten ergeben, dass alle Fischlieferungen russischer Fischlieferanten der GmbH im Zeitraum vom 29. Dezember 1999 bis zum 01. Juli 2002 unter Vorlage von unterfakturierten Rechnungen zum zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr angemeldet worden seien. Durch diese Verfahrensweise seien Einfuhrabgaben i.H.v. … € hinterzogen worden. Durch das Urteil des Amtsgerichts C vom 17. Dezember 2007 sei dem Kläger wegen leichtfertiger Steuerverkürzung eine Geldbuße von … € auferlegt worden, denn es hätte sich ihm aufdrängen müssen, dass das System des Rechnungssplittings dazu gedient habe, bei den Zollanmeldungen durch Vorlage der unterfakturierten Rechnungen falsche Angaben zu machen und damit Zoll und Einfuhrumsatzsteuer zu hinterziehen. Im Übrigen habe er es während des gesamten Tatzeitraumes unterlassen, sich zu vergewissern, dass die tatsächlich vereinbarten Einkaufspreise als Warenwert bei der Zollanmeldung angegeben würden. Insoweit habe er sich eines in dauernder Unachtsamkeit bestehenden Gesamtverhaltens schuldig gemacht, aus dem mehrere, bei gehöriger Achtsamkeit voraussehbare, Verletzungen der Steuerpflicht von selbst, ohne sein weiteres Zutun entspringen würden. Folglich habe der Kläger die steuerliche Pflichtverletzung sehr wohl vorausgesehen und billigend in Kauf genommen.

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Er habe im strafrechtlichen Sinne grob fahrlässig und damit leichtfertig i.S.v. § 378 AO gehandelt und sei somit Haftender gemäß Art. 232 Abs. 1 Buchst. a ZK i.V.m. § 69 AO. Der Beklagte habe auch ermessensgerecht gehandelt, da der Kläger zusammen mit Herrn J in Anspruch genommen worden sei.

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Der Haftungsbescheid verstoße auch nicht gegen § 191 AO. Die Vorschriften über die Festsetzungsfrist seien gemäß § 191 Abs. 3 AO sinngemäß anzuwenden, weshalb sich im Streitfall die Festsetzungsfrist auf 10 Jahre gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO verlängere, da der ebenfalls an den streitbefangenen Einfuhren beteiligte Herr J im Zusammenhang mit diesen Einfuhren rechtskräftig wegen Steuerhinterziehung verurteilt worden sei. Für die Anwendung des § 169 Absatz 2 Satz 2 AO sei es unerheblich, wer die Steuern hinterzogen habe, es komme nur darauf an, dass es sich objektiv um hinterzogene Steuern handele. Die Festsetzungsfrist beginne daher im Streitfall am 01. Januar 2000, so dass die Einfuhren der GmbH zwischen dem 24. Januar 2000 und 29. Juni 2002 erfasst würden.

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Dem Erlass des Haftungsbescheides stehe auch § 191 Abs. 5 Nr. 1 AO nicht entgegen. Zwar sei eine Steuerfestsetzung nicht erfolgt und könne auch nicht mehr erfolgen, dies sei jedoch nicht eine Konsequenz des Ablaufes der Festsetzungsfrist, sondern eine Folge der zwischenzeitlichen Auflösung und Löschung der GmbH aus dem Handelsregister.

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Der Kläger hat am 08. März 2013 Klage erhoben und trägt ergänzend zu seinem Vorbringen im Verwaltungsverfahren vor, dass er sich als Geschäftsführer der GmbH in steuerlichen Angelegenheiten durch die Steuerberaterin der GmbH Frau M habe beraten lassen. Er habe daher davon ausgehen können, dass die Angaben bei den Einfuhrabfertigungen ordnungsgemäß erfolgt seien, da er von Frau M nicht einmal darauf hingewiesen worden sei, dass es bei der Inrechnungstellung der Lieferungen zu zollrechtlichen Problemen kommen könne. Er habe daher darauf vertraut, dass er sich gesetzeskonform verhalte. Auch könne ihm nicht mangelnde Überwachung der steuerlichen Beraterin der GmbH vorgeworfen werden. Er habe erst durch die Anzeige des Herrn J davon Kenntnis erlangt, dass durch die Rechnungsstellung eine Ordnungswidrigkeit erfüllt worden sei. Zu diesem Zeitpunkt sei jedoch keine Korrektur mehr möglich gewesen. Es habe vorher keinerlei Hinweise gegeben, dass das Verhalten des Steuerbüros dazu hätte führen können, dass hier strafrechtlich relevante Tatbestände verwirklicht worden seien.

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Soweit sich der Beklagte zur Begründung seiner Haftungsinanspruchnahme auf das Urteil des Amtsgerichts C vom 17. Dezember 2007 beziehe, weise er darauf hin, dass dieses Urteil falsch sei. Das Amtsgericht C habe in seinem Urteil unterstellt, dass die Lieferungen der Polystyren-Boxen den Zweck verfolgt hätten, die hier in Rede stehenden Fischpreise günstiger zu gestalten. Dies sei jedoch falsch gewesen. In F seien derartige Fischboxen nicht zu bekommen gewesen. Die GmbH habe durch die Lieferung der Boxen an die russischen Fischer überhaupt erst die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass diese Fische fangen und anlanden konnten. Die Polystyren-Boxen seien dafür vorgesehen, dass der gefangene Fisch am Bord eingelagert und so an Land habe gebracht werden können.

21

Die Behauptung des Amtsgerichts C, dass die in Rechnung gestellten Kilopreise des gelieferten Fisches an die GmbH um 60 % unter dem tatsächlichen Marktpreis gelegen hätten, treffe nicht zu. Zum damaligen Zeitpunkt seien auch Konkurrenzunternehmen der GmbH zu diesem Preis beliefert worden. Die Polystyren-Boxen seien auch nicht für bestimmte Fischladungen geliefert worden und könnten daher auch nicht bestimmten Lieferungen von Fisch zugeordnet werden. Wäre dies der Fall gewesen, hätten Unmengen an Fisch von den russischen Lieferanten an die GmbH geliefert werden müssen.

22

Des Weiteren weise er darauf hin, dass die in Rede stehenden Lieferungen der Polystyren-Boxen nicht über die  Bundesrepublik Deutschland, sondern direkt aus den H nach F erfolgt seien. Deswegen sei der Kläger auch nicht ansatzweise auf den Gedanken gekommen, dass er die für diese Lieferungen erfolgten Fakturierungen auch im Rahmen des Zollwertes für den gelieferten Fisch hätte berücksichtigen müssen.

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Auch das Argument, dass dem Kläger durch die Unterfakturierung der Fischlieferungen ein wirtschaftlicher Vorteil entstanden sei, sei unzutreffend, da es bei fiktiver Gegenüberstellung eines ordnungsgemäßen Verhaltens mit dem nun tatsächlichen Verhalten des Klägers zu keinerlei Gewinnerhöhung auf Seiten der GmbH gekommen und mithin auch für den Kläger als Geschäftsführer kein wirtschaftlicher Vorteil entstanden sei.

24

Dem Kläger sei allenfalls leichte Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Zur Abwicklung ihrer steuerlichen Angelegenheiten habe sich die GmbH der Steuerberaterin Frau M bedient. Diese habe dem Kläger bestätigt, dass die Rechnungsbeträge für die gelieferten Polystyren-Boxen zum Zollwert der eingeführten Fische nicht hätten hinzugerechnet werden müssen. Der Kläger habe daher davon ausgehen können, dass die Einfuhrabfertigungen ordnungsgemäß abgewickelt worden seien. Der Kläger habe erstmals während der strafrechtlichen Ermittlungen gegen die Herren J, A und ihn davon Kenntnis erklangt, dass die Rechnungsstellung der Fischlieferungen nicht korrekt gewesen sei. Zu diesem Zeitpunkt sei eine Korrektur jedoch nicht mehr möglich gewesen.

25

Dem Erlass des Haftungsbescheides stehe der Ablauf der Verjährungsfrist entgegen, da die verlängerte Festsetzungsfrist des § 191 Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz AO im Streitfall nicht zur Anwendung komme, da der Kläger vom Beklagten nicht auf der Grundlage von §§ 70 bzw. 71 AO, sondern auf der Grundlage von § 69 AO in Anspruch genommen worden sei.

26

Der Kläger beantragt,
den Haftungsbescheid vom 21. Dezember 2010 und den geänderten Haftungsbescheid vom 04. Februar 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 06. Februar 2013 aufzuheben und
die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

27

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

28

Zur Begründung verweist der Beklagte auf seine Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor, dass sich die Finanzbehörden tatsächliche Feststellungen, Beweiswürdigungen und rechtliche Beurteilungen des Strafverfahrens zu eigen machen können, sofern hiergegen keine substantiierten Einwendungen erhoben würden. Dies sei vorliegend der Fall, da der Kläger nur das Vorbingen seines Rechtsbeistandes aus dem Strafverfahren aus dessen Schriftsatz vom 16. Oktober 2006 wiederhole, einschließlich der dort benannten Zeugen und Beweismittel, ohne sich mit den Ausführungen des strafgerichtlichen Urteils auseinanderzusetzen.

29

Der Vortrag des Klägers zu den Kenntnissen und Einschätzungen der ehemaligen steuerlichen  Beraterin der GmbH führe nicht zu einer Haftungsbeschränkung.

30

Das Vorbringen des Klägers hinsichtlich der Geldmittel der GmbH zu den unterschiedlichen Fälligkeitszeitpunkte sei irrelevant, da nach der Rechtsprechung des BFH die Haftungssumme zeitraumbezogen für den gesamten Haftungszeitraum zu ermitteln sei.

31

Dem Gericht lagen 84 Bände Akten des Beklagten, die Akte des Amtsgerichts C zum Az.: …, 8 Bände Akten der Staatsanwaltschaft C zum AZ: .. sowie die Verfahrensakten 3 V 56/06, 3 K 75/10 und 3 K 93/13 vor.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist unbegründet. Der angegriffene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -). Denn der Kläger wurde zu Recht für die Einfuhrumsatzsteuerschuld der GmbH in unverjährter Zeit in Anspruch genommen.

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1. Der hier streitigen Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner gemäß § 191 AO i.V.m. § 69 AO steht nicht entgegen, dass sich die abgabenrechtliche Anspruchsgrundlage aus Art. 2 Abs. 1, Abs. 3 3. Anstr. ZK i.V.m. § 21 Abs. 2 Umsatzsteuergesetz (UStG) ergibt. Insbesondere ergibt sich auch aus Art. 232 Abs. 1 Buchst. a ZK nicht, dass eine Inanspruchnahme des Klägers nur nach gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften möglich ist. Vielmehr können die nationalen Haftungstatbestände neben die gemeinschaftsrechtlichen Zollschuldentstehungstatbestände treten. Art. 232 Abs. 1 Buchst. a ZK bestimmt nur, dass das Gesetz der Einfuhrabgaben unter Ausschöpfung des geltenden Rechts zwangsweise durchzusetzen ist. Die Vorschrift enthält aber keine haftungshindernde Bestimmung (vgl. FG-Düsseldorf, Urteil vom 06. Dezember 2000 4 K 9518/97 -, VTa, ZEU, ZfZ 2001 206 m.w.N.).

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2. Der Beklagte hat zu Recht den Kläger als Haftungsschuldner in Anspruch genommen.

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Die Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 191 Abs. 1 S. 1, 69 S. 1, 34 Abs. 1 S. 1 AO liegen entgegen der Rechtsauffassung des Klägers vor. Die Steuerverbindlichkeit, für die der Kläger in Anspruch genommen wird, besteht (dazu a). Der Kläger war im maßgeblichen Zeitraum (dazu c) eine in § 34 Abs. 1 S. 1 AO genannte Person (dazu b). Er hat Pflichten im Sinne des § 69 AO schuldhaft verletzt und diese Pflichtverletzungen waren kausal für die Nichterfüllung der Steuerschuld der Steuerschuldnerin (dazu d). Die Höhe der Inhaftungnahme ist nicht zu beanstanden (dazu e). Ermessensfehler sind nicht ersichtlich (dazu f), die zugrundeliegenden Einfuhrabgaben waren weder festsetzungs- noch zahlungsverjährt (dazu g), dem Erlass des Haftungsbescheides steht auch der Ablauf der Festsetzungsverjährung nicht entgegen (dazu h). Im Einzelnen:

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a) Zweifel an der Existenz der gemäß Art. 201 Abs. 1 Buchst. a), Abs. 2, Abs. 3 UAbs. 1 S. 1 ZK in Zusammenhang mit 123 Einfuhren von gefrorenem Fischfilet aus F und G - einem Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 AO) - entstandenen Zoll-Euroschuld i. H. v. … € bestehen nicht.

37

Soweit der Kläger vorträgt, dass die Ausführungen des Amtsgerichts C unzutreffend sind, kann er damit in diesem Verfahren nicht gehört werden. Die tatsächlichen Feststellungen, Beweiswürdigung und rechtlichen Beurteilung des rechtskräftig gewordenen Strafurteils erachtet der erkennende Senat als zutreffend und macht sie sich zu eigen, da der Kläger gegen die strafgerichtlichen Feststellungen keine substantiierten Einwendungen vorgetragen hat (vgl. BFH-Urteil vom 07. März 2006 - X R 8/05 -, BFHE 212, 398, BStBl. II 2007, 594). Der Kläger behauptet lediglich, dass das Amtsgericht Beweise nicht erhoben und falsche Schlussfolgerungen gezogen habe und wiederholt nur sein Vorbringen und seine Beweisantritte aus dem Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten im Strafverfahren vom 06. November 2006, ohne sich inhaltlich mit dem ergangenen Urteil auseinanderzusetzen. Der Kläger ist zudem nach dem Rechtsgrundsatz des venire contra factum proprium, der seine Rechtsgrundlage in § 242 BGB findet und auch im Steuerrecht anzuwenden ist (vgl. BFH-Urteil vom 29. Januar 2009, VI R 12/06, BFH/NV 2009, 1105), mit Einwendungen gegen das strafgerichtliche Urteil ausgeschlossen, weil - wie das Protokoll über die mündliche Verhandlung im Verfahren vor dem Landgericht C ausweist - das Urteil auf einer Verständigung zwischen den dortigen Verfahrensbeteiligten beruht. In den Urteilsgründen ist ausdrücklich hervorgehoben, dass der Kläger seine Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hatte, hingegen die Staatsanwaltschaft eine unbeschränkte Berufung eingelegt hatte. Da die Staatsanwaltschaft ihre Berufung mit Zustimmung des Klägers in der Hauptverhandlung zurückgenommen hatte, ist der Schuldspruch des angefochtenen Urteils des Amtsgerichts C rechtskräftig und waren die ihn tragenden Feststellungen zum Tatgeschehen für die Kammer des Landgerichts verbindlich. Daran ist der Kläger auch in diesem Verfahren gebunden.

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b) Gemäß § 69 S. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO haften die gesetzlichen Vertreter einer GmbH, soweit Ansprüche aus der Schuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt worden sind. Die gesetzlichen Vertreter juristische Personen haben deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet werden, die sie verwalten (§ 34 Abs. 1 AO).

39

Der Kläger war im maßgeblichen Zeitraum alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der GmbH und damit ihr gesetzlicher Vertreter (§§ 6, 35 Abs. 1 S. 1 GmbHG).

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c) Der maßgebliche Haftungszeitraum beginnt mit der ersten Pflichtverletzung, die zu einem Steuerausfall führt und endet mit dem Tag der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Steuerschuldnerin bzw. im Falle einer nicht die Kosten des Verfahrens deckenden Masse am Tag der Antragstellung (vgl. FG München Urteil vom 29. Januar 2009 14 K 4927/06, Juris.) Im Streitfall begann der Haftungszeitraum mit der ersten Einfuhr bei der ein Steuerausfall vorlag, also am 21. Dezember 1999 und endete am 03. Juli 2003, dem Tag der Antragstellung beim Amtsgericht C über das Insolvenzverfahren der GmbH.

41

d) Der Kläger hat auch pflichtwidrig gehandelt. Die Pflichtverletzung des Klägers beruht darauf, dass er durch die Organisation seiner Aufgaben als Geschäftsführer, insbesondere zur Einrichtung einer sachgerechten Buchführung und der damit einhergehenden Delegation von Aufgaben an Mitarbeiter und der Steuerberater nicht dafür gesorgt hat, dass die Steuern rechtzeitig und zutreffend festgesetzt wurden.

42

Der Geschäftsführer einer GmbH ist nicht verpflichtet sämtliche steuerlichen Angelegenheiten der GmbH ohne Einschränkung selbst zu erledigen. Er ist vielmehr befugt bzw. bei mangelnder eigener Sachkunde sogar verpflichtet, die Erledigung anderen sachkundigen Personen zu übertragen. Allerdings ist der Geschäftsführer stets verpflichtet, diejenigen Personen, denen er die Erledigung der ihm als Vertreter des Steuerpflichtigen auferlegten steuerlichen Pflichten übertragen hat, laufend und sorgfältig zu überwachen, insbesondere sich so eingehend über den Geschäftsgang zu unterrichten, dass er unter normalen Umständen mit der ordnungsgemäßen Erledigung der Geschäfte rechnen kann bzw., dass ihm ein Fehlverhalten des beauftragten Dritten rechtzeitig erkennbar wird. Mangelndes Überwachen der zur Pflichtverletzung herangezogenen Personen ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles regelmäßig als grob fahrlässige Pflichtverletzung einzustufen (vgl. BFH-Urteil vom 30. August 1994 VII R 101/92, BFHE 175, 509, BStBl. II 1995, 278).

43

Für den Streitfall ist festzustellen, dass der Kläger nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten grundsätzlich in der Lage war als Geschäftsführer die Anfertigung der den Erfordernissen der Zoll- und Steuergesetze genügenden Zollanmeldungen einzurichten und zu überwachen. Hierzu durfte er sich eines steuerlichen bzw. zollrechtlichen Beraters bedienen. Selbst wenn er nicht in steuerlichen Fragen kompetent gewesen war, so waren die steuerlichen Notwendigkeiten im Auslandsgeschäft, insbesondere hinsichtlich der zollrechtlichen Belege und Bescheinigungen, so allgemein verständlich, dass sie auch der Kläger in Grundzügen hätte begreifen können. Ein gewissenhafter und sorgfältiger Geschäftsführer hätte sich über die Richtigkeit der buch- und belegmäßigen Erfassung der Geschäfte vergewissert.

44

Das Amtsgericht C hat in seiner Urteilsbegründung (Seite 51 des Urteilsumdrucks) ausgeführt, dass in objektiver Hinsicht auf Grund der Beweisaufnahme keine Zweifel bestehen, dass der Kläger alle objektiven Tatumstände kannte, die zu den falschen Zollanmeldungen und damit zu den Zollverkürzungen geführt haben. Schon seine Tätigkeit im Zusammenhang mit der Abwicklung des gesamten Zahlungsverkehrs der GmbH vermittelte ihm zwangsläufig die Kenntnis, dass es neben den eigentlichen Lieferantenrechnungen weitere Rechnungen gab, die in unmittelbarem Zusammenhang mit diesen standen. Zur Bindungswirkung der Feststellung dieses Urteils auch für dieses Verfahren s.o. unter a).

45

Der Kläger kann sich nicht durch die Beauftragung der Steuerberaterin Frau M von seiner eigenen Verantwortung befreien. Der erkennende Senat geht mit dem Kläger davon aus, dass er Frau M hat vertrauen können. Das die bestehenden und erst von der Zollfahndung aufgedeckten Mängel nicht auch von Frau M erkannt worden sind, kann den Kläger jedoch in seiner eigenen Verantwortung für die Richtigkeit der Erstellung der Zollanmeldungen nicht entlasten. Im Übrigen war die Einfuhrabfertigung vom Kläger der E GmbH Co. KG übertragen worden.

46

e) Ob für die Inhaftungnahme des Klägers für den Zoll-Euro der Grundsatz der anteiligen Tilgung anzuwenden ist, kann der erkennende Senat offen lassen.

47

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist u. a. bei der Haftung für Umsatzsteuer der haftungsbegrenzende Grundsatz der anteiligen Tilgung zu beachten. Dieser besagt, dass der gesetzliche Vertreter nach §§ 69, 34 AO nur in dem Umfang in Anspruch genommen werden kann, in dem er bei der Tilgung der Gesamtverbindlichkeiten das Finanzamt gegenüber anderen Gläubigern benachteiligt hat (vgl. BFH-Urteile vom 12. Juni 1986, VII R 192/83, BStBl II 1986, 657; vom 14. Juli 1987, VII R 188/82, BStBl II 1988, 172; vom 27. Februar 2007, VII R 60/05, BStBl II 2008, 508; vom 04. Dezember 2007, VII R 18/06, BFH/NV 2008, 521). Denn verlangt wird von einem GmbH-Geschäftsführer, dass er in Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten die ihm zur Verfügung stehenden Mittel zu einer in etwa anteiligen Befriedigung des Finanzamts und der übrigen Gläubiger verwendet. Der zu fordernde Kausalzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem Schadenseintritt entfällt, wenn mangels ausreichender Zahlungsmittel auch bei fristgerechter Abgabe der Steueranmeldung die geschuldete Steuer nicht hätte an das Finanzamt abgeführt werden können. Ob nach Einführung des ZK und des Verbrauchsteuer-Binnenmarktgesetz diese Grundsätze auch für die Einfuhrumsatzsteuer gelten, (zweifelnd Klein/Rüsken, AO, 13. Aufl., § 69 Rz. 90), braucht für den Streitfall nicht entschieden zu werden, denn der Beklagte hat nach Vorlage der noch vorhandenen Geschäftsunterlagen der GmbH die anteilige Tilgungsquote mit 91,05 % ermittelt und hiervon noch einen Sicherheitsabschlag i.H.v. 10 % vorgenommen. Gegen die so festgesetzte Tilgungsquote hat der Kläger keinerlei Einwendungen erhoben, so dass auch der erkennende Senat keinerlei Veranlassung sieht, diese Höhe in Frage zu stellen.

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f) Der Beklagte hat das ihm eingeräumte Ermessen zutreffend ausgeübt.

49

Die Haftungsinanspruchnahme nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO ist eine Ermessensentscheidung, die vom Finanzgericht nur daraufhin überprüft werden kann, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen dafür vorliegen, dass das Ermessen auf der Rechtsfolgenseite eröffnet ist, und ob bei der Ausübung des Ermessens dessen gesetzliche Grenzen nicht überschritten und von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (§ 102 Satz 1 FGO). Bereits bei der Prüfung der tatbestandlichen Haftungsvoraussetzungen ist zu berücksichtigen, dass die nachfolgende Ermessensentscheidung fehlerhaft ist, wenn die Behörde Gesichtspunkte tatsächlicher und rechtlicher Art, die nach dem Sinn und Zweck der Ermessensvorschrift zu berücksichtigen sind, außer acht lässt. Denn das gilt auch für solche Gesichtspunkte, die nicht allein und unmittelbar das Entschließungs- oder Auswahlermessen betreffen, sondern sich zunächst auf bestimmte Tatbestandsvoraussetzungen der Haftungsvorschrift beziehen, wenn sie nach dem Sinn und Zweck der Ermessensvorschrift für die spätere Ermessensausübung von Bedeutung sind (vgl. BFH-Urteile vom 03. Mai 1990 VII R 108/88, BFHE 160, 417, BStBl II 1990, 767 und vom 12. Dezember 1996 VII R 53/96, BFH/NV 1997, 386 m. w. N.). Nach den Feststellungen der materiell-rechtlichen Haftungsvoraussetzungen hat das Hauptzollamt nach § 191 Abs. 1 AO die Entscheidung darüber zu treffen, ob überhaupt und in welcher Höhe eine Haftungsinanspruchnahme erfolgen soll (vgl. BFH-Urteil vom 04. Oktober 1988 VII R 53/85, BFH/NV 1989, 274). Da sich somit die Ausübung des behördlichen Ermessens auf den bestimmten, vom Beklagten bejahten Haftungstatbestand bezieht, kann das Gericht, wenn es dessen Voraussetzungen nicht für gegeben erachtet, nur dann einen alternativ vorliegenden Haftungstatbestand heranziehen, wenn festgestellt werden kann, dass das Finanzamt vor dessen Hintergrund den Haftungsschuldner ebenfalls und in gleicher Höhe in Anspruch genommen hätte (so BFH in BFH/NV 1997, 386).

50

Im Streitfall hat der Beklagte neben dem Kläger ebenfalls Herrn J vollumfänglich für die Einfuhrabgabenschulden der GmbH in Haftung genommen. Einwände gegen die Ausübung des Entschließungs- und Auswahlermessens hat der Kläger nicht vorgebracht und ergeben sich auch nicht aus den vorliegenden Akten.

51

g) Der Haftungsinanspruchnahme des Klägers steht § 191 Absatz 5 AO nicht entgegen.

52

Die Vorschrift des § 191 Abs. 5 AO erfasst dabei sowohl die Festsetzungs- als auch die Zahlungsverjährung (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 11. Juli 2001 VII R 28/99, BFHE 195, 510, BStBl II 2002, 267).

53

Gemäß § 191 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AO kann ein Haftungsbescheid nicht mehr ergehen, soweit die Steuer gegen den Steuerschuldner nicht festgesetzt worden ist und auch wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist auch nicht mehr festgesetzt werden kann.

54

Zum Zeitpunkt des Erlasses des Haftungsbescheides war die für die Festsetzung der Einfuhrabgaben geltende Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen. Grundsätzlich beträgt die Verjährungsfrist für Einfuhrabgaben gemäß Art 103 Abs. 1 UZK drei Jahre. Ist die Zollschuld aufgrund einer zum Zeitpunkt ihrer Begehung strafbaren Handlung entstanden, so verlängert sich die Frist von drei auf mindestens fünf und höchstens 10 Jahre gemäß dem einzelstaatlichen Recht,  Art. 103 Absatz 2 der Verordnung (EU Nr. 952/2013) vom 09. Oktober 2013 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Union (ABl. EU Nr. L 287, S.90 –UZK-). Für die Anwendung des Art. 103 Abs. 2 UZK ist es unerheblich, wer die Einfuhrabgaben hinterzogen hat. Es kommt nur darauf an, dass es sich objektiv um hinterzogene Beträge handelt (vgl. zum grundsätzlich im Zollrecht anzuwenden objektiven Maßstab Witt, ZK, 6. Aufl., Art. 202 Rz 18 f.). Demzufolge findet im Streitfall die 10jährige Frist Anwendung, obwohl nicht der Kläger, sondern Herr J die Steuern hinterzogen hat und der Kläger nur wegen leichtfertiger Steuerverkürzung verurteilt worden ist. Aufgrund des seit dem 11. September 2010 rechtskräftigen Urteils des Landgerichts C in Sachen J, verlängert sich die Festsetzungsfrist im Streitfall auf zehn Jahre. Die einfuhrabgabenrechtliche Festsetzungsfrist begann am 01. Januar 2000 und endete am 31. Dezember 2010, so dass für die Einfuhren der GmbH vom 29. Dezember 1999 bei Erlass des Haftungsbescheides die Festsetzungsverjährung bereits abgelaufen war. Der Beklagte hat diese Fälle bei Festsetzung des Haftungsbetrages deswegen zutreffend nicht berücksichtigt, für die übrigen Einfuhren der GmbH war eine Verjährung noch nicht eingetreten.

55

Gemäß § 191 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 AO kann ein Haftungsbescheid nicht mehr ergehen, soweit die gegenüber dem Steuerschuldner festgesetzte Steuer verjährt ist oder die betreffende Steuer erlassen worden ist.

56

Der haftungsgegenständliche Zoll-Euro entstand gemäß Art. 201 Abs. 1 Buchst. a) ZK durch die Überführung des eingeführten Fisch in den zollrechtlich freien Verkehr. Die Zollschuld entstand im Zeitraum vom 29. Dezember 1999 bis zum 01. Juli 2002. Zollschuldnerin und damit auch Schuldnerin des Zoll-Euro war die GmbH. Die Einfuhrabgaben sind, soweit sie auf den Hinterziehungshandlungen beruhen, gegen die GmbH nicht festgesetzt worden.

57

Die Einfuhrabgabenschuld war zum Zeitpunkt des Erlasses des Haftungsbescheides am 21. Dezember 2010 nicht erloschen. Das Erlöschen einer Zollschuld ist seit dem 01. Mai 2016 in Artikel 124 UZK geregelt, so dass § 47 AO insoweit verdrängt wird. Zum Zeitpunkt der Abgabenentstehung galt Artikel 233 ZK. Beide Vorschriften fingieren das Erlöschen der Zollschuld u.a. im Falle der  gerichtlich festgestellten Zahlungsunfähigkeit des Schuldners. Die Auflösung der GmbH infolge der Abweisung des Antrages auf  Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse führt im Streitfall nicht zu einem Erlöschen der Einfuhrabgabenschuld, denn die hierin dokumentierte gerichtliche Feststellung der Zahlungsunfähigkeit der GmbH stellt wegen der Ausrichtung des deutschen Insolvenzverfahrens grundsätzlich keinen Erlöschenstatbestand dar. Erst wenn es zur Restschuldbefreiung gemäß §§ 286 ff Insolvenzordnung (InsO) kommt und wenn nach Beendigung des Insolvenzverfahrens gerichtlich festgestellt wird, kann die Erfüllung der Zollschuld nicht mehr durchgesetzt werden (vgl. Deimel in Hübschmann/Hepp/Spitaler Artikel 233-234 ZK, Rz. 17 m.w.N.; Witte, a.a.O. Art. 233 Rz. 6).

58

h) Im Streitfall kann sich der Kläger nicht auf den Eintritt der Festsetzungsverjährung berufen.

59

Die Festsetzungsfrist für die Haftungsbeträge beträgt grundsätzlich vier Jahre (§ 191 Abs. 3 Satz 2 AO). Die Festsetzungsfrist beginnt nach § 191 Abs. 3 Satz 3 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Tatbestand verwirklicht worden ist, an den das Gesetz die Haftungsfolge knüpft. Insoweit ist auf die Verwirklichung der Tatbestandsvoraussetzungen einer Haftungsnorm sowie die Entstehung der Steuerschuld abzustellen.

60

Die Pflichtverletzungen begannen im Jahr 1999 und endeten im Jahr 2002 begangen, so dass die regulären Festsetzungsfristen von drei Jahren (Art. 103 Abs. 1 UZK, wortgleich Art. 221 Abs. 3 ZK) am 31. Dezember 2002 - 31. Dezember 2005 abliefen. Es ergibt sich keine Verlängerung der Festsetzungsfrist zum Erlass des Haftungsbescheides auf zehn oder fünf Jahre gem. § 169 Abs. 2 Satz 2 AO, denn der Beklagte stützt die Inhaftungnahme des Klägers nicht mehr auf § 71 AO, sondern allein auf § 69 AO. Hierfür gelangt die dreijährige Verjährung zur Anwendung (vgl. BFH-Urteil  vom 22. April 2008 VII R 21/07, BFHE 220, 319, BStBl II 2008, 735).

61

Jedoch ist die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 in Verbindung mit § 191 Abs. 3 Satz 1 AO eingetreten.

62

§ 171 Abs. 5 AO findet über den Verweis in § 191 Abs. 3 Satz 1 AO grundsätzlich auch für Haftungsbescheide Anwendung (vgl. FG Hamburg Urteil vom 30. Mai 2011, 2 K 154/10, EFG 2012, 13). Voraussetzung für die verjährungshemmende Wirkung der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen ist nach dem Gesetzeswortlaut, dass Ermittlungshandlungen vor Ablauf der Festsetzungsfrist tatsächlich vorgenommen worden sind. Darüber hinaus muss für den Steuerpflichtigen erkennbar sein, dass in seinen Steuerangelegenheiten ermittelt wird (vgl. BFH-Urteil vom 16. April 1997 XI R 61/94, BFHE 183, 13, BStBl II 1997, 595). Diese Voraussetzungen liegen hier vor, denn die Einleitung der Strafverfahren gegen ihm war dem Kläger bekannt und die Ermittlungen der Steuerfahndung bezogen sich auf die dem Haftungsbescheid zugrundeliegenden Steuerforderungen gegenüber der GmbH. Somit ist eine Hemmung gem. § 171 Abs. 5 AO eingetreten, denn vor Ablauf der regulären Festsetzungsverjährung zum 31. Dezember 2002 für 1999, zum 31. Dezember 2003 für 2000, zum 31. Dezember 2004 für 2001 und zum 31. Dezember 2005 für 2002 wurde das Steuerstrafverfahren gegen die Organe der GmbH und damit auch gegen den Kläger eingeleitet, was dem Kläger als Geschäftsführer der GmbH im Zuge der Durchsuchungsmaßnahmen am 08. Juli 2002 auch mitgeteilt worden ist.

63

§ 171 Abs. 5 AO bestimmt keine Frist, innerhalb derer die Ermittlungsergebnisse des Steuerstrafverfahrens durch den Erlass von Steuerbescheiden auszuwerten sind. Dies hat zur Folge, dass die Ablaufhemmung trotz Abschlusses der Ermittlungen weiterläuft, solange von der Finanzbehörde keine Steuerbescheide erlassen worden sind. Eine zeitliche Grenze für die Ablaufhemmung ergibt sich nicht aus einer analogen Anwendung des § 171 Abs. 4 Satz 3 AO, da es hierfür auf Grund des ausdrücklichen Verweises in § 171 Abs. 5 Satz 1 AO auf § 171 Abs. 4 Satz 2 AO an einer Gesetzeslücke fehlt. Die Dauer der Ablaufhemmung des § 171 Abs. 5 AO wird daher nur durch das Institut der Verwirkung begrenzt. Diese tritt nicht allein durch Zeitablauf ein, sondern setzt weitere Umstände voraus, die eine Aufgabe des Einfuhrabgabenanspruchs durch die Zollbehörden schließen lassen (vgl. BFH-Urteil vom 17. Dezember 2015 V R 58/14, BFHE 252, 5, BStBl II 2016, 574).

64

Der § 171 AO war im Streitfall anwendbar, da Artikel 221 Absatz 4 ZK im Falle der Zollschuldentstehung aufgrund einer Steuerhinterziehung auf das jeweilige einzelstaatliche Recht verweist. Im Streitfall sind die streitbefangenen Einfuhrabgaben, wie sich aus der rechtskräftigen Verurteilung des Herrn J wegen gewerbsmäßigen Schmuggel ergibt, durch eine Steuerstraftat entstanden. Etwas anderes ergibt sich auch nicht im Falle der Anwendung von Artikel 103 UZK, siehe hierzu die Urteilsgründe oben unter g).

65

Unter Berücksichtigung dieser Rechtsgrundsätze war zum Zeitpunkt des Erlasses des Haftungsbescheides am 21. Dezember 2010 der Ablauf der Festsetzungsverjährungsfrist für etwaige Einfuhrabgabenbescheide für die Streitjahre noch gehemmt und die Zollverwaltung hatte ihre Ansprüche auf die Einfuhrabgaben noch nicht aufgegeben. Zwar war ein Erlass von Einfuhrabgabenbescheiden seit der Abweisung des Antrages auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH am 04. Januar 2004 nicht erfolgversprechend und seit dem Löschen der GmbH im Handelsregister am 06. Juli 2005 auch nicht mehr möglich, was dem Beklagten auch zeitnah bekannt war. Jedoch hat er bereits frühzeitig eine Realisierung der Abgabenansprüche durch Haftungsbescheide am 02. August 2005 an den Kläger und Herrn J angestrebt, so dass keine Verwirkung der Ansprüche bis zum Zeitpunkt des Erlasses des streitbefangenen Haftungsbescheides eingetreten ist.

66

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

67

Die Revision ist zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2  Nr. 2 FGO  vorliegen.

68

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG).

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